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Gebäudeplanung für Fertigungspavillons und Lagerspange

3 Die Bauten des Wilkhahn-Werkes

3.3 Fertigungspavillons und Lagerspange von Frei Otto 1985 bis 1988

3.3.6 Gebäudeplanung für Fertigungspavillons und Lagerspange

Mit der Freigabe des Konzeptes von Frei Otto für die Bauphase 1 durch den Verwal-tungsrat wurden die Weichen für die weiteren Planungsschritte gestellt und das Funktionsprogramm von Theodor Diener und die Vorschläge von Volkmar Volker und der Planungsgruppe Gestering Makulatur. Frei Otto und die Planungsgruppe Gestering wurden Ende Juli 1985 mit den weiteren Planungsleistungen für die Bau-phase 1, zunächst bis zum Stand der Vorentwurfsplanung, beauftragt.665 Auf

663 Ebd. Dass Diener die Pavillons versehentlich als Halle bezeichnete, ist unwahrscheinlich.

664 Fritz Hahne: Notiz zum Architekten-Verfahren v. 16.7.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 51, a. a. O.

665 Theodor Diener: Auftragsschreiben an Frei Otto v. 24.7.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 56a, a. a. O.

Wunsch von Frei Otto wurden seine Leistungen auf die »Beratung in Gestalt und Struktur der Fertigung des Wilkhahn-Werkes« begrenzt. Gestalt steht für die archi-tektonischen, Struktur für die konstruktiven Aspekte der Bauaufgabe.666 Die voll-umfänglichen Architektenleistungen wurden in Absprache mit Otto der Planungs-gruppe Gestering übertragen, die bei allen gestalterischen und konstruktiven Fra-gen Frei Otto zu konsultieren hatte.667 Sein Auftrag ging damit inhaltlich über die sog. künstlerische Oberleitung hinaus.668 Die Vorplanung sollte bis Anfang Novem-ber 1985 vorgelegt werden, und zwar für die Lagerstraße – inzwischen »Lager-spange« genannt – und die vier Fertigungspavillons und ihre Zwischenbauten.

I. Vorentwurfsplanung

Die Planungsgruppe Gestering stellte im September erste Vorentwurfszeichnungen fertig, die Rudolf Rüffer und Holger Gestering der Wilkhahn Geschäftsleitung er-läuterten (Abb. 97).669 Für den Pavillon 1 sahen sie eine Variante für eine Nutzung als Großraum sowohl für die Produktion als auch für Verwaltungszwecke vor. Da-nach sollten im Erdgeschoss der Stoff- und Lederzuschnitt mit einem Ballenlager und darüber auf einer offenen Plattform Büroarbeitsplätze für die Abteilung Auf-tragsabwicklung angeordnet werden. In der Besprechung unterrichtete Theodor Diener über sein Konzept für die schrittweise Realisierung des Projektes, für die da-raus folgende Neuordnung von Betriebsstellen in den Altbauten und für weitere Neubauvorhaben. Er wollte den Pavillon 1 insgesamt einer Büronutzung zuführen, um dort neben der Auftragsabwicklung auch weitere produktionsnahe Büroar-beitsplätze unterzubringen. Er stellte in Aussicht, bei Bedarf einen fünften Pavillon

666 Die Dualität von Gestalt und Struktur geht zurück auf seine Dissertation von 1954 (Otto 1990).

Im Jahr 1962 hat Otto sein Verständnis von Struktur mit dem Begriff Aufbau und Ordnung präzi-siert (Otto/Trostel 1962, Vorwort).

667 Theodor Diener: Auftragsschreiben an die Planungsgruppe Gestering v. 23.7.1985, in: Wilk-hahn-Bauakte Nr. 51, a.a.O. Darin wurde die Planungsgruppe zur »engen Abstimmung« mit Otto verpflichtet. In § 6 des Architektenvertrages verpflichtete sich Wilkhahn, bei Veröffentlichungen des Bauwerks die Planungsgruppe Gestering neben Prof. Frei Otto zu nennen (Wilkhahn: Entwurf des Architektenvertrages mit der PG Gestering, o. D., Kopie, in: Wilkhahn-Bauakte Nr.56a, a. a. O.).

