• Keine Ergebnisse gefunden

3 Die Bauten des Wilkhahn-Werkes

3.2 Erste Neubauten südlich und westlich der Fabrik

3.2.2 Bauten von Georg Leowald 1959 bis 1966

wurde 1959 ein Dach für den Lagerplatz der Kanteln westlich der Sägerei mit dem Architekten Leowald gebaut.

beiden Entwürfe wurden mit einem der zweiten Preise bzw. dem dritten Preis be-dacht.462 1934 ist Leowald nach Berlin gegangen, um auf dem Gebiet der Planung von Industriebauten zu arbeiten. Er erwarb dort erste Kenntnisse über den moder-nen Industriebau und machte Karriere als Abteilungsleiter im Büro des Architekten Herbert Rimpl. Auf seine umfangreichen Planungstätigkeiten als Mitarbeiter des Architekten Rimpl beim Neubau der Heinkelwerke in Oranienburg und bei Indust-riebauten der Reichswerke Hermann Göring wird im nachstehenden Unterab-schnitt eingegangen. Hierin sind die fachlichen Grundlagen und die ästhetische Haltung seiner Planungen der Wilkhahn-Bauten zu finden.

I. Leowalds Engagement im Büro Rimpl

Der Industriebau wurde vom NS-Regime in hohem Tempo und mit großem Finanz-volumen vorangetrieben, um Hitlers 1936 gesetztes Ziel zu erreichen, die deutsche Wirtschaft wie auch die Wehrmacht innerhalb von vier Jahren »kriegsfähig« zu ma-chen.463 Damit rückte der Industriebau als Voraussetzung der Produktion von Waf-fen und sonstiger kriegswichtiger Güter in eine Schlüsselposition der Politik des NS-Regimes und in den Mittelpunkt des Baugeschehens.464 Abweichend vom Woh-nungsbau und von den Bauten für Partei und Staat setzte sich für die Architektur der Industriebauten das Primat der »nüchternen Zweckdienlichkeit« unter »opti-mierter Anwendung moderner Konstruktionsmethoden« durch.465 Vor allem für die Neubauten der Rüstungsindustrie und der ihr dienenden Wirtschaftszweige wurde auf die Ansätze des Bauhauses zurückgegriffen. Beim Besuch der Hermann-Göring-Werke in Linz hat Adolf Hitler nach Erinnerung von Albert Speer die moderne Ar-chitektur der großen Halle aus Stahl und Glas wie folgt kommentiert:

»Sehen Sie sich diese Front von 300 Metern an. Wie schön sind die Proportionen!

Hier liegen eben andere Voraussetzungen vor als bei einem Parteiforum. Dort ist unser dorischer Stil Ausdruck der neuen Ordnung, hier dagegen ist die technische Lösung das Angemessene. [...] Zum Arbeitsplatz gehören Licht, Luft und

462 Anonym 1934: Entschiedene Preisausschreiben [Wettbewerb Ehrenmal in Kleve], in: Der Bau-meister 32 (1934), Heft 1, Beilage, S. B 13.

463 Walter 2003, S. 187. Bis 1939 investierte der Staat ca. 64 Milliarden Reichsmark in die Rüstung.

464 Jo Sollich: Herbert Rimpl (1902-1978): Architektur-Konzern unter Hermann Göring und Albert Speer: Architekt des deutschen Wiederaufbaus: Bauten und Projekte (= Diss. TU Berlin),

Berlin 2013, S. 282.

465 Norbert Rohde: Das Heinkel-Flugzeugwerk Oranienburg: Legende und Wirklichkeit,

Velten 2006 (= Historische Militärobjekte der Region Oberhavel, Bd. 1), S. 26. Dieses Primat hatte Peter Behrens bereits an der 1915 errichteten Flugzeughalle der Waggonfabrik Hannover exemplifi-ziert. Die Halle gleicht den von Rimpl konzipierten Hallen, sieht man von den Lichtbuchten der Dä-cher ab, die bei Behrens nicht vorkommen.

