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2 Der Möbelproduzent Wilkhahn in Bad Münder

2.1 Aspekte der Unternehmensgeschichte

2.2.3 Unternehmensleitwerte

Wilkhahns Unternehmensidentität wurde von einer seit 1950 in 30 Jahren entwi-ckelten Produktphilosophie und Sozialphilosophie fundiert. In den 1980er-Jahren trat das Streben nach Schutz und Schonung der Umwelt und die Anerkennung einer eigenen Verantwortung für sie hinzu. In der Würdigung von Fritz Hahne hat der Werkbund 2006 die Leitwerte von Wilkhahn mit den Handlungsmaximen

333 Irma Noseda: Von der Guten Form zum Unsichtbaren Design, in: Das gute Leben: Der Deut-sche Werkbund nach 1945, hg. v. Gerda Breuer, Tübingen 2007, S. 176–185 (182).

334 Christoph Wieser: Erweiterung des Funktionalismus 1930–1950 (= elektr. Diss. EPF de Lausanne 2005). Wieser beschreibt drei unterschiedliche Bedeutungsebenen des Begriffes: radika-les Architekturprogramm aus den 1920er-Jahren, parallel dazu entstandener Stilbegriff und zeitlos grundlegendes Architekturprinzip. Beim Stilbegriff unterscheidet Ursula Hansen zwischen Gestal-tungstyp zur Ordnung der Objektwelt unter dem Gesichtspunkt gestalterischer Gemeinsamkeiten und kultureller Institutionalisierung ästhetischer Normen (Ursula Hansen: Stilbildung als absatz-wirtschaftliches Problem der Konsumgüterindustrie, Berlin 1969, S. 22).

335 So Max Bill zur HfG in Ulm und Ernst Zietzschmann zur Werkkunstschule in Hannover.

336 Hahne 1990a, S. 83f.; Rat für Formgebung 1999, S. 32.

»Wahrhaftigkeit in der Produktgestaltung«, »Fairness in der Zusammenarbeit«

und »ökologische Verantwortung« benannt und hervorgehoben.

Während mit dem Begriff Unternehmenskultur das gelebte Verhalten der Men-schen gemeint wird, überschneiden sich die Begriffe Unternehmensphilosophie und Leitwerte. Der erste Begriff ist weitläufiger, der zweite beschränkt sich auf die über-geordneten Ziele, an denen sich das Unternehmen insgesamt messen lassen will.

I. Wahrhaftigkeit in der Produktgestaltung

Die Äußerungen von Peter Behrens über seine Aufgabe als Künstlerischer Beirat der AEG und Gründungsmitglied des Deutschen Werkbundes können auf die Situation der Produktgestaltung von Wilkhahn in den 1950er-Jahren in einigen wesentlichen Inhalten übertragen werden. Nach Behrens sollten die Künstler mit ihren Produkt-entwürfen keine individuelle Stilrichtung erreichen, sondern »Typen« gewinnen und »eine sauber konstruierte, materialgerechte und anmutige Schönheit« erstre-ben.337 Der Begriff Schönheit gehörte in den 1950er-Jahren allerdings nicht zum gängigen Vokabular, sondern eher die Ausdrücke gestaltet und gute Form. Auch in der engen Beziehung der Erzeugnisse zur Architektur besteht zwischen der AEG zur Zeit von Behrens Wirken und Wilkhahn die Parallele, dass es durch ihre Bemühun-gen »den Raumkünstlern und Architekten möglich wird, die GeBemühun-genstände, die frü-her bei einer künstlerischen Gliederung des Raumes [...] störend waren, nunmehr auch der Gesamtanordnung künstlerisch einordnen zu können.«338

In den Publikationen und Katalogen von Wilkhahn wird seit 1955 von »gestalte-ten« Sitzmöbeln gesprochen. Äußerungen über die Unternehmenskultur stehen seitdem regelmäßig im Zusammenhang mit der Gestaltung. In der ersten Ausgabe der Kundenzeitschrift Wilkhahn spricht Hans P. Koellmann in seinem Geleitwort von der Darlegung eines »Sonderanspruchs für die Hinlenkung der Aufmerksam-keit […] auf die Möbel, die nach persönlich durchgebildeten Entwürfen eigenstän-diger Urheber […] einem wahrhaft zeitgemäßen Kulturanspruch dienen sollen«.339 Ellen Kappel hat den Gestaltungsanspruch für die Wilkhahn-Sitzmöbel 1958 wie folgt formuliert:

»Als bestimmendes Merkmal höchster Vollkommenheit eines Gebildes erweist sich immer die harmonische Einheit von Zweckmäßigkeit und Schönheit. In

337 Peter Behrens: Kunst in der Technik, in: Berliner Tageblatt v. 29.8.1907, o. P.

338 Ebd. Die Gegenstände aus dem Bereich der Elektrizität störten, anders als die traditionellen Möbel, durch ihren rein technischen Charakter.

339 Hans P. Koellmann: Geleitwort, in: Wilkhahn 1, 1957, S. 2. Koellmann war zu diesem Zeitpunkt Direktor der Werkkunstschule in Dortmund.

Vollendung zeigt uns die Natur diesen Zusammenklang – wer mit Holz, einem der edelsten natürlichen Baustoffe, arbeitet, ist diesem Vorbild so nahe, daß ihm das Streben nach solcher Einheit selbstverständlich sein sollte.«340

Kappel machte deutlich, dass der Slogan »Form folgt der Funktion« für die Haltung von Wilkhahn nicht zutreffend sei. Auch in einem weiteren Text findet sich diese Auffassung. 1974 nahm die Firma Wilkhahn die Gelegenheit wahr, sich neben den drei anderen Herstellern von Sitzmöbeln in Eimbeckhausen in einer Broschüre zum 100-jährigen Jubiläum des örtlichen Gesangsvereins vorzustellen. Der Text dürfte von Rudolf Schwarz stammen und von Fritz Hahne autorisiert worden sein. In ihm findet sich ebenfalls die Auffassung, die später als Slogan »Erstens Funktion.

Erstens Form« kommuniziert wurde: »Es gibt keine Kompromisse zwischen Funk-tionsgerechtigkeit und formalen Eigenschaften: Wilkhahn verbindet beide Begriffe im Sinne einer modernen Auffassung von Produktästhetik.«341

Als Basis des Erfolgs von Wilkhahn wird die Zusammenarbeit mit Designern, Er-gonomen und Arbeitsmedizinern bei der Produktentwicklung herausgestellt. Fritz Hahne ließ sich in seiner Designhaltung nicht von den Mitte der 1970er-Jahre in Italien aufkommenden Tendenzen der »Gegenentwürfe zur Moderne« beeinflus-sen.342 Er blieb dem Funktionalismus und den Traditionen des Bauhauses verpflich-tet, auch als die Entwürfe der Gruppe Memphis um Ettore Sottsass internationale Beachtung und Anerkennung fanden. Ende der 1970er-Jahre sah Fritz Hahne seine Firma in einem Kreis weniger Unternehmen, die eine eigene Handschrift und Eige-nes zu sagen haben. Wie bereits Gottfried Semper und Peter Behrens unterschied er zwischen Kultur und Zivilisation. Zur Ersteren tragen Produkte bei, die das Postulat des Industriedesigns auf der Grundlage des Bauhauses realisieren, wonach die Form ästhetischer Ausdruck des richtigen Gebrauchs von Material und Arbeitsmit-tel sein soll.343 Die Behauptung der postmodernen Designer und Architekten in den 1980er-Jahren, die Moderne in der Tradition von Werkbund, Bauhaus und Hoch-schule für Gestaltung in Ulm sei tot, und ihre die Form in den Vordergrund rü-ckende Parole, der Gestalter müsse wieder Künstler sein, hat Fritz Hahne nicht ge-teilt. Er vertrat weiterhin die Produktästhetik der Bauhaus-Moderne, wies aber den Weg zu einem erweiterten Funktionalismus im Wilkhahn-Design:

340 Kappel 1958, S. 7.

341 Anonym [Rudolf Schwarz]: Die Firma Wilkhahn, in: Festschrift 1974, S. 30, in: Privatsammlung Udo Mierau. Siehe Dokument I im Anhang.

