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Benjamins geschichtsphilosophische Kafka‑Lektüre

In einer Notiz zum Kafka-Essay (1934) schreibt Benjamin:

Es ist das Verhältnis dreier Dinge: Gesetz – Erinnerung – Tradition zu klären.

Wahrscheinlich baut sich Kafkas Werk auf diesen dreien auf. (GS II: 1200)1 Ob es Benjamin tatsächlich gelungen ist, dieses äußerst komplexe Ver-hältnis »zu klären«, mag zunächst dahingestellt bleiben. Unsere erste, bescheidenere Aufgabe muss vielmehr darin bestehen, die in dieser Notiz implizierte Fragestellung in ihren verschiedenen Facetten zu entfalten.

Dabei darf von Anfang an eine folgenschwere Voraussetzung nicht über-sehen werden: Wenn man das Verhältnis von Gesetz, Erinnerung und Tradition zu klären beansprucht, geht man von ihrer Trennung aus, d. h.

von einer Betrachtungsweise, in der das Verhältnis dieser Phänomene zueinander fragwürdig geworden ist. Diese Trennung hat ihrerseits eine Geschichte, die mit der Neuzeit einsetzt. Vor dieser Epoche war es anders:

Damals, zu einer für uns gleichsam unvordenklichen Zeit hätte es keinen

1 Über die Entstehungsgeschichte des Essays s. GS II, 1153−1188. Eine detaillierte Ein‑

führung in die im Essay behandelten Themen bietet Sigrid Weigels Artikel »Zu Franz Kafka« in Benjamin-Handbuch (Lindner 2006, 543−557). Dass die Beschäftigung mit Kafka eine Schlüsselrolle im Denken Benjamins darstellt, geht nicht zuletzt aus seinem Brief an Scholem vom 15. September 1934 hervor, in dem Benjamin behauptet, dass »ge‑

rade dieser Gegenstand [i. e. Kafka] alle Eignung hat, sich als Kreuzweg der Wege meines Denkens herauszustellen« (GB IV, 497). Vgl. auch den Brief an Werner Kraft vom 12.

November 1934, in dem Benjamin schreibt, dass »diese Studie mich an einen carrefour meiner Gedanken und Überlegungen gebracht hat und gerade die ihr gewidmeten weiteren Betrachtungen für mich den Wert zu haben versprechen, den auf weglosem Gelände eine Ausrichtung im Kompaß hat« (ebd., 525).

Sinn gehabt, ›Gesetz‹, ›Erinnerung‹ und ›Tradition‹ als drei verschiedene Sachen zu betrachten und über ihr Verhältnis zu grübeln. Denn damals war die lebendige, tagtäglich praktizierte Tradition jene allumfassende Sphäre, in der ein unfehlbares Gesetz und eine durch Riten und Mythen aufrechterhaltene Erinnerung eine solide, durchgreifende Einheit bildeten.

Am prägnantesten charakterisiert Georg Lukács auf den ersten Seiten seiner Theorie des Romans (1916) dieses Zeitalter, indem er die Welt des griechischen Epos heraufbeschwört:

Der Kreis, in dem die Griechen metaphysisch leben, ist kleiner als der unsrige:

darum können wir uns niemals in ihn lebendig hineinversetzen: besser gesagt:

der Kreis, dessen Geschlossenheit die transzendentale Wesensart ihres Lebens ausmacht, ist für uns gesprengt; wir können in einer geschlossenen Welt nicht mehr atmen. Wir haben die Produktivität des Geistes erfunden: darum haben die Urbilder für uns ihre gegenständliche Selbstverständlichkeit unