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Erweiterungsbedarf und Vorgaben der Bauherrin Wilkhahn

3 Die Bauten des Wilkhahn-Werkes

3.3 Fertigungspavillons und Lagerspange von Frei Otto 1985 bis 1988

3.3.1 Erweiterungsbedarf und Vorgaben der Bauherrin Wilkhahn

Absichten zur Erweiterung des zwischen 1968 und 1972 entstandenen Komplexes der Produktionshallen 1–4 um eine fünfte Halle gab es schon zu dessen Bauzeit.

Dazu kam es nicht. Stattdessen wurde eine großflächige Erweiterung auf dem zuge-kauften Gelände westlich des Hallenkomplexes geprüft. Wilkhahn erwirkte 1973 ei-nen positiven Bauvorbescheid für eiei-nen Fabrikhallenneubau als Anbau an die Be-standshallen mit den Ausmaßen von 100 mal 100 Metern, was annähernd einer Ver-dopplung der vorhandenen Hallenfläche entspricht. Die zu prüfende Frage war, ob ein solcher Bau ohne Bildung von Brandabschnitten zulässig wäre, um »zwecks bes-serer Mobilität und besserem Materialfluß größere Dimensionen« realisieren zu können. Dies wurde von der Bauaufsichtsbehörde unter der Bedingung in Aussicht gestellt, dass die gesamte Halle gesprinklert und ein Fluchttunnel als Rettungsweg angelegt wird.505 Die Tatsache, dass es erst 1993 zur Bebauung dieser in der Bauvor-anfrage dargestellten Grundstücksfläche gekommen ist, lässt darauf schließen, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Firma in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre nicht den Erwartungen entsprach. 1980 wurde, noch unter der Regie von Fritz Hahne als Geschäftsführer, mit dem Bau einer Sheddachhalle für die

Gestering, Bremen (Helmut Hagg, Rudolf Rüffer, Hermann von Ohlen, Projektleitung Holger Ges-tering)« (Der Wilkhahn 5, März 1988, S. 7). Die Verwendung des Namens »Atelier Frei Otto« ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Otto eine Mitgliedschaft in der Architektenkammer abgelehnt hat (Ueli Schäfer: Wie weiter: Gespräch mit Frei Otto, in: Bauen + Wohnen, 31 (1977), Heft 12, S. 450–452 (452)).

505 Bauvoranfrage und Bauvorbescheid Az.: 257/73-17/6/13 v. 7.6.1973 für einen Fabrikhallenneu-bau, in: Bauakten Bad Münder, Fritz-Hahne-Straße 8, a. a. O.

Tischplattenfertigung nördlich des Eimbeckhäuser Baches begonnen und 1984 in zwei Bauabschnitten mit einer Gesamtfläche von gut 1.000 Quadratmetern fertig-gestellt (Abb. 68). Im selben Jahr leitete der neue Geschäftsführer Theodor Diener die Entwicklungsplanung für das gesamte Werksareal ein und beendete die Praxis der Ad-Hoc-Planungen. Hahne hat als Vorsitzender des Verwaltungsrates und als Mehrheitsgesellschafter dazu ein mittelfristiges Gruppenumsatzziel von 100 Millio-nen DM genannt, was einer Steigerung gegenüber 1984 um fünfzig Prozent ent-spricht.506

Die Markteinführung des Büromöbelprogramms FS-Linie der Wilkhahn-Desig-ner Klaus Franck und WerWilkhahn-Desig-ner Sauer im Herbst 1980 hatte eine außergewöhnliche und nachhaltige Produktionssteigerung und einen Materialwechsel zur Folge. 1984 entfiel nur noch ein Drittel der Produktion auf die Holzprogramme, für die vorwie-gend Buchen- und Eichenstämme verarbeitet wurden. Die Gestelle und Sitzschalen der Sessel der FS-Linie bestehen aus den Materialien Metall und Kunststoff. Aus dieser Entwicklung folgte die Notwendigkeit, die Betriebsflächen zu erweitern und deren Aufteilung an die veränderten Produktionsabläufe und -mengen anzupassen.

Ein anderes Problem der Firma bestand darin, dass das zentrale Materiallager 600 Meter entfernt vom Werk in der seit Anfang der 1970er-Jahre angemieteten ehema-ligen Stuhlfabrik Bormann untergebracht war. Die Transporte zwischen den Stand-orten und die pünktliche Materialzuführung zur Produktion brachten einen ver-meidbaren Aufwand mit sich. Die Verlegung des Lagers in unmittelbare Nähe der Produktion war aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein Ziel mit hoher Priorität. Vor-rangig war jedoch die Verbesserung der Produktionsabläufe durch Anpassung der Anordnung und Ausstattung der Betriebsstellen und Flächen an die absehbaren Verkaufszahlen. Der Geschäftsführer Diener hat seine Überlegungen für die bauli-che Entwicklung des Werkes im Oktober 1984 zu einem vorläufigen Abschluss ge-bracht und in einem maßstäblichen Funktionsprogramm dokumentieren lassen (Abb. 69).507 In vier Bauabschnitten sollte das gesamte, westlich der Bestandshallen 1–4 zur Verfügung stehende, nach Norden um vier Prozent fallende Gelände mit einem Hallenkomplex bebaut werden, der von den Bestandshallen durch eine Er-schließungsstraße auf dem Höhenniveau der Halle 2 – also im Untergeschoss – ge-trennt sein sollte. Auf Erdgeschossniveau sollte im Zentrum des Komplexes eine Verbindung zwischen Bestandshallen und neuen Hallen angeordnet werden, als

506 Fritz Hahne: Strategie: Beitrag zur Bestimmung des Vorgehens bis ca. 1990, Typoskript

v. 7.1.1986, in: Ordner SO2153 Dokumente 1979–1995, a. a. O.; vgl. Wilkhahn: Daten + Fakten, Bei-lage zu: Der Wilkhahn 4, Juni 1986.