Zweckmäßigkeit, von einem Rathaus verlange ich Würde und von einem Wohn-haus Geborgenheit, die mich für die Härte des Lebenskampfes wappnet. [...].«466

Herbert Rimpl (1902–1978), ein ehemaliger Mitarbeiter von Dominikus Böhm in Hindenburg, gewann 1934 den Wettbewerb für eine Flugzeugfabrik von Heinkel am Standort Rostock. Er wurde mit dem Bau beauftragt und von Heinkel angestellt. Es folgten Projekte für eine Flugzeugfabrik der Heinkel-Werke in Oranienburg und für eine Reihe von Bauten für die Stahlindustrie und die Energieerzeugung der Reichs-werke Hermann Göring. Diesen 1937 gegründeten Konzern mit seinem Baubüro Rimpl bezeichnet Nerdinger als »das größte Sammelbecken der in Deutschland ver-bliebenen modernen Architekten.«467 In über das gesamte Reich verteilten Zweig-stellen beschäftigte Rimpl etwa 700 Mitarbeiter.468 Die Architektur der unter Rimpl entstandenen Industriebauten ist der Neuen Sachlichkeit der Moderne der 1920er-Jahre zuzurechnen.

Leowald war zwischen 1936 und 1945 Mitarbeiter von Rimpl. Jo Sollich hat in seiner Dissertation über Herbert Rimpl die an den Projekten beteiligten Mitarbeiter aufgeführt. Danach hat Georg Leowald die Entwurfsplanung für folgende Anlagen erstellt:

o Heizwerke des Werkes I und des Werkes II sowie Chemische Bäder und Farblager der Heinkel-Werke in Oranienburg (Abb. 56),

o Gebäude der Stahl-Werke Braunschweig der Reichswerke Hermann Göring, o Zeche Haverlahwiese Salzgitter,

o Wasserkraftwerk Ternberg a. d. Enns der Reichswerke Hermann Göring in Linz, o Wasserwerk Rosenau der Reichswerke Hermann Göring in Linz.469

Rudolf Lodders hat abweichend von Sollich auch die Planung des Stahlwerks in Linz Georg Leowald zugeschrieben.470 Er benennt ihn in der Bildunterschrift

466 Albert Speer: Spandauer Tagebücher, Berlin/Wien/Frankfurt a. M. 1975, S. 261 f. Monumenta-lität war auch für Gropius attraktiv: »Die Getreidesilos von Kanada und Südamerika, die Kohlensi-los der großen Eisenbahnlinien und die modernsten Werkhallen der nordamerikanischen Indust-rietrusts halten in ihrer monumentalen Gewalt des Eindrucks fast einen Vergleich mit den Bauten des alten Ägyptens aus« (Walter Gropius: Die Entwicklung moderner Industriebaukunst, in: Die Kunst in Industrie und Handel, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913, hg. von: Deutscher Werkbund, Jena 1913, S. 17 – 22 (21)).

467 Nerdinger/Brüning 1993, S. 173.

468 Ebd.

469 Sollich 2013, S. 299–301, 313–315 u. 318f.; Rohde 2006, S. 24. Rohde bezeichnet Leowald für die angegebenen Gebäude der Heinkel-Werke als verantwortlichen Architekten, dem die Mitarbei-ter Hermann Mäckler und G. MahlmeisMitarbei-ter zugeordnet waren. WeiMitarbei-tere projektleitende Architekten für das Werk II waren Josef Bernard und Bernhard Hermkes (S. 46).

470 Rudolf Lodders: Zuflucht im Industriebau, in: Baukunst und Werkform, 1 (1947), Heft 1, S. 37–44.

»Entwurfszeichnung zu einem großen Hüttenwerk« als verantwortlichen Architek-ten im Büro Rimpl (Abb. 58).471 Weder Standort noch Bauherr Hermann Göring werden von Lodders erwähnt. Tatsächlich handelt es sich um die große Halle der Stahlwerke Linz der Reichswerke Hermann Göring, die zwischen 1938 und 1945 er-richtet wurde.

