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Forschungsstand zu Schulinspektionen

3 Schulinspektionen in Deutschland 4

3.5 Forschungsstand zu Schulinspektionen

ParallelzuderEinführungvonSchulinspektionenwurdeninDeutschlandviele Forschungspro-jekteinitiiert(vgl.SteBis2017).DarananknüpfendfolgtnuneinÜberblicküberStudien,die sichmitSchulinspektioneninDeutschlandauseinandersetzensowieinternationaleStudien, dieAnknüpfungspunktezuderFragestellungdieserArbeitbieten.

3.5.1 Schulinspektionen als ein Akteur im Bildungssystem

Im Rahmen des Forschungsschwerpunkts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

„Steuerung im Bildungssystem“ (für eine Übersicht siehe SteBis 2017) hat sich eine Vielzahl von Studien mit der Etablierung der Schulinspektionen in Deutschland auseinandergesetzt.

Dabei ging es unter anderem um die Frage, wie sich die Schulinspektionen zu anderen Akteuren (z. B. zur Schulaufsicht) verhalten (Heinrich 2015) sowie welche Funktionen den Schulinspek-tionen im Bildungssystem zugeschrieben werden (z. B. Heinrich et al. 2014; Arbeitsgruppe Schulinspektion 2016; Sowada und Dedering 2016). Da bereits im Abschnitt zur strukturellen VerankerungvonSchulinspektionen(→ Abschnitt3.3)ausführlichaufdieErgebnissejener Studienzurückgegriffenwurde,wirdhiernichterneutdaraufeingegangen.

3.5.2 Wirkung von Schulinspektionen

Des Weiteren gibt es zahlreiche Untersuchungen, die sich in Deutschland sowie international mit der Frage auseinandersetzen, welchen Einfluss Schulinspektionen auf Einzelschulen haben. Es lassen sich hierbei grob folgende Fragestellungen herausgreifen, die im Rahmen von empirischen Studien analysiert werden (für einen Überblick der Forschung siehe Altrichter und Kemethofer 2016; Böttcher und Keune 2010; Husfeldt 2011; Penninckx 2016):

• Inwiefern werden durch Inspektionen Veränderungen bei Schulen initiiert?

• WelcheFaktorenkönnenmöglicherweiseerklären,dassSchulinspektionen(k)einenEinfluss aufEntwicklungsprozesseanderEinzelschulehaben?

In Bezug auf die erste Frage argumentieren Gärtner et al.: „Schlussendlich muss sich die Schul-inspektion daran messen lassen, ob sie zu positiven Auswirkungen auf das Lernen der Schüler und deren Kompetenzaufbau beiträgt“ (Gärtner et al. 2009, S. 16). Demnach gibt es eine Vielzahl an Studien, die sich damit auseinandergesetzt haben, inwiefern die Durchführung der Schulinspektion dazu geführt hat, dass an Schulen Maßnahmen zur Schulentwicklung getroffen wurden (z. B. Dedering und S. Müller 2011 für Nordrhein-Westfalen; Gärtner et al. 2009 für Brandenburg; F. Huber 2008 für Bayern; Wurster und Gärtner 2013; Gärtner et al. 2013 für Berlin und Brandenburg; Böhm-Kasper und Selders 2013 für Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Baden-Württemberg und Niedersachsen; Diedrich und Pietsch 2013 für Hamburg;

BöttcherundKeune2011fürHessen;füreinenÜberblicksieheAltrichterundKemethofer 2016).BeieinerUntersuchungvonHuber(2008)zuderbayerischenSchulinspektiongabüber dieHälftederSchulenan,dasssienachdemBesuchderSchulinspektionzwischeneinerund sechsMaßnahmenrealisierthaben.BeiGärtneretal.(2009)wardagegendieAnzahlderjenigen, diekeineMaßnahmenachderSchulinspektionergriffenhaben,imFallvonBrandenburgsehr vielgeringeralsbeiderStudiezuBayernvonHuber(15%statt43%).DieStudien,dieauf Selbsteinschätzungen von Schulen basieren, stehen jedoch in der Kritik. So argumentieren Altrichter und Kemethofer (2016), dass die Schulleitungen bei dieser Art von Befragungen sozial erwünschtes Antwortverhalten zeigen. Dies machen sie unter anderem daran fest, dass die Antworten der Lehrkräfte, wenn diese auch befragt wurden, weniger positiv ausfallen als die Antworten der Schulleitungen. Des Weiteren stellt sich auch die Frage, wie nachhaltig die Maß-nahmen sind, die von Seiten der Schulen getroffen wurden, und ob diese zum gewünschten Ziel geführt haben. So ist die reine Anzahl der getroffenen Maßnahmen allein wenig aussagekräftig.

In Bezug auf jene Untersuchungen zu Schulinspektionen und Schulentwicklung ist darüber hinaus kritisch zu betrachten, dass diese häufig nicht berücksichtigen, dass eine Vielzahl von

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Faktoren beeinflusst, ob Schulentwicklungsprozesse initiiert werden. So sind die Wirkungen der Schulinspektion auf Schulentwicklungsprozesse „nicht einfach linear ableitbar“ (Heinrich et al. 2014, S. 26). Erste Hinweise gibt das Wirkungsmodell von Ehren und Visscher (2006):

Danach sind nicht nur diverse Merkmale der Schulinspektion einzubeziehen, z. B. Art des Feedbacks, sondern auch externe Impulse, Reaktionen der Schule auf die Inspektion sowie weitere Merkmale der Schule, z. B. Lernbereitschaft (vgl. ebd., S. 44). Daran anknüpfend haben Behnke und Steins durch die Analyse vorhandener Studien herausgearbeitet, welche Faktoren allein den Feedbackprozess beeinflussen, z. B. Glaubwürdigkeit oder Qualität des Feedbacks (vgl. Behnke und Steins 2017). Demnach verbirgt sich hinter den einzelnen Dimensionen von EhrenundVisscher(2006)eineVielzahlvonunterschiedlichenAusprägungen.InBezugauf dieWirkungvonSchulinspektionenbedeutetdies,dassandereFaktorenderenbehindern,aber auchfördernkönnen.Ergo:

„Die Wirksamkeit der externen Schulevaluationen wird sehr oft gleichgesetzt mit ihrer Entwicklungs-wirksamkeit (…). Diese Auffassung und die damit signalisierte Ziel- und Funktionsunterstellung ist nicht (…) falsch; ist aber (…) unhaltbar verkürzt“ (Landwehr 2011, S. 37).

Des Weiteren kritisiert Lambrecht, dass bei den Studien zu wenig berücksichtigt wird, welche EmpfehlungendieSchulenerhalten,dadiesevondentatsächlichenDatensätzenabweichen können(vgl.Lambrecht2013).DarananknüpfendgibtesStudien,diesichdamit ausein-andergesetzthaben,inwiefernGelingensbedingungenvorhandensind,damitvonSeitender SchulinspektionenImpulsefürEntwicklungsprozesseausgehen.Dabeiwerdenals Gelingensbe-dingungenunteranderemdasVerfahrenderSchulinspektion(vgl.Wursteretal.2016)sowie die Akzeptanz und Rezeption der Schulinspektion durch die Schule (vgl. ebd.; Behnke und Steins 2017; Böttcher und Keune 2010, S. 154) gesehen.

Zusammenfassend hält Heinrich fest:

„Angesichts der (…) internationalen Befunde zur Wirksamkeit des Instruments muss konstatiert werden, dass das Instrument der Schulinspektion politisch nur schwer allein über dessen Wirksamkeit legitimiert werden kann“ (Heinrich et al. 2014, S. 27).

DemnachstelltsichdieFrage,obdieIdeenochaufrechterhaltenwerdenkann,dass Schulin-spektionen primär die Aufgabe haben Impulse für Schulentwicklungsprozesse zu geben, weil sie diese Funktion nur begrenzt erfüllen (können). Stattdessen sollten von Seiten der Forschung möglicherweise andere Wirkungsdimensionen wie die Normendurchsetzungsfunktion in den Blick genommen werden (vgl. Lambrecht 2018).

