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Abgrenzung zu anderen Ansätzen

5 Sensemaking-Ansatz 7

5.2 Implementation von politischen Vorgaben

5.2.1 Abgrenzung zu anderen Ansätzen

Der Sensemaking-Ansatz wird in den letzten Jahren vermehrt in der Forschung zur Implemen-tation von politischen Vorgaben angewandt. Dabei bezieht sich der Begriff „politische Vorgabe“

unter anderem auf konkrete Gesetzesvorgaben, politische Maßnahmen, Rechtsverordnungen und Ähnliches.1 In Anlehnung an die von Weick (1995) beschriebenen Prozesse des Sensema-kings („creation“, „interpretation“ und „enactment“) finden bei der Deutung von politischen Vorgaben folgende Prozesse statt:

„Conceptualizing the problem of implementation in this way focuses attention on how implementing agents construct the meaning of a policy message and their own behavior, and how this process leads or does not lead to a change in how they view their own practice, potentially leading to changes in both understanding and behavior“ (Spillane et al. 2002, S. 392).

AngewandtaufdenGegenstandderArbeitbedeutetdies,dasssichdie Instrumenteentwick-ler_innen mit den folgenden Fragestellungen beschäftigen:

Creation: Welche Indikatoren bzw. „cues“ von Inklusion werden aufgegriffen, um Inklusion als politische Vorgabe greifbar und interpretierbar zu machen?

Interpretation: Welche möglichen Deutungen von Inklusion gibt es? Welche möglichen Formen der Messung von Inklusion gibt es?

Enactment: Was wird unter Inklusion verstanden? Was sind Instrumente zur Messung von Inklusion?

Verortung in der Implementationsforschung : Der Sensemaking-Ansatz ermöglicht durch seine sozialkonstruktivistische Perspektive aus mehreren Gründen eine Erweiterung zu anderen theoretischen Ansätzen aus der Implementationsforschung. So gehen viele Ansätze davon aus, dass lokale Akteure bei der Implementation von politischen Vorgaben sich dessen bewusst sind,welcheIntentionenhintereinerpolitischenVorgabestehenundwiesiedieseaufihrer Handlungsebeneumsetzenmüssen(vgl.Spillane2004,S.6).DemnachsindnurdreiSzenarien

bei der Deutung von politischen Vorgaben möglich: Erstens, lokale Akteure setzen die politische Vorgabe so um, wie sie intendiert ist. Zweitens, sie ignorieren die politische Vorgabe bewusst und werden nicht aktiv oder drittens, sie deuten diese nach ihren eigenen Interessen um und ignorieren die ursprüngliche Intention der politischen Vorgabe. Dagegen berücksichtigt der Sensemaking-Ansatz auch als Option, dass die Deutung der politischen Vorgabe von verschiedenen Rahmenbedingungen geprägt wird und dies zur Folge haben kann, dass diese von den lokalen Akteuren – unbewusst bzw. aus Unwissenheit – nicht so gedeutet wird, wie sie intendiert war. Dies kann zugleich implizieren, dass eine politische Vorgabe von Seiten der Instrumenteentwickler_innen konkretisiert oder neu gedeutet wird (vgl. Coburn 2001, S. 145) unddieInstrumenteentwickler_innenderSchulinspektionensomitselbstalsPolicymaker fungieren.

Spillaneetal.grenzensichdemnachvonAnsätzenwiedemRational-Choice-Ansatzab,wonach AkteuresichnurvonihreneigenenInteressenleitenlassen(vgl.Spillaneetal.2002,S.391).Des WeiterenkritisierensieauchinstitutionelleErklärungsansätze,diedenFokusaufstrukturelle BedingungenlegenunddabeiindividuelleEinflussfaktorenvernachlässigen.Demnachsieht der Sensemaking-Ansatz die Ursachen für bestimmte Deutungen in strukturellen Bedingun-gen, aber darüber hinaus können auch individuelle Attribute sowie informelle Settings, z. B.

Netzwerke, den Deutungsprozess prägen (vgl. ebd., S. 414). Ein Mehrwert des Ansatzes ist darüber hinaus, dass auch auf Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie zurückgegriffen wird, um Deutungsprozesse zu erklären. Dabei geht der Ansatz davon aus, dass die Implemen-tation einer politischen Vorgabe nicht isoliert von anderen Anforderungen geschieht, die an die deutende Person bzw. Organisation formuliert werden. Beispielsweise ist die Entwicklung von Messinstrumenten zu Inklusion eine von vielen Aufgaben der Instrumenteentwickler_innen.

