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4 Messinstrumente aus bewertungssoziologischer Perspektive 59

4.3 Exkurs: Qualität von Schule

DieInstrumente zurMessungvon Inklusion repräsentieren gemeinsammitdenanderen MessinstrumentenderjeweiligenSchulinspektionenbestimmteVerständnissevonguterSchule.

AusgehendvondenvorangegangenenÜberlegungenstelltsichdieFrage,inwiefernIndikatoren zur Messung von Schulqualität bereits etabliert sind und somit nicht mehr in Frage gestellt werden. Dabei bezieht sich diese Frage nicht nur auf Schulinspektionen, sondern generell auf den Diskurs zu Schulqualität.

Ob es im deutschsprachigen Diskurs Konsens darüber gibt, was unter Schulqualität zu verstehen ist, ist auch in Bezug auf die Entwicklung von Indikatoren zur Umsetzung von Inklusion eine relevante Frage: Bei einem dominanten Verständnis von guter Schule liegt es nahe, Inklusion so zu deuten, dass es kohärent zu diesem Verständnis ist.

„Von der Qualität der Schule wird sowohl in der bildungsinteressierten Öffentlichkeit als auch in schulpädagogischen Fachdiskussionen so geredet, als ob es überhaupt keinen Zweifel darüber geben könnte, was damit gemeint ist“ (Heid 2007, S. 55).

Wie bereits erwähnt gibt es jedoch „keineswegs Konsens darüber (…), was genau unter Qualität zuverstehenist“(Ditton2000,S.74).SogibtesunterschiedlicheVorstellungenvonQualität, dieunkoordiniertverwendetwerden(vgl.Hupka-Brunneretal.2015,S.8).Demnachfehltes häufiganeinerDiskussiondarüber,anhandwelcherVorstellungenetwasfürgutbefundenwird odernicht.BeispielsweiseverstehtderBildungsjournalistChristianFüllerunter„guter“Schule Folgendes:„GuteSchuleisteineSchulevorOrt,diephantastischeKinderzurEntfaltungihrer nahezuunbegrenztenMöglichkeitenanregt“(Füller2009,S.177).Dagegengibtesauchandere Verständnisse von „guter“ Schule, die sich beispielsweise stärker an dem Erreichen von Bil-dungsstandards orientieren, z. B. wenn die Ergebnisse der IQB-Vergleichsarbeiten dazu genutzt werden, um Aussagen über die Qualität von Einzelschulen zu treffen. Häufig unterscheiden sich die Vorstellungen von „guter“ Schule darin, was als primärer Zweck von Schule angesehen wird und wie diese Funktionen erreicht werden sollen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, erneut auf die gesellschaftlichen Funktionen von Schule (→ Kapitel 2) zurückzugreifen: So unterscheidet Fend (2008) zwischen vier Funktionen von Schule: Qualifikations-, Selektions-, Integrations- und Enkulturationsfunktion (nähere Ausführung → Kapitel 2). Welche Relevanz den einzelnen Funktionen beigemessen wird und wie diese inhaltlich gefüllt werden, kann

variieren. Dies spiegelt sich in unterschiedlichen Vorstellungen von „guter“ Schule wider, die wiederum auf unterschiedlichen Werteordnungen basieren.

Ditton und Müller benennen zwei Verständnisse von Schulqualität, die ihres Erachtens den deutschsprachigen Diskurs dominieren (vgl. Ditton und A. Müller 2011, S. 101). So gibt es zum einen die so genannte „funktionalistische Perspektive“ auf Schule und zum anderen eine

„humanistische Perspektive“ (vgl. ebd., S. 101).

„Funktionalistische“ Perspektive auf Schulqualität Dieses Qualitätsverständnis orientiert sich primär an der Qualifikationsfunktion, wonach Schule die Vermittlung von Kompeten-zen zur gesellschaftlichen Teilhabe ermöglichen soll (vgl. Fend 2006). Unter Qualifikation durch Schule wird verstanden, dass Schüler_innen Kompetenzen erwerben, die ökonomisch verwertbar sind, z. B. den Zugewinn an kognitiven Kompetenzen (vgl. Ribolits 2009, S. 15).

Die Qualität einer Einzelschule bemisst sich daran, inwiefern die Schüler_innen bestimmte Kompetenzen erwerben. In Bezug auf Messinstrumente spielt sich daher jenes Verständnis inSchulleistungsstudienwiePISA,IGLU oder TIMSS wider.Dortwerdenbeispielsweisedie mathematischenundnaturwissenschaftlichenFähigkeitenvonSchüler_innenerfasst.

DasobenbeschriebeneQualitätsverständnisstehtjedochausdiversenGründeninderKritik:

Diesliegtunteranderemdaran,dassderFokusprimärdaraufgelegtwird,welcheLeistungen dieSchülerinnen„zueinembestimmtenZeitpunkt(…)inbestimmtenSchulfächernoder erworbenenBasiskompetenzeninbestimmtenDomänen“(Scharenberg2015,S.54)erreicht haben. Holtappels weist daraufhin, dass neben den kognitiven Kompetenzen in die Schule einen Beitrag dazu leisten soll, dass die Schüler_innen noch weitere Fähigkeiten erwerben können:

z. B.

„überfachliche Schlüsselkompetenzen und metakognitive Fähigkeiten (z. B. Analyse- und Planungs-kompetenzen, kommunikative Fähigkeiten) (…). Daneben gehören aber ebenso die Entwicklung sozialer Kompetenzen und Ich-Kompetenzen im Sinne einer Unterstützung der Persönlichkeitsbildung und Identitätsentwicklung der Schüler/-innen“ (Holtappels 2003, S. 37).

Des Weiteren lassen sich aus der Messung der Outputs keine Aussagen darüber treffen, welche RahmenbedingungenundProzessezudenjeweiligenErgebnissenführen(vgl.ebd.,S.39).

GleichwohllässtjenesVerständnisvonSchulqualitätbzw.dieOperationalisierungAussagen darüberzu,inwieferndieSchüler_innenzueinembestimmtenZeitpunktüberdieabgefragten KompetenzenverfügenundobesUnterschiedezwischeneinzelnenGruppenvonSchüler_innen gibt.

InBezugaufdenGegenstandderArbeitstelltsichdieFrage,objenesVerständnisvonguter Schule mit dem Verständnis von Inklusion, das im Rahmen der Arbeit als normative Ver-gleichsfolie dient, kohärent ist: Wie bereits in den theoretischen Überlegungen zu Inklusion ausgeführt (→ Abschnitt 2.2.4), widersprechen sich jene Verständnisse in der Theorie nicht, können jedoch in der Praxis bestimmte Handlungen implizieren, die zu konträren Wirkungen führen, z. B. Selektionsverhalten bei der Aufnahme von Schüler_innen.

Humanistische Perspektive auf Schulqualität Bei diesem Qualitätsverständnis steht „die allgemeine Entwicklung aller menschlichen Kräfte“ (Ditton und A. Müller 2011, S. 101) im Vordergrund. Im Gegensatz zum vorherigen Verständnis steht dabei nicht die ökonomische Verwertbarkeit, sondern die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler_innen im Mittelpunkt.

Dies kann den Erwerb von kognitiven Kompetenzen einschließen, aber auch andere Domänen,

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z. B. Identitätsbildung, soziale Kompetenzen, usw. werden in den Blick genommen. Hierbei wird an reformpädagogische Ansätze angeknüpft, wonach Lernen „als Entwicklung im Kinde aus und als Lernen vom Kinde aus verstanden wird“ (Fend 2000, S. 57). Dabei liegt bei diesem Qualitätsverständnis der Fokus nicht auf dem zu erreichenden Output in Bezug auf das einzelne Kind, sondern auf den schulischen Prozessen. So soll „Schule für möglichst alle Schüler zu produktiven Räumen des Lernens und ihrer langfristigen Entwicklung werden“ (ebd., S. 57).

In Bezug auf das in dieser Arbeit verwendete Verständnis von Inklusion lassen sich hier insofern Anknüpfungspunkte finden, als beispielsweise das Erfahren von intersubjektiver Anerkennung für die Persönlichkeitsentwicklung maßgeblich ist (nähere Ausführung → Kapitel 2).

Abschließendlässtsichfesthalten,dassesimdeutschsprachigenDiskurskeinenKonsens dar-übergibt,wasuntereinergutenSchuleverstandenwird.Generelllässtsichfesthalten,dass esbislanganeinerempirischenAnalysedarüberfehlt,welcheVerständnissevonguterSchule dendeutschsprachigenDiskursprägenundworinsiesichunterscheiden.FürdasHandelnder SchulinspektionhatdieszurFolge,dasssienichtaufeinbereitsetabliertesSetanIndikatoren zurMessungvonSchulqualitätzurückgreifenkann.Esistdaherdavonauszugehen,dassesin den Schulinspektionen ein Aushandlungsprozess darüber stattgefunden hat, welche Verständ-nisse von guter Schule durch die Indikatoren repräsentiert werden sollen. Das Vorhandensein von unterschiedlichen Verständnissen kann zur Folge haben, dass diese bei der Entwicklung von Indikatoren miteinander kombiniert werden und somit Messinstrumente der Schulin-spektionen verschiedene Verständnisse von guter Schule repräsentieren. Dies ist insofern nicht überraschend, als sich die Verständnisse von guter Schule unter anderem darin unterscheiden, welche Erwartungen an Schule formuliert werden. Eine Kombination liegt daher nahe, da an Schule verschiedene Erwartungen formuliert werden können und sich diese nicht immer widersprechen.

