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3 Die Bauten des Wilkhahn-Werkes

3.3 Fertigungspavillons und Lagerspange von Frei Otto 1985 bis 1988

3.3.2 Vorbereitende Funktionsprogrammplanungen

Nenner zu bringen, sei eine reizvolle Aufgabe.513 In einem internen Vermerk über die Architektur im Unternehmen hat Hahne einige Tage nach Kenntnisnahme der Entwicklungsstudie von Frei Otto seine Vorgaben präzisiert und erweitert und da-mit die Richtung für die Bauentscheidung vorgegeben:

»1. Gebaut wird für die ›Ewigkeit‹. Deshalb müssen wir uns klar über die Grund-sätzlichkeit unseres Tuns sein.

2. Architektur ist anders als Grafik zu sehen, obwohl auch sie Ausdruck künstleri-scher Begabung sein soll. Architektur ist umgreifender und tiefgreifender. Sie soll deutlich Ausdruck der Fertigungs-Ökonomie sein.

In die Architektur der in diesem Unternehmen zu bauenden Gebäude sollen Strö-mungen der Zeit einfließen. Neben den Selbstverständlichkeiten der Bau-Ökono-mie ist es das Wissen und die ausgereifte Denkweise der Ökologen und Soziologen.

Gemeint sind damit die Denkmodelle und die Erfahrung gestandener Leute und die Naturbezogenheit moderner Architekten wie Frei Otto oder andere ökologisch arbeitende Architektengruppen.

Gedacht ist an das Studium der heutigen Tendenz, wonach kleinere Einheiten im Trend der Zeit liegen, im Gegensatz zu den vergangenen 20, 30 Jahren, wo die großen Einheiten immer vorgezogen wurden. Konservative Erkenntnisse und diese modernen Strömungen sind gegeneinander zu stellen und zu optimieren.

Ihre Kenntnis muß Grundlage der Entscheidung sein, bevor hier im Unternehmen etwas zementiert wird.

Das Ergebnis soll dann sein:

- eine ökonomische Bauweise - eine soziale Bauweise

- eine Bauweise, die dem Unternehmen hier vor Ort das sichtbare Profil gibt.«514

vorausgegangen war eine Konsultation der regional zuständigen Stelle des Vereins Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft, die den Industrieplaner Volker ins Spiel brachte. Er sollte eine bauliche Anordnung des Lagers vorschlagen und die voraussichtlichen Projektkosten ermitteln. Der Auftrag wurde Anfang No-vember um die Aufgabenstellung ergänzt: Einbindung des Lagers in seiner Bedeu-tung in einen Generalbebauungsplan, Berücksichtigung der Einbindung einer neu zu konzipierenden Betriebsstelle Oberfläche/Beschichtung und Feststellung der Entwicklungsmöglichkeit für Baulichkeiten sowie Darstellung des Materialflusses.

Als Grundlage für die Dimensionierung wurde die Erwartung der Umsatzauswei-tung um fünfzig Prozent durch höherwertige Produkte und AusweiUmsatzauswei-tung der Tisch-fertigung vorgegeben. Die Verbesserung der Produktionsabläufe war ein übergeord-netes Ziel. Volker erarbeitete u. a. folgende Grundsätze für die Planung:

»Der Produktionsvorgang soll die Ware vom Wareneingang möglichst optimal in Richtung Warenausgang führen, ohne daß viele zusätzliche Transporte notwendig sind.

Die einzelnen Hallenschiffe und Abteilungen sollen möglichst ohne gegenseitige Blockierung und Behinderung bis an die äußerste Nutzung des Grundstückes er-weiterungsfähig sein.

Der vorbeugende Brandschutz ist so konsequent anzuwenden, daß eine Komplex-trennung erreicht werden kann. [...] Auf eine Naßsprinkleranlage soll so lange wie möglich verzichtet werden.«515

Seinen Vorschlag vermittelte Volker mit zeichnerischen Darstellungen in der Qua-lität einer Funktionsprogrammstudie und einer Gebäudevorplanung in Alternativen und für mehrere Baustufen. Die Zeichnung für die erste Baustufe zeigt die Anord-nung der Warenannahme und des Regallagers in einem südlichen Anbau und der Betriebsstelle Versand in einem westlichen Anbau an die Halle 4. Die anderen

»Schiffe« des Komplexes der Bestandshallen sollten bis an die äußerste Grenze des Grundstückes erweiterungsfähig bleiben (Abb. 70). Im Auftrag an Volker fehlte eine Aussage zu den Anforderungen an die Architektur. Diener hielt die architektonische Gestaltung in der Phase der Funktionsprogrammplanung offenbar nicht für rele-vant oder er ging davon aus, dass eine großflächige Werkserweiterung sich ohne Weiteres nach den qualitativen Maßstäben der Bestandshallen ergeben sollte.516

515 Volkmar Volker: Gutachten v. 19.11.1984, S. 4f., in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 48, a. a. O.

516 Volker hat sich auch als Gebäudeplaner angeboten mit der Aussage, dass seine »streng ingeni-eurmäßig« ausgerichtete Architektur eine Symbiose mit dem Formempfinden der Wilkhahn Desig-ner eingehen würde (Volkmar Volker: Bewerbungsschreiben v. 12.12.1984, in: Wilkhahn Bauakte Nr. 48, a. a. O.).

II. Studie der Planungsgruppe Gestering

Aufgrund einer persönlichen Empfehlung hat Theodor Diener im Februar 1985 die Architekten Rudolf Rüffer und Holger Gestering aus der Planungsgruppe Gestering aus Bremen zu einem Vorstellungsgespräch nach Eimbeckhausen eingeladen und sie mit der Erarbeitung einer Zielplanungsstudie beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt hat man sich bei Wilkhahn mit der Studie des Ingenieurs Volker befassen können.

Offenbar sollten für die weiteren Überlegungen Architekten hinzugezogen werden, um den der Geschäftsleitung bekannten Intentionen von Fritz Hahne bezüglich der gestalterischen Qualität der Werksbauten zu entsprechen. Die Aufgabenstellung wurde seitens der Geschäftsleitung mit dem Anspruch versehen, »der sich hetero-gen darstellenden Gesamtanlage Struktur und architektonische Qualität zu verlei-hen, die geeignet ist, ein Glied in der Kette der Öffentlichkeitsarbeit des Unterneh-mens zu sein.«517 Der Raumbedarf war in einem »Statusbericht« aufgelistet wor-den.518 Dort waren pauschale Flächenanforderungen für einzelne Betriebsstellen angegeben. Kurzfristig sollten Neubauten für die Betriebsstellen Oberfläche/Be-schichtung mit 2.000, Lager mit 3.000 und Ausstellung mit 1.200 Quadratmeter Nutzflächen geplant werden. Die Flächenanforderungen wurden einige Wochen später in einer Besprechung des Technischen Leiters mit den Architekten konkreti-siert.519 Die künftige Anordnung und die zeitliche Reihenfolge der gewünschten Ver-änderungen wurden detailliert formuliert. Das Programm wich sowohl von den vo-rangegangenen Überlegungen der Geschäftsleitung als auch von der Empfehlung des Industrieplaners Volker erheblich ab.

Nach acht Wochen legte die Planungsgruppe Gestering ihre Ergebnisse in Form einer Erläuterung und eines maßstäblichen Funktionsprogramms, getrennt nach Ebenen und Zeitstufen, vor. In den Erläuterungen wurden die angenommenen Vor-gaben und Ziele stichwortartig beschrieben. Darin heißt es über den Anspruch an die Planungen:

»Anspruch der Firma Wilkhahn an die bauliche Gestaltung bzw. Umgestaltung der Produktionsanlage als ein Bestandteil der Selbstdarstellung und Öffentlichkeitsar-beit des Unternehmens: Unverwechselbarkeit, Verdeutlichung des ›Genius loci‹,

517 PG Gestering: Vermerk über das Vorstellungsgespräch v. 20.2.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

518 Wilkhahn: Statusbericht Bedarfsflächen v. 25.2.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

519 PG Gestering: Baubedarf, Vermerk v. 4.4.1985, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 55, a. a. O.

konstruktive wie ästhetische Struktur, die offen bleibt für zukünftige Produktions-anforderungen.«520

Der für das Projekt verantwortliche Partner Rudolf Rüffer und sein Mitarbeiter, der Architekt Holger Gestering, berücksichtigten die Empfehlung des Ingenieurs Volker zum Anbau einer Halle 5 zunächst nicht und platzierten dort Personalparkplätze (Abb. 71 u. 72).521 Ein vom Eimbeckhäuser Bach durchflossener quadratischer, zweigeschossiger Neubau für Büros und Ausstellung sollte mit seinen Dimensionen von 50 Metern mal 50 Metern das Ziel der Selbstdarstellung und Unverwechselbar-keit der Firma manifestieren. Vorplatz und Besucherparkplätze sollten zur Haupt-straße orientiert sein. Die alte Fabrik sollte erhalten bleiben und deren ehemalige Produktionsflächen in Büros umgewandelt werden. Durch den vorgeschlagenen Ab-riss der Sheddachhalle und der Werkhallen aus den 1960er-Jahren sollte die Ziegel-fassade der alten Fabrik optisch freigestellt werden (Abb. 75). Sie sollte das räumli-che Pendant für das neue Ausstellungs- und Bürogebäude bilden. Eine Idee für eine konstruktive und ästhetische Struktur des Werkes haben Rüffer und Gestering mit einer Aneinanderreihung von Satteldächern auf Alt- und Neubauten mit einem Achsabstand von 12,5 Metern in Querrichtung der Hallen in einem Modell präsen-tiert (Abb. 73). Mit einer Überarbeitung ihres Konzeptes für die Bauphase 1 vom 28.

Mai 1985 kam die Planungsgruppe Gestering den Forderungen der Wilkhahn Ferti-gungsplaner nach und nahm den Anbau einer Halle 5 für das zentrale Materiallager mit Ladebrücken im Westen und Osten in ihre Planung auf (Abb. 74). Die neue Halle sollte sich mit einer auskragenden Attika gestalterisch von den Bestandshallen un-terscheiden, deren Grundrisskonzeption im Übrigen aber aufnehmen. Mit den Vor-stellungen der Fertigungsplaner hatte sich auch Frei Otto auseinanderzusetzen, der seit Anfang März 1985 ebenfalls an einer Entwicklungsstudie für das Wilkhahn-Werk arbeitete.

Das Datum des überarbeiteten Konzeptes der Planungsgruppe Gestering ist hier von Interesse, da es den kleinen Zeitraum erkennen lässt, in dem bei Wilkhahn die Weichen zugunsten des am 8. Juni 1985 vorgelegten Konzeptes von Frei Otto ge-stellt wurden. Die Wilkhahn Fertigungsplaner, unterstützt vom Geschäftsführer Theodor Diener, bevorzugten einen Hallenanbau nach Art der Bestandshallen, um eine große, flexibel zu nutzende Produktions- bzw. Lagerfläche zu erhalten. Sie sa-hen wirtschaftliche Vorteile darin, die mitten im Ort gelegene Außenstelle des

520 PG Gestering: Wilkhahn Zielplanungsstudie v. 9.5.1985, S. 01, in: Wilkhahn-Bauakte Nr. 54, a. a. O.

521 Plan 11 im Maßstab 1:2500: Bauphase 5, Ebene 2, in: PG Gestering: Wilkhahn Zielplanungsstu-die v. 9.5.1985, a. a. O.

Zentrallagers aufzugeben und auf dem Werksgelände nahe der Fertigung unterzu-bringen.522 Fritz Hahne gab sich mit einem Anbau einer Halle in Gestalt der Be-standshallen nicht zufrieden. Er wollte einen vorzeigbaren Bau, der den Gästen mit der erhofften Wirkung präsentiert werden könnte. Dafür war eine konventionelle Lagerhalle ungeeignet.523