342 Der 1976 in Mailand gegründeten Gruppe Alchimia gehörten zeitweise u. a. Alessandro

Mendini, Michele De Lucci und Ettore Sottsass an. Die beiden letzteren gründeten 1981 die Gruppe Memphis, die sich 1988 wieder auflöste.

343 Fritz Hahne: Wilkhahn Information, Typoskript v. Juli 1979, in: Ordner SO2153 Doku-mente 1979–1995, a. a. O.

»Die Ursachen der Popularität der Postmoderne oder des neuen Avantgardismus sehe ich anders – z. B. eben in jener Kühle und Eintönigkeit, die viele Produkte und Bauten aus der Hand von ›Bauhäuslern‹ und ihrer Epigonen ausstrahlen. Ge-rade darin sehe ich aber unsere Marktchance gestern, heute und für die Zukunft, und das ist Teil unserer Unternehmensphilosophie: Wir wollen Produkte schaffen auf der Basis der Bauhaus-Maximen, sie jedoch so gestalten, daß sie human und nicht nur dem Verstand, sondern auch dem Gefühl zugänglich sind.«344

Um den Trends von Nostalgie, Memphis und neuer Avantgarde zu widerstehen, bedurfte es bei ihm erheblichen Stehvermögens, so sein Bekenntnis. Er empfand eine große Befriedigung darüber, dass die kritischen Stimmen über die postmoder-nen Objekte, die keiner benutzen könne, Ende der 1980er-Jahre lauter wurden.345 Er sah es allerdings als Aufgabe seiner Designer an, den psychologischen Hinter-grund der neuen Tendenzen zu untersuchen und zu berücksichtigen und die Motive, nicht die Erscheinungsformen, in eine Wilkhahn adäquate Formensprache zu über-setzen.346 »Die gewonnenen Erkenntnisse bewahren uns davor, im Bauhaus oder den [sic] Lehren der Hochschule für Gestaltung in Ulm zu verharren und damit langsam, aber sicher ein Antiquitätenhersteller zu werden.«347 Manifestation der Abkehr vom rigiden Funktionalismus ist der Stuhl 182/6 der O-Linie348 des Archi-tekten und ehemaligen HfG-Dozenten und Rektors Herbert Ohl, den er 1982 für Wilkhahn aus einem Vorläufermodell für die Firma Arflex entwickelt hat. Er wurde in Anzeigen mit dem Slogan »Wilkhahn. Erstens Funktion. Erstens Form.« bewor-ben.349 Genaugenommen hat Wilkhahn bereits in den 1950er-Jahren mit den Mo-dellen von Hartmut Lohmeyer und Georg Leowald eine Ansprache menschlicher

344 Fritz Hahne: Wirtschaften – auf anderen Wegen, in: Der Wilkhahn 6, September 1989, S. 26–27. Hahne sprach an anderer Stelle im August noch von der Design-Maxime: Form folgt der Funktion (Fritz Hahne: TOP: Ökologie. Vorlage für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung

v. 22.8.1989 zur Sitzung am 3.10.1989, S. 1, in: Ordner SO2153 Dokumente 1979–1995, a. a. O.).

345 Bazon Brock: Falsche Verheißungen, wohin man blickt, in: art 8 (1987), Heft 12, S. 90-91.

(a) Brock meinte, die Postmoderne enthülle sich als Prämoderne, da die Moderne bis auf wenige Ausnahmen nicht stattgefunden habe. Die Forderungen ihrer Gründerväter seien bisher unerfüllt geblieben. Hahne stimmte den Ausführungen im Kern zu (Hahne 1990a, S. 188). (b) Die Architek-tur der Postmoderne zeichnet sich dadurch aus, dass die Form Vorrang vor der Funktionalität er-hält. Als Hybris erwies sich der Glaube der Protagonisten der Postmoderne der 1970er-Jahre, dass ihre Architekturhaltung die Moderne ablösen werde.

