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3 Schulinspektionen in Deutschland 4

3.3 Schulinspektionen im Bildungssystem

3.3.3 Funktionen der Schulinspektion

InderwissenschaftlichenLiteraturgibteseineVielzahlvonFunktionen,dieSchulinspektionen zugeschriebenwerden(vgl.Landwehr2011;Maritzen2008;füreinenÜberblicksieheHeinrich etal.2014).NachDederingkönnendieunterschiedlichenFunktioneneinem„übergeordneten Zielzugeordnetwerden:derBeförderungeinerbesserenSchuleimSinnederSteigerungder Qualität“(Dedering2012,S.70).ZurDarstellungdereinzelnenFunktionenwirdim Folgen-denaufdasModellvonLandwehrzurückgegriffen,dadiesernäheraufdieAbhängigkeitenund mögliche Wirkungen der einzelnen Funktionen eingeht. Nach Landwehr werden Schulinspek-tionen vier FunkSchulinspek-tionen zugeschrieben: Wissensgenerierung, Entwicklungsfunktion, Kontroll-bzw. Rechenschaftslegungsfunktion sowie Normendurchsetzung (vgl. Landwehr 2011).

Wissensgenerierung: Als Funktion von Schulinspektionen benennt Landwehr die Wissens-generierung: So erhalten die Schulen datengestütztes Wissen über den Qualitätszustand der eigenen Schule (vgl. Landwehr 2011, S. 39). Der Prozess der Wissensgenerierung dient als Grundlage für weitere Funktionen von Schulinspektionen. Landwehr argumentiert , dass es insofern eine eigenständige Funktion sei, da es den Schulen hilft „den Ist-Zustand besser zu verstehen und bestimmte Problemlagen künftiger fundierter zu thematisieren“ (ebd., S. 39). In diesem Zusammenhang würde es seines Erachtens zu kurz greifen, wenn es nur als relevante Wirkung angesehen werden würde, wenn Schulen für sie bislang unbekanntes Wissen erhielten.

In der Praxis würde sich zeigen, dass viele Problemstellungen bzw. auch Stärken den Schulen bereitsbekanntseien.DieentscheidendeWirkungjenerFunktionsei,dasseszueiner „Offi-zialisierungeinerProblemwahrnehmung“(ebd.,S.44)kommenwürde.DasWissenüberdie QualitätderSchulebekommtdemnach–unabhängigdavon,obesbereitsbekanntistoder nicht–durchdieSchulinspektioneinenanderenStatus.DieseFunktionistinBezugaufdie ArbeitvonbesondererRelevanz,daeshierdarumgeht,welcheFormvonWissenerfasstwird undwieeszudenEntscheidungendarüberkommt,welchesWissenvonRelevanzist.

Impulsfunktion: AlszweiteFunktionvonSchulinspektionenbenenntLandwehr(2011)die sogenannte„Entwicklungsfunktion“.DiesebasiertaufderIdee,dassdieDatender Schulin-spektion„wirksameImpulse[…]fürdieWeiterentwicklungderSchuleundfürdie Qualitäts-optimierungderinstitutionellenRahmenbedingungen,derProzesseundderdamiterzielten Ergebnisse“ (ebd., S. 48) geben. Damit geht die Hoffnung einher, dass Schulinspektionen durch ihr Handeln nicht nur Informationen über die Schulqualität bieten, sondern auch Handlungsprozesse bei Schulen initiieren (vgl. Dietrich und Lambrecht 2012).

Im Folgenden wird diese Funktion als „Impulsfunktion“ bezeichnet. Dies lässt sich damit begründen, dass der Begriff der „Entwicklung“ irreführend ist: So können auch durch die Kontrollfunktion der Schulinspektion Entwicklungsprozesse bei Schulen ausgelöst werden, aber hierbei wird von einem anderen Steuerungskonzept ausgegangen: So entspricht das Ent-wicklungsverständnis der Impulsfunktion „dem Paradigma der selbstgesteuerten Organisations-und Praxisentwicklung, wie sie im Bottom-Up-Ansatz der Organisationsentwicklung postu-liertwird“(Landwehr2011,S.58).DemnachbasiertdieImpulsfunktionaufderIdee,dass

„SteuerungdurchEinsicht“(vgl.Böttger-BeerundE.Koch2008;sieheauchDietrich2016) funktionierenwürde.WohingegendasEntwicklungsverständnisderKontrollfunktion(nähere Ausführungfolgt)„demParadigmaderhierarchischgesteuertenEntwicklung“(Landwehr2011, S.58)entspricht.DanachsollenSchulendazuangeleitetwerden,Schulentwicklungsprozesse zuinitiierenundzurealisieren.

In diesem Zusammenhang weist Heinrich auf den Widerspruch hin, der sich daraus ergibt, dass die Schulen in fast allen Bundesländern verpflichtet sind an der Schulinspektion teilzunehmen:

Er spricht hier von einem „performativen Selbstwiderspruch, in den sich eine Bildungspolitik begibt, wenn sie versucht eine evidence-based policy per Erlassweg durchzusetzen, d. h. mit dem Oxymoron einer <verordneten Einsicht> operiert“ (Heinrich 2015, S. 786). Dieser Widerspruch lässt sich dadurch erklären, dass den Schulinspektionen im Bildungssystem diverse Funktionen zugeschrieben werden. So ergibt sich aus der Kontrollfunktion, die im Folgenden dargestellt wird, die Notwendigkeit, dass alle Schulen evaluiert werden müssen.

Kontroll- bzw. Rechenschaftslegungsfunktion: Als dritte Funktion von Inspektionen be-schreibt Landwehr (2011) die Kontroll- bzw. Rechenschaftslegungsfunktion. Während die

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Impulsfunktion auf der Annahme basiert, dass es immer Anlässe zur Optimierung gibt, entsteht nach Power die Notwendigkeit etwas zu kontrollieren, wenn Misstrauen existiert (vgl. Power 1997, S. 1).

In Bezug auf die Kontroll- bzw. Rechenschaftslegungsfunktion steht im deutschen Fall die Interaktion zwischen „oben“, d. h. dem Kultusministerium“ und „unten“, der Schule, im Mittelpunkt. Welche Perspektive auf diese Interaktion eingenommen wird, unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, ob von der Kontroll- oder der Rechenschaftslegungsfunktion gesprochen wird. Ausgehend von der Kontrollfunktion wird „von oben“ sichergestellt, dass die Einzelschule die an sie formulierten Erwartungen erfüllt. Bei der Rechenschaftslegungsfunktion ändert sich insoferndiePerspektive,alsdieSchulegegenüber„oben“VerantwortungfürdaseigeneHandeln übernimmt,InformationenzurQualität liefertunddas eigeneHandelnrechtfertigt. Des WeiterenkanndieRechenschaftslegungsfunktionauchsointerpretiertwerden,dassgegenüber

„außen“,z.B.derinteressiertenÖffentlichkeit,einEinblickindaseigeneHandelngegeben wird(vgl. Landwehr2011,S.40).

IndiesemZusammenhangistzuberücksichtigen,dassdieBerichtederdeutschen Schulin-spektionen jedoch nur begrenzt für „außen“ zugänglich sind. Hierzu bemerkt Biesta (2010, S. 40), dass das stärkere Streben nach Accountability bzw. Rechenschaftslegung von vielen mit der Idee verknüpft wird, dass in einem demokratischen Staat die Bevölkerung als relevanter Akteur involviert sein müsste. Dies ist in der Praxis häufig jedoch nicht der Fall. Wie bereits oben erwähnt, werden die Inspektionsberichte nur in drei Bundesländern der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ansonsten geht es primär darum, dass die Schulen gegen-über dem Kultusministerium sowie den Schulträgern Rechenschaft gegen-über ihr Handeln ablegen.

Dabei bleibt es jedoch der Schulinspektion überlassen zu entscheiden, worüber Rechenschaft abgelegt werden muss.

ImVergleichzurImpulsfunktionäußertLandwehrdieThese,dassdieKontrollfunktion„die wichtigereExistenzberechtigung“ (Landwehr2011,S. 58)fürSchulinspektionendarstellt.

SokönntenEntwicklungsprozessenichtnurdurchImpulsevonSeitender Schulinspektio-nen,sondernauchdurchinterneEvaluationenangestoßenwerden.Dagegen„brauchteine öffentlich-rechtlicheInstitutionFormenderRechenschaftslegung,dieeinemdifferenzierteren QualitätsverständnisunddenGlaubwürdigkeitsansprücheneineraufgeklärtenGesellschaft standhalten“ (ebd., S. 58). Demnach kann die Impulsfunktion auch durch andere Verfahren erreicht werden, wogegen die Kontrollfunktion auf der Grundlage von empirischen Daten ein Alleinstellungsmerkmal der Schulinspektionen darstellt. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass sich Schulinspektionen in den letzten Jahren in ihren Verfahrensschritten stärker an der Impulsfunktion orientiert haben und sich zugleich von der Kontrollfunktion distanziert haben.

Jene Tendenz ergab sich nach Heinrich aus der <Krise der Schulinspektion>:

„Diese speist sich vornehmlich aus der Skepsis, inwieweit Schulinspektionen den Steuerungserwartun-gen der evidenzbasierten Schulentwicklung gerecht werden, die ihnen im Rahmen des Governance-Programms einer evidenzbasierten Steuerung zugeschrieben werden“ (Heinrich et al. 2014, S. 43).

Normen(durch)setzungsfunktion: Diese Funktion basiert auf der Idee, dass sich die Schu-len in Vorbereitung auf die anstehende Inspektion mit den Instrumenten auseinandersetzen und durch die Instrumente „Aufmerksamkeitsverschiebungen“ (vgl. Landwehr 2011, S. 60) stattfinden. In der Beschäftigung mit den Instrumenten erfahren die Schulen, was die Schul-inspektionen unter einer guten Schule verstehen und welche Anforderungen von Seiten der Kultusministerien an sie formuliert werden. Im nächsten Schritt können sie reflektieren,

in-wiefern sie diese Anforderungen erfüllen. Die Schulinspektion ist demnach ein Instrument, um Normen zu kommunizieren, diese bei den Schulen zu verankern und durch die Inspektion auch deren Einhaltung einzufordern (vgl. Landwehr 2011, S. 40).

Jene Funktion spielt in der Literatur zu Schulinspektionen kaum eine Rolle (vgl. ebd., S. 60;

nähere Ausführung siehe Lambrecht 2018). Demnach gibt es kaum Informationen darüber, ob die Normendurchsetzung nachhaltig wirksam ist. Hierbei stellt sich auch die Frage, ob die Schulinspektionen überhaupt überprüfen, inwiefern es zwischen den Inspektionszyklen zu Veränderungen bei den Einzelschulen gekommen ist (ausführliche Diskussion → Kapitel 8).

In Bezug auf diese Arbeit ist die Funktion der Normendurchsetzung insofern von Relevanz, als esinderArbeitdarumgeht,welchenormativenErwartungenanSchuleformuliertwerden unddarananknüpfend,welchesWissenhierfürimRahmender Wissensgenerierungsfunkti-onerhobenwird.IndiesemZusammenhanglässtsichdasFunktionenmodellvonLandwehr nocherweitern,dadieSchulinspektionennichtnurbestimmteNormendurchsetzen,sondern auchnormsetzendagieren,indemsieInstrumentezurMessungvonSchulqualitätselbst entwi-ckeln.DemnachsetzenSchulinspektionennichtnurbildungspolitischeVorgaben„vonoben“

um, sondern fungieren selbst als Policymaker, indem sie diese konkretisieren und inhaltlich ausfüllen.

Funktionenmix: Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass Inspektionen diverse Funktionen zugeschrieben werden. Maritzen (2006, S. 6) spricht daher von einem Funktionenmix, der sich dadurch kennzeichnet, dass die einzelnen Funktionen sich zum Teil gegenseitig bedingen und andere nur begrenzt miteinander kompatibel sind.

Wissensgewinnung

Schulentwicklung / Impulsfunktion

Rechenschaftslegung / Kontrollfunktion

Normen(durch)setzung

Abb. 3.1: Wirkungsbereiche der externen Schulevaluation (basierend auf Landwehr 2011)

DiebestehendenAbhängigkeitenzwischendeneinzelnenFunktionenhatLandwehr(2011)in einemModellvisualisiert(sieheAbbildung3.1):BeispielsweisedientdatengestütztesWissenzur SchulqualitätalsGrundlage,umdieKontrollfunktionbzw.dieImpulsfunktionzuermöglichen.

InErgänzunganLandwehrsModelllässtsichfesthalten,dasssichnichtnurdieFunktionder Wissensgenerierung auf die Normendurchsetzung auswirkt. Auch die Entscheidung darüber, welches Wissen generiert wird, ist davon abhängig, welche Normen durchgesetzt werden sollen.

Darüber hinaus kann sich auch die Impuls- sowie die Kontrollfunktion darauf auswirken, welches Wissen erhoben wird. Wenn beispielsweise im Rahmen der Kontrollfunktion überprüft werden soll, inwiefern bestimmte rechtliche Vorgaben eingehalten werden, spiegelt sich dies auch darin wider, welcher Wissensbedarf bzw. welche Anforderungen an die Schulen formuliert werden.

Darüber hinaus ist in der Darstellung der einzelnen Funktionen sichtbar geworden, dass zwischen den Funktionen auch Spannungsfelder existieren, z. B. ergibt sich aus der

Kontroll-Zwischenfazit 53

funktion die Verpflichtung die Qualität von allen Schulen zu überprüfen. Dies ist jedoch aus der Perspektive der Impulsfunktion widersprüchlich zu dem Konzept „Steuerung durch Einsicht“. So geht dieses Steuerungskonzept davon, dass sich Inspektion und schulische Ver-treter auf Augenhöhe begegnen (vgl. Dietrich und Lambrecht 2012). Dagegen impliziert die Kontrollfunktion ein hierarchisches Verhältnis zwischen den beiden Akteuren. In Bezug auf jene Funktionen nach Landwehr ist zu berücksichtigen, dass diese den Schulinspektionen in der Theorie zugeschrieben werden. Demnach kann es sein, dass es zwischen den Bundesländern bzw. zwischen einzelnen Mitarbeiter_innen von Schulinspektionen variiert, welche Funktionen für relevant erachtet werden und wie diese umgesetzt werden. Des Weiteren kann es auch Unterschiededaringeben,wiedieSchulinspektionvonSeitenderschulischenVertreter wahrge-nommenwerden.DieGewichtungdereinzelnenFunktionenwirdinderempirischenAnalyse (→ Kapitel8)thematisiert,dadiesauchEinflussdaraufhat,wieInklusiongemessenwird.

3.4 Zwischenfazit

In Bezug auf die aktuell existierenden Schulinspektionen in Deutschland lässt sich Folgendes festhalten: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Bildungssystem verschiedene Funktionen erfüllensollen,z.B.Kontroll- undImpulsfunktion.BeiderGenerierungvonDatenorientieren siesichanempirischenMethodenderSozialforschung.InnerhalbderöffentlichenVerwaltung werdensiealsintermediärerAkteurbeschrieben,dermithilfevonempirischerDatenerhebung– alsErgänzungzurSchulaufsicht–fürdieSicherungvonQualitätaufEinzelschulebenezuständig ist.

Die Schulinspektionen in den einzelnen Bundesländern unterscheiden sich in Bezug auf ein-zelne Verfahrensschritte und in den Messinstrumenten, die für die Datenerhebung genutzt werden. Des Weiteren ist noch zu berücksichtigen, dass viele Schulinspektionen in den letzten Jahren bereits wieder abgeschafft wurden (Hessen in 2016, Rheinland-Pfalz in 2015) oder pausieren bzw. ausgesetzt sind (Sachsen seit 2015; Thüringen seit 2015; Bayern seit 2018; Baden-Württemberg seit 2017; Schleswig-Holstein von 2009–2016). Dabei wird die Abschaffung der Schulinspektionen unter anderem damit begründet, dass Kosten eingespart werden müssten (z. B. in Rheinland-Pfalz, siehe Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur, Rheinland-Pfalz 2015) oder im Fall von Bayern auch mit Lehrkräftemangel (GEW Bayern 2018). Des Weiteren gab es verschiedene Studien (nähere Ausführung → Abschnitt 3.5 in die-semKapitel),dieherausgefundenhaben,dassSchulinspektionennureinegeringeWirkungauf dieQualitätsentwicklungvonSchulenhätten.AuchdieshatdenöffentlichenDiskursgeprägt unddieAbschaffungvonSchulinspektionenbeeinflusst.ImFolgendenwirdimRahmendes ForschungsstandsunteranderemaufdieseStudienzurWirkungvonSchulinspektionennäher eingegangen.