668 Der Begriff aus dem Preisrecht 1950 (Gebührenordnung für Architekten) bezog sich auf das Überwachen der Herstellung des Bauwerks in künstlerischer Hinsicht. Der Begriff wurde mit In-krafttreten der HOAI durch die integrierte Leistung der Objektüberwachung ersetzt. In der Praxis bestand jedoch weiterhin das Bedürfnis der künstlerischen Oberleitung durch den Entwurfsverfas-ser, wenn er nicht die Objektüberwachung durchführt, wie im Falle der Wilkhahn-Hallen von Thomas Herzog.

669 PG Gestering: Neubau einer Produktionshalle mit integriertem Lager, Vermerk Nr. 3 v. 17.9.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

bauen zu lassen.670 Als weitere Neubauten nannte er eine Halle in Verlängerung der Bestandshalle 1 für den Versand und den ersten Pavillon für die Ausstellung nach dem Standortvorschlag von Frei Otto. Er bat die Architekten der PG Gestering da-rum, mit dem nicht anwesenden Berater Otto umgehend eine Abstimmung auf der Grundlage der vorgestellten Überlegungen herbeizuführen.

Das Gespräch der Architekten mit Frei Otto und Christine Otto-Kanstinger fand Ende September im Atelier in Warmbronn statt. Fritz Hahne hatte am Tag vor der Besprechung Otto telefonisch mitgeteilt, dass er eine Leichtbauweise der Dächer mit experimentellem Charakter akzeptieren könnte, wenn eine verkürzte Abschrei-bungsdauer von fünf Jahren beim Finanzamt durchsetzbar wäre.671 Dieser Gedanke hat in der Besprechung keinen konkreten Niederschlag gefunden.672 Holger Gestering hatte vor dem Gespräch drei Grundrissvarianten entwickelt, die sich durch die Anzahl der Fußpunkte der Stahlmasten unterscheiden (Abb. 97 u. 98). In der auf den 25. September 1985 datierten Grundrisszeichnung sind vier Stützenfuß-punkte in den Ecken sowie die Achsen der vier schrägen Masten nebst Zugring ge-strichelt dargestellt (Abb. 99). Diese diagonale, in sich standsichere Tragkonstruk-tion liegt der im Schnitt und in der Ansicht aus dem September zu sehenden Gestalt des Unterbaus der Pavillons zugrunde. Im Vorentwurfsplan vom 30. September 1985 mit einem Schnitt in Nord-Süd-Richtung durch den Pavillon 1 sind die Stahl-konstruktion des Dachtragwerkes mit den vier diagonalen Masten und die aufge-ständerte Plattform für die Büronutzung im Großraum zu erkennen (Abb. 100 u.

101). Das Plandatum nach dem Termin in Warmbronn spricht dafür, dass diese Lö-sung für die Membranaufhängung nach der Besprechung in Warmbronn im Einver-nehmen mit Otto weiterbearbeitet wurde.

In der Besprechung hat sich herausgestellt, dass Frei Otto nicht auf die in der Entwicklungsstudie dargestellten, an äußeren Masten hängenden Zeltdächer fest-gelegt war. Danach sollten die Pavillons textile Membranen erhalten, die an Rah-menkonstruktionen aus jeweils zwei sich gegenseitig abstützenden und durch die Membranen abgespannten Stahlmasten aufgehängt sind. In der Studie nicht darge-stellt ist die Art, wie die am unteren Rand entstehenden Zugkräfte abgeleitet werden sollten. Bei aneinandergereihten, miteinander verbundenen oder einseitig angebau-ten Pavillons steht kein Raum für die notwendigen Abspannungen und ihre

670 Theodor Diener: TOP 4: Neubauplanung. Vorschlag für den stufenweisen Ausbau, Vorlage v. 17.9.1985 für die Sitzung des Verwaltungsrates am 26.9.1985, S. 2, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

671 Fritz Hahne: Bauen in Zeltbauweise, Vermerk v. 26.9.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 51, a. a. O. Hahne ging von einer Bausumme von 3 Millionen DM aus.