Im Vergleich zu anderen Ansätzen distanziert sich der Sensemaking-Ansatz von einfachen Ursache-Wirkungs-Mechanismenundeswirdangenommen,dassDeutungsprozessekomplexer sindunddaherdieInteraktionzwischenverschiedenenRahmenbedingungenindenBlick genommenwerdenmuss.DesWeiterengibtderAnsatzHinweisedarauf,welche Rahmen-bedingungenbeiDeutungsprozessenvonRelevanzseinkönnten,abererlässtauchzu,dass inderempirischenAnalysebislangunbekannteBedingungenherausgearbeitetwerden.Dies hatzurFolge,dassderSensemaking-AnsatzdurcheinegroßeOffenheitgegenübermöglichen Rahmenbedingungen auf individueller oder struktureller Ebene gekennzeichnet ist. Hierbei wird zugleich ein Kritikpunkt am Sensemaking-Ansatz sichtbar: Auf die Frage danach, welche Rahmenbedingungen von Relevanz sind, kann der Ansatz als solcher nicht falsifiziert werden (nähere Ausführung folgt). Demnach kann der Sensemaking-Ansatz als Sozialtheorie bezeichnet werden, welche durch „empirische Forschung nicht falsifizierbar“ (Burzan und Hitzler 2017, S. 5) ist.

Theoretische Ansätze in der deutschsprachigen Bildungsforschung : In der deutschspra-chigen Bildungsforschung ist der Sensemaking-Ansatz eher unbekannt (z. B. Hartung-Beck und Diemer 2009; Zeitler et al. 2013; B. Koch 2011). So werden in den erziehungswissenschaftli-chen und soziologiserziehungswissenschaftli-chen Arbeiten im deutschsprachigen Raum bezogen auf die Implementation von politischen Vorgaben häufig der Rekontextualisierungsansatz von Fend (2006) oder der Neoinstitutionalismus-Ansatz (vgl. Scott 2008) angewandt.

Der Rekontextualisierungsansatz (z. B. Amrhein 2011; siehe auch Hummel 2016; Lambrecht 2013)stimmtmitdemSensemaking-Ansatzdarinüberein,dassnichtalles„wasvom Gemeinwe-senaufbildungspolitischerEbenegewolltist,aufunverfälschteWeisebeiLehrernundSchülern

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ankomme“(Fend2006,S.175).StattdessenwerdendieVorgabenaufdeneinzelnenEbenen desBildungssystems,z.B.BildungspolitikoderUnterrichtsebene,re-interpretiertundadaptiert (vgl.ebd.,S.174).„DieseAdaptionistnebendeninstitutionellenVorgabenvonreflexiven Prozessen der Selbst- und Fremdwahrnehmung, von Kompetenzen der Aufgabenerfüllung und von situativen Konstellationen beeinflusst“ (ebd., S. 175). Beim konkreten Prozess der Rekontextualisierung fehlt es bei Fend jedoch zum Teil an genaueren Angaben: Es gibt keine Hinweise, welche Prozesse auf individueller Ebene ablaufen. Darüber hinaus mangelt es an einer genauen Beschreibung des Settings, in dem die Rekontextualisierung stattfindet. Diese Aspekte werden bei dem Sensemaking-Ansatz expliziter herausgearbeitet und ermöglichen dadurch eine differenzierte Auseinandersetzung bei der empirischen Analyse von Daten.

Im Gegensatz zum Neoinstitutionalismus, der in der Inklusionsforschung u. a. von Blanck et al. (2013) angewandt wird, ermöglicht es der Sensemaking-Ansatz – wie bereits oben dargestellt – auch die individuelle Ebene, d. h. persönliche Wertvorstellungen und Erfahrungen, in den

Blickzunehmen.DemnachkanneszwischenIndividuenvariieren,welcheAspektederUmwelt fürrelevantangesehenwerden.InnerhalbderOrganisationsforschungkennzeichnetsichder Sensemaking-AnsatzdaherdurcheinekonstruktivistischeEpistemologie(vgl.Wetzel2001, S. 163).