InBezugaufdieunterschiedlichenVerständnissevonSchulqualitätstelltsichdarüberhinaus dieFrage,woherdieVorstellungenvon„guter“Schulekommen.Fendweistdaraufhin,dass

„unsereVorstellungen vonguter Schule mitunserenBildern darüberverwobensind, wie menschlichesZusammenlebeninsgesamtaussehensollte“(Fend1994,S.24;sieheauchTerhart 2000,S.816).AlsweitereFaktorennenntTerhart„Traditionen,allgemein- undsozialpolitische Überzeugungen,sozial- undbildungstheoretischeErwägungenundEntscheidungen“(ebd., S. 816). So spiegeln sich in Vorstellungen von guter Schule beispielsweise unterschiedliche Konzepte von Gerechtigkeit, variierende Menschenbilder sowie verschiedene Leistungsbegriffe wider. Des Weiteren spielt eine Rolle, welche Überzeugungen zur Bildungsfähigkeit vorhanden sind, z. B. „naturalistischer Glaube an Bildung“ vs. „universelle Bildungsfähigkeit“ (Gomolla 2009, 32f.). In Bezug auf diese Arbeit ist bei der empirischen Erhebung zu berücksichtigen, welche Verständnisse von guter Schule bei den Entwickler_innen der Instrumente vorhanden sind und inwiefern diese möglicherweise prägend wirkten, wenn es um die Entwicklung von Indikatoren zu Inklusion ging.

4.4 Zwischenfazit

Durch die bewertungssoziologische Perspektive auf den Gegenstand der Arbeit sind verschie-dene Aspekte deutlich geworden: Indikatoren stellen soziale Konstruktionen dar. Durch die Entscheidung für konkrete Indikatoren und gegen alternative Varianten werden bestimmte Perspektiven auf die Wirklichkeit abgebildet und andere werden vernachlässigt. Des Weite-ren gehen bestimmte Implikationen damit einher, wenn IndikatoWeite-ren dafür genutzt werden

numerische Werte zu erheben, z. B. Fokus auf die Erhebung von Informationen, die messbar sind. In Bezug auf die Entwicklung von Indikatoren lässt sich festhalten, dass es kaum Studien gibt, die sich mit der Entwicklung von Indikatoren auseinandersetzen. Erste Hinweise zur Analyse des empirischen Materials ergeben sich möglicherweise aus den jeweiligen Bewertungs-konstellationen sowie aus der Notwendigkeit, dass Indikatoren einen bestimmten Grad an Institutionalisierung benötigen, um von Relevanz zu sein.

Durch den Exkurs zur Qualität von Schule ist deutlich geworden, dass es keinen Konsens darüber gibt, was eine gute Schule kennzeichnet bzw. wie dies gemessen wird. Dies trifft auch auf Indikatoren zu Inklusion zu (nähere Ausführung → Kapitel 2), die einen Teilbereich des gesamtenInstrumentensetsvonSchulinspektionendarstellenkönnen.Somitkannauchdiesen IndikatorendieFunktionzugeschriebenwerden,dasssiebestimmteVerständnissevonguter Schulerepräsentieren.AufgrundderfehlendenExistenzvonetabliertenIndikatorensetszu InklusionundzuguterSchulekanneszudenobenbeschriebenen„criticalmoments“ kom-men.DabeiwirdzumeinenaufRechtfertigungsordnungenzurückgegriffen,umzubegründen, welchesVerständnisvonguterSchulevonRelevanzist,undzumanderenwirdauf Rechtferti-gungsordnungen zurückgegriffen, um das Vorgehen bei der Entwicklung von Indikatoren zu begründen. Letzteres wird im Rahmen der Arbeit empirisch untersucht. Des Weiteren wurde in Bezug auf Schulinspektionen deutlich, dass diese im Vergleich zu anderen Evaluationsverfahren, die von Organisationen wie der Bildungsadministration, privaten Agenturen oder der Bildungs-forschung realisiert werden, abweicht: Erstens wird nicht nur auf quantitative Indikatoren zurückgriffen, sondern es werden auch Formen der qualitativen Datenerhebung angewandt.

Auch wenn es möglich wäre in bestimmten Teilbereichen Vergleiche zwischen Schulen herzustel-len, findet dies in der Praxis nicht statt. Demnach werden auch keine Rankings veröffentlicht, die Aussagen darüber zulassen, welche Schule die „beste“ oder die „schlechteste“ im jeweiligen Bundeslandist.

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