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Einführung von Schulinspektionen

3 Schulinspektionen in Deutschland 4

3.2 Einführung von Schulinspektionen

Bereits im 16. Jahrhundert etablierten sich die ersten kirchlichen Schulinspektionen auf Ge-bieten, die heute zu Deutschland gehören (vgl. Brüggemann et al. 2011). Danach kam es immer wieder zur Etablierung von Schulinspektionen, z. B. während der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus (vgl. ebd.). Brüggemann et al. (2011) argumentieren jedoch, dass sichdieFunktionunddasFormatderSchulinspektionenimLaufederZeitstarkgewandelt

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haben. So haben frühere Schulinspektionen den Fokus daraufgelegt, inwiefern von Seiten der Schule Gesetzesvorschriften eingehalten werden (vgl. Landwehr 2011, S. 55). Dagegen spielten andere Funktionen, die heute stärker von Relevanz sind, wie Wissensgenerierung oder Schulentwicklungsfunktion, kaum eine Rolle (nähere Ausführung → Abschnitt 3.3.3).

Im Rahmen dieser Arbeit geht es um die aktuell existierenden Schulinspektionen: Diese sind ab 2004 ungefähr zeitgleich in allen Bundesländern eingeführt worden (vgl. Döbert et al. 2008, S. 137). Dies ist nach Füssel insofern überraschend, als es auf Bundesebene keinen Beschluss gab, „sondern einzig […] parallellaufende Entwicklungen in einzelnen Bundesländern sich fast virenähnlich über die ganze Republik ausgedehnt”(Füssel 2008, S. 153) haben. Dabei gibt es in derLiteraturverschiedeneBegründungen,wieeszuderEinführungvonSchulinspektionen gekommenist: Sowirdhäufigauf die„schlechten“ Ergebnisse Deutschlandsin derPISA -Studieverwiesen(z.B.Ehren2016; Gärtner2013; BöttcherundKeune2011; Altrichter undKemethofer2016).JedochstellenSchulinspektionennachDöbertetal.(2008)keine unmittelbareReaktionaufPISA dar,dasienichtdenerstenPost-PISA-Aktivitätenzugerechnet werden(vgl.ebd.,S.137).Dennochlässtsichfesthalten,dassdieFragenachguterSchuleunter anderem durch die PISA-Studie vermehrt öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat und parallel dazu das Thema um die Jahrtausendwende in den Erziehungswissenschaften Konjunktur hatte (vgl. Helmke et al. 2018).

Des Weiteren wird die Einführung von Schulinspektionen in der Literatur oft damit begrün-det, dass Schulen von bildungspolitischer Seite mehr Handlungsspielraum gelassen wurde (vgl. Gärtner 2013, S. 696; Artelt 2007, S. 132). Jene Entwicklung hatte zur Folge, dass sich die Kultusministerien stärker in der Verantwortung sahen, zu kontrollieren, wie Schulen mit der gewachsenen Autonomie umgehen (vgl. Heinrich 2007). Demnach sollte sich bildungspoli-tische Steuerung stärker darauf konzentrieren, inwiefern von Seiten der Schule Zielvorgaben erfülltwerden(vgl.Landwehr2011,S.55)unddiessollteimFallderdeutschenBundesländer unteranderemvonSchulinspektionenüberprüftwerden.IndiesemZusammenhangkritisiert jedochAvenarius,dassdieKontrollevoneigenverantwortlichenSchuleneine„contradictio inadiecto“sei(vgl.Avenarius2006,6f.).SowürdedieEtablierungvonKontrollmaßnahmen implizieren,dassSchulenerneutanAutonomieverlieren.

Möglicherweiseistesdahertreffender,diebeidenobengenanntenBegründungenfürdie Ein-führung von Schulinspektionen (schlechte PISA-Ergebnisse sowie notwendige Kontrolle von Schulen aufgrund erhöhter Autonomie) nicht als singuläre Auslöser zu verstehen, sondern als Rahmenbedingungen, die die Einführung von Schulinspektionen begünstigt haben. In diesem Zusammenhang sind auch der Trend hin zu evidenzbasierten Entscheidungen im bildungs-politischen Bereich (Heinrich 2015) sowie der Aufstieg der empirischen Bildungsforschung (vgl. Aljets 2015) zu nennen: Zwei Entwicklungen im deutschen Bildungssystem, die sich gegenseitig bedingen. Dabei wird unter evidenzbasierter Bildungspolitik verstanden, wenn

„politische Entscheidungen über wissenschaftliches oder zumindest systematisch produziertes Wissen rationalisiert werden können“ (Lambrecht und Rürup 2012, S. 57). Dies basiert auf der Idee,dassmithilfevonempirischenDaten„<evidenzbasierteBildungspolitik>abseitsder fest-gefahrenenGrabenkämpfebetriebenwerdenkann“(Aljets2015,S.311;sieheauchFend2014, S.27).DabeistehtdieHinwendungzuevidenzbasierterBildungspolitikimZusammenhang mitdemKonstanzerBeschluss,der1997vonderKultusministerkonferenz(KMK)verabschiedet wurde(vgl.Kultusministerkonferenz1997).DamitwurdevonSeitenderKMK entschiedenan internationalenalsauchannationalenVergleichsarbeitenteilzunehmen:MitderFolge,dass

2 In Bezug auf den Begriff der evidenzbasierten Steuerung ist zu berücksichtigen, dass im englischsprachigen Bereich unter „evidence-based“ etwas anderes verstanden wird als im Deutschen unter „Evidenz“: „<Evidence> meint eben nicht das augenscheinlich auf der Hand Liegende, sondern die durch empirische Forschungsmethoden gewonnenen Belege oder Hinweise, die für die Wirksamkeit einer bestimmten Methode oder Maßnahme sprechen.“ (vgl. Bellmann und T. Müller 2011, S. 11). In diesem Zusammenhang argumentiert Bellmann, dass im deutschsprachigen Bereich auch Formen des Bildungsmonitorings, die keinen Anspruch auf kausale Zusammenhänge zwischen einzelnen Indikatoren erheben, der evidenzbasierten Steuerung zugeschrieben werden (vgl. ebd., S. 22). So würden viele Forschungsprojekte für sich in Anspruch nehmen, evidenzbasierte Forschung zu machen, aber „den strengen Kriterien des Paradigmas nur zum Teil oder auch gar nicht genügen“ (ebd., S. 22).

Lernstandserhebungen als eine Form von empirischer Bildungsforschung in Deutschland an Relevanz gewannen.

Im Kontext von evidenzbasierter Bildungspolitik und dem Aufstieg empirischer Bildungsfor-schung kann auch die Einführung von Schulinspektionen gesehen werden. So orientieren sich die aktuell bestehenden Schulinspektionen – im Gegensatz zu früheren Inspektionsformaten in Deutschland (Brüggemann et al. 2011) – bei der Datenerhebung an empirischen Methoden der Sozialforschung. Die erhobenen Daten sollen unter anderem den Zweck erfüllen, bildungs-politischen Akteuren als Entscheidungsgrundlage zu dienen. In Bezug auf evidenzbasierte Bildungspolitik ist jedoch kritisch zu betrachten, inwiefern im Fall von Schulinspektionen davongesprochenwerdenkann,dassdieDatenerhebungzurGenerierungvon„Evidence“2 dient.SowirdinderLiteraturunterEvidenceeinBelegfürdieWirksamkeiteinerHandlung verstanden(vgl.BellmannundT.Müller2011,S.22),d.h.dieMessungdavon,obschulische Prozesseerfolgreichsind.DemnachliegtesnaheimFallderSchulinspektionenvon „systemati-scherWissensgenerierung“(vgl.DietrichundLambrecht2012,S.60)zusprechenanstattvon derGenerierungvonEvidenceimklassischenSinne.

Darüber hinaus stellt das Vorgehen der Schulinspektionen eine Alternative zu Studien, wie PISA,

TIMSS oder IGLU dar, die üblicherweise gemeint sind, wenn vom Aufstieg der „empirischen Bildungsforschung“ gesprochen wird: Im Gegensatz zu den Lernstandserhebungen legen die Schulinspektionen den Fokus auf die Prozess- und nicht auf die Outputebene (vgl. Maritzen 2008, S. 93; siehe auch Schwartz et al. 2016, S. 7; Landwehr 2011, S. 56; Lambrecht 2013, S. 226). Demnach können sie aus bildungspolitischer Perspektive als Ergänzung zu jenen Studien gesehen werden, da sie in Bezug auf noch fehlende Daten eine Lücke schließen sollen.

Des Weiteren wird die Datenerhebung bei den Schulinspektionen nur zum Teil von wissen-schaftlichem Personal realisiert und die Schulinspektionen sind als durchführende Instanz nicht TeildesWissenschaftssystems,sondernderBildungsadministration(nähereAusführung → Ab-schnitt3.3).DarüberhinauskritisiertHeinrichinBezugaufLernstandserhebungen,dassdurch dieseeinbestimmtesVerständnisvonBildungsgerechtigkeitimSinnevon Verteilungsgerechtig-keitdominierenwürdeundandereVerständnissevonSchulqualität,z.B.Teilhabegerechtigkeit oderAnerkennungstheorieinderöffentlichenDiskussionkaumstattfinden(vgl.Heinrich2010, S.47).IndiesemZusammenhangstelltsichdieFrage,inwiefernsichdieSchulinspektionenin ihrem Verständnis von Schulqualität von den Lernstandserhebungen abgrenzen. Dies kann im Rahmen der empirischen Analyse in dieser Arbeit zum Teil herausgearbeitet werden.

Abschließend ist kritisch zu hinterfragen, inwiefern die vorhandenen empirischen Daten – seien es die Lernstandserhebungen oder die Daten der Schulinspektionen – tatsächlich als Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen genutzt werden (vgl. Wiseman et al. 2010). So gibt es in Bezug auf Schulinspektionen wenig verfügbares Wissen zu der Frage, ob und wie jene Daten von bildungspolitischer Seite genutzt werden. Dieser Aspekt wird im Folgenden nicht erneut aufgegriffen, da der Fokus dieser Arbeit auf der Entwicklung der Messinstrumente und

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nicht auf der Frage liegt, welche Wirkung die Daten haben, die mithilfe der Messinstrumente erhoben wurden.