Leowald war im Alter von 28 Jahren als Architekt an der Planung für ein Flug-zeugwerk beteiligt, das die damaligen bekannten Maßstäbe im Flugzeugbau übertraf und »für lange Zeit das modernste Werk der Welt« sein sollte.472 Ausgangspunkt für das Projekt war eine Entscheidung des Reichsluftfahrtministeriums, mit staatlicher Kapitalbereitstellung ein neues Werk von Ernst Heinkel bauen zu lassen, das für eine Produktionskapazität von hundert Stück des Bombers HE 111 pro Monat aus-gelegt sein sollte.473 Auch wenn Leowald im Rahmen dieses Projektes nur für nach der Größe untergeordnete Teile der Gesamtanlage, nämlich die beiden Heizwerke, das Gebäude der chemischen Bäder und das Farblager eingesetzt wurde, dürfte er Kenntnisse über die Baukonstruktionen der Hallenbauten aus Stahl und Glas mit ihren großen stützenfreien Fertigungsflächen und den anderen Bauten des Werks erworben haben (Abb. 57).474 Die Architekturen der Bauten entsprachen den Grundsätzen des funktionalen Bauens im Sinne der Moderne seit den 1920er-Jah-ren. Wenige monumentale Elemente wie die drei quadratischen Schornsteine des Heizwerks im Werk I oder die Pfeilerhalle der Vorfahrt am Haupteingang des Büro-gebäudes in klassizistischer Strenge sind Zeichen des nationalsozialistischen Gestal-tungswillens dieser Zeit.475 Die Baukörpergestaltung des Bürogebäudes mit Flach-dach hebt sich vom in dieser Zeit für Verwaltungsbauten allgemein üblichen, her-kömmlichen Baustil nach dem Gedankengut der Heimatschutzbewegung mit

471 Ebd., S. 40f. Leowald war Mitherausgeber der Zeitschrift und dürfte diese Angabe autorisiert haben. Sollich nennt andere Namen der beteiligten Mitarbeiter an dem Bauvorhaben, allerdings sind diese dort mit Fragezeichen versehen.

472 Ebd.

473 Sollich 2013, S. 50.

474 Vgl. Sollich 2013, S. 301; vgl. Rohde 2006, S. 24; vgl. Gerdy Troost: Das Bauen im neuen Reich, 2. Band, 5. Auflage, Bayreuth 1943, S. 72; vgl. Hermann Mäckler/Herbert Rimpl: Ein deutsches Flugzeugwerk: Die Heinkel-Werke Oranienburg. Architekt Herbert Rimpl, Berlin 1940, S. 5f. Her-mann Mäckler hat die Heizwerke wie folgt beschrieben: »Die beiden Hauptvorgänge, die Wärmeer-zeugung und die Wärmeverteilung, sind in den Heizwerken (…) auch architektonisch klar getrennt.

Es [das Heizwerk I, Erg. d. V.] beweist mit seinen Glasflächen und den spiegelblanken hellgrauen Fliesen im Inneren [Boden und Wände, Erg. d. V.], in der Schönheit seines technischen Aufbaues und der Durchformung auch der kleinsten Details die Fruchtbarkeit einer aufrichtigen Zusammen-arbeit von Architekt und Ingenieur« (Mäckler/Rimpl 1940, S. 146).

475 Sollich 2013, S. 261. Sollich bringt die Schornsteine mit den Stelen am 1936 eingeweihten Olym-piastadion in Berlin in gedankliche Verbindung.

Walm- oder Satteldächern ab.476 Hildebrand bezeichnete das Oranienburger Pro-jekt der Heinkelwerke als das »prominenteste Bauvorhaben der dreißiger Jahre«.477 Fortsetzung fand die Arbeit Leowalds für Rimpl in Projekten für die Stahlindus-trie und Stromerzeugung in Braunschweig und an verschiedenen anderen Standor-ten der Reichswerke Hermann Göring. Nach Sollich war Leowald bis in das Jahr 1945 hinein faktisch Mitarbeiter von Herbert Rimpl.478 Es ist möglich, dass er, wie in seiner von der HfG Ulm 1958 archivierten Vita beschrieben, im rechtlichen Sinne nach 1941 freiberuflich für Rimpl tätig war und auch andere Aufträge annehmen konnte. Von Relevanz für die Planungsleistungen für Wilkhahn ist die Tatsache, dass Leowald als projektleitender Architekt in den neun Jahren im Baubüro Rimpl umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Industriebaus und Stahlbaus sammeln konnte.

II. Zusammenarbeit der Bauherren Wilkening u. Hahne mit Leowald

Wie Fritz Hahne und Georg Leowald sich kennenlernten und welche Auswirkungen die Zusammenarbeit für die Produktentwicklung hatte, ist im zweiten Kapitel dieser Arbeit beschrieben worden. Zur Zeit der Tätigkeit für Wilkhahn war Leowald zeit-weise Dozent an den Werkkunstschulen in Wuppertal und Düsseldorf und Festdo-zent für Produktform an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Sein Ziel, auch für das Fachgebiet Industrialisiertes Bauen an der Hochschule zuständig zu werden, um beide Fächer stärker zu verbinden, konnte er nicht erreichen. Das war einer der Gründe für seine Kündigung.479 Nach der Zeitspanne der Zusammenarbeit und der Zahl der entworfenen Stuhl- und Sesselmodelle war Leowald der bedeutendste De-signer für Wilkhahn, der zudem in dieser Schaffensphase fast ausschließlich für diese Firma arbeitete. Leowald hat parallel zur Designertätigkeit drei Werksbauten und ein Fabrikantenhaus geplant.

476 Vgl. Troost 1943. Während für die großen Hallenbauten der Industrie das flach geneigte Dach dem nationalsozialistischen Regime offenbar angemessen erschien, galt dies keineswegs für die Verwaltungs- oder Wohnbauten, wie die Auswahl der Objekte in dem Fotobuch von Gerdy Troost belegt. Das darin abgebildete, von Hans Väth geplante Walzwerk der Mannesmann-Werke in Huckingen wurde in den Jahren 1935/1936 realisiert. Es gleicht im Äußeren in wesentlichen Ele-menten den Bauten von Rimpl in Oranienburg, die ein Jahr später gebaut wurden (ebd., S. 69f.).

477 Hildebrand 1999, S. 183.

478 Durth 1988, S. 98. Bernhard Hermkes hat in einem Brief an Werner Durth die Abteilungsleiter-funktion von Georg Leowald bestätigt.

479 In der gleichen Zeit war Frei Otto kurze Zeit Gastdozent für Industrialisiertes Bauen an der HfG in Ulm.

III. Dach für das Kantellager

Das Konzept für den Neubau einer 50 Meter langen und 40 Meter breiten Holzla-gerhalle, unter dessen Dach die konfektionierten und auf Paletten gestapelten Holz-kanteln, vor Regen geschützt, aufbewahrt werden konnten, wird bei Wilkhahn dem Architekten Georg Leowald zugeschrieben. Die Halle ist ein von einem Sheddach mit fünf Abschnitten überdachter Platz von 2.000 Quadratmeter Fläche. Das Shed-dach ist in seinen senkrechten Abschnitten offen. Es gibt keine Begrenzungswände, so dass eine horizontale und vertikale Luftzirkulation gewährleistet ist. Im Bauan-trag vom 24. Februar 1959 wird Georg Leowald als Architekt benannt, ohne dass er Pläne aus dem Büro Leowald enthält oder eine Unterschrift von Leowald aufweist.

Pläne und Antragsformular wurden vom Bauingenieur Heinz Meyer als Bauunter-nehmer unterzeichnet, der mit seiner Firma auch die Gründung für die Stahlkon-struktion ausführte. Das Tragwerk aus Stahl wurde von der Firma Richardt aus Ha-meln nach dem Konzept von Leowald entworfen, berechnet und ausgeführt.480 Die Zuschreibung des Baus wird durch eine Entwurfsskizze von Georg Leowald gerecht-fertigt, die die Konstruktion des Gebäudes darstellt (Abb. 59).481 Die realisierte Kon-struktion weicht allerdings von dieser Skizze ab. Sie besteht aus in den Fundamen-ten eingespannFundamen-ten Rohrstützen, die den 40 Meter langen, aus AbschnitFundamen-ten von je 10 Meter Länge zusammengesetzten Fachwerkträger aus Profilstahl in Querrichtung des Gebäudes tragen. Auf den Fachwerkträgern liegen jeweils im Ober- bzw. Unter-gurt die als Schlangenträger ausgebildeten Unterzüge auf, die die Stahlpfetten und die darauf angebrachte Dacheindeckung aus Wellasbestzement-Platten tragen (Abb. 60). Eine ähnliche Dachkonstruktion war an einem Neubau in Braunschweig zu sehen. Der Architekt Friedrich Wilhelm Kraemer setzte sie 1954 bei der Auto-Reparaturwerkstatt der Braunschweiger Firma Max Voets ein. Der Bau wurde in den Zeitschriften Baumeister und Bauen und Wohnen veröffentlicht und dürfte Leowald bekannt gewesen sein.482

480 Bauantrag und Baugenehmigung Nr. 189/1959 v. 27.5.1959, in: Bauakten Bad Münder, Fritz-Hahne-Straße 8, a. a. O. Die Stahlkonstruktion wurde von der Firma Friedrich Richardt Stahlbau, Hameln, geplant, berechnet und gebaut. Wilkhahn hat in Firmenpublikationen stets Professor Georg Leowald als Architekten genannt, was der tatsächlichen Autorschaft nur teilweise entspricht.