672 PG Gestering: Vermerk Nr. 4 v. 30.9.1985 über die Besprechung am 26.9.1985 im Atelier Frei Otto in Warmbronn, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

Betonwiderlager zur Verfügung (Abb. 88 u. 89). Otto wies in der Besprechung auf die Möglichkeit hin, einen umlaufenden waagerechten Rahmen zur Aufnahme ho-rizontaler Kräfte auszubilden: »Bei dem vorliegenden Konzept entstehen im Rand-bereich Momente, die einen erhöhten konstruktiven Aufwand erfordern (Abspan-nungen). Einem umlaufenden waagerechten, steifen Rahmen ist ggf. der Vorzug zu geben.«673 Aus dem Vermerk geht nicht hervor, wie der Rahmen und seine Stützen ausgebildet werden sollten, um die Zugkräfte aus der nötigen Vorspannung der Dachmembran abzuleiten. Otto erklärte, dass sein Konzept für die hängenden Dä-cher der Pavillons grundsätzlich auf drei unterschiedliche Weisen realisierbar sei:

o als »Drahtseilkonstruktion, darauf Holzschalung, Dämmung und Dachdeckung, z. B. Holzschindeln oder Metalleindeckung auf Schalung«,

o als »doppeltes Foliendach, evtl. frei gespannt« oder o als »reine Holzkonstruktion«.674

Es wird daraus deutlich, dass Otto in seiner Arbeitsweise Konstruktionsalternativen erst nach eingehenden Untersuchungen und Berücksichtigung aller Randbedingun-gen bereit war auszuschließen. Auch wenn er ursprünglich Zeltdächer aus Membra-nen für die Fertigungspavillons vorgeschlagen hat, war er im Stadium der Vorent-wurfsüberlegungen nicht mehr vollkommen von dieser Ausführungsart überzeugt.

Selbst eine Metalleindeckung wollte er als Alternative nicht ausschließen.675 Ver-mutlich war dieser Sachverhalt Anlass für die Architekten Rüffer und Gestering, pa-rallel zur Weiterbearbeitung der Vorentwurfsplanung und Kostenermittlung für die Membranvariante eine eigene alternative Planung in Gang zu setzen, die sich von der Pavillonidee loslöst.

II. Formfindung der Pavillondächer

Frei Otto hat nach der Besprechung der ersten Ergebnisse der Vorentwurfsplanung der Architekten der Planungsgruppe Gestering seine Rolle als Berater verlassen und die des Planers der Gestalt und der Struktur der Pavillondächer eingenommen. Die Abbildungen seiner Formfindungsmodelle verdeutlichen sein Vorgehen, zunächst eine Varietät an Möglichkeiten zu erzeugen, bevor sie begründet eingeschränkt wird (Abb. 102 u. 103). Dabei war die Klärung konstruktiver Details und wirtschaftlicher

673 Ebd.

674 Ebd. Eine Variante mit Drahtseilkonstruktion wurde 1967 als Versuchsbau für den Ausstel-lungspavillon zur Weltausstellung in Montreal und als Sitz des Instituts für Leichte Flächentrag-werke in Stuttgart realisiert. Ein Dach mit einer doppeltschaligen textilen Membran mit zwischen-liegender Wärmedämmung war von Otto zu dieser Zeit noch nicht realisiert worden.

675 Diese kamen auf den Dächern des 1975 fertiggestellten Konferenzzentrums in Mekka zum Ein-satz (vgl. Schanz 1995, S. 128f.).

Aspekte eingeschlossen. Die Zeltmembran wurde im Modell durch Tüllstoff, die hängenden gebogenen Hölzer durch Ketten nachgebildet. Seine Suche nach der op-timalen Form hängender Dächer hat er bereits 1958 beschrieben:

»Die sichtbare Gestalt dieser Bauten [gemeint sind starre Leichtbauten, Erg. d. V.]

wird ganz von ihrer Aufgabe u n d von der Konstruktion her bestimmt, die dieser Aufgabe ganz zu dienen hat. Eine Verbesserung der Form kann nur durch eine technisch-konstruktive Verbesserung erreicht werden. Sie ist dann richtig, wenn Vereinfachungen nicht mehr möglich sind.

