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Unterwegs zu einer ethischen Auffassung des Bildes

auf dem Weg zu einer Epoché des Willens

2.4. Unterwegs zu einer ethischen Auffassung des Bildes

Im Grimm-Wörterbuch wird man über die Bedeutung des Wortes ›Bild‹

folgendermaßen belehrt:

In bild liegt die vorstellung eines unter der schaffenden, gestaltenden, knetenden, stoszenden, schnitzenden, hauenden, gieszenden hand hervorgegangnen werks.

der schöpfer, meister, figulus hat es nach etwas anderm, das schon da ist, ge‑

macht, und über dem bild schwebt dieses urbild.52

Mit dieser paradigmatischen Definition werden zwei Merkmale des Bildes in den Vordergrund gerückt, die tief in der abendländischen Metaphysik verwurzelt sind: erstens die Idee, es handele sich beim Bild um das Pro-dukt einer menschlichen Arbeit, also um ein Werk; zweitens die Annahme, dieses Produkt unterscheide sich dadurch von anderen vom Menschen hergestellten Dingen, z. B. einem Hammer oder einem Tisch, dass es etwas anderes, »das schon da ist«, abbilde.53 Daraus folgt, jedes Bild setze ein Abgebildetes voraus, das eben durch sein Abgebildet-Werden den Wert eines Urbildes annehme. Aufgrund der ersten Voraussetzung werden jene natürlichen Phänomene nicht berücksichtigt, die nicht auf die menschliche Arbeit zurückgeführt werden können, wie z. B. »die Bilder im Wasser und in den Spiegeln«54 sowie die sogenannten geistigen Bilder bzw. ›phantás-mata‹, auf die Aristoteles in seinem Traktat Über die Seele ausführlich

52 Im Internet abrufbar unter: http://woerterbuchnetz.de / DWB (abgerufen am 7. Juli 2013).

53 In dieser Hinsicht kann ein kurzer etymologischer Exkurs hilfreich sein. So geht z. B.

das griechische Wort ›eikón‹ auf die Wurzel *eik zurück: »Diese Wurzel begegnet z. B.

auch in éoika und bedeutet ›gleichen‹, ›gleichkommen‹, ›zutreffen‹. […] Etymologisch gesehen, bedeutet also Eikon das, was einem anderen gleichkommt. Darin liegen zwei Strukturmomente: das als Eikon Bezeichnete wird in Beziehung gesetzt zu dem, dem es gleichkommt, also zu dem Paradeigma, und zwar so, daß es dem Paradeigma durch seine Ähnlichkeit entspricht« (Eltester 1958, 1). Im alten Griechenland wird Eikon »vorwiegend angewandt auf Kunstwerke, z. B. zur Bezeichnung eines Standbildes oder Gemäldes. Da unser Wort allein die Ähnlichkeit des Kunstwerkes mit seinem Vorbilde ausdrückt, kann es für bildliche Darstellungen aller Art verwendet werden […]. Daß Eikon seinen Sitz in der Sprache des Handwerkes hat, zeigt z. B. Plato, wenn im Timaeus ein dēmiourgós die aisthētá als Abbilder (eikónes) herstellt nach dem Vorbild (parádeigma) der noētá«

(ebd., 2).

54 Platon, Sophist. 239D (Werke, Bd. 6, dt. von Friedrich Schleiermacher, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1990, S. 299). Über Platons Auffassung von ›eikón‹ und

›eídolon‹ vgl. neben Sophist. (233D – 240D) auch Politeia (510A): »Ich nenne aber Bilder zuerst die Schatten, dann die Erscheinungen [phantásmata] im Wasser und die sich auf allen dichten, glatten und glänzenden Flächen finden und alle dergleichen, wenn du es verstehst.« (Werke, Bd. 4, Politeia, S. 547) Jedenfalls konzentriert sich auch Platon auf die vom Menschen hergestellten Bilder, indem er »die nachbildnerische Kunst« (tèn eido-lopoiikèn téchnen) (Sophist. 235A) sorgfältig analysiert. Für eine philosophische Deutung des platonischen Bildbegriffes in Sophist. vgl. Sini 1989.

eingeht.55 Aufgrund der zweiten Voraussetzung dagegen wird der Begriff des Bildes auf den Bereich des Visuellen beschränkt und darüber hinaus an die wesentliche Rolle eines Betrachters gebunden:56 Etwas kann als Bild nur dann bezeichnet werden, wenn es von jemandem gesehen und als Abbild wiedererkannt wird.

Es ist evident, dass sich sowohl die Surrealisten als auch Proust von diesem im Grunde genommen platonischen Verständnis des Bildes eman-zipiert haben. Um mit der zweiten oben geschilderten Voraussetzung anzufangen, heißt ›Bild‹ für sie keineswegs einfach Abbild, Nachahmung, Reproduktion usw. So schreibt Aragon in Le Paysan de Paris:

Le vice appelé Surréalisme est l’emploi déréglé et passionel du stupéfiant im-age, ou plutôt de la provocation sans contrôle de l’image pour elle‑même et pour ce qu’elle entraîne dans le domaine de la représentation de perturbations imprévisibles et de métamorphoses: car chaque image à chaque coup vous force à réviser tout l’Univers. Et il y a pour chaque homme une image à trouver qui anéantit tout l’Univers.57

Im vehementen Gegensatz zu den herkömmlichen Abbild-Theorien wird hier das Bild als unberechenbare (»sans contrôle«) Sprengung der Ordnung der Repräsentation gepriesen. Mit seinem das Subjekt überfordernden Einbruch (»perturbations imprévisibles«) reißt das Bild das Tableau des Wissens nieder und produziert somit  – analog zu dem Benjaminschen

»Ursprung« (GS I, 226) – einen Strudel, der uns zwingt, unsere Auffassung der Wirklichkeit einer weitgehenden Revision zu unterziehen (»à réviser tout l’Univers«). In diesem Sinne lässt sich das Bild keineswegs auf ein wie auch immer paradoxes Objekt reduzieren, das die besondere Gabe hätte, andere Objekte abzubilden. Vielmehr erscheint das Bild  – womit ich zur Kritik an der ersten oben angeführten Voraussetzung komme – als Medium einer Verwandlung, die weder das wahrnehmende Subjekt noch die wahrgenommene Welt unverändert lassen. Darüber hinaus meint Ara-gon, das Bild sei nicht einfach gegeben, stehe nicht allen zur Verfügung, sondern müsse erst einmal gefunden werden, und zwar ein bestimmtes Bild jeweils von einem bestimmten Menschen: »il y a pour chaque homme une image à trouver« – ein Gedanke, der als Antizipation von Benjamins

55 Nach Aristoteles setzt das ›phántasma‹ immer eine Wahrnehmung voraus, deren Nachbild es ausmacht (De anima 427b 15−16), d. h. es kann als eine aisthesis ohne Materie bestimmt werden: »τὰ γαρ φαντάσματα ὥσπερ αἰσθήματά ἐστι, πλὴν ἄνευ ὕλης« (432a 9−10). Fernerhin wird die ›phantasía‹ als das definiert, »wodurch in uns, wie wir sagen, ein Vorstellungsbild [phántasma] entsteht.« (428a 1−2; Aristoteles 1995, 157).

56 Vgl. De anima 429a 2−4: »Da aber der Gesichtssinn im höchsten Maße Wahrnehmungs‑

vermögen ist, erhielt die Vorstellung (Erscheinung) [phantasía] auch die Benennung vom Lichtschein, weil man ohne Licht nicht sehen kann.« (Ebd., 165)

57 Aragon 2007, 190.

»Jetzt der Erkennbarkeit« betrachtet werden kann.58 Dieser besonderen

›image‹ wohne eine außerordentliche Macht inne,59 die sich zerstörend, geradezu vernichtend auswirkt (»qui anéantit tout l’Univers«).60

Weit davon entfernt, als Werk aufgefasst zu werden, tritt das surrealis-tische Bild hingegen in eine fruchtbare Spannung zu jedem menschlichen Erzeugnis sowohl materieller als auch geistiger Art. Nicht von ungefähr geht Aragon im angegebenen Passus von der merkwürdigen Einordnung des Bildes als »stupéfiant« (Rauschgift) aus. Wie auch Proust zeigt, han-tiert man nicht willkürlich mit Erinnerungsbildern, sondern man wird von ihnen überwältigt und einer Verwandlung ausgesetzt, die einer »profanen Erleuchtung« gleichkommt, »zu der Haschisch, Opium und was immer sonst die Vorschule abgeben können« (GS II, 297).