346 Fritz Hahne: Woher kommen wir, wohin gehen wir?, in: Der Wilkhahn 1, Januar 1984, S. 6–9 (7).

347 Fritz Hahne: Sich als Manager mit Anstand zu bewegen …, in: bit 19 (1983), Heft 7-8, S. 4–5 u. 78 (78), in: Ordner SO2153 Dokumente 1979–1995, a. a. O. Gekürzter Abdruck in Hahne 1990a, S. 147–149.

348 Becker/Lutz 2007, Abb. S. 249.

349 Wilkhahn: Anzeige Programm 180 »O-Linie«, Wilkhahn. Erstens Funktion. Erstens Form, in: werkundzeit, 1982, Heft 2, S. 3.

Gefühle verfolgt. Neu war in den 1980er-Jahren die explizite Überwindung der De-signhaltung der Hochschule für Gestaltung in Ulm.350

In der Wilkhahn-Publikation zum 100-jährigen Firmenjubiläum 2007 werden die über einen langen Zeitraum entstandenen, zeitgemäß übersetzten Grundsätze der Gestaltung in folgenden Kernbotschaften dargestellt:

»Erstens Form, erstens Funktion.

Wir streben nach der Sinnlichkeit der perfekten Synthese aus Form und Funktion.

Viele Ideen sind zu verrückt, um sie fallen zu lassen.

Das Fehlende finden oder vor dem Produkt die Idee.

Wir sind fasziniert von Lösungen, die komplexe Fragen denkbar einfach, langlebig und werthaltig beantworten.

Gutes Design ist einfach, ehrlich, selbstverständlich und in seiner Nützlichkeit auf-regend schön.

Es bringt die Dinge auf den Punkt, macht Freude und lässt dem Nutzer alle Frei-heiten für eigene Interpretationen – wie eine Kurzgeschichte, bei der man nichts mehr weglassen oder hinzufügen kann, ohne sie schlechter zu machen. Gutes De-sign kann uns ein Leben lang begleiten.

Die Welt braucht keine schlechten Produkte.

Im Gegenteil: Mensch und Umwelt brauchen Produkte, die so lange und so gut wie nur möglich in Gebrauch bleiben können, damit dem ökonomischen und ökologi-schen Aufwand ein maximaler Nutzen gegenübersteht.

Botschaft vor Produkt.

Das heißt erstklassig informieren, beraten, betreuen und begleiten. Das Produkt ist dann der Beweis der Botschaft.«351

Wilkhahn ging es nicht um das interessante zeitgeistige Spektakel, wie es die Mendinis und Sottsasse in der Produktgestaltung und in der Architektur die Bottas und Gehrys in den 1980er-Jahren als ironischen Kommentar zum Geradlinigen und Reduzierten verstanden. Bei Wilkhahn blieb man bestrebt, vernünftige und schöne Gebrauchsgegenstände herzustellen. Hahne bekannte sich in einem Vortrag 1996 zu den Grundlagen der Designhaltung: »[Es] führt ein gerader Weg von den Idealen des Bauhauses und den Ideen der Ulmer Hochschule für Gestaltung bis zu dem, was Wilkhahn heute produziert und für morgen entwickelt.«352

350 Fritz Hahne: Faktum Produktdesign – sein Stellenwert im Unternehmen, im Markt und in der Gesellschaft, Vortrag in der Reihe »Unternehmergespräche« am 11.3.1987, Hannover Messe, Typo-skript o. D., in: Ordner SO2153 Dokumente 1979–1995, a. a. O.

351 Remmers 2007, S. 244. Ein Auszug mit der Formulierung der Unternehmenswerte ist als Doku-ment III im Anhang wiedergegeben.

352 Rudolf Schwarz: Intelligentes Bauen: Technische Innovation, ökologisches Bauen, neue Arbeits-welten, Vortrag beim Symposium »Intelligentes Bauen – Ansätze zu einer neuen Industriebaukul-tur« der Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz am 8.12.1995, abgedruckt in: Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Intelligentes Bauen – Ansätze zu einer neuen Industriebaukultur, Mainz 1996, S. 10–13.