Besonders bei dem Planen und Bauen mit gespannten Membranen wird deutlich, daß sich die einem bestimmten Aufgabenkomplex zugehörigen konstruktiven For-men nicht willkürlich entwerfen lassen.«676

Gut 30 Jahre später hat er die Bedeutung der Methodik der Formfindung am Modell durch Anregung von Selbstbildungsprozessen relativiert und auf die Notwendigkeit einer umfassenden Einbeziehung anderer Aspekte hingewiesen:

»Es ist äußerst schwierig, mit Selbstbildungsprozessen zum architektonischen Entwerfen zu kommen. Zwar führt das Experiment auf direktem Weg zur Form, die von sich aus bereits einen Optimierungsschritt durchlaufen hat, aber eine Ent-wurfsarbeit kann nur unter Bezug auf die Komplexität einer Bauaufgabe und der Einbindung eines Gebäudes in sein Umfeld und in die Gesellschaft gesehen wer-den.«677

Otto arbeitete in allen gezeigten Modellvarianten mit Rundhölzern für die Stützen, die tragenden Elemente der Dachflächen und den horizontalen Rahmen für die Auf-nahme der Zugkräfte. Dabei konnte er auf Erfahrungen aus dem Projekt in Hooke Park Dorset (Großbritannien) zurückgreifen, an dem er 1982 beteiligt wurde. Auf einem im Wald gelegenen Campus wurden dort zwei Versuchshäuser aus jungen, zur Ausdünnung dem Wald entnommenen Fichtenstämmen gebaut. Otto hatte dazu Entwurfsideen geliefert.678 Auch bei seinem Wohnhaus in Warmbronn hat Otto ge-schälte Baumstämme für das Tragwerk des Wintergartens eingesetzt (Abb. 104).679 Unter den Fotos der Arbeitsmodelle und den Konstruktionszeichnungen für die Pa-villons aus dem im SAAI archivierten Nachlass von Frei Otto sind keine Fotos aus der Phase der Entwurfsplanung zu finden, die eine Stahlkonstruktion mit äußeren

676 Otto 1958b, S. 1/8. Otto hat die Formen von hängenden Dächern an den sich im Modell nach dem Gesetz der Gravitation bildenden Kettenlinien gesucht. Mit dieser Methode wurden spätestens seit dem 18. Jahrhundert an Hängemodellen die Stützlinien von Bögen und Kuppeln ermittelt.

677 Frei Otto: Vorwort, in: Gaß 1990, S. 0.5.

678 Wilhelm/Otto 1985, S. 111 u. 183.

679 Meissner/Möller 2005, S. 252–255, S. 254 Abb. 86.4; vgl. Otto 1982, S. 119–121.

Masten zur Aufhängung der Membranen erkennen lassen, wie sie in der Entwick-lungsstudie zu sehen ist. Eine davon abweichende »Membranvariante« war später im Rahmen der Auftragsvergabe Gegenstand eines Firmenangebotes.680

Das im Dezember 1985 gefertigte Schaumodell der vier aufgereihten Pavillons und der Lagerspange, das auch den Geländeverlauf zwischen Straße und Bestands-hallen zeigt, dürfte die von Otto zu diesem Zeitpunkt zur Realisierung empfohlene Lösung darstellen (Abb. 105).681 Dank des horizontalen Rahmens aus Rundhölzern oberhalb der Außenwände bedarf es keiner Abspannungen und Widerlager. Der Rahmen liegt auf Rundholzstützen in den Außenwänden. Stützen mit größeren Durchmessern bilden das Auflager für die in Süd-Nord-Richtung verlaufenden bei-den satteldachförmigen, am Fußpunkt zusammengeführten, am First gespreizten Holzbinder. Ihr Zwischenraum bietet Platz für V-förmige Fensterbänder zur Tages-lichtversorgung. Nicht erkennbar ist, wie die vertikalen Zugkräfte zur Vorspannung der Membranen vom Unterbau aufgenommen werden sollten.

Rüffer und Gestering informierten die Vertreter der Bauherrin in einer Bespre-chung Anfang November 1985 über die von Frei Otto alternativ zu seiner ursprüng-lich vorgeschlagenen Konstruktion mit äußeren Masten entwickelten Holzkonstruk-tionen aus geschälten Baumstämmen (Abb. 103). Sofortbilder der Modelle sind Fritz Hahne und dem Geschäftsführer Hans-D. Mirwaldt präsentiert worden. Auch über die Option, im Unterbau der Pavillons ebenfalls Stützen aus Holzstämmen zu verwenden, wurde die Bauherrin informiert. Die Architekten erläuterten des Weite-ren ihWeite-ren Vorschlag, einen Flucht- und Transporttunnel zur Halle 2 in das Pro-gramm aufzunehmen, und sie stellten ihre Überlegungen für die Nutzung des Pavil-lons 1 mit einer Kombination des Arbeitsbereiches Zuschnitt mit Stofflager und Bü-roarbeitsplätzen auf einer offenen Plattform vor.682 Ein die Vorplanung abschlie-ßendes Gespräch wurde für den 3. Dezember 1985 zur Vorbereitung der Verwal-tungsratssitzung verabredet. Die Planungsgruppe Gestering stellte in den folgenden Wochen die Vorentwurfsplanung nebst Kostenermittlung fertig. Frei Ottos Arbeits-modell eines einzelnen Pavillons in der vorstehend beschriebenen Variante vom No-vember 1985, die dem Schaumodell mit der Vierergruppe zugrunde liegt, war Grundlage für eine farbige Ansichtsstudie im Maßstab 1:100 von Holger Gestering mit der Datierung November 1985. Gestering wählte für seine Zeichnung statt der

680 Zeichnungen der von der Firma Koitwerk im Mai 1986 angebotenen Konstruktion sind in den Wilkhahn-Bauakten nicht vorhanden.

681 Die Datierung der fotografischen Aufnahmen der Modelle ergibt sich aus den dem Verfasser vorliegenden Blättern mit datierten Kontaktabzügen. Otto bemühte sich noch bis Ende 1986 um die Membran-Variante.

682 Horst Knigge: Vermerk Wilkhahn Intern v. 7.11.1985 über das Gespräch am 5.11.1985, in: Wilk-hahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

von Otto vorgeschlagenen Rundhölzer für alle Holzbauteile Rechteckquerschnitte (Abb. 106). Die Fassaden sind durch Fenster, Stützen und farblich gebänderte Zie-gelflächen gegliedert. Entsprechend der aktuellen Vorgabe von Theodor Diener wurde der Pavillon 1 nunmehr als ein Großraum mit zwei Ebenen insgesamt für eine Büronutzung geplant, und es wurden die Arbeitsbereiche Zuschnitt und Näherei im Pavillon 2 zusammengefasst (Abb. 107). Die Grundrisszeichnung vom 2. Dezember 1985 lässt keine Aussagen über die Konstruktion der Dächer erkennen. In ihr sind die Außenwände noch ohne Fenster dargestellt. Auch die in der Ansichtsstudie zu sehenden Stützen fehlen im Grundriss.

III. Baubeschluss des Verwaltungsrates

Die von der Planungsgruppe Gestering in den Vertragsverhandlungen im Juli in Aussicht gestellte dreimonatige Vorplanungsphase stellte sich als zu kurz heraus.

Die Einzelheiten der Konstruktion der Pavillondächer und deren Kosten konnten bis zur Sitzung des Verwaltungsrates im Dezember 1985 nicht abschließend bear-beitet werden. Daher hielten die Architekten eine Entscheidung für eine der Varian-ten erst nach Vorlage von FirmenangeboVarian-ten für sinnvoll. Zur Vorbereitung der Sit-zung hatte Fritz Hahne seine Argumente für den Pavillonbau formuliert:

»1. Bauen ist Verantwortung für die Zukunft. Ein Bau steht in der Landschaft und wirkt. Er ist ein Spiegel des Anspruchs der Erbauer.