Für den realisierten Entwurf kommt Friedrich Richardt eine Mitautorschaft zu.

481 Georg Leowald: Skizze Schnitte Dach Kantellager v. 30.1.1959, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 22, a. a. O. Die realisierte Konstruktion unterscheidet sich von Leowalds Skizze in der Struktur der Fachwerk- und Schlangenträger.

482 Anonym 1956: VW-Reparaturwerkstatt Max Voets, in: Bauen + Wohnen 10 (1956), Heft 5, S. 165–169; Anonym 1955b: Erweiterung des VW-Reparaturwerkes der Max Voets GmbH in Braun-schweig, in: Der Baumeister 52 (1955), Heft 9, S. 580–585.

IV. Werkhalle von 1960

Im März 1960 fertigte Georg Leowald den Bauantrag für den Neubau einer einge-schossigen Werkhalle mit 600 Quadratmeter Nutzfläche.483 Sie wurde westlich der alten Fabrik mit einem Abstand von 6 Metern von ihr platziert und hat eine lichte Raumhöhe von 5,5 Metern. Sie diente ursprünglich der Betriebsstelle Versand, die mit einer Kreisförderanlage mit den Werkstatträumen im zweiten Obergeschoss der alten Fabrik verbunden wurde. Die Realisierung der Werkhalle musste in Abschnit-ten erfolgen, da eine in die Baufläche hineinragende Scheune des Nachbarn erst drei Jahre später abgerissen werden konnte (Abb. 61). Die Fassaden werden durch die Stahlprofilstützen im Abstand von 5 Metern gegliedert. In den Feldern zwischen den Stützen sind über einem Betonsockel mit Platten geschlossene Brüstungen und dar-über Fenster mit kittloser Verglasung angeordnet. Das Flachdach besteht aus einer Dichtungsfolie auf Bimsbetonplatten, die auf den Stahlpfetten im Abstand von 2,5 Metern liegen.

Leowald hat die nicht verglasten Außenwandflächen zweischalig mit »leichter Wärmeisolierfüllung« geplant.484 Die Wirkung der Leichtigkeit der Konstruktion konnte dank der Wärmedämmstandards der Bauzeit erreicht werden. Die damali-gen Brandschutzanforderundamali-gen standen dieser Wirkung jedoch schon entgedamali-gen.

Von der Bauaufsichtsbehörde gefordert wurde eine feuerbeständige Ummantelung der Stützen, gegen die sich die Bauherren und der Architekt gewehrt haben und die schließlich ausgeführt werden musste, um einen Gebrauchsabnahmeschein zu be-kommen. Auf einem bei Biester und Vohn-Fortagne abgebildeten Innenraumfoto der Halle kurz nach der Fertigstellung ist die ursprüngliche großflächig verglaste Westfassade zu erkennen, an die einige Jahre später angebaut wurde.485 Leowald sollte 1962 eine weitere Halle zwischen Bürogebäude und Bach planen, die wegen eines allgemeinen Baustopps bei Wilkhahn zurückgestellt wurde. Stattdessen wurde eine Lagerhalle in Barackenbauweise als Provisorium erworben und nördlich des Bürogebäudes aufgestellt.486

483 Bauantrag und Bauschein Nr. 131/1960 v. 14.5.1960, in: Bauakten Bad Münder, a. a. O. Die Be-tonfundamente wurden von Firma F. H. Meyer, Eimbeckhausen berechnet und gebaut, die Stahl-konstruktion stammt von der Firma Rüter Stahlbau aus Langenhagen.

484 Ebd., Baubeschreibung v. 15.3.1960.

485 Biester/Vohn-Fortagne 2000, Abb. 15, S. 21. Die Werkhalle von 1960 wurde 1985 mit einer neuen Fassade versehen. Der ursprüngliche leichte Charakter ging dabei verloren.

