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7 Deutungen von Inklusion 109

7.1.4 Nennung von Differenzlinien

In den Instrumenten der Schulinspektionen sowie in den „Merkmalen von guter Schule“ werden diverse Differenzlinien aufgeführt, die unter folgenden Sammelbegriffen zusammengefasst werden können:

Leistung, z. B. „Meine Lehrerin oder mein Lehrer stellt den leistungsstärkeren Schülerinnen und Schülern schwierigere Aufgaben“ (SFB_BB). Dieser Differenzlinie wird in allen Bundesländern thematisiert und findet sich in fast allen analysierten Instrumenten wieder. Wie bereits in Bezug auf die Operationalisierung von Lernprozessen (→ Abschnitt 7.1.1) angesprochen, gibt es hier unterschiedliche Formen der Differenzierung.

Behinderung/sonderpädagogischerFörderbedarf:DieseDifferenzliniedientals Sammel-begrifffürverschiedeneBezeichnungen(nähereAusführung → Kapitel2)undfindetsichin mehrerenBundesländernwieder,z.B.„SpezifischeBedürfnissevonSchülerinnenundSchülern mitAnspruchaufeinsonderpädagogischesBildungsangebotwerdengezieltberücksichtigt“

(ÜI_BW;sieheauchÜI_BY;ÜI_BE;ÜI_ST;ÜI_SH;UBB_NRW;UBB_NI;ÜI_BLI).Hierbeizeigt sich, dass die Bundesländer unterschiedliche Bezeichnungen verwenden:

• Im Fall von Baden-Württemberg wird von Schüler_innen mit „sonderpädagogischem Bil-dungsangebot“ gesprochen bzw. im Fall von Nordrhein-Westfalen von sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf (UBB_NRW). Dieses bundesländerspezifische Etikett entspricht dem diagnostizierten „sonderpädagogischen Förderbedarf“, welches im Fall von Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein verwendet wird, um die Gruppe zu beschreiben. In Bezug auf die BRK

impliziert dies jedoch, dass nur eine Teilgruppe der Personen, die unter den Behinderungsbe-griff der BRK fallen (vgl. Piezunka et al. 2016), in den Instrumenten explizit genannt wird.

Beispielsweise fallen darunter nicht diejenigen Personen, die durch die Sozialgesetzbücher geschütztsind.

• BeiderBund-Länder-InspektionwirdvonSchüler_innenmitbesonderenBedarfen gespro-chen(BLI_ÜI).Diesistinsofernnichtüberraschend,dadasschulrechtlicheEtikett

„son-1 Es waren für die Autorin dieser Arbeit keine Informationen zugänglich, wodurch die Umbenennung initiiert wurde.

derpädagogischer Förderbedarf“ in deutschen Schulen im Ausland und somit auch für die Bund-Länder-Inspektion keine praktische Relevanz hat.

• Ansonsten wird in den anderen Bundesländern (Bayern und Berlin) explizit von Schüler_innen mit Behinderung und/ oder sonderpädagogischem Förderbedarf gesprochen. Im Fall von Bayern wurde zu Beginn der Evaluation von Schüler_innen mit „besonderen physischen und/oder psychischen Voraussetzungen“ (ÜI_BY) gesprochen. Jedoch wurde in 2013 ein Korrekturblatt veröffentlicht. Danach wurde von Schüler_innen „mit Behinderungen bzw.

sonderpädagogischem Förderbedarf“ gesprochen.1

• In Niedersachsen zeigt sich im Unterrichtsbeobachtungsbogen, dass Schüler_innen mit Behin-derungnichtalshomogeneGruppegesehenwerden.StattdessenwirdinAbhängigkeitvon demjeweiligenIndikatornochmalstärkerdifferenziert,z.B.wennesumdie Sprachkompe-tenzgeht,gibteseineausführlicheErläuterungzumIndikator:„Inklusion:„DerUnterricht berücksichtigtSchülerinnenundSchüler,dienureingeschränktsprechenoderSprache ver-stehenkönnen“(UBB_NI).WennesdagegenumeigenverantwortlicheArbeitsprozessegeht:

„Inklusion(…):DasMaßdererforderlichenUnterstützungistabhängigvomGradder Be-einträchtigung“ (UBB_NI). Demnach wird in den Instrumenten deutlich gemacht, dass sich aus dem Attribut „diagnostizierte Behinderung“ unterschiedliche Bedarfe ergeben können.