2. Wilkhahn-Anspruch ist:

Ökonomie, Ökologie und Ästhetik, ein Bau ist sichtbarer, bleibender Ausdruck dessen.

3. Die vorhandenen Hallen sind harmlos, relativ primitiv, unterhalb des Wilk-hahn-Anspruchs.

Neue Bauten müssen sich deutlich unterscheiden, um die Veränderung des An-spruchs mit Sicherheit deutlich zu machen.

4. Ich kenne keine Architektur, die den Anspruch deutlicher zum Ausdruck bringt und für jedermann unzweifelhaft diesen Anspruch erkennbar macht, als der vor-liegende Entwurf. PR-Nutzen ist damit verbunden und internationaler Rahmen, sowohl für den Mitarbeiter als auch für Shukoh, Japan.

5. Der Mehrpreis ist in ein paar Jahren vergessen, der Bau steht und wirkt fort-während und formt unsere Umwelt und die Menschen, die mit Wilkhahn Umgang haben. Ein Teil der Mehrkosten ist durch die Werbewirkung gerechtfertigt.«683

Mit dieser Begründung führte er den Beschluss des Verwaltungsrates herbei, das Konzept von Frei Otto der weiteren Gebäudeplanung zugrunde zu legen. Die

683 Fritz Hahne: Argumente für den Pavillonbau, Typoskript Wilkhahn Intern v. 5.12.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 51, a. a. O. Formatierung wie im Original. Shukoh ist der Name einer ja-panischen Möbelfirma, mit der Wilkhahn eine gemeinsame Gesellschaft gegründet hat.

Lagerspange mit den Zwischenbauten sollte als erster Bauabschnitt und die vier Pa-villons als zweiter Bauabschnitt realisiert werden. Die Zeltdachkonstruktion wurde vom Baubeschluss ausgenommen, um weitere Planungsschritte und Kostenverglei-che abzuwarten und den »optimalen Punkt zu finden zwisKostenverglei-chen dem Anspruch und den Kosten«.684 Der Verwaltungsrat legte auf Vorschlag der Geschäftsleitung auch die Nutzung der Pavillons fest. Im östlichen Pavillon 1 sollte abweichend von Ottos Entwicklungsstudie auf zwei Ebenen das Büro für die an der Auftragsabwicklung beteiligten Abteilungen vorgesehen werden.685 Die drei übrigen Pavillons und die Zwischentrakte sollten die Betriebsstelle Polsterei mit den Arbeitsbereichen Zu-schnitt und Stepperei, Näherei und Festpolsterei und Polsterei der FS-Linie auf-nehmen. Abweichend von Ottos Verkehrskonzept sollte die Materialanlieferung nicht östlich, sondern westlich der Halle 4 mit einer Zufahrt von der Straße Im Lan-derfeld erfolgen. Dazu sollte die Lagerspange 30 Meter über das westliche Ende der Halle 4 hinausragen, um Platz für zwei schräg angeordnete Ladebrücken für die An-lieferung zu schaffen.

Der Beschluss des Verwaltungsrates bedeutete die Freigabe für die nächsten Leis-tungsphasen. Die Planungsgruppe Gestering und die ihr zuarbeitenden Fachplaner für Tragwerksplanung und Technische Gebäudeausrüstung hatten die konzeptio-nellen Vorgaben des Ateliers Frei Otto, die abgestimmten Ergebnisse der Vorent-wurfsplanung und die aktualisierten Anforderungen der Bauherrin zu einem aus-führungsreifen Entwurf zu entwickeln. Der Verwaltungsrat hat in der gleichen Sit-zung das Thema der Produktpräsentation behandelt und eine bauliche Lösung für das Problem der unzureichenden, zu kleinen eigenen Ausstellungsflächen als vor-rangig angesehen.686