Demnach ist es kritisch zu sehen, dass sich die Forschung zur Wirkung von Schulinspektionen überwiegend auf Schulentwicklungsprozesse fokussiert. So weist Gärtner (2013) darauf hin, dass die Wirkung der Normendurchsetzungsfunktion „bislang kaum systematisch untersucht worden“ (ebd., S. 697) ist. Des Weiteren gibt es auch kein Wissen darüber, inwiefern Evaluati-onsmaßnahmen wie die Schulinspektion implizieren, dass sich bei den Schulen neue Rechtferti-gungsordnungenetablieren:SoarbeitenLowenhauptetal.(2016)fürdenUS-amerikanischen Kontextheraus,dassSchulleitungeninihremHandelnhäufigaufArgumentationen,dieauf demParadigmaderevidenzbasiertenSteuerungberuhen,zurückgreifen.DiesgibtHinweise darauf,dasssichevidenzbasiertesDenkenundHandelnauchaufderEbenederEinzelschule durchgesetzthat.DesWeiterengibtesimdeutschsprachigenRaumauchkaumForschung dazu, wie sich die Inspektionsergebnisse auf das Handeln der Eltern auswirken, z. B. bei der Schulwahl oder bei der Beteiligung an Schulentwicklungsprozessen.

Für den deutschsprachigen Raum fehlt es auch an Forschung zu der Frage, ob die Inspektionen nicht-intendierte Wirkungen haben (vgl. Bellmann, Duzevic et al. 2016, S. 383). Bellmann et al.

können in Bezug auf Formen neuer Steuerung nachweisen, dass sich viele Nebenfolgen evidenz-basierter Steuerung von Bildungseinrichtungen, z. B. Window Dressing, auch in Deutschland zeigen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Untersuchung von Bellmann et al.

auf diverse Formen bildungspolitischer Steuerung beziehen, z. B. auch Vergleichsarbeiten. In Bezug auf Schulinspektionen gab es in der quantitativen Befragung – nach der Darstellung in Bellmann et al. (2016) – nur zwei Items, die explizit auf Schulinspektionen abzielen (siehe ebd., S. 225):

• „WährendderSchulinspektionzeigenLehrkräfteunsererSchuleandereUnterrichtsmethoden alsimnormalenSchulalltag“(imFallvonBerlin:13,6%trifftvollzu;33,8%triffteherzu;

42,4%trifftehernichtzu;10,3%trifftüberhauptnichtzu).

• „Eskommtvor,dasseinzelnenLehrkräftennahegelegtwird,andenTagenderSchulinspektion nichtzurSchulezukommen“(imFallvonBerlin:2,0%triffteherzu;8,9%trifftehernicht zu; 89,1 trifft überhaupt nicht zu).

Demnach gibt es kaum Informationen zu der Frage, ob Inspektionen auch nicht-intendierte Wirkungen auf Schulen, z. B. inoffizielle Vorbereitungen durch Schulträger bzw. Schulleitung oder „Anpassungen“ von Dokumenten, haben.

3.5.3 Analyse der Messinstrumente

Während es eine Vielzahl von Studien gibt, die sich mit der Wirkung von Schulinspektionen auseinandersetzen, gibt es nur wenige Untersuchungen zu den Messinstrumenten und den dahinterliegenden Verständnissen von Schulqualität. So vergleichen beispielsweise Ehren und Scheerens (2015), wie die Schulinspektionen in den Niederlanden, England, Österreich (am Beispiel der Steiermark), Tschechien, Irland und Schweden Qualität messen. Dabei liegt der Fokus stärker auf der Operationalisierung und der Frage, ob dies zu validen Ergebnissen führt. Es wirdimRahmendesArtikelsjedochkaumthematisiert,dassesunterschiedlicheVerständnisse davongibt,wasuntereinergutenSchuleverstandenwird.

InBezugaufdieAnalysederMessinstrumenteistdesWeiterendieStudievonOsleyund Morrison(2000)zunennen:Siehabenuntersucht,inwiefernindenInstrumentenvonOFSTED

,derSchulinspektioninEngland,derAbbauvonRassismusthematisiertwird:Demnachgebe eseinzelneIndikatoren,diesichauf(Anti-)Rassismusbeziehen.Dennochstelltendiebeiden Autorinnen fest, dass es an Indikatoren fehlen würde und empfahlen dem Bildungsministerium, dass das Thema bei OFSTED eine größere Rolle spielen müsste (vgl. ebd., S. 10). Des Weiteren zeigte sich in der Studie, dass die befragten Inspektor_innen angaben, dass es ihnen an Expertise fehlen würde, um (Anti-)Rassismus evaluieren zu können (vgl. ebd., S. 5).