II. Fairness in der Zusammenarbeit

Das Ziel der Fairness in der Zusammenarbeit ist aus drei Komponenten zusammen-gesetzt: der Fairness gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Geschäftspartnern, der Anteilhabe am zuwachsenden Vermögen in Form einer pa-ritätischen Mitarbeiterbeteiligung und der Maxime »keine Anweisung ohne Be-gründung«.353 Mit diesem Satz gab Fritz Hahne schon in den frühen 1950er-Jahren den Umgangston im Unternehmen vor. Entscheidungen sollten bei Wilkhahn un-abhängig von der hierarchischen Stellung durch Argumente legitimiert werden. Ziel war die Achtung der Menschen als selbstbewusste Individuen, die sich mit ihrer Ar-beit und ihrer Firma identifizieren können. In einer Notiz über eine Verhandlung mit dem Betriebsrat heißt es:

»Das Ziel unserer gemeinsamen Arbeit muß sein, die Mitglieder des Betriebsrates vom lauteren Wollen der Unternehmensführung zu überzeugen, zum Wohl der Be-schäftigten und zum Wohl des Unternehmens. [...]

Es ist unsere Überzeugung, daß das natürliche und notwendige Gewinnstreben der Unternehmen nicht auf Kosten der berechtigten Erwartungen der Beschäftigten gehen kann. [...].«354

In der 1973 von Geschäftsleitung und Betriebsrat verabschiedeten Arbeitsordnung ist der Grundsatz Fairness gegenüber den Mitarbeitern in Einzelheiten ausformu-liert worden. Zum Punkt Mitwirkung sind u. a. folgende Regelungen getroffen wor-den:

»Moderne Produkte – Moderne Führung

Wilkhahn stellt moderne, anspruchsvolle Produkte her und bemüht sich gleicher-maßen um eine zeitgemäße Gestaltung von Arbeitsplatz, Unternehmensorganisa-tion und Führungsstil.

Führungsstil

Offenheit, Fairneß und Zusammenarbeit bestimmen den gewollten Führungsstil.

Das schließt den Abbau von obrigkeitshörigem und störendem Konkurrenzverhal-ten ein. [...].

Begründungen von Entscheidungen

Mit Recht verlangen Mitarbeiter heute, daß Entscheidungen in ihren Augen ver-ständlich und überzeugend sein müssen. Darum sollen in unserem Unternehmen Entscheidungen oder Anordnungen begründet werden, um sie überprüfbar zu

353 Kreutzer 1989, S. 63. Die Angaben in Kreutzer 1989 hat Wilkhahn den Autoren auf Anforderung an die Hand gegeben. Zur betrieblichen Partnerschaft bei Wilkhahn siehe auch Lezius/Beyer 1989, S. 163–184.

354 Hahne 1990a, S. 45.

machen, ohne daß dadurch ein reibungsloser Arbeitsablauf unvertretbar beein-trächtigt wird.«355

Die Vorgabe für ein demokratisches Führungsverhalten, das mit einer ständigen In-formation über das Unternehmen und die Belange am Arbeitsplatz verbunden war, hat Fritz Hahne als politisch motiviert gekennzeichnet und sich in den 1970er-Jah-ren zu einem Weg zwischen Marxismus und Kapitalismus bekannt.356 Dabei ging es ihm um ein humanes Verhalten und die selbstverständliche Achtung anderer Men-schen jenseits der Ideologien. Die politische Haltung hat er 1983 präzisiert, als er in einem Vortrag beim Werkbund-Treffen im Wilkhahn-Werk anmerkte, dass die so-ziale Marktwirtschaft der richtige Weg sei, »weil andere Systeme per Saldo schlech-ter funktionieren.«357

Theodor Diener hat als einen weiteren Schritt zur Entwicklung von Fairness ge-genüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern »die gleitende Ablösung der her-kömmlichen Führungsstrukturen im Betrieb durch ein System teilautonomer Leis-tungsgruppen« bezeichnet.358 Von dieser Maßnahme erhoffte er sich positive Ef-fekte einer größeren Selbstbestimmung am Arbeitsplatz durch Zusammenführung von zusammengehörenden Funktionen wie Planung, Steuerung, Ausführung und Kontrolle bei gleichzeitiger Erhöhung der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an sich wandelnde Anforderungen.359