• Im Fall von Brandenburg, Hessen und Saarland werden „Behinderung“ bzw. sonderpädago-gischer Förderbedarf in den verfügbaren Instrumenten sowie in den „Merkmalen von guter Schule“ nicht genannt und im Fall von Hamburg wird es in den Anmerkungen zum UBB, aber nicht in den konkreten Instrumenten des UBB genannt (UBB_HH).

Es gibt sehr unterschiedliche Formate, wie „Behinderung“ bzw. „sonderpädagogischer Förder-bedarf“ als Differenzlinie in den Instrumenten thematisiert wird: In den meisten Fällen werden Schüler_innenmitBehinderungbzw.sonderpädagogischemFörderbedarfalsSubjektegesehen undesgehtumdieFrage,obihregleichberechtigteTeilhabegewährleistetist(z.B.LFB_BE) oderinwiefernsiedieUnterstützungerhalten,diesiebenötigen(ÜI_BW;ÜI_BE;ÜI_SH;ÜI_ST;

UBB_NRW;UBB_NI).

BayernweichtinsofernvondenanderenBundesländernab,alsimLehrerfragebogenfolgende Einschätzungabgefragtwird:„IchhabedenEindruck,dassdieSchülermeinerKlassesichin die Situation von Schülern mit Behinderungen bzw. mit sonderpädagogischem Förderbedarf hineinversetzen können“ (LFB_BY). Durch diese Frage wird der Gruppe von Schüler_innen mit Behinderung im Lehrerfragebogen eine Sonderrolle zugeschrieben. Das „Hineinversetzen“

kann als Abfrage davon gelesen werden, inwiefern die als nicht behindert diagnostizierten Schüler_innen sich mit der Situation dieser Gruppe auseinandergesetzt haben und in der Lage sind, die Interessen und Bedürfnisse der jeweiligen Schüler_innen in ihrem eigenen Handeln zu berücksichtigen. Zugleich impliziert dieser Indikator auch, dass die Gruppe von Schüler_innen mit diagnostizierter Behinderung als von der Norm abweichende Gruppe konstruiert wird. Diese Wirkung wird dadurch verstärkt, dass es die einzige Gruppe ist, die auf dieseArt undWeise explizit genanntwird. Dabeilässt dieAussage „Hineinversetzen indieSituation“darüberhinausauchRaumfürstigmatisierendeZuschreibungen,dieauf defizitorientierendenHaltungenbasieren.DieswärederFall,wenn„Hineinversetzenindie Situation“damiteinhergeht,dassSchüler_innenmitdiagnostizierterBehinderungalsGruppe gesehenwird,diemöglichstgeschontwerdensollteoderderihrRechtaufSelbstbestimmung abgesprochenwird.WeitereAussageninHinblickaufSchüler_innenmitBehinderunggibtesim