IV. Entwurfsplanung

Fritz Hahne hat sich nach der Verwaltungsratssitzung an die Planungsgruppe Gestering gewandt, um einen Vorschlag für die Erweiterung der bestehenden Aus-stellungshalle nördlich des Bürogebäudes zu erhalten. Er hat das Konzept von Frei Otto für die Ausstellungspavillons an der Straße nicht aufgegriffen und sich damit auch von der Auffassung von Theodor Diener distanziert. Diener wollte mit dem Bau

684 Ebd. Erst ein Jahr später wurde über die zur Ausführung kommende Dachkonstruktion ent-schieden.

685 Von der Büronutzung des Pavillons 1 wurde im Zuge der weiteren Planung Abstand genommen.

Dort wurde der Bereich Stoff- und Lederzuschnitt angesiedelt. In der Entwicklungsstudie waren westlich und östlich der Fertigungspavillons gesonderte Baukörper für Büros vorgesehen.

686 Theodor Diener: Beschreibung und Begründung des Vorhabens, Papier der Geschäftsleitung zur VR-Sitzung am 17. und 18.12.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 51, a. a. O. Die Gebäudekosten wurden auf 5,1 Millionen DM veranschlagt.

des ersten Ausstellungspavillons nach dem Standortvorschlag von Otto frühzeitig die Weichen für ein »von der Südseite her einheitliches Bild« an der Straße Im Landerfeld stellen.687 Holger Gestering legte im Februar 1986 Entwurfsvarianten für eine Erweiterung der Ausstellungshalle vor (Abb. 108). Eine Entscheidung wurde zurückgestellt.688

Für das Bild der Südseite des Werkes sind die Fassaden der Pavillons von beson-derer Bedeutung. Ottos Vorstellung, die Rundholzstützen in die Fassaden der Pavil-lons außen sichtbar zu integrieren, fand offensichtlich keine Zustimmung. Die Fas-sadengestaltung blieb der PG Gestering überlassen. Drew hat es als charakteristisch für das beratende Schaffen von Otto angesehen, dass für die Verknüpfung von Dach und Unterbau die Zusammenarbeit mit anderen Architekten wichtig sei. »Dieser Rückgriff auf andere, die die ihm fehlenden architektonischen Fertigkeiten beisteu-ern, erklärt, daß in vielen seiner Projekte die Verknüpfung zwischen Dach und Un-terbau nicht mit der nötigen Sicherheit, Einfühlung und Kenntnis vorgenommen wurde.«689 Fakt ist, dass Skizzen von Otto für die Fassaden des Unterbaus in den gesichteten Unterlagen aus der Vorentwurfsphase nicht zu finden sind. Auch das Schaumodell der Vierergruppe der Pavillons macht keine Aussagen über deren Au-ßenwände und die der Zwischenbauten. Alternativen für die Pavillonfassaden sind von der PG Gestering erarbeitet worden (Abb. 109 u. 110). Sie sind mit Otto und den Vertretern von Wilkhahn diskutiert worden, haben ihre endgültige Gestalt aber erst im Zuge der Bauausführung erhalten, nachdem die Konstruktion der Dächer festge-legt war (Abb. 119). Anders als Drew meint, dürfte der Grund für die Hinzuziehung der PG Gestering hier nicht in mangelnder architektonischer Fertigkeit von Otto ge-legen haben, sondern in seinem hauptsächlichen Interesse an bestimmten Aspekten eines Bauwerkes im Zusammenhang mit Architektur im umfassenden Sinn. Sein Atelier in Warmbronn war nicht auf das gesamte Leistungsspektrum der Objektpla-nung im Sinne der HonorarordObjektpla-nung ausgelegt.690

Die ersten Entwurfspläne im Maßstab 1:100 mit den Bauteilen Lagerspange, Zwi-schenbauten und Pavillons wurden in einer Besprechung mit den maßgeblichen Vertretern der Bauherrin im April 1986 abgestimmt. Das Bauprogramm war auf Vorschlag der PG Gestering um einen Flucht- und Transporttunnel zwischen

687 Theodor Diener: TOP 4: Neubauplanung. Vorschlag für den stufenweisen Ausbau, Vorlage v. 17.9.1985 für die Sitzung des Verwaltungsrates am 26.9.1985, S. 3, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

688 PG Gestering: Planung für die Erweiterung der Ausstellungshalle v. Januar 1986, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 51., a. a. O.