5.2.2 „Distributed-Cognition‘‘-Ansatz

DerSensemaking-AnsatzwurdevonSpillaneetal.(2002)inBezugaufdieImplementationvon politischenVorgabenkonkretisiert.Nachdemvonihnenentwickelten „Distributed-Cognition‘‘-AnsatzkönnendieRahmenbedingungen,diedasSensemakingvonpolitischenVorgabenprägen, drei Elementen zugeordnet werden: den persönlichen Attributen des Sensemakers, dem situativen Kontext sowie der Repräsentation der politischen Vorgabe. Indem sie diese drei Elemente benennen, konkretisieren sie den von Weick eher allgemein gehaltenen Begriff des Referenzrahmens (→ Abb. 5.2). Im Folgenden werden diese näher beschrieben.

Persönliche Attribute

Situativer Kontext

Politische Vorgabe

Deutung von politischen Vorgaben

Abb. 5.2: Sensemaking von politischen Vorgaben

Element I: Persönliche Attribute des Sensemakers: Spillane et al. (2002) argumentieren, dass die individuellen Kenntnisse, Überzeugungen und Erfahrungen des Sensemakers Einfluss darauf haben, wie diese die politische Vorgabe implementieren (vgl. ebd., S. 388). Beispielsweise kann bei der Deutung die fachliche Expertise der jeweiligen Sensemaker relevant sein (vgl.

DeMatthews 2012). Des Weiteren spielen auch die Wertevorstellungen und Emotionen des Sensemakers eine Rolle (vgl. Spillane et al. 2002, S. 401). So argumentieren sie in Bezug auf den Bildungsbereich, dass viele Vorstellungen über Unterricht, Schule usw. stark normativ besetzt sind (vgl. ebd., S. 401) und somit nicht getrennt von den Wertvorstellungen des Sensemakers betrachtet werden können.

Element II: situativer Kontext : Als weiteres Element ist der situative Kontext zu nennen.

Dabei wird das Konzept des situativen Kontexts sehr weit gefasst:

„Situation or context is a multifaceted construct that includes everything from national and professional identities to the structures of the offices and organizations in which people work. Implementing agents encounter policy in a complex web of organizational structures, professional affiliations, social networks, and traditions“ (ebd., S. 404).

AlskonkreteFaktoreninBezugaufdensituativenKontextbenennensiebeispielsweise:

SettingderAuseinandersetzung:InwiefernhabendieAkteuredieMöglichkeit,sichüber die jeweilige Vorgabe auszutauschen und ihr Handeln abzustimmen (vgl. ebd., S. 408).

Fehlende Austauschmöglichkeiten können dazu führen, dass innerhalb einer Organisation unterschiedliche Verständnisse darüber existieren, wie die Vorgabe zu implementieren ist.

• Darüber hinaus können die (hierarchischen) Verhältnisse zwischen Mitarbeiter_innen des Netzwerks eine Rolle spielen (vgl. Spillane 2004; siehe auch Coburn 2006, S. 344).

• Ein weiteres Element kann sich auch aus dem sogenannten non-formalem Netzwerk (vgl.

Spillane et al. 2002, S. 409) ergeben. So können Akteure, die nicht formell in den Implemen-tationsprozess einbezogen werden, informell trotzdem den Deutungsprozess prägen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Kontakte zu bestimmten Lobbyverbänden bestehen (vgl. ebd., S. 409).

• AuchderhistorischeKontextkannunterandereminFormvonPfadabhängigkeitenrelevant sein.BeispielsweiseexistiertenbeidenSchulinspektionenbereitsMessinstrumente,bevor InklusionimöffentlichenDiskursimFallvonDeutschlandthematisiertwurde.Beider ImplementationvonInklusionkönntendemnachdiebereitsvorhandenenMessinstrumente prägendwirken.

• Aber auch die vorhandene Zeit, um eine Vorgabe zu implementieren, sowie die vorhandenen finanziellen Ressourcen können – neben anderen Faktoren – den Implementationsprozess prägen (vgl. Spillane 2004, S. 104).

• Als weiteren Faktor im Rahmen des situativen Kontexts nennen Spillane et al. die vorhande-nen Wertvorstellungen innerhalb einer Organisation (vgl. Spillane et al. 2002, S. 411).

