• Keine Ergebnisse gefunden

7 Deutungen von Inklusion 109

7.2 Verwendung des Inklusionsbegriffs

7.2.1 Verständnis von Inklusion

ImerstenSchrittwurdenäherbetrachtet,obdieSchulinspektioneninihrenInstrumenten undweiterenUnterlagenDefinitionenvonInklusionnennenundwiesichdiesevoneinander unterscheiden (für eine Übersicht → Tab. 7.2). So wurden im Fall von vier Bundesländern Definitionen in den Messinstrumenten gefunden: Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg.

Im Fall von Hamburg wird im Eltern- und Lehrerfragebogen auf die Definition der Salamanca-Konferenz verwiesen und diese wird explizit aufgeführt:

„Laut Erklärung der UNESCO-Konferenz von Salamanca im Jahr 1994 umfasst Inklusion alle Kinder, unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen

Verwendung des Inklusionsbegriffs 127

Fähigkeiten und schließt behinderte und begabte Kinder, Kinder von sprachlichen, kulturellen oder ethnischen Minoritäten sowie Kinder von anders benachteiligten Randgruppen oder -gebieten ein“

(HH_LFB; siehe auch HH_EFB; Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg 2012).

DemnachpositioniertsichdieHamburgerSchulinspektiondeutlichzueinemweiten Inklu-sionsbegriff.EsfehlenjedochnähereAngabendarüber,welcheZielemitInklusionverfolgt werden.

Im Fall von Berlin wird im Handbuch der Inspektion (Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012) sowie im Handlungsrahmen (2012) auf einen weiten Inklusi-onsbegriff zurückgegriffen. Mit Verweis auf die BRK wird näher dargestellt, welche Ziele mit Inklusion im Allgemeinen bzw. im Bildungsbereich verknüpft werden:

„Die Staaten, die die BRK unterzeichnet haben, leisten dies, indem sie Ansprüche auf Selbstbestim-mung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe formulieren, sie rechtsverbindlich verankern und mit möglichst wirksamen Durchsetzungsformen verknüpfen. Für den Bildungsbereich bedeutet das, allen Kindern und Jugendlichen uneingeschränkt Zugang zur allge-meinen Schule zu ermöglichen. Ziele sind eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung, der Erwerb eines Schulabschlusses entsprechend den individuellen Möglichkeiten und die gleichberechtigte und chancengleiche Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ (Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012, S. 52).

Demnach zeigen sich hier eindeutig Anknüpfungspunkte zu dem Inklusionsverständnis, welches in dieser Arbeit verwendet wird (→ Abschnitt 2.2), da sich Inklusion auf alle Schüler_innen bezieht und als Ziel von Inklusion unter anderem Diskriminierungsfreiheit genannt wird. Des Weiteren wird im Fall von Berlin explizit auf ein soziales Modell von Behinderung verwiesen:

„Die Behindertenrechtskonvention markiert einen grundlegenden Wechsel, indem sie den traditionel-len, primär an Defiziten der Betroffenen orientierten Ansatz durch einen <diversity-Ansatz> (Anderssein und Verschiedenheit wertschätzen) ersetzt. Sie signalisiert eine Abkehr von einer Behindertenpolitik, die primär auf Fürsorge und Ausgleich von Defiziten abzielt“ (ebd., S. 52).

ImFallvonBaden-Württembergwerdenim„QualitätsrahmenzurFremdevaluation“ (Landes-institutfürSchulentwicklungBaden-Württemberg2015)zweiDefinitionenvonInklusion aufgeführt:

„Inhaltlich wurde das Thema Heterogenität von Schülerinnen und Schülern und Inklusion im weiteren Sinne quer über den gesamten Qualitätsrahmen in entsprechenden Merkmalen auf der Ebene der Qualitätsstandards bzw. Indikatoren eingearbeitet. Für die Inklusion im engeren Sinne (Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot) gibt es in entsprechenden Merkmalen zusätzliche Indikatoren (…)“ (ebd., S. 5).

Auch hier liegt bei der Definition von Inklusion der Fokus auf der Frage, welche Zielgruppe darunter fällt. Es wird zwar explizit formuliert, dass unter Inklusion der Umgang mit hete-rogenen Lerngruppen und somit alle Schüler_innen als Zielgruppe verstanden werden. Im Rahmen der Instrumente wird jedoch auf das zweite Inklusionsverständnis („im engeren Sinne“) zurückgegriffen. Aus normgebender Perspektive kann dieser Textbaustein auch als Signal gelesen werden, dass hier von Seiten der Schulinspektion in Bezug auf die Zielgruppe von Inklusion gegenüber den Schulen keine Vorgaben gemacht werden.