Es handelt sich also um eine ganz besondere Auffassung vom Bild, die man als eine performative und eine ethische bezeichnen kann: Eine performative, weil das Bild ja kein statisches, ästhetisch zu betrachtendes Objekt bzw. Werk ist, sondern als eine Erfahrung gedacht wird, in und von der das Subjekt affiziert und verwandelt wird. Weiterhin steht hier eine ethische Auffassung im Spiel, weil das Bild nicht nur das Sehen, sondern überhaupt unseren Umgang mit der Welt und mit uns selbst modifizieren, damit aber unser Ethos prägen kann.61

Die ethische Bedeutung des surrealistisch geprägten Bildbegriffs kommt besonders in den letzten Seiten von Benjamins Surrealismus-Essay zum Ausdruck. An dieser Stelle geht er auf die von Aragon in seinem Traité du style (1928) ausgeführte Unterscheidung zwischen Vergleich und Bild ein und versucht diese »glückliche Einsicht in Stilfragen« (GS II, 308) politisch aufzuwerten. Dabei macht er sich Pierre Navilles Losung zu eigen, nach der die dringendste politische Aufgabe darin bestehe, den bürgerlichen und sozialdemokratischen dogmatischen Optimismus einer strengen Kritik zu unterziehen, um dagegen den Pessimismus zu organisieren:62

58 Vgl. Benjamins Aussagen über das »Jetzt der Erkennbarkeit«, die sich meistens gerade auf – und zwar dialektische – Bilder beziehen: Erstmals begegnet der Ausdruck bereits in einem auf 1920−21 zurückgehenden Fragment über »Erkenntnistheorie« (GS VI, 46), um später eine entscheidende Rolle in der Passagenarbeit (GS I, 682 und 1237; GS V, 578 f., 608, 1038, 1217, 1250) und in den Thesen Über den Begriff der Geschichte (V. These, GS I, 695) zu spielen.

59 Übrigens ließe sich die Ansicht der Surrealisten auch etymologisch bestätigen: Das Wort

›Bild‹ geht auf das althochdeutsche ›bilodi‹ zurück, das soviel wie ›ungewöhnliche Kraft, Wunderkraft‹ bedeutet (das altsächs. bildi stand für ›Wunderzeichen‹).

60 Vgl. auch folgende Formulierung aus Aragons Traité du style (1928, 140): »La poésie est par essence orageuse, et chaque image doit produire un cataclysme.«

61 Für einen hilfreichen Überblick über die vielfältigen Bildtheorien der Gegenwart vgl.

Pinotti / Somaini 2009.

62 Mit dem Hinweis auf den Pessimismus will Benjamin vor allem den Glauben an den Fort‑

schritt so klar wie möglich verwerfen, wie u. a. aus folgender Notiz zum Essay hervorgeht:

Den Pessimismus organisieren heißt nämlich nichts anderes als die moralische Metapher aus der Politik herausbefördern und im Raum des politischen Han‑

delns den hundertprozentigen Bildraum entdecken. Dieser Bildraum aber ist kontemplativ überhaupt nicht mehr auszumessen. (309)63

Der »hundertprozentige[] Bildraum« fällt nach Benjamin mit der »Welt allseitiger und integraler Aktualität« (ebd.) zusammen. Auch für ihn also verweist das ›Bild‹ nicht auf ein Werk, sondern auf ein kollektives Han-deln, und hat überdies nichts mit Vergleichen und Metaphern bzw. mit dem Urbild-Abbild-Schema zu tun, sondern hängt mit der Aktualität einer

»revolutionäre[n] Entladung« (310) zusammen.64

Was den hier behaupteten Zusammenhang von Bildraum und kollek-tivem Handeln angeht, lässt sich eine deutliche Spur erkennen, die uns von dem surrealistischen Kommunismus der 1920er Jahre auf Georges Sorels Réflexions sur la violence (1908) zurückführt.65 Eine der originellsten Thesen, auf die man in diesem berüchtigten Buch66 stoßen kann, besagt nämlich, dass jede kollektive Handlung aus sich selber Bilder erzeugt, die Sorel plakativ als ›Mythen‹ zu bezeichnen nicht zurückschreckt:

[L]es hommes qui participent aux grands mouvements sociaux, se représentent leur action prochaine sous forme d’images de batailles assurant le triomphe de leur cause. Je proposais de nommer mythes ces constructions dont la connais‑

sance offre tant d’importance pour l’historien: la grève générale des syndicalistes et la révolution catastrophique de Marx sont des mythes. […] Je voulais mon‑

trer qu’il ne faut pas chercher à analyser de tels systèmes d’images, comme on

»Merke: die Zeit in diesem Bildraum ist nicht mehr die des Fortschritts.« (GS II, 1041)