Als Element der Fairness ist auch die 1971 eingeführte vermögensbildende Er-gebnisbeteiligung der Belegschaft am Jahresergebnis anzusehen. Nach der mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung ging die Hälfte des Nettogewinns in das Ver-mögen der anspruchsberechtigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit der Maß-gabe über, dass Ergebnisanteile im Unternehmen belassen werden und erst im An-spruchsfall, z. B. beim Ausscheiden, ausgezahlt werden. Die daraus entstehenden Zinsen wurden zur Hälfte jährlich ausgezahlt und zur Hälfte dem Vermögen zuge-schlagen. Am etwaigen Verlust war dieses Vermögen bis zu der aufgelaufenen Summe beteiligt. Fritz Hahne hat aus der Sicht von 1992 seine Motivation zur Ein-führung der Ergebnisbeteiligung wie folgt charakterisiert: »Nach meiner

355 Wilkhahn: Mitarbeiten bei Wilkhahn: Arbeitsordnung v. 28.11.1973, S. 4, in: Archiv des Deut-schen Stuhlmuseums Eimbeckhausen.

356 Fritz Hahne: Gedanken und Praktiken aus dem Bereich der betrieblichen Sozialpolitik bei Wilkhahn, Wilkhahn Information, Typoskript v. April 1978, S. 3, in: Ordner SO2153 Doku-mente 1979–1995, a. a. O.

357 Fritz Hahne: Vortrag anläßlich eines Werkbund-Treffens am 3.6.83 bei Wilkhahn, Typoskript v. 31.5.1983, in: Ordner SO2153 Dokumente 1979–1995, a. a. O.

358 Theodor Diener: Editorial, in: Der Wilkhahn 9, Juli 1992, S. 5.

359 Karl-Christian Schoderer: Selbstbestimmung am Arbeitsplatz, in: Der Wilkhahn 9, Juli 1992, S. 26–27.

Überzeugung ist es unumgänglich, daß die Arbeitnehmer an ihren Unternehmen beteiligt werden. Nur so können Lohnforderungen wirklich versachlicht werden und konjunkturell bedingte Forderungen verlieren an unangemessenem Gewicht.«360 Eine dazu gegründete Beteiligungsgesellschaft hatte die Kapitalanteile der Mitar-beiterschaft in der Wilkhahn Einrichtungsgesellschaft anzulegen; das Kapital blieb damit an das Unternehmen gebunden. Der Anteil der Mitarbeiterschaft am Gesamt-kapital lag 1990 bei 28 Prozent.361 Nach der 1954 eingeführten betrieblichen Alters-versorgung und der Verhaltensregel für die Vorgesetzten im Umgang mit dem Per-sonal bildete die Ergebnisbeteiligung den Schlussstein bei der Umsetzung des An-spruches »Fairneß gegenüber den Mitarbeitern«.362

III. Ökologische Verantwortung

Fritz Hahne hat 1985 die Aufnahme der Ökologie als Unternehmensziel initiiert, zu-nächst bezogen auf die anstehenden Baumaßnahmen. 1989 wurde das Ziel förmlich manifestiert: Verwaltungsrat und Geschäftsleitung haben gemeinsam beschlossen, ökologische Anliegen »als ein höheres Anliegen« umfassend einzubeziehen und im Zweifelsfall höher zu bewerten als schnellen Gewinn.363

Hahnes Grundsatzentscheidung, Ökologie als weiteren Leitwert im Zielsystem der Unternehmensphilosophie zu etablieren, kann als normativ strategischer An-satz bewertet werden, der auf der Annahme beruht, dass die Beachtung ökologischer Faktoren eine Strategie zur langfristigen Unternehmenssicherung darstellt und eine Zielkomplementarität zwischen Ökologie und Ökonomie erreichbar ist. Dabei sollte bei Wilkhahn ein kurzfristiger wirtschaftlicher Nachteil zugunsten des Umwelt-schutzes in Kauf genommen werden. Mit der Etablierung war ein weiterer Ansatz verbunden, den Udo Mildenberger als das »Identifizieren von Bestimmungsfakto-ren des ökologieorientierten Wandels und [...] AufspüBestimmungsfakto-ren von Verhaltensdefiziten beim Implementieren ökologieorientierter Unternehmensführungskonzepte« be-schreibt.364 Wissenschaftliche Untersuchungen hätten einen Wertewandel im