In Bayern liegt der Fokus auf der Teilhabe von Schüler_innen mit diagnostizierter Behinde-rung: „Beim Kriterium Förderung der Integration/ Inklusion geht es um die Frage, inwieweit

die Schule auf die Teilhabe von Schülern mit besonderen physischen und/oder psychischen Voraussetzungen vorbereitet ist“ (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2010, S. 18). Als Ziel von Inklusion wird auf das Konzept der „Teilhabe“ verwiesen, welches im Rahmen der Definition nicht näher ausgeführt wird.

Insgesamt wurde in den Instrumenten von vier Bundesländern eine explizite Definition von Inklusion gefunden. Die oben beschriebenen Definitionen unterscheiden sich darin, wer als Zielgruppe von Inklusion benannt wird. So lässt sich grob zwischen einem engen und einem weiten Inklusionsbegriff unterscheiden, wobei in Baden-Württemberg im Handbuch keine explizite Festlegung getroffen wird, welche Definition für die Schulinspektion gilt. Berlin sticht insofernheraus,alsdieZielevonInklusioninBezugaufdenBildungsbereichkonkretisiert werdenundexplizitaufeinsozialesModellvonBehinderungverwiesenwird.WeitereHinweise darauf,wasmitInklusiongemeintist,lassensichsowohlindenobenbeschriebenenvierFällen alsauchindenanderenBundesländerndarausablesen,inwelchemZusammenhangInklusion alsBegriffindenInstrumentenverwendetwird.

InvierweiterenFällen(BLI,NI,NRW,SH)wirdInklusionalsBegriffzwarverwendet,eswird aber in den analysierten Materialien der Schulinspektionen nicht definiert, was unter Inklu-sion verstanden wird. Im Fall von Niedersachsen lassen sich aus dem Kontext der Nennung Hinweise ablesen: So wird Inklusion als Begriff im Zusammenhang mit Förderzentren bzw.

mit sonderpädagogischem Förderbedarf genannt (Niedersächsisches Landesinstitut für schuli-sche Qualitätsentwicklung 2015, S. 37). Dies gibt Hinweise darauf, dass unter Inklusion der gemeinsame Unterricht von Schüler_innen mit und ohne Behinderung verstanden wird. In Ergänzung wird im Orientierungsrahmen folgendermaßen von Inklusion gesprochen: „die Entwicklung zur inklusiven Schule, in der für alle Schülerinnen und Schüler des regionalen Umfelds ein barrierefreier und gleichberechtigter Zugang eröffnet wird (…)“ (Niedersächsisches Kultusministerium2014,S.12).EinähnlichesVerständnisliegtbeiderBund-Länder-Inspektion nahe,dadreivonfünfIndikatorenunterdemQualitätsbereich„inklusivarbeiten“auf„Schüler mitbesonderenBedarfen“bzw.Barrierefreiheit(ÜI_BLI)abzielen.ImFallvonSchleswig-Holstein heißteinQualitätsbereichimOrientierungsrahmen„InklusionundUmgangmit Heteroge-nität“(MinisteriumfürSchuleundBerufsbildungSchleswig-Holstein2016,S.12).Unter diesenQualitätsbereichfallenunteranderemdieDiagnosevonLernständensowieFörderung und Leistungsrückmeldungen. Hierbei liegt es nahe, dass sich Inklusion auf die Gruppe von Schüler_innen mit Behinderung bezieht. So müsste Inklusion als Begriff nicht explizit aufge-führt werden, wenn es die gleiche Bedeutung hätte wie „Umgang mit Heterogenität“ bzw. vice versa. Jedoch lässt sich eine eindeutige Definition von Inklusion daraus nicht ablesen, da in dem Qualitätsbereich Schüler_innen mit diagnostizierter Behinderung nicht explizit genannt werden. Demnach könnte daraus auch ein weiter Inklusionsbegriff abgeleitet werden. Im Fall von Nordrhein-Westfalen wird vom „Gemeinsamen Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf“ gesprochen (NRW_Kommentierung

UBB).

DasFehleneinerexplizitenDefinitionvonInklusionindenInstrumentenundBeschreibungen vonguterSchuleistnichtungewöhnlich,danurwenigeSchulinspektionenübereinGlossar verfügenundausführlicheDefinitionenvonpädagogischenKonzepteninFragebögengenerell ehereineAusnahmedarstellen.FehlendeDefinitionenkönnenjedochproblematisch sein, wennübereinKonzept–wieindiesemFalleüberInklusion–unterschiedlicheDeutungen existieren.BeispielsweisewirdinBayernimLehrerfragebogenerfasst,obsichdieLehrkräfte an der Schule regelmäßig über Inklusion informieren. Auch wenn Bayern im Handbuch eine

Verwendung des Inklusionsbegriffs 129

Definition von Inklusion aufführt, fehlt es im konkreten Lehrerfragebogen an einer expliziten Definition. Dies ist im Hinblick auf die Validität des Instruments kritisch zu sehen, da es sein kann, dass das Antwortverhalten der befragten Personen davon beeinflusst wird, was diese unter Inklusion verstehen (vgl. Gasterstädt und Urban 2016 in Bezug auf Einstellungsforschung zu Inklusion).

Zusätzlich zu den oben aufgeführten Bundesländern gibt es vier Fälle, in denen Inklusion als Begriff in den Instrumenten nicht verwendet wird: Hessen, Saarland, Sachsen-Anhalt sowie Brandenburg.

• ImFallvonHessentaucht InklusionzwarnichtindenInstrumenten auf,wirdaberim HessischenReferenzrahmenaufgeführt,z.B.„DieSchulefördertdieSchulgemeinschaft und die soziale Integration – insbesondere das Zusammenleben der Kulturen sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Menschen mit Behinderungen im Sinne einer Weiterentwicklung zur inklusiven Schule“ (Hessisches Kultusministerium 2011, S. 71). Des Weiteren wird auf den Seiten des Kultusministeriums auf die „Checkliste Inklusion“ verwie-sen. Diese basiert auf einzelnen Indikatoren des Hessischen Referenzrahmens, die auch der Hessischen Schulinspektion als Orientierung dienen. Jedoch hat das Hessische Projektbüro Inklusion bei der Erstellung der Checkliste Ergänzungen zu den bestehenden Indikatoren vorgenommen. Beispielsweise gibt es im Hessischen Referenzrahmen den Indikator „Im Schulprogramm sind Entwicklungsvorhaben formuliert, an denen zielgerichtet gearbeitet wird“ (ebd., S. 42). Daran anknüpfend enthält die Checkliste Inklusion „Im Schulprogramm istdieinklusiveSchulealsEntwicklungsvorhabenformuliert,andenenzielgerichtetgearbeitet wird“(ProjektbüroInklusion2014).DieseErgänzungendesProjektbüroswurdenjedoch vonSeitenderInspektionnichtindieInstrumenteübernommen.DemnachtauchtInklusion alsBegriffindenanalysiertenInstrumentennichtauf.

• ImFallvonSachsen-Anhalt tauchtderBegriffindenMessinstrumentenauchnichtauf, jedoch gibt es im Orientierungsrahmen den Indikator „Die Schule ist offen für Inklusion“

(Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt 2013, S. 5). Es gibt jedoch keine Definition von Inklusion.

• Im Fall des Saarlands findet sich keine Nennung des Inklusionsbegriffs im Orientierungsrah-men.

• In Brandenburg gab es keinen Orientierungsrahmen, der zwischen 2009 und Oktober 2015 (ausgewählter Zeitraum der Datenanalyse → Kapitel 6) erschienen ist. In der Version von 2016 (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg 2016) wird Inklusion als Begriff genannt, aber ohne nähere Definition.

Zusammenfassendzeigtsich,dassdieBundesländersichdarinunterscheiden,obsieInklusion explizitalsBegriffverwendenbzw.obsiediesennäherdefinieren(füreineÜbersicht → Ta-belle 7.2). In den Fällen, in denen Inklusion explizit definiert wird, werden in Bezug auf die Zielgruppe unterschiedliche Verständnisse von Inklusion sichtbar. Die Nicht-Verwendung des Inklusionsbegriff kann, unabhängig davon, ob es intendiert ist oder nicht, diverse Implikatio-nen nach sich ziehen: Durch die Entwicklung von Instrumenten in Bezug auf Inklusion aber gleichzeitige Nicht-Verwendung des Inklusionsbegriffs kann das Konzept von Seiten der Schul-inspektion als normative Forderung implementiert werden, ohne dass negative Assoziationen mit den Instrumenten geweckt werden. Dies kann eine Strategie sein, wenn Inklusion als Begriff von schulischen Vertretern mit negativen Assoziationen verknüpft wird. Des Weiteren hat die Nicht-Nennung zur Folge, dass Schulen durch die Instrumente der Schulinspektionen keine

Informationendarübererhalten,welchekonkretenImplikationendieUmsetzungvonInklusion alspolitischeVorgabefürsiehat.DemnachwerdenSchulinspektioneninihrernormgebenden Funktion (bewusst oder unbewusst) nicht tätig (nähere Ausführung → Kapitel 8).

Tab. 7.2: Definition von Inklusion in den Instrumenten

Bundesländer

Explizite Definition von Inklusion ist vorhanden Bayern, Berlin, Hamburg und Baden-Württemberg

VerwendungdesInklusionsbegriffs,aberkeine expliziteDefinitionvorhanden.

(HinweiseaufInklusionsdefinitionergebensichaus demZusammenhang)

Bund-Länder-Inspektion;

Niedersachsenund Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen Inklusion wurde als Begriff in den analysierten

Instrumenten nicht gefunden

Brandenburg, Hessen, Saarland sowie Sachsen-Anhalt