Als weitere Studie ist die Untersuchung von Degenhardt (2008) zu Schulinspektionen in Deutschland zu nennen: Hierbei wurde untersucht, ob Inklusion/Integration als Begriffe in den Instrumenten der Schulinspektionen aufgeführt werden und ob die Situation von Schüler_in-nen mit Sehbeeinträchtigung durch die Messinstrumente in den Blick genommen wird. Hierbei zeigt sich, dass diese Gruppe von Schüler_innen nur in einem Fall (in Bezug auf Förderschulen inRheinland-Pfalz)indenInstrumentenexplizitgenanntwird(ebd.,S.24).Auchbeider Analyse,obundwiehäufigderBegriff„Inklusion“verwendetwird,stelltDegenhardtfest, dassdieserindenInstrumentenvon2007/2008nichtauftaucht.DemnachgibtDegenhardts

3 Im Rahmen der Recherche wurden auch kaum Untersuchungen zu diesem Aspekt für ausländische Schulinspektionen gefunden, jedoch sind hierzu nur begrenzt Aussagen möglich, weil zu erwarten ist, dass diese wahrscheinlich in der jeweiligen Landessprache veröffentlicht wurden.

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Arbeit erste wichtige Hinweise darauf, welche Relevanz dem Thema vor der Ratifizierung der

BRK beigemessen wird. In Bezug auf Inklusion fehlt es jedoch an einer tiefergehenden Analyse davon, was in den Schulinspektionen unter Inklusion verstanden wird, wenn sie den Begriff verwenden bzw. inwiefern möglicherweise Aspekte von Inklusion enthalten sind, ohne dass die Begriffe Integration/Inklusion als solche verwendet werden. Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Dabei erlaubt die Analyse der Instrumente, die nach 2009 entstanden sind, auch Aussagen darüber, inwiefern die BRK in den einzelnen Bundesländern implementiert wurde. In Anbetracht der oben dargestellten Untersuchungen lässt sich demnach festhalten, dass es in Bezug auf Schulinspektionen in Deutschland3 kaum Untersuchungen gibt, die sich mit der nor-mativenKomponentevonMessinstrumenten,d.h.dendahinterliegendenWertvorstellungen, auseinandersetzen.

3.5.4 Entwicklung der Messinstrumente

DarüberhinaushatsichdiebestehendeSchulinspektionsforschungkaummitderFrage beschäf-tigt,wiedieInstrumentederSchulinspektionenentstehen.NachBosetal.(2007)orientieren sichvieleSchulinspektionenbeiderEntwicklungderInstrumenteamAusland,z.B.anden Niederlanden.DarüberhinauswerdenForschungsergebnissezumgutenUnterricht berück-sichtigt(vgl.ebd.,S.249;sieheauchHeinrich2010,62f.).DabeiliegtderFokushäufigauf der Schuleffektivitätsforschung (vgl. Lambrecht 2018, S. 97 für Hamburg) und somit auf dem dort vorherrschenden Verständnis von guter Schule (nähere Ausführung → Kapitel 4).

Weitere Einflussfaktoren können unter anderem sein: „schulrechtliche Regelungen und Rah-menvorgaben (…), Erwartungen seitens der Gesellschaft und der Abnehmer der Schule (…), pädagogische Ziele und Orientierungen“ (Holtappels 2003, S. 41). In diesem Zusammen-hang kommentiert jedoch Böttcher: „Auch die Qualitätstableaus, die die Beobachtung und Datensammlung lenken, sind nur rhetorisch durch Verweise auf vermeintlich sichere Befunde der Schulforschung abgesichert“ (Böttcher 2009, S. 9). Bislang basieren jene Verweise in der Literatur, die Hinweise auf die Herkunft der Messinstrumente geben, nicht auf empirischen Untersuchungen, sondern können eher als Vermutungen bzw. anekdotische Evidenzen gelesen werden.EsfehltdemnachaneinersystematischenAnalysedavon,wiedieMessinstrumenteder SchulinspektionenentstandensindundwelcheRahmenbedingungeneineRollegespielthaben.

FürdieempirischeAnalysederMessinstrumentebietetessichantheoretischeArbeitenausder Bewertungssoziologiezuberücksichtigen,welcheimnächstenKapitelthematisiertwerden.

1 In der Literatur wird Indikator als Begriff häufig verwendet, um quantitative Größen zu erheben (vgl. Döbert 2009, S. 15). Dennoch wird in der Praxis z. B. beim Human Rights Monitoring sowohl auf quantitative als auch auf qualitative Indikatoren zurückgegriffen.

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