360 Fritz Hahne: Gesellschaft zwischen Raffgier und Gewalt?, in: Der Wilkhahn 9, Juli 1992, S. 38.

361 Wilkhahn: Vermögensbildende Ergebnisbeteiligung für Mitarbeiter, Bad Münder 1971, in: Ar-chiv des Deutschen Stuhlmuseums Eimbeckhausen; Wilkhahn: Daten und Fakten, Beilage zu: Der Wilkhahn 7, Juni 1990.

362 Hahne 1990a, S. 101f.

363 Fritz Hahne: TOP: Ökologie. Vorlage für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung v. 22.8.1989 zur Sitzung am 3.10.1989, a. a. O., S. 1. Hahne sprach von Totalität im Denken, von einem »Rundum-schlag« (ebd., S. 2).

364 Udo Mildenberger: Ökologieorientiertes Management vor dem Hintergrund eines ganzheitlich-umweltbewußten Konsumentverhaltens, in: Herausforderung Umweltmanagement: zur Harmoni-sierung des Spannungsfeldes zwischen Ökonomie und Ökologie, hg. v. Hermann Krallmann, Berlin 1996, S. 253-279 (254).

Umweltbewusstsein der Konsumierenden im Verlauf der Jahre seit der Ölpreiskrise 1973 in Deutschland festgestellt. Habe zunächst der Ressourcenverbrauch im Vor-dergrund gestanden, seien danach eine Ausweitung des Blickfeldes auf die Emissi-ons- und Immissionsaspekte der Herstellung und gegen Ende der 1980er-Jahre der Schritt in Richtung konsumrelevanten Umweltbewusstseins gefolgt. Fortan habe die Frage, ob Produkten und Leistungen umweltverträgliche Eigenschaften attes-tiert werden können, an Relevanz für Kaufentscheidungen gewonnen. Die nächste Phase sei geprägt durch die Herausbildung eines proaktiven Umweltschutzbewusst-seins bei den Konsumenten gewesen. »Unternehmen sahen sich in dieser Phase hauptsächlich mit der Forderung nach einer Integration des Umweltschutzes in das [...] Zielsystem konfrontiert.«365 In diesem Kontext ist die Entscheidung des Ver-waltungsrates von Wilkhahn Ende 1989 zu sehen, die nicht nur auf die nächste Ge-neration der Produkte bezogen war, sondern Ökologie als fundamentales Kriterium für den anstehenden Erweiterungsbau etablierte. Mildenberger spricht von einem

»ganzheitlichen Umweltbewußtsein«, das sich in den 1990er-Jahren herausgebildet hat und den gesamtem Wertschöpfungsprozess, den Konsum und die Entsorgung in den Blick nimmt.366 Wilkhahn hat sich 1990 nach eigener Formulierung auf den Weg der grundlegenden ökologischen Transformation des gesamten Unternehmens gemacht und mit der Publikation Wilkhahn Grün Rechenschaft über die Aktivitäten der ersten fünf Jahre der Umsetzung des Beschlusses des Verwaltungsrates gegen-über der Kundschaft und der Öffentlichkeit abgelegt. Der Firmenarchitektur in Eim-beckhausen wurde als gebauter Umwelt ein eigenes Kapitel in der 39 Seiten umfas-senden Schrift gewidmet.367 Klaus Berthold hat in seiner 1996 erschienenen Ab-handlung »Verantwortung der Designer« das Beispiel des Unternehmens Wilkhahn aufgenommen und dessen ökologische Vorgaben für die Produktentwicklung vor-gestellt.368 Sie würden ein ganzheitliches Designkonzept darstellen, das den gesam-ten Prozess von der Produkt-Leitidee bis zur Entsorgung erfasse. Hahne hatte 1989 eine Grundsatzerklärung vom Verwaltungsrat beschließen lassen, in der es u. a.

heißt:

»Es ist logisch und unserer Mentalität anspruchsadäquat, daß ökologische Anlie-gen ernst zu nehmen und im Zweifel höher zu werten sind als schneller Gewinn.[…]

Ökologisch sich engagieren bedeutet Totalität im Denken, ein Rundumschlag.