486 Bauantrag und Bauschein Nr. 979/1962 v. 11.9.1962, in: Bauakten Bad Münder, a. a. O.

V. Kesselhaus von 1966

Das von Hirche geplante Heizhaus versorgte im Wesentlichen das Bürogebäude mit Wärme. In den Plänen war bereits ein Anbau zur Aufstellung eines Dampfkessels vorgesehen, um die künftigen Gebäude auf dem Südgelände zu versorgen. Die Rea-lisierung hat Hirche nicht mehr begleitet. Stattdessen hat Georg Leowald ein gestal-terisch eigenständiges Gebäude entworfen, das neben den technischen Anlagen auch einen Trakt mit Sozialräumen für das Werkspersonal vorsieht (Abb. 55). Ne-ben dem Gebäude ist der freistehende 20 Meter Stahlschornstein ein markantes Element. Mit dem Kesselhaus wurde eine der Voraussetzungen für die weitere bau-liche Entwicklung des Südgeländes geschaffen. Der Brennholz- und Spänebunker war für das gesamte Werk ausgelegt und reichte auch noch für die Erweiterungen der 1980er- und 1990er-Jahre aus, für deren Beheizung später weitere Energiezent-ralen notwendig wurden.

Rudolf Schwarz hat Leowalds Werksarchitektur als Beweis für seine Vorliebe für eine konsequente Leichtbauweise, bei der ein minimiertes Tragskelett von einer dünnen Außenhaut umschlossen wird, charakterisiert.487 Die wenige Zentimeter dicke zweischalige Fassade des Kesselhauses ist bis heute im Originalzustand ge-blieben. Nach dem Bau der Energiezentrale von Thomas Herzog 1992 wurde die Kesselanlage außer Betrieb genommen. Das Gebäude wird derzeit als Raum für tem-poräre Ausstellungen genutzt.

VI. Wohnhaus Wilkening 1963

Adolf Wilkening fungierte gegenüber Georg Leowald als maßgeblicher Vertreter der Bauherrin. Er vergab auch als Privatperson einen Auftrag an ihn. Das Wohnhaus Wilkening wird in der Literatur nicht erwähnt.488 Die Urheberschaft scheint weithin unbekannt geblieben zu sein. Es soll hier als Zeugnis des Werks des Architekten Leowald und als Beleg der baufachlichen Qualifikation und des Einwirkens des Bau-herrn Adolf Wilkening erwähnt werden.489 Adolf Wilkening hatte in den USA das Zimmerhandwerk ausgeübt und mit seiner mit zwei Partnern betriebenen Firma ei-nige Jahre Holzhäuser in der amerikanischen Frame-Bauweise hergestellt und ver-kauft. Diese Erfahrungen hat Wilkening in seinem weitgehend in Eigenleistung ent-standenen Holzständerbau auf massivem Untergeschoss angewendet.490 Die

487 Schwarz 2000, S. 50.

488 Die Information über den Architekten des Hauses verdanke ich Christian Kleine aus Hannover.

489 Bauantrag und Bauschein Nr. 233/1963 v. 1.4.1963, in: Bauakten Bad Münder, St. Godehard-Straße 6, a. a. O.

490 Mündliche Auskunft von Günter Wilkening.

verbauten Wellstegträger lieferte die Firma Weser-Wellsteg Wilhelm Poppensieker aus Gohfeld. Georg Leowalds Entwurf erinnert an das einige Jahre zuvor für Profes-sor Koch gebaute Haus in Wuppertal. Es wurde in der Zeitschrift baukunst und werkform 1957 als ein »großräumiges und breitgelagertes« Einfamilienhaus vorge-stellt.491 Als charakteristisch werden das Kontinuum von Außen- und Innenraum, die großen Glasflächen, die ausgesprochene Großzügigkeit und der Blick in die weite Landschaft herausgestellt.492 Der Grundriss des teilunterkellerten Hauses ist einer U-Form angenähert, deren Schenkel stumpfe Winkel bilden. Dieses raumbildende Grundrissprinzip hat Leowald auch in Eimbeckhausen verwirklicht (Abb. 62–64).

Wohn- und Schlaftrakte sind im rechten Winkel zueinander angeordnet, während die Schwimmhalle im stumpfen Winkel angesetzt ist. Der Außenraum der aufge-schütteten Terrasse ist nach Westen geöffnet. Die Flachdächer nehmen die Formen des Grundrisses auf und lassen die unterschiedlichen Raumhöhen erkennen. Das Haus ist, wie das Haus Koch, ein qualitätsvolles Beispiel deutscher Nachkriegsar-chitektur, bei dem großzügige Grundrissgestaltung und formale Bescheidenheit Ausschlag gebende Momente des Entwurfs bilden.