507 Vgl. Zeichnung »Lageplan 1:1000, Planung Th. Diener v. 18.10.1984«, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 48, a. a. O. Der Inhalt des Planes ist faktisch ein maßstäbliches Funktionsprogramm mit Flä-chenlayout.

»Verschiebebahnhof« deklariert. Im ersten Bauabschnitt waren zwei Hallen für die Betriebsstellen Oberfläche/Beschichtung und Montage FS-Linie jeweils mit inte-grierten Lagerflächen, als »Satellitenlager« bezeichnet, vorgesehen.508 Eine als

»Kernlager« bezeichnete Halle 9 sollte im 2. Bauabschnitt errichtet werden.

Für die weitere Entwicklung interessant sind zwei im Plan erkennbare Überle-gungen des Geschäftsführers. Die Erweiterung des Hallenkomplexes in südliche Richtung um eine Halle 5 sollte als Abschluss des damaligen Erweiterungsprojektes durchgeführt werden. In ihr sollte die Betriebsstelle Tischplattenfertigung angesie-delt werden. Darüber hinaus wollte Diener den Neubau eines Bürogebäudes in zent-raler Lage mit einem zur Erschließungsstraße Im Landerfeld orientierten Eingang realisieren, ohne ihn zeitlich einem der vier Bauabschnitte zuzuordnen.509 Dazu wä-ren Sägerei, Kantellager und Rundholzlager aufzugeben gewesen, was Diener ohne-hin befürwortete. Im Plan war zwar ein Ersatzstandort am nordwestlichen Rand des Geländes ausgewiesen, aber Diener hatte bereits zu diesem Zeitpunkt die Überzeu-gung, dass die Produktpalette von Wilkhahn eine eigene Rundholzsägerei nicht mehr rechtfertige.510

Zwischen dem Bau des ersten Bauabschnittes der Sheddachhalle und der Ent-scheidung, die nächste Erweiterung nach dem Konzept des Architekten Frei Otto zu planen, liegen nur wenige Jahre. 1982 hatte Theodor Diener die Geschäftsführung der Firma übernommen.511 Fritz Hahne hat sich als Vorsitzender des Verwaltungs-rates weitgehend aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, aber seine Vorstellungen über Designfragen, über die strategische Ausrichtung und über die Bewahrung der Firmenphilosophie regelmäßig im Verwaltungsrat verfolgt und größtenteils öffent-lichkeitswirksam kommuniziert.512 In seiner Rede anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung im Januar 1985 hat er sich zur künftigen Firmenarchitektur geäußert.

Unter Verweis auf den Club of Rome und einen der Pioniere der deutschen Umwelt-bewegung, Frederic Vester, hat er den Anspruch formuliert, dass bei Wilkhahn

»kein Stein mehr auf den anderen gesetzt wird«, bevor die Frage der Umweltver-träglichkeit beurteilt werden könne. Ökonomie, Ökologie und Ästhetik auf einen

508 Die Oberflächenbehandlung umfasst die Beizung und Lackierung der Holzteile und die Pulver-beschichtung der Metallteile.

509 Die Stadt Bad Münder änderte den Namen im Jahr 2000 in Fritz-Hahne-Straße.

510 Theodor Diener: Telefongespräch mit dem Verfasser am 13.2.2018.

511 Bis 1985 wurde die Geschäftsführung um einen Kaufmännischen und einen Technischen Ge-schäftsführer erweitert. Diener wurde Vorsitzender der Geschäftsführung.

512 Vgl. in der Arbeit erwähnte Beiträge im Kundenmagazin Der Wilkhahn zwischen 1984 und 1995, firmeninterne Vermerke, Ansprachen, Zeitschriftenartikel und Interviews.

Nenner zu bringen, sei eine reizvolle Aufgabe.513 In einem internen Vermerk über die Architektur im Unternehmen hat Hahne einige Tage nach Kenntnisnahme der Entwicklungsstudie von Frei Otto seine Vorgaben präzisiert und erweitert und da-mit die Richtung für die Bauentscheidung vorgegeben:

»1. Gebaut wird für die ›Ewigkeit‹. Deshalb müssen wir uns klar über die Grund-sätzlichkeit unseres Tuns sein.

2. Architektur ist anders als Grafik zu sehen, obwohl auch sie Ausdruck künstleri-scher Begabung sein soll. Architektur ist umgreifender und tiefgreifender. Sie soll deutlich Ausdruck der Fertigungs-Ökonomie sein.

In die Architektur der in diesem Unternehmen zu bauenden Gebäude sollen Strö-mungen der Zeit einfließen. Neben den Selbstverständlichkeiten der Bau-Ökono-mie ist es das Wissen und die ausgereifte Denkweise der Ökologen und Soziologen.

Gemeint sind damit die Denkmodelle und die Erfahrung gestandener Leute und die Naturbezogenheit moderner Architekten wie Frei Otto oder andere ökologisch arbeitende Architektengruppen.

Gedacht ist an das Studium der heutigen Tendenz, wonach kleinere Einheiten im Trend der Zeit liegen, im Gegensatz zu den vergangenen 20, 30 Jahren, wo die großen Einheiten immer vorgezogen wurden. Konservative Erkenntnisse und diese modernen Strömungen sind gegeneinander zu stellen und zu optimieren.

Ihre Kenntnis muß Grundlage der Entscheidung sein, bevor hier im Unternehmen etwas zementiert wird.

Das Ergebnis soll dann sein:

- eine ökonomische Bauweise - eine soziale Bauweise

- eine Bauweise, die dem Unternehmen hier vor Ort das sichtbare Profil gibt.«514