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Relevante Impulse beim Sensemaking

8 Entwicklung von Messinstrumenten zu Inklusion 145

8.2 Relevante Impulse beim Sensemaking

Im Folgenden werden verschiedene Ergebnisse des Sensemakings zu Inklusion bzw. zu den Bewertungsinstrumenten zu Inklusion thematisiert und dabei wird dargestellt, welche Rah-menbedingungen in Bezug auf diese Teilaspekte prägend wirkten. Es werden nun also die Ergebnisse aus dem ersten Teil der Analyse, den Deutungen von Inklusion (→ Kapitel 7), mit den bisherigen Ergebnissen zum Sensemaking (→ Abschnitt 8.1) miteinander verknüpft.

8.2.1 Sensemaking von Teilaspekten von Inklusion

Die Entwicklung von Instrumenten in Bezug auf Inklusion wurde in den einzelnen Bundes-ländern unter anderem durch Signale der Kultusministerien, schulgesetzliche Veränderungen sowie stattfindende Debatten in der Öffentlichkeit initiiert. Dabei wird bei der inhaltlichen Gestaltung primär auf die sonderpädagogische Expertise zurückgegriffen, die im eigenen Haus vorhanden ist sowie auf ihre Praxisbeobachtungen als Inspektor_innen. Die wissenschaftliche Literatur zu Inklusion hat sich bei der Entwicklung von Instrumenten als nicht hilfreich er-wiesen. Darüber hinaus greifen die Instrumenteentwickler_innen auch bei der Entscheidung darüber,welcheErwartungenanSchuleformuliertwerdenbzw.wasalsmachbarangesehen wird,aufihreBeobachtungenderPraxisbzw.eigenerPraxistätigkeitzurück.WelcheSignale sievonSeitendesKultusministeriumsundderschulischenVertretererhalten,kannebenfalls vonRelevanzsein.Esistebenfallszuberücksichtigen,obdasVerfahreneherdaraufabzieltdie EinhaltungvonMindeststandardszuüberprüfen(~Kontrollfunktion)oderImpulsefür weite-re Entwicklungsschritte zu formulieweite-ren (~Impulsfunktion). So können höheweite-re Erwartungen formuliert werden, wenn die Impulsfunktion dominiert.

In diesem Zusammenhang spielt bei der Entwicklung von Instrumenten auch das jeweilige Verständnis von Inklusion eine Rolle. So ergibt sich aus Typ I „Anspruch auf Förderung“

(→ Kapitel 7.3), dass Mindeststandards formuliert werden, die Schulen mit Schüler_innen mit diagnostizierter Behinderung erfüllen müssen. Dagegen kann Inklusion im Fall von Typ III „Inklusion als Teilaspekt von guter Schule“ als Prozess verstanden werden, der schrittweise realisiert werden soll.

In Kapitel 7.2 ist aufgezeigt worden, dass sich die Bundesländer darin unterscheiden, wie sie Instrumente zu Inklusion in das bestehende Instrumentenset integriert haben: als Add-on oderalsQuerschnitt.HierbeilassensichZusammenhängezudemVerständnisvonInklusion, dassichinnerhalbderSchulinspektiondurchgesetzthat,herstellen:Beieinemengen Inklusi-onsbegriffliegtesnahe,InklusionalsAdd-onzuetablieren,wennesnurandenjenigenSchulen Anwendungfindensoll,dieSchüler_innenmitdiagnostizierterBehinderungunterrichten.

DagegenlegteinweitesInklusionsverständnisnaheInstrumentezuInklusionalsQuerschnitt zu integrieren.

Bei der Entscheidung darüber, ob die Instrumente zu Inklusion verpflichtend oder freiwil-lig sind, wird unter anderem auf die Rechtsprechung, die Relevanz des Themas sowie die Umsetzung von Inklusion im jeweiligen Bundesland verwiesen. So wird ausgehend von dem Ar-gument, dass sich Deutschland rechtlich zur Umsetzung verpflichtet hat, argumentiert: „Wenn man auf diese Behindertenrechtskonvention da zurückgreifen möchte – gedanklich. Dann muss dies eine Vorleistung der Schulen sein. Alle Schulen müssen vorbereitet sein und die Frage, ob hier ein behindertes Kind ist oder nicht, spielt hier auch überhaupt keine Rolle“ (Int. 17_17). Jedoch ergänzt diese Interviewperson, dass zugleich auch die Umsetzung von Inklusion im Bundesland sowie die Positionen der schulischen Vertreter berücksichtigt werden müssten, was eher dagegen spricht,dassInstrumentezuInklusionverpflichtendsind.Diesistauchkonformmitdenbereits dargestelltenPositionenderschulischenVertreterinBezugaufdieHöhederErwartungen, dieansieformuliertwerden.EinweitererUmstand,derfürdieEntscheidungzwischen Wahl-undPflichtbereichprägendwirkte,istdasRelevanzkriterium:„Ichglaubeunterschwelligähm wolltemandiewichtigenvondenunwichtigentrennen.Unddashataberniejemandsoformuliert.

Denn das ist nicht vermittelbar, dass die anderen unwichtig sind “ (Int. 5_21). Dieses Argument wird nicht explizit im Zusammenhang mit den Instrumenten zu Inklusion genannt, jedoch

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kann dieses Entscheidungskriterium auch darauf angewandt werden, ob die Instrumente zu Inklusion verpflichtend oder freiwillig sind.

8.2.2 Sensemaking zu Lernstandserhebungen

Ein weiterer relevanter Teilaspekt bei Inklusion ist die Berücksichtigung von Schulleistungs-tests in den Instrumenten der Schulinspektionen (für einen Überblick → Kapitel 7.1.1). Hierbei zeigte sich, dass in vielen Bundesländern nicht die Ergebnisse entscheidend sind, sondern der Umgang mit diesen. Wie bereits dargestellt, ist die Integration von Schulleistungstests nicht per se konträr zu dem hier festgelegten Verständnis von Inklusion, kann aber zu nicht-intendierten Wirkungen führen, die mit der Umsetzung von Inklusion nicht kompatibel sind. Als Argu-ment für die stärkere Berücksichtigung von Lernstandserhebungen wurde im Rahmen eines informellen Gesprächs genannt, dass es sinnvoll wäre, wenn Schulinspektionen die Daten der Schulleistungstests nutzten, da sehr viele finanzielle Ressourcen in die Erhebung gesteckt wurden.DurchdieVerwendungwürdendieSchulinspektionendieVergleichsarbeitenals bil-dungspolitischeMaßnahmestärken.ZudieserPositionkonträr,argumentierteinePersonaus einemanderenBundesland,dassdieBerücksichtigungvonVergleichsarbeitendurchdie Schul-inspektionnegativeFolgenhabenkönnte:SowurdedieEinführungvonVergleichsarbeitenim eigenenBundeslandvonvielensehrkritischgesehen.WenndieSchulinspektiondieErgebnisse berücksichtigen würde, könnte es ihrer Meinung nach verstärkt zu Gaming-Strategien von Seiten der Schulen führen, da sie versuchen könnten, die Ergebnisse zu manipulieren, z. B.

indem sie den Schüler_innen mehr Zeit zur Verfügung stellen: „Und da ist jetzt halt mühsam die Überzeugung [für die Vergleichsarbeiten im Land, ap] geschaffen worden und das würden wir komplett kaputt machen, wenn wir uns jetzt diese Daten nehmen und sagen, das ist gut oder nicht gut“ (Int. 1_47).

Darüber hinaus plädiert eine Interviewperson generell für eine stärkere Outputorientierung, die sich an Lernstandserhebungen im Querschnitt orientiert. „Insofern würde mir da vorschweben, aber das ist meine individuelle Überzeugung, dass wir ein ganz, äh – ein ganz klares Outputmodell fahren würden [anonymisiert, ap]. Denkbar wäre das ne kleine Qualitätsagentur – die hier klare QualitätserwartungenanSchulerichtetunddannfeststellt,inwieferndieerreichtwerdenund daszurückmeldet“(Int.8).DahinterstehtderGedanke,dassdieSchulenuntervariierenden RahmenbedingungenagierenundbestimmteOutputsmitunterschiedlichenMaßnahmen erreichtwerdenkönnen.DieangestrebteAgenturkönntedeneinzelnenSchulenschulspezifische Unterstützungliefern,umsiedabeizuunterstützendieangestrebtenOutputszuerreichen(Int.

8). Hier wird eine starke Orientierung an evidenzbasierten Praktiken deutlich, die den Fokus auf Formen der Outputsteuerung legt und mit den aktuellen Verfahren der Schulinspektionen nicht kohärent sind.