365 Ebd., S.257f.

366 Ebd., S. 258.

367 Wilkhahn Grün 1995, in: Privatsammlung des Verfassers.

368 Klaus Berthold: Die Verantwortung der Designer für die Umwelt, in: Herausforderung Umwelt-management: zur Harmonisierung des Spannungsfeldes zwischen Ökonomie und Ökologie, hg. v.

Hermann Krallmann, Berlin 1996, S. 281–306 (288f.).

Dazu gehören Verzicht auf Raubbau der Ressourcen, Energiesparen, Vermeiden von Umweltverschmutzung, kontrollierter Materialverwendung und Architektur – auch im Hinblick auf den Wärmehaushalt und Sonnenenergienutzung […].«369

Hahne übte Kritik am weltweiten Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und dem damit einhergehenden Ressourcenverbrauch.370 Diese Haltung stand den stra-tegischen Zielen der Geschäftsleitung unter Theodor Diener, den Umsatz zwischen 1987 und 1995 zu verdoppeln, zunächst nicht im Wege. Auf dieser Umsatzprognose basierte das Raumprogramm für die 1989 eingeleitete letzte Erweiterung der Fabrik in Eimbeckhausen. Dass Hahne 1988, als er seine Kritik am Wachstum der Wirt-schaft erneuerte, auf Distanz zu den strategischen Zielen des Geschäftsführers ge-gangen ist, wurde 1993 deutlich. Im Rahmen einer Betriebsversammlung im De-zember 1993, erklärte er die Hintergründe, die zum Wechsel der Geschäftsleitung geführt haben. Er nannte an erster Stelle die Stagnation in der Produktentwicklung und die mangelnde Resonanz auf seine Aufforderung zur Sparsamkeit.

»In diesen nun vergangenen Jahren wurde aus der anfänglichen Harmonie zwi-schen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung eine wachsende Disharmonie trotz al-ler Umsatzerfolge – das tiefe Anliegen unserer Zielsetzung blieb mehr und mehr spürbar auf der Strecke, Ehrgeizhandlungen wurden immer deutlicher erkenn-bar.«371

In der Konsequenz ist mit dem Wechsel in der Geschäftsführung eine neue strategi-sche Ausrichtung im Hinblick auf das Kostenmanagement und die Intensivierung der Marktorientierung und Produktentwicklung mit einer Reorganisation erfolgt. In seinem Beitrag zur letzten Ausgabe des Magazins Der Wilkhahn vom September 1994 mit dem Titel »Zeit der Rückbesinnung« bringt er nochmals die Notwendigkeit zum Umdenken anlässlich der damaligen Rezession zum Ausdruck: »[N]ach Jahren relativer Großzügigkeit, wird Sparsamkeit wieder zur Tugend: Sparsamkeit und Be-scheidenheit als Bestandteile unserer Unternehmensphilosophie.«372

369 Hahne 1990a, S. 213f. Hahne gibt einen Auszug aus seiner Grundsatzerklärung wieder, der Ver-waltungsrat und Geschäftsführung im Oktober 1989 zugestimmt haben. Sie endet mit dem Satz:

»Ganz prinzipiell meine ich, daß wir unser Ziel nicht darauf ausrichten, die ›Größten‹ zu werden, wohl aber anhaltend anstreben, die ›Feinsten‹ zu sein – im Sinne von qualitativer Vorbildlichkeit mit ethischen Maximen.«

370 Hahne 1984b, S. 6f.; siehe auch Hahne 1990a, S. 203.

371 Fritz Hahne: Die Weichen sind gestellt, Rede bei der Betriebsversammlung am 11.11.1993, ab-gedr. in: Wilkhahn aktuell 106, Dezember 1993, o. P., in: Archiv des Deutschen Stuhlmuseums Eimbeckhausen.

372 Fritz Hahne: Zeit der Rückbesinnung, in: Der Wilkhahn 10, September 1994, S. 36.