Die fehlende Konkretisierung des situativen Kontexts hat den Vorteil hat, dass verschiedene Aspekte berücksichtigt werden können, zum Beispiel historische Pfadabhängigkeiten oder strukturelle Abhängigkeiten. Die fehlende Konkretisierung birgt jedoch auch die Gefahr, dass inderempirischenErhebungbestimmteAspekte verlorengehen,weilsienichtTeileines vorabgebildetenSuchrasterssindundsomitinderDatenerhebungnichtsichtbarwerden.Im

2 Im US-amerikanischen Kontext heißt das Spiel „telephone game“.

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Rahmen dieser Arbeit wird dieser Aspekt insofern berücksichtigt, als auf den Educational-Governance-Ansatz (→ Kapitel 3) und auf bewertungssoziologische Konzepte (→ Kapitel 4) zurückgegriffen wird. Sie erfüllen hier die Funktion einer sensibilisierenden Perspektive, durch die Rahmenbedingungen, die möglicherweise den Deutungsprozess geprägt haben, in der empirischen Analyse mitgedacht werden können.

Darüber hinaus ist beim Sensemaking-Ansatz zu beachten, dass nur begrenzt abstrakte Wissens-bestände, z. B. unterschiedliche Episteme, sichtbar werden (vgl. Sandberg und Tsoukas 2015).

Sie werden als naturgegeben angesehen und daher in empirischen Erhebungen selten explizit gemacht.

Element III: Politische Vorgabe : Als weiteres Element, welches das Sensemaking von poli-tischen Vorgaben prägt, ist die „politische Vorgabe“ zu nennen. Spillane et al. argumentieren, dass sich dieses Element nicht nur auf konkrete Vorgaben z. B. Gesetze, sondern auch auf deren Rezeption durch andere bezieht, wie „verbal and written media, including regulations, directives,legislation,workshops,andpamphletesofvarioussorts“(Spillaneetal.2002,S.414;

sieheauchSpillane2004,S.174).Dabeikannessein,dassdieseRezeptionenbereitsErgebnisse vonanderenSensemaking-ProzessendarstellenunddieursprünglicheIntentionderpolitischen Vorgabebereitsverlorengegangenist(vgl.ebd.,S.176).Spillane(2004)verweistindiesem ZusammenhangaufdasKinderspiel„StillePost“2:HierbeiwirdeineNachrichtflüsterndvon KindzuKindweitergegeben.ImLaufederZeitverändertsichhäufigderInhaltderNachricht bzw. Teilinformationen gehen verloren. Dies kann auch der Fall sein, wenn eine politische Vorgabe innerhalb des Bildungssystems weitergegeben bzw. kommuniziert wird.

Für die politische Vorgabe ist auch von Relevanz, welche Anforderungen an das System bzw.

an die betroffenen Akteure formuliert werden. So kann es sein, dass eine politische Vorgabe nur kleine Veränderungen abverlangt. Eine politische Vorgabe kann jedoch auch einen Pa-radigmenwechsel implizieren, welcher zur Folge hätte, dass von den betroffenen Akteuren erwartet wird, dass sie sich von bestehenden Annahmen und Handlungsmustern verabschieden müssen. Demnach müsste der eigene Referenzrahmen kritisch hinterfragt und angepasst werden (vgl. Spillane et al. 2002, S. 415). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass hinter einer politischen VorgabezwardieIntentionstehenkann,großeVeränderungenauszulösen,aberSensemaker häufigdazuneigen,anbestehendenWissensbeständenundAnnahmenfesthalten.Dieskann implizieren,dassdiedeutendenPersonenbeimSensemakingdazutendieren,politische Vorga-bensozuinterpretieren,dasssieinihrenbestehendenReferenzrahmenpassenbzw.nurgeringe Veränderungenbeinhalten(vgl.Spillane2004,S.78).

BeiempirischenErhebungenistnichtnurzuberücksichtigen,wiediepolitischeVorgabevom Sensemaker rezipiert wird, sondern auch, wie sie ursprünglich intendiert war. Die Auseinan-dersetzung mit der ursprünglichen Intention einer politischen Vorgabe ist notwendig, um die jeweilige Implementation durch die lokalen Akteure einordnen zu können. Spillane betont, dass beide Perspektiven betrachtet werden müssen (vgl. ebd., S. 175): Der alleinige Fokus auf Sensemaker könnte implizieren, dass die Implementation einer politischen Vorgabe ein Erfolg sei. Beispielsweise, weil sich die Akteure sehr bemüht haben, allen Interessen gerecht zu werden. Erst durch die Frage, was durch die Policy-Ebene überhaupt intendiert wurde, lassen sich Aussagen darüber treffen, ob das, was intendiert war, auch auf anderen Ebenen des Bildungssystems umgesetzt wurde. Angewandt auf den Gegenstand der Arbeit heißt dies, dassauchuntersuchtwerdenmuss,obInklusionalspolitischeVorgabesogedeutetwurde,