Berücksichtigung von Konzepten in Bezug auf Inklusion 121

bayerischen Schülerfragebogen: „Wir sprechen im Unterricht über den Alltag von Schülern mit Behinderung“ (SFB_BY) sowie „Ich kann mir gut vorstellen, dass behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam unterrichtet werden“ (SFB_BY). Indem der Einstellungsaspekt im Rahmen des Schülerfragebogens abgefragt wird, wird den Schüler_innen signalisiert, dass sie sich auch kritisch dazu positionieren können, dass Schüler_innen mit und ohne Behinderung zusammen unterrichtet werden. Eine Positionierung gegen den gemeinsamen Unterricht von Schüler_innen mit und ohne zugeschriebene Behinderung erscheint somit als legitime Antwortkategorie.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die kritische Positionierung zum gemeinsamen Unterricht im öffentlichen Diskurs keine Seltenheit darstellt: Beispielsweise in einer Studie, die vom Verband BildungundErziehunge.V.inAuftraggegebenwurde,sind42ProzentderLehrkräfteder Meinung,dassKindermitdiagnostizierterBehinderunganeinerFörderschulebesseraufgehoben wären(z.B. VerbandBildungundErziehunge.V.2017).Demnachkönnteauchargumentiert werden, dassdieseAbfrage derbayerischen Schulinspektionesermöglicht,Informationen darüberzuerhalten, welcheEinstellungendieSchüler_innengegenüber Inklusionhaben.

AusgehendvonderFrage,wieInklusion–wieesimRahmendieserArbeitverstandenwird (→ Abschnitt 2.2) – in den Instrumenten berücksichtigt wird, wäre zu argumentieren, dass dieses Item keine eindeutige Positionierung von Seiten der Schulinspektion dazu ist, dass der gemeinsame Unterricht von Schüler_innen mit und ohne diagnostizierte Behinderung ein Qualitätsmerkmal von Schule darstellt. Des Weiteren spielen bei der Beantwortung der Frage die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Schülerschaft eine Rolle: So sind Schüler_innen ohne Behinderung im Vergleich zu Schüler_innen mit Behinderung an Regelschulen zahlenmäßig stärker vertreten, das heißt die Entscheidungsmacht darüber, ob gemeinsamer Unterricht zu befürworten ist, wird den Schüler_innen ohne Behinderung überlassen. Die oben beschriebenen Indikatoren aus Bayern sind aus Inklusionsperspektive insofern kritisch zu hinterfragen, da dadurchvonSeitenderSchulinspektiondieGruppevonSchüler_innenmitBehinderungals vonderNormabweichendkonstruiertwird.DesWeiterenistzuberücksichtigen,dassesim FallvonBayernnebendenobenbeschriebenenAussagenkeinezusätzlichenIndikatorengibt, dieSchüler_innenmitdiagnostizierterBehinderungalsSubjektemitbestimmtenRechten verstehenundsomitnichtüberprüftwird,inwiefernderenRechtegeschütztsind.

Sprache/WahrnehmungvonAnderenalsNicht-Deutsche:IndiesemFallwerdeninder empirischen Analyse unter dem oben aufgeführten Sammelbegriff verschiedene Konzepte zusammengefasst, die im Alltag häufig synonym verwendet werden, obwohl sich dahinter unterschiedliche Gruppen verbergen. Eine explizite Nennung findet sich in vier Bundesländern:

Baden-Württemberg, Berlin, Schleswig-Holstein und Hamburg.

• ImFallvonBaden-WürttembergisteinAnspruch,dassdiesozialenundkulturellen Voraus-setzungenderSchülerschaftberücksichtigtwerden(ÜI_BW).

• InBerlinliegtderFokusaufderFörderungvonSchüler_innenimsprachlichenBereich,z.B.

„Kindern, die Probleme mit der Sprache haben, wird bei uns besonders geholfen“ (SFB_BE;

LFB_BE; EFB_BE).

• In Schleswig-Holstein findet sich in den Erläuterungen die Abfrage, inwiefern Schüler_innen unabhängig von ihrem Migrationshintergrund an der Schule aufgenommen werden (ÜI_SH).

• Im Fall von Hamburg wird im Elternfragebogen abgefragt, inwiefern auf die „kulturellen Unterschiede der Schülerinnen und Schüler eingegangen“ (EFB_HH) wird und inwiefern auf die „sprachlichen Unterschiede der Schülerinnen und Schüler eingegangen“ (EFB_HH; siehe auch Anmerkungen zum UBB_HH) wird. Aus Inklusionsperspektive ist positiv zu bewerten, dass hinsichtlich kultureller und sprachlicher Unterschiede nicht von einer dominierenden

Kultur ausgegangen wird und alle anderen kulturellen Zugehörigkeiten als Abweichungen von der Norm gesehen bzw. defizitäre Zuschreibungen gemacht werden. In diesem Zu-sammenhang stellt sich jedoch die Frage, was mit „kulturellen Unterschieden“ gemeint ist.