Als weitere Argumente, welche gegen die Berücksichtigung der Vergleichsarbeiten sprechen, werden genannt: Erstens, dass es die Setzung von oben gegeben hätte, diese nicht zu be-rücksichtigen (Int. 6; 14_16). Zweitens, ist kein kausaler Zusammenhang zwischen den Prozessen – gemessen durch die Schulinspektionen – und den Outputs – gemessen durch die Lernstandserhebungen – herstellbar bzw. wird dieser auch nicht angestrebt. Gleichwohl schil-derte eine Interviewperson den Fall, dass einzelne Schulen nachfragten, wie es denn sein könne, dass sie in den Vergleichsarbeiten gut abschneiden würden, aber auf der Prozessebene bei den Schulinspektionenschlecht(Int.14_16).DementsprechendformulierendieSchulendie Erwar-tung,dasssie,wennsieaufderOutputebene,d.h.beidenVergleichsarbeiten,gutabschneiden,

auch auf der Prozessebene, d.h. bei der Erhebung durch die Schulinspektionen, gute Ergebnisse aufweisen müssten. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen den auf der Prozessebene gesammelten Daten von Seiten der Schulinspektion und den auf der Outputebene vorhandenen Daten durch die Vergleichsarbeiten besteht. Der Kommentar von schulischer Seite geht in eine ähnliche Richtung, wie die oben genannte Forderung nach stärkerer Outputorientierung. Sehr vereinfacht formuliert, steckt dahinter die polemisch formu-lierte Frage von Seiten der Schule: Was interessieren die Prozesse, wenn die Outputs stimmen?

Dagegen argumentiert Biesta „Die Mittel, die wir in der Erziehung einsetzen, verhalten sich nicht neutral zu den Zielen, die wir erreichen wollen“ (vgl. Biesta 2011, S. 103). Demnach lässtsichaufdenBildungsbereichnichtdiegleicheEvidenzlogikanwendenwiez.B.aufden medizinischenBereich,woeineBehandlungdanachbeurteiltwird,obdiePatient_innendanach wiedergesundsind.

DrittenssprichtgegendieBerücksichtigungvon Schulleistungstests, dassdie Schulin-spektionenimFallvonDeutschland(fürEnglandsiehePiezunka2017)überkeineDaten verfügen,umdieLernfortschrittevoneinzelnenSchüler_innenabbildenzukönnen. Wäh-rend die vorherigen Begründungen, z. B. bildungspolitische Strategien, in keinem Zusammen-hang zu Inklusion stehen, lässt sich in diesem Fall eine Verknüpfung herstellen: So wird hier die Notwendigkeit formuliert, dass Aussagen über Schulqualität nur möglich sind, wenn Daten zum Lernfortschritt im Längsschnitt vorhanden sind. Hier gibt es Anknüpfungspunkte zu dem in Kapitel 2 dargestellten Konzept „individuell bestmögliche Qualifizierung“. Jedoch stellen auch Daten im Längsschnitt keine Operationalisierung des hier verwendeten Verständnisses von Inklusion dar, weil dieses sich von der Erwartung einer normalen Lernkurve distanziert.

Diese ist jedoch notwendig, um Längsschnittdaten einordnen zu können.

Allgemein lässt sich in Hinblick auf die Berücksichtigung von Inklusion durch das Beispiel SchulleistungstestsFolgendesherausarbeiten:InklusionalsKonzeptsowieSchulleitungstests repräsentierenzweiunterschiedlicheVerständnissevonguterSchule,dieinderkonkreten Praxisnurbegrenztmiteinanderkompatibelsindbzw.konträreSignalesetzenkönnen(nähere Ausführung → Kapitel2).InderBegründungfürbzw.gegenSchulleistungsteststauchtbeider EntwicklungderInstrumentejedochkeinwertebasiertesArgumentauf,dasaufeinbestimmtes Qualitätsverständnisverweist.StattdessensindesstrategischeGründe,dieimMittelpunkt stehen. Dies legt nahe, dass die Instrumente der Schulinspektion häufig mehrere Verständnisse von guter Schule repräsentieren und das Ergebnis von Kompromissen darstellen. In Bezug auf die Entwicklung von Instrumenten macht dieses Beispiel deutlich, dass es häufig pragmatische Gründe sind, die zu der Entscheidung für oder gegen bestimmte Setzungen führen. Dabei wird – nicht nur bei diesem Beispiel – selten die normative Komponente des Prozesses explizit angesprochen.