wie es intendiert war. Dies ist in dieser Arbeit nur begrenzt leistbar, weil es nicht um die Implementation eines konkreten Gesetzes geht, sondern Inklusion wird als Konzept verstanden, welches in verschiedenen Konventionen verankert ist. So gibt es keinen Konsens darüber, was mit Inklusion als politische Vorgabe intendiert ist. Daher dient das Verständnis von Inklusion, welches im Inklusionskapitel (→ Abschnitt 2.2) herausgearbeitet wurde, als Vergleichsfolie.

5.2.3 Zwischenfazit

Durch den Sensemaking-Ansatz ist es möglich, Deutungen von politischen Vorgaben und deren Implementation in der Praxis zu analysieren und dabei herauszuarbeiten, welche Rahmenbe-dingungen den Deutungsprozess geprägt haben. Dabei steht die Interaktion zwischen dem Referenzrahmen und der politischen Vorgabe im Mittelpunkt der Analyse. In Hinblick auf den Referenzrahmen haben Spillane et al. verschiedene Elemente herausgearbeitet: persönliche Attribute des jeweiligen Sensemakers, den situativen Kontext sowie die politische Vorgabe.

DieseElementestellenabstrakteBeschreibungendar.Darananknüpfendzieltdieempirische Analysedaraufabherauszuarbeiten,welcheAspekteinBezugaufdieeinzelnenElementevon Relevanzsind.DieskönnenbeispielsweiseimFallder„persönlichenAttribute“bestimmte Wert-überzeugungenseinoderimFalldes„situativenKontexts“konkreteAkteureoderbestehende Strukturen.DieseAspektewerdenimFolgendenals„Rahmenbedingungen“bezeichnet.Von diesen Rahmenbedingungen können in Bezug auf die Deutung der politischen Vorgabe unter-schiedliche Impulse ausgehen. Des Weiteren kann es sein, dass in zwei Bundesländern ähnliche Rahmenbedingungen von Relevanz sind, z. B. das Kultusministerium als Akteur, aber von den jeweiligen Ministerien unterschiedliche Impulse ausgehen. Die Rahmenbedingungen bzw.

die sich daraus ergebenden Impulse ermöglichen es zu verstehen, wie es zu unterschiedlichen Deutungen kommt bzw. wieso es einzelfallübergreifend Überschneidungen gibt.

Bezüglich der stattfindenden Mechanismen ist zu berücksichtigen: Auf der Grundlage des Sensemaking-Ansatzes können Handlungen nicht durch Ursache-Wirkungs-Mechanismen erklärt werden, sondern die Sensemaker nehmen die jeweiligen Rahmenbedingungen als etwas wahr, dem sie sich nicht entziehen können (vgl. Spillane et al. 2002). Demnach widerspricht es denAnnahmendesSensemaking-Ansatzes,konkreteMechanismen,wieRahmenbedingungX undYlöstenDeutungZaus,herauszuarbeiten.Weicketal.versuchendiesdeutlichzumachen, indemsiezwischen„interpretation“und„choice“unterscheiden:ImFallvonSensemakinghat diedeutendePersonnichtdenEindruck,dasseineWahlmöglichkeit(=choice)vorhandenist, sondernindemSettingerscheintdiejeweiligeInterpretationfürdenSensemakerkohärent(vgl.

Weick et al. 2005, 409f ).

Im Rahmen des Kapitels wurden bereits diverse Kritikpunkte des Ansatzes thematisiert, z. B.

die fehlende Konkretisierung des situativen Kontexts, vage Beschreibungen der Beziehungen zwischen den Rahmenbedingungen sowie die Herausforderung bei der Berücksichtigung von temporalen Aspekten im empirischen Design. Weitere Kritikpunkte, die sich im Rahmen der empirischen Erhebung und Auswertung herauskristallisierten, werden im folgenden Kapitel sowie im Diskussionskapitel thematisiert.

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