Dahinter könnte sich beispielsweise verbergen, dass manche Schüler_innen dadurch geprägt sind, dass Angehörige ihrer Familie eine Migrationsgeschichte haben. Des Weiteren können darunter auch unterschiedliche Religionszugehörigkeiten verstanden werden. Es fehlt daher an Angaben, welche konkreten kulturellen Unterschiede im schulischen Kontext von Seiten der Schulinspektion für relevant erachtet werden. Darüber hinaus fehlt es bei der Formulie-rung „Eingehen auf Unterschiede“ an Informationen darüber, wie schulische Akteure auf kulturelleUnterschiedeeingehenkönnenbzw.sollen.BeispielsweisekanndasEingehen aufkulturelleUnterschiedeimplizieren,dassimRahmeneinesinterkulturellenFrühstücks stereotypeZuschreibungeninBezugaufbestimmteHerkunftsländerreproduziertwerden.

DieBerücksichtigungvonkulturellenUnterschiedenkannjedochauchimplizieren,dass LehrkräfteüberWissenzubestimmtenReligionenverfügen,z.B.welcheFeiertagefürdie Schüler_innenvonRelevanzseinkönntenundwelcheTraditionendamiteinhergehen.Wie bereits oben dargestellt, besteht auch hier bei der Beantwortung der Frage die Gefahr, dass die Einschätzungen von zahlenmäßig kleinen Gruppen nicht wahrgenommen werden, weil sie an vielen Schulen zahlenmäßig unterlegen sind. Um dies zu illustrieren: Eltern mit Deutsch als Muttersprache haben möglicherweise den Eindruck, dass an ihrer Schule ausreichend auf die sprachlichen Unterschiede eingegangen wird. Es kann jedoch sein, dass die Einschät-zungen von Eltern von Schüler_innen mit Deutsch als Zweitsprache davon abweichen. Ihre Perspektive würde jedoch kaum gesehen werden, da sie innerhalb einer Klasse meistens eine kleine Gruppe von Personen repräsentieren bzw. nicht identifiziert werden kann, wer welche Antworten gegeben hat.

• NebendiesendreiFällenistnochdieBund-Länder-Inspektionzunennen:Sogibtesinden

„MerkmalenvonguterSchule“Indikatoren,dieauf„DeutschalsFremdsprache“sowieauf dieDifferenzlinie„Kultur“anspielen:„DerUnterrichtfördertgezieltdieEntwicklungder Deutschkompetenz“(ÜI_BLI)sowie„DieschulischeArbeiterzieltdieHerausbildung inter-kulturellerKompetenz“(ÜI_BLI).ImGegensatzzudenobenbeschriebenenFällengehtes hiernichtumdieSituationvoneinzelnenSchülergruppen,sondernumdenWertvon „inter-kultureller Kompetenz“ und den Erwerb von Deutsch als Fremdsprache für die Mehrheit der Schüler_innen. So werden an Auslandsschulen 10.000 Schüler_innen mit deutscher Staatsbürgerschaft und 57.500 nicht-deutsche Schüler_innen unterrichtet (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2017). Der Fokus auf interkulturelle Kompe-tenz ergibt sich daher aus der Zielsetzung von Auslandsschulen: So werden Auslandsschulen als „Träger der Auswärtigen Kulturpolitik“ (ebd.) gesehen und ihre Arbeit zielt darauf ab, dass möglichst viele Schüler_innen nach dem Schulbesuch weiterhin Bezüge zu Deutschland aufrechterhalten, z. B. durch die Aufnahme eines Studiums in Deutschland. Der Erwerb von interkultureller Kompetenz würde sich demnach darin widerspiegeln, Kenntnisse in Bezug aufDeutschlandzuvermittelnundBezügezumjeweiligenGastgeberlandherzustellen.

Zusammenfassendzeigtsich,dassnurwenigeBundesländersprachlicheUnterschiedebzw.die kulturelleVerortungalsDifferenzlinienexplizitbenennen.DesWeiterenzeigtsich bundes-länderübergreifend,dassDiskriminierung,diestattfindet,weileinePersonvonanderenals Nicht-Deutschwahrgenommenwird,indenInstrumentenallerBundesländernicht themati-siert wird. Dies ist insofern überraschend, als es eine Vielzahl von empirischen Studien gibt,

2 In bisherigen empirischen Studien wird überwiegend auf die Definition des Statistischen Bundesamts zurückge-griffen und es fehlt bislang an Studien zu der Gruppe von Schüler_innen, die von anderen als „Nicht-Deutsche“

wahrgenommen wird. Der Verweis auf die Klassifizierung „Migrationshintergrund“ wird im Rahmen dieser Arbeit gemacht, weil zu erwarten ist, dass es hier große Überschneidungen gibt.

Berücksichtigung von Konzepten in Bezug auf Inklusion 123

wonach zumindest die Gruppe von Schüler_innen mit Migrationshintergrund2 im schulischen Kontext diskriminiert wird, z. B. durch negative Zuschreibungen (z. B. Radtke und Gomolla 2009) oder in der Leistungsbewertung (vgl. Sprietsma 2009).

Soziale Herkunft: In Bezug auf soziale Herkunft zeigt sich ein ähnliches Phänomen wie bei der vorherigen Differenzlinie. Diese wird nur in Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein bzw. in einem anderen Format auch in Sachsen-Anhalt explizit erwähnt.

• Dabei geht es in Berlin um die Frage, inwiefern die gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von Herkunft (LFB_BE; EFB_BE) gewährleistet ist. Im Fall von Schleswig-Holstein wird erfasst, obdieSchule unabhängigvon sozialerHerkunft alleSchüler_innenaufnimmt undzu erfolgreichenAbschlüssenführt(ÜI_SH).

• ImFallvonHamburg sindesdieEltern, diebefragtwerden, inwiefernauf diesozialen UnterschiedederSchüler_inneneingegangenwird(EFB_HH;sieheauchAnmerkungenzum

UBB_HH).HierzeigensichbeiderOperationalisierungundDarstellungderErgebnisse aufgrundderabstraktenFormulierungdesIndikatorsähnlicheHerausforderungenwiebei der vorherigen Differenzlinie (→ Berücksichtigung von „sprachlichen Unterschieden“).

• In Baden-Württemberg geht es darum, ob in den Unterrichtsangeboten die sozialen Voraus-setzungen der Schüler_innen berücksichtigt werden (ÜI_BW).

• In Sachsen-Anhalt werden Lehrkräfte befragt, inwiefern das Lernen durch bestimmte Aspekte beeinträchtigt wird. Eine mögliche Antwortkategorie ist: „Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Verhältnissen“ (LFB_ST). Während es in Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg also die Pädagog_innen sind, die in der Verantwortung gesehen werden, die Teilhabe unabhängig von der sozialen Herkunft zu gewährleisten, werden Schüler_innen aus sozial benachteiligten Verhältnissen im Fall von Sachsen-Anhalt als mögliche Erklärung für auftretendeProblemeundBeeinträchtigungengesehen.

• InanderenBundesländernspielt„sozialeHerkunft“alsDifferenzliniekeineRolleinden Instrumenten.

Gender:GenderwirdinvierBundesländernalsDifferenzlinieexplizitbenannt:Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,Schleswig-HolsteinundBerlin.DabeiwerdeninjedemBundesland andere inhaltliche Aspekte angesprochen und des Weiteren unterscheidet es sich auch, welche Relevanz dem Thema beigemessen wird.

• In Niedersachsen wird als ein mögliches Beispiel für den Indikator „Kooperationen eingehen“

aufgeführt, inwiefern es Kooperationsangebote zum Thema Gender Mainstreaming gibt (ÜI_NI). Demnach ist es kein eigener Indikator, sondern dient nur als Illustration für den The-menbereich Kooperationen. Ein ähnlicher Fall zeigt sich in Schleswig-Holstein. Dort findet sich in den Erläuterungen zu den Merkmalen von guter Schule: „Die Schule nimmt Schüle-rinnen und Schüler unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft, Migrationshintergrund oder Behinderung auf und führt sie zu erfolgreichen Abschlüssen“ (ÜI_SH).

• ImFallvonNordrhein-WestfalengibteseinKriterium,inwieferndieSchuleeinKonzeptzur Gender-Mainstreaming-Erziehungverwirklicht(ÜI_NRW_Wahlbereich).Hierbeiistjedoch zuberücksichtigen,dassdiesimWahlbereichaufgeführtwird,dasheißtdieSchulenkönnen

entscheiden, ob sie in dem Bereich evaluiert werden möchten. Des Weiteren wird im Unter-richtsbeobachtungsbogen Folgendes erfasst: „Die Lehrkraft bezieht Mädchen und Jungen gleichermaßen in den Unterricht ein“ (UBB_NRW).

• Im Fall von Berlin werden Lehrkräfte befragt, inwiefern in Bezug auf Geschlecht die gleich-berechtigte Teilhabe aller gewährleistet ist (LFB_BE_Indikator Inklusion).

Zusammenfassendlässtsichbeobachten,dassGenderalsDifferenzlinieinvielenBundesländern nichtexplizitgenanntwird.IndenobenbeschriebenenFällenistzuberücksichtigen,dass Gen-der als Differenzlinie zum Teil nur auf Gen-der Beispielebene genannt wird bzw. ein Wahlkriterium darstellt. Des Weiteren zeigt sich bei der Operationalisierung, dass im Fall von Nordrhein-Westfalen auf die dichotome Unterscheidung zwischen männlich/weiblich zurückgegriffen wird, d. h. andere Formen der sexuellen Identität, z. B. intersexuell, werden nicht explizit genannt.

Darüber hinaus wird auch nicht zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung unterschieden: So kann es durchaus sein, dass Fremd- und Selbstzuschreibungen in Bezug auf die sexuelle Identität voneinander abweichen.

Private Ausnahmesituation: Ein weiteres Attribut von Schüler_innen, welches in den Instru-menten vieler Bundesländer aufgeführt wird, sind „private Ausnahmesituation“ oder auftre-tendeProbleme.Diestauchtinden„MerkmalenvonguterSchule“auf(ÜI_BY;ÜI_BE;ÜI_HE;

ÜI_NRW;ÜI_NI;ÜI_ST;ÜI_BLI),imElternfragebogen(EFB_BY;EFB_BE;EFB_ST),im Lehrer-fragebogen(LFB_BY;LFB_BE;LFB_HE;LFB_ST)sowieimSchülerfragebogen(SFB_BE;SFB_HE;

SFB_SL).DabeidrehensichalleIndikatorenumdieFrage,inwieferndieSchüler_innenz.B.

durchbestehendeBeratungsangeboteoderdurcheinzelneLehrkräfteUnterstützungerhalten, wennsiesichinProblemsituationenbefinden.

Abschließend können in Bezug auf die Berücksichtigung von Differenzlinien folgende Aspek-te festgesAspek-tellt werden: Bundesländerübergreifend lässt sich als MusAspek-ter beobachAspek-ten, dass im Unterrichtsbeobachtungsbogen (bis auf Geschlecht in NRW) nur „Leistung“ als relevante Diffe-renzlinie aufgeführt wird. Die Relevanz der DiffeDiffe-renzlinie „Leistung“ zeigt sich darüber hinaus darin, dass dieser Aspekt in allen Bundesländern explizit benannt wird. Dies ist in Hinblick auf die gesellschaftlichen Funktionen von Schule wenig überraschend. Es gibt jedoch Unterschiede darin, wie Leistung operationalisiert wird. So greifen viele Bundesländer auf dichotome Unter-scheidungen zurück, z. B. leistungsstark vs. leistungsschwach, während andere Bundesländer in manchen Indikatoren deutlich machen, dass es ein Spektrum an Leistungsfähigkeit gibt.

DesWeiterenzeigtsich,dassandereDifferenzlinien,wiesozialeHerkunftoderBehinderung, nurinwenigenBundesländernexplizitaufgeführtwerden.BeiderOperationalisierungder DifferenzlinienwerdenzumTeilrechtabstrakteBeschreibungenverwendet,z.B.„kulturelle Unterschiede“(EFB_HH).„Behinderung“tauchtinmehrerenBundesländernalsDifferenzlinie auf.JedochwirdnurimFallvonNiedersachsenexplizitthematisiert,dassdieseGruppevon Schüler_inneninsichsehrheterogenist(UBB_NI).

Weitere Differenzlinien, die bezüglich Teilhabe und Diskriminierung von Relevanz sind, wie sexuelle Orientierung oder Fremdwahrnehmung als Nicht-Deutsch, werden in den Instrumen-ten der Schulinspektion gar nicht benannt. Dabei fehlen insbesondere Differenzlinien, die in Kapitel 2 unter das dritte Kriterium fallen: Demnach sind Attribute von Relevanz, die von vielen als von der Norm abweichend angesehen werden. Bei der expliziten Verwendung von Differenzlinien ist auch die Darstellung der Daten zu berücksichtigen: So besteht bei vielen Formen der Operationalisierung die Gefahr, dass die Perspektive von zahlenmäßig kleinen Gruppen, z. B. Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, bei der Darstellung von Durchschnittswerten nicht ausreichend berücksichtigt wird. Ein weiterer Aspekt, der im

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Zusammenhang mit Differenzlinien in den Instrumenten einbezogen wird, ist die Unterschei-dung zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung (nähere Ausführung → Abschnitt 2.2). So kann es beispielsweise sein, dass diese voneinander abweichen bzw. dass die Fremdzuschreibung, z. B. Schüler_in mit Migrationshintergrund, kein identitätsstiftendes Merkmal für die jeweilige Person ist und daher auch nicht der Wunsch besteht, dass dieser Aspekt im Schulleben eine große Rolle spielt. Der Aspekt von nicht erwünschten Fremdzuschreibungen könnte im Rah-men des Schülerfragebogens erfasst werden, indem Schüler_innen befragt werden, ob ihnen stereotype Zuschreibungen im schulischen Alltag begegnen. Hiermit würde ein Kritikpunkt, der im Zusammenhang mit dem Honneth‘schen Anerkennungskonzepts genannt wird, aufge-griffenwerden(nähereAusführung → Kapitel2),indemWahrnehmungundWertschätzung vonIndividualitätnichtpersealsetwasPositivesverstandenwerden,sondernRaumdafür daist,kritischzuhinterfragen,inwieferndurchpositivintendierteWahrnehmungvon Indi-vidualitätstereotypeZuschreibungenundsomitdieReproduktionvonMachtverhältnissen einhergehen.

DarüberhinausfindetsichindenbetrachtetenInstrumentenauchnichtdieBerücksichtigung einer intersektionalen Perspektive wieder. So könnte argumentiert werden, dass der Fokus auf individuelle Differenzierung im Lernprozess diesen Aspekt beinhaltet. Jedoch spielt der Fokus auf das Individuum in den Instrumenten nur eine geringe Rolle und der Aspekt der

DarüberhinausfindetsichindenbetrachtetenInstrumentenauchnichtdieBerücksichtigung einer intersektionalen Perspektive wieder. So könnte argumentiert werden, dass der Fokus auf individuelle Differenzierung im Lernprozess diesen Aspekt beinhaltet. Jedoch spielt der Fokus auf das Individuum in den Instrumenten nur eine geringe Rolle und der Aspekt der