63 Vgl. Navilles La Révolution et les intellectuels – das Buch erschien 1928, enthält allerdings die bereits 1926 und 1927 einzeln erschienenen Artikel La Révolution et les intellectuels und Mieux et moins bien –, in dem die dialektische Entwicklung der surrealistischen Bewegung von ihren, wie der Autor meint, »spekulativen« Anfängen bis zum politischen Engagement bündig geschildert und eine dezidierte Stellungnahme für den bolschewistischen Marxismus befürwortet wird: »[L]’attitude métaphyisique adoptée par les surréalistes était a priori incompatible avec la forme même de la pensée surréaliste qui est dialectique dans son essence« (Naville 1928, 77). Die programmatische Relevanz des Pessimismus wird von Naville an folgender Stelle heraufbeschworen: »L’organisation du pessimisme est vraiment un des ›mots d’ordre‹ les plus étranges auquel puisse obéir un homme conscient. C’est cependant celui que nous réclamons de lui voir suivre.« (Ebd., 116)

64 Zu Recht hat Karlheinz Barck bemerkt: »Die Übertragung individueller in kollektive geschichtliche Erfahrung ist das Gedankenzentrum von Benjamins Surrealismus‑Essay, der keine Geschichte des Surrealismus, sondern Bausteine einer Theorie der Erfahrung liefert.« (in Lindner 2006, 391)

65 Vor ihrem Erscheinen als Buch im Jahre 1908 waren Sorels Réflexions schon 1905−06 in Form von Artikeln in der von Enrico Leone herausgegebenen italienischen Zeitschrift Il divenire sociale erschienen. Eine erste Anregung zur Lektüre Sorels erhielt Benjamin laut Scholems Erinnerungen (1975, 109) 1919 durch seine Gespräche mit Hugo Ball und Ernst Bloch in der Schweiz. Über Benjamins Sorel‑Lektüre vgl. Kambas 1984.

66 Um sich eine Vorstellung des von Sorel verursachten Aufsehens in den damaligen intellek‑

tuellen Zirkeln zu bilden, bleibt Thomas Manns Schilderung der Gespräche bei Dr. Sixtus Kridwiß im Doktor Faustus (Kapitel 34) nach wie vor an Pathos nicht zu überbieten.

décompose une chose en ses éléments, qu’il faut les prendre en bloc comme des forces historiques, et qu’il faut surtout se garder de comparer les faits accomplis avec les représentations qui avaient été acceptées avant l’action.67

Ohne den damals schon diskreditierten Namen Sorels zu erwähnen,68 nimmt Benjamin stillschweigend diese These wieder auf, um sie in einen neuen Kontext zu übertragen und mit Aragons stilistischer Einsicht zu überblenden. Damit weist er auf die Möglichkeit einer revolutionären Politik hin, in der dem Rausch die ausschlaggebende, wenngleich nicht ausschließliche Rolle zukommt: Eine politische Handlung, die nicht aus schon verfügbaren Theoremen bzw. Programmen abgeleitet, d. h. nicht als praktisches ›Abbild‹ eines von einer Avantgarde verfertigten ›Urbildes‹

aufzufassen wäre. Innerhalb dieser Handlung – nicht vor ihr – konstituiert sich ein ›Bildraum‹ eben als »organisation d’images capables d’évoquer instinctivement tous les sentiments qui correspondent aux diverses manife-stations de la guerre engagée par le socialisme contre la société moderne«, wie Sorel schreibt.69

Vor diesem Hintergrund kann also das eigenartige Konzept ›Bild-raum‹70 als die Benjaminsche Übersetzung des ›Mythos‹ im Sinne Sorels verstanden werden. Von hier lässt sich auch eine Verbindung zur radi-kalen Kritik ziehen, die von Benjamin an der politischen Verwendung von Vergleichen und Metaphern geübt wird: Sie lässt sich ohne weiteres als Variation über das die Réflexions durchziehende Thema des Gegensatzes von ›mythe‹ und ›utopie‹ deuten.71 »Überall, wo ein Handeln selber das

67 Sorel 1908, 26 f.

68 Nach der Publikation der Réflexions hatte sich Sorel der französischen nationalistischen Rechten der Action française zugewendet, um danach aber den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verurteilen und die Revolution in Russland mit Begeisterung zu begrüßen.

Für eine sehr informative Zurückweisung der Legende einer Sorel’schen Sympathie für den Faschismus vgl. Charzat 1983. Über Sorels Schaffen im Allgemeinen vgl. u. a. folgende hilfreiche Studien: Jacques Juillard / Shlomo Sand (Hg.), Georges Sorel en son temps, Seuil, Paris, 1985; Marco Gervasoni, Georges Sorel. Una biografia intellettuale. Socialismo e liberalismo nella Francia della Belle Époque, Unicopli, Milano, 1997.

69 Sorel 1908, 169.

70 Für eine detaillierte Untersuchung der Genese und der Wandlungen dieses Begriffs in Benjamins Schriften vgl. Weigel 1997 (114−129), wo u. a. auch auf die denkwürdige Spannung zwischen ›Bildraum‹ und ›dialektischem Bild‹ hingewiesen wird, also zwischen Begriffen, die »wie durch kommunizierende Röhren miteinander verbunden« sind (ebd., 120).

71 So Sorel (1908, 39 f.): »Les mythes révolutionnaires actuels sont presque purs; ils permettent de comprendre l’activité, les sentiments et les idées des masses populaires se préparant à entrer dans une lutte décisive; ce ne sont pas des descriptions de choses, mais des ex‑

pressions de volontés. L’utopie est, au contraire, le produit d’un travail intellectuel; elle est l’œuvre de théoriciens qui, après avoir observé et discuté les faits, cherchent à établir un modèle auquel on puisse comparer les sociétés existantes pour mesurer le bien et le mal qu’elles renferment […]. Tandis que nos mythes actuels conduisent les hommes à se préparer à un combat pour détruire ce qui existe, l’utopie a toujours eu pour effet de

Bild aus sich herausstellt und ist, in sich hineinreißt und frißt« (GS II, 309), gibt es keinen Platz für ›Utopien‹ mehr, die nur als Objekte für die Kontemplation taugen, dadurch aber von der Praxis fatal ablenken.

Aufgrund unserer Ausführungen lassen sich die letzten drei Seiten des Surrealismus-Essays als Fortschreibung des acht Jahre früher veröffent-lichten Aufsatzes Zur Kritik der Gewalt lesen. In beiden Texten wird der Versuch unternommen, das revolutionäre Handeln in seiner Eigen-dynamik zu begreifen, bzw. ein politisches Denken zu artikulieren, das sich endgültig von der verheerenden Trennung von Theorie und Praxis verabschiedet hat. Bezeichnend ist in diesem Sinne auch die von Benjamin immer wieder unnachgiebig behauptete Zurückweisung jeglicher Sonder-stellung der Intellektuellen. Während Benjamin in Zur Kritik der Gewalt mit Sorel darauf bestand, dass es in einer Revolution keinen Platz mehr für die Intellektuellen gäbe, »die es sich zum Beruf gemacht haben, für das Proletariat zu denken«,72 setzt er im Surrealismus-Aufsatz diese These mit Trotzki fort, indem er sie radikalisiert: Um »den Kontakt mit den proletarischen Massen zu gewinnen«, müsse die revolutionäre Intelligenz auf ihre privilegierte Stellung verzichten und sich in die proletarische Masse geradezu auflösen, »und sei es auf Kosten [ihres] künstlerischen Wirkens« (309).73

Der Bezug auf Sorel verdeutlicht, dass es beim Bildraum nicht darum geht, ein Bild in die Praxis umzusetzen, sondern darum, die Praxis als Ursprung von Bildern aufzufassen.74 Was das heißt, kann man am Beispiel der Barrikade beobachten. Neben der »Haussmannisierung« von Paris steht die Barrikade im Mittelpunkt von Konvolut E (GS V, 179−210) und a (»soziale Bewegung«, 852−898) der Passagenarbeit, begegnet jedoch schon im Exposé Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts, und zwar im letzten Abschnitt, »Haussmann oder die Barrikaden«, der mit der grandiosen Evokation der »Monumente der Bourgeoisie als Ruinen« (59)

diriger les esprits vers des réformes qui pourront être effectuées en morcelant le système;

il ne faut donc pas s’étonner si tant d’utopistes purent devenir des hommes d’État habiles lorsqu’ils eurent acquis une plus grande expérience de la vie politique.«

72 Zitat Sorel, GS II, 194.

73 Auch im Bericht über Moskau für Bubers Zeitschrift Die Kreatur (1927) hebt Benjamin hervor, den Intellektuellen komme keine Sonderstellung zu: »Wie sieht der Literat in einem Lande aus, in dem sein Auftraggeber das Proletariat ist? […] der Intellektuelle ist vor allem Funktionär, arbeitet im Zensur‑, Justiz‑, Finanzdepartement, ist, wo er nicht dem Untergang verfällt, Teilhaber an der Arbeit – das heißt aber, in Rußland, an der Macht.

Er ist ein Angehöriger der herrschenden Klasse« (GS IV, 337, 339). Über Benjamins Auffassung des Klassenkampfes vgl. Cavalletti 2009.

74 »Erst im Moment der revolutionären Aktion gewinnt politisches Handeln eine Vorstel‑

lung von sich selbst. Dies geschieht dadurch, daß die Aktion das revolutionäre Kollektiv erzeugt, im revolutionären Kollektiv buchstäblich leibhaftige Gestalt annimmt.« (Uwe Steiner 2000, 85)

den ganzen Text abschließt. Die Barrikade, die ursprünglich nichts anderes als eine bestimmte, in Paris während der sogenannten »Trois glorieuses«

(27.−29. Juli 1830) massiv eingesetzte, aufrührerische Technik war, ist bald nach ihrem Auftreten zur Ikone der revolutionären Bewegungen geworden:

Nicht von ungefähr wird dieses aus dem Französischen übernommene Fremdwort erst seit 1848 – als die Barrikaden auch in deutschen Städten auftraten – im deutschsprachigen Raum populär.

Tatsächlich hat man es hier mit einem Handeln zu tun, das »selber das Bild aus sich herausstellt und ist, in sich hineinreißt und frißt«

(GS II, 309).75 Denn mit einer wunderlichen Wendung kulminiert die Herstellung des Bildes in seinem Gefressen-Werden. Das Bild wird vom leiblich-handelnden revolutionären Kollektiv in Form eines bewohnbaren Bildraums herausgestellt, nicht um in ein selbstständiges, entfremdetes bzw.

verdinglichtes Wesen projiziert, sondern um dialektisch vernichtet und zum

»Leibraum« zu werden. In der »stetig sich steigernden Beschleunigung«,76 die die letzten Seiten des Surrealismus-Essays charakterisiert, markiert der Übergang vom Bild- zum Leibraum eine weitere, einschneidende Schwelle:

Wo das Handeln sich zur revolutionären Intensität steigert, erschließt es einen Bildraum, der ikonoklastisch die zu Idolen bzw. Vorbilder erho-benen Bilder zertrümmert. Im Bildraum, so meine These, gibt es keinen Raum mehr für Bilder im Sinne von phantasmagorisch entfremdeten Projektionen. In ihm ist das Handeln Bild, weil es (das Handeln) sich vom Zwang der Arbeit und des Konsums befreit hat, um sich als »reines Mittel« frei zu gestalten.

Wiederum sind hier manche Untertöne nicht zu überhören, in denen ein Echo von Motiven des Gewalt-Aufsatzes vernehmbar wird. Tut sich im Surrealismus-Essay der Bildraum »im Witz, in der Beschimpfung, im Mißverständnis« (309) auf, so war 1921 die Rede von einer »gewaltlose[n]

Sphäre menschlicher Übereinkunft« (192) und von einer dem Recht unzu-gänglichen »Kultur des Herzens« (191), als deren Musterbeispiel wiederum

»die Unterredung als eine Technik ziviler Übereinkunft« (192) angeführt wird. Witz, Beschimpfung und Missverständnis: lauter Phänomene, die aus der »eigentliche[n] Sphäre der ›Verständigung‹, [der] Sprache« (192) stammen. Bezeichnenderweise wird in ihnen keine Mitteilung befördert:

Sie dienen ja nicht einem ihnen äußerlichen Zweck, sondern finden in sich selbst – i. e. im performativen Akt ihres Geäußert-Werdens – ihren Sinn,

75 Stilistisch erinnert diese rhetorische Steigerung an das Theologisch-politische Fragment, wo Benjamin mit einem verblüffenden Antiklimax schreibt, dass der Messias die Beziehung

75 Stilistisch erinnert diese rhetorische Steigerung an das Theologisch-politische Fragment, wo Benjamin mit einem verblüffenden Antiklimax schreibt, dass der Messias die Beziehung