689 Drew/Weitbrecht 1976, S. 8.

690 Vgl. Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure: mit er-weiterten Honorartafeln, novellierte Fassung, Stand 1. Januar 1985 (BGBl. I S. 1337).

Bestandshalle 2 und dem Zwischengebäude westlich des vierten Pavillons erweitert worden. Der Transport der gepolsterten Sitzschalen in die Betriebsstelle Montage sollte mit ihm erleichtert werden. Der Planungsstand vom 14. Februar 1986 wurde durch die Unterschrift von Theodor Diener seitens Wilkhahn akzeptiert. Er war Grundlage für die Ausschreibung der ersten Bauleistungen für die Rohbauten.

Während der von Otto konzipierte Grundriss nahezu unverändert Eingang in die Entwurfsplanung fand, kann sein Konzept für die Pavillondächer als eine Idee be-zeichnet werden, deren Konkretisierung sich in der Entwurfsplanung als komplexes Problem herausstellte. Das gilt im Hinblick auf die grundsätzliche Frage des gewoll-ten Charakters des Baus und die Höhe seiner Kosgewoll-ten: auf der einen Seite die dauer-hafte Solidität eines Fabrikbaus, auf der anderen Seite der experimentelle, ephe-mere Charakter eines Pavillons mit einem Membrandach. Das gilt auch im Hinblick auf die Konstruktion selbst, was an der Bandbreite der zur Diskussion gestellten Al-ternativen deutlich wird. Auch wenn Otto an der Konstruktion eines Holztragwerkes mit Hängestäben arbeitete, ging seine Unsicherheit so weit, dass er unter Kostenge-sichtspunkten noch im Mai 1986 gegenüber Fritz Hahne eine »durchlaufende Hal-lenkonstruktion« in Anlehnung an seine frühen Überlegungen als Alternative zu be-denken gab.691 Die PG Gestering hatte diesen Gedanken schon vorher aufgegriffen.

Sie unterbreitete im Mai 1986 mit einer kolorierten Isometrie einen eigenen Ent-wurf für ein Gebäude, das im Grundriss dem Pavillonkonzept ähnlich gegliedert ist, sich jedoch gestalterisch von Ottos Zeltdächern löst (Abb. 112). In der Zeichnung sind fünf Hallenabschnitte und vier niedrigere Zwischenbauten zu erkennen. Die Tragwerke der Flachdächer der Hallenabschnitte hängen mittels Schrägseilen an kubischen Stahlkonstruktionen oberhalb der Dächer der Zwischenbauten. Diese Idee fand offensichtlich keine Akzeptanz, jedenfalls lassen sich außer drei kolorier-ten Zeichnungen in den Wilkhahn-Bauakkolorier-ten keine Hinweise auf eine Befassung der Bauherren Hahne und Diener mit dem Alternativvorschlag finden.692

Das Atelier Frei Otto hat im März eine fortgeschriebene Planung für die hölzer-nen Dachtragwerke der Pavillons vorgelegt (Abb. 111). Sie sieht an Holzbindern hän-gende in Membranform gebogene Stäbe aus Rundhölzern vor, auf denen, wie beim Zelt des Instituts für Leichte Flächentragwerke in Stuttgart-Vaihingen, eine Holz-verschalung mit Warmdachaufbau liegt. Für die Einholung von Firmenangeboten wurden als Alternativen für die Dachkonstruktionen der Pavillons die von Otto

691 PG Gestering: Vermerk v. 23.5.1986 über Kostenvergleiche der Dachvarianten, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O. Hintergrund war eine fortgeschriebene Kostenschätzung auf der Basis vor-liegender Angebote für die Hängestabvariante und die Membranvariante.

692 PG Gestering: Zeichnungen für eine Alternative zu den Pavillons v. 16.5.1986, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 54, a. a. O.