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Frau Elsner als Vertreterin von Typ I

8 Entwicklung von Messinstrumenten zu Inklusion 145

8.3 Sensemaking von einzelnen Fällen

8.3.1 Frau Elsner als Vertreterin von Typ I

Typ I „Inklusion als Anspruch auf Förderung“: Danach wird Inklusion als gemeinsamer Unterricht von Schüler_innen mit und ohne diagnostizierter Behinderung verstanden. Bei den Schulinspektionen besteht Handlungsbedarf, da diese sicherstellen sollen, ob Schüler_innen mit diagnostizierter Behinderung die Unterstützung erhalten, die sie auch an Förderschulen erhalten haben.

Frau Elsner3 arbeitete jahrelang als Sonderpädagogin. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrkraft war sie zusätzlich als Fortbildnerin zuständig und hat sich in diesem Zusammenhang auch mit schulrechtlichenFragestellungenauseinandergesetzt.InihrerTätigkeitbeiderInspektionfühlt siesichprimärfürdasThemaInklusionverantwortlichbzw.wirdihrdieserAufgabenbereich vonihrenKolleg_innenzugeschrieben.

FürdieEntwicklungvonInstrumentenhatsiesichzuBeginnsehrintensivmitdem„Index fürInklusion“auseinandergesetzt.DarausentstanddieIdeeeigeneIndikatorenzuentwickeln, die angelehnt an den Index die Dimensionen „Haltung“; „organisatorischer Rahmen“ sowie

„unterrichtliche Praxis“ abbilden (zum Vergleich: „Kulturen“, „Strukturen“ und „Praktiken“

im „Index für Inklusion“). Dabei stand die Situation einzelner Schülergruppen zunächst nicht im Vordergrund. Stattdessen ging es darum, ob Schulen realisiert haben, dass die Umsetzung von Inklusion ein Umdenken erfordert, dass sich in vielen Bereichen des schulischen Lebens widerspiegelt, z. B. individuelle Differenzierung im Unterricht. Bei der konkreten Formulierung von Instrumenten konnte Frau Elsner neben dem „Index für Inklusion“ ihre Expertise als Sonderpädagogin einbringen. So macht sie im Rahmen des Interviews am Beispiel der Differen-zierung deutlich, dass sie als Sonderpädagogin – im Vergleich zu Regelschullehrkräften – über mehr Erfahrung in diesem Bereich verfügt und daher auch höhere Anforerungen gegenüber Schulenformuliert.

WährenddesEntwicklungsprozessesderInstrumentekamsievonihremerstenEntwurfab:

„DakriegtdieseInklusionsoeinGewichtundeigentlichwäreInklusionjaambesten,manmerkts nicht“.SohätteihrersterEntwurfdenSchulendeutlichsignalisiert,inwelchemAusmaßein UmdenkenbezüglichinklusiverHaltungenerforderlichist.Dieshättedazuführenkönnen, dass die Schulen sich abwehrend gegenüber den Instrumenten zu Inklusion positionieren.

Gleichwohl thematisiert sie im Laufe des Interviews immer wieder, dass sie die Schulen als Akteure wahrnimmt, die zum großen Teil noch nicht verstanden hätten, welche Implikatio-nen mit der Umsetzung von Inklusion einhergehen: „Wie sich das entwickelt und ich glaube, was generell auch noch so ne Schwierigkeit ist, dass wir da Erwartungen haben und die Schulen haben teilweise - glaube ich - noch garnicht richtig erkannt, dass dies letztendlich ihre Aufgabe ist“. Demnach ist es ihr Anliegen Schulen in Bewegung zu bringen, aber Abwehrreaktionen zu vermeiden, indem sie deren fehlende Erfahrung zu Inklusion bei der Formulierung von Instrumenten berücksichtigt: „Ich glaube, weil das schon bei uns war – gemessen auch in anderen Bundesländern – [Nennung des Bundeslandes] so ein bisschen hinterher hinkte“. „Aber irgendwann wurdedannaberklar.Dasistirgendwiezugroß“.EineweitereHerausforderungwar,dasseine OrientierunganbundesländerspezifischenRechtsvorgabenbzw.einerechtlicheLegitimation nichtmöglichwar,weildieAnpassungendesSchulgesetzeszeitgleichzudenVeränderungen derBewertungsinstrumentestattfanden.

DarüberhinauswardieFragevonRelevanz,wiedieInstrumentezuInklusionindas Instrumen-tenset integriert werden sollten. So sah sie zu Beginn der Auseinandersetzung die Instrumente

zu Inklusion als Add-on an und innerhalb ihrer Schulinspektion stand zur Debatte, ob den Schulen freigestellt wird, ob sie in diesem Bereich evaluiert werden möchten. Jedoch kamen sie und ihre Kolleg_innen im Laufe der Zeit von diesem Vorgehen ab: So zeichnete sich bil-dungspolitisch ab, dass sich die Schulen der Umsetzung von Inklusion nicht mehr entziehen konnten: „Ich glaube dann wäre es komisch, wenn wir das als extra Merkmal hätten abgefragt “.

Demnach distanzierte sie sich von der Idee die Instrumente zu Inklusion als einen (optionalen) Zusatzbereich hinzuzufügen.

Die geringe Erfahrung der Schulen, bildungspolitische Entwicklungen im Bundesland sowie die fehlende rechtliche Legitimation führten daher zu einer neuen Herangehensweise bei der EntwicklungvonInstrumentenzuInklusion:ErstenswurdedieAnzahlder inklusionsorien-tiertenInstrumentenreduziert.DiesestellteninnerhalbdesInstrumentensetskeineneigenen BereichmehrdarundeswurdefürdiejenigenSchulen,dieSchüler_innenmitdiagnostizierter Behinderungbeschulen,verpflichtend.DabeilagderneueFokusdarauf,dassSchüler_innen mitBehinderunganderRegelschulediegleicheUnterstützungerhaltensollen,diesieaufder Förderschuleerhaltenhaben:„InklusionohneFrage.AbergroßesFragezeichenfür- glaubeich -alle Sonderpädagogen: <Kriegen die Schüler in der Inklusion das, was sie brauchen? >“. Frau Elsner bezeichnet das neue Vorgehen als sonderpädagogischen Weg, da es nun primär um die Situation von Schüler_innen mit Behinderung und deren Anspruch auf besondere Unterstützung geht.

So konnte sie sich mit diesem Vorgehen als Sonderpädagogin insofern identifizieren, als sie durch ihre berufliche Ausrichtung einen besonderen Bezug zu dieser Schülergruppe hat.

Trotzdem weist dieses enge Verständnis von Inklusion von ihrem Verständnis ab: Sie macht deutlich, dass sie unter Inklusion eigentlich den Umgang mit heterogenen Lerngruppen versteht.

Auch wenn in den Instrumenten der Inklusionsbegriff anders verwendet wird, hat sie den Eindruck, dass ihr Verständnis von Inklusion als Erwartung im gesamten Instrumentenset bereitsunterdemKonzept„UmgangmitHeterogenität“berücksichtigtist.Darüberhinaus kannsiesichmitdemFokusaufbestimmteMindeststandardsgutidentifizieren:„Alsoichbin jetzt- obwohlichvorheraufdiesemganzganzGroßenundirgendwieauch- ja- dasschonauch tollgefundenhätte- binichGottfroh,dasswirdaganzweggekommensind“.Durchdasneue Vorgehenistnunsichergestellt,dassdieSchüler_innen,diesiefrüherunterrichtethat,weiterhin dieUnterstützungerhalten,diesiebenötigen.IhrePositionistnunauchkohärentmitden Signalen, die die Schulinspektion aus dem Kultusministerium erhalten hat. Dort wird ein enger Inklusionsbegriff vertreten.

Zusammenfassend wirkt es so, als wenn Frau Elsner zu Beginn des Sensemakings zwischen Typ III „Inklusion als Beschreibung von guter Schule“ und Typ I „Inklusion als Anspruch auf Förderung“ verortet werden kann (→ Abschnitt 7.3). Als die Entwicklung von Instrumenten konkreter wird, bewegt sie sich stärker zu einem Verständnis, das durch Typ I repräsentiert wird. Dies hat mehrere Gründe: Erstens hat sie den Eindruck, dass die Berücksichtigung von weiteren Differenzlinien in den Instrumenten mit dem Konzept „Umgang mit Heterogenität“

abgedeckt ist. Demnach taucht der weite Inklusionsbegriff für sie in den Instrumenten ihres Bundeslandsauf,aberwirdnichtals„Inklusion“bezeichnet.Zweitenserhofftsiesich,dass durchdenFokusaufSchüler_innenmitdiagnostizierterBehinderungundaufeineniedrigere AnzahlvonInstrumentenvonSeitenderSchulenwenigerWiderstandentsteht.Wenndie InstrumentefürdieSchulenmachbarerscheinen,könntediesdazuführen,dasssieinHinblick aufdieUmsetzungvonInklusionaktivwerden.

BeiFrauElsnerwerdenaufderEbene„persönlicheAttribute“ihreErfahrungals Sonderpädago-gin sowie ein Verständnis von guter Schule, wonach im schulischen Setting niemand verloren

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gehen sollte, sichtbar. Des Weiteren versteht sie sich selbst als jemand, der dabei mitwirken möchte, dass die Umsetzung von Inklusion im eigenen Bundesland weiter vorangetrieben wird.

Zwischen ihr und ihren Kolleg_innen fanden darüber hinaus Aushandlungsprozesse statt, die von den Signalen durch das Kultusministerium und schulischen Vertretern geprägt waren. Der Fokus auf Schüler_innen mit diagnostizierter Behinderung in den finalen Instrumenten stellt für sie einen Kompromiss dar, der die Situation im jeweiligen Bundesland repräsentiert. Dieser kam zustande, als im Laufe der Zeit die Signale aus dem Kultusministerium, die antizipierten

Tab.8.2:SensemakingbeiFrauElsner

Situativer Kontext Forschung Die Dimensionen „Kulturen, Strukturen und Praktiken“ des Index‘ für Inklusion.

Funktion Kontrollfunktion legt Formulierung von Mindeststandards nahe.

Schulische Vertreter Überforderung der Schulen soll vermieden werden

Kultusministerium Verwendung eines engen Inklusionsbegriffs, keine Signale in Bezug auf konkrete Anforderung

AlleSchulenmüssensichmitderUmsetzung vonInklusionauseinandersetzen.

Waren zum Zeitpunkt der Entwicklung der Instrumente noch nicht vorhanden.

Reaktionen von Schulen sowie die Erfahrungen der Schulen mit der Umsetzung von Inklusion stärker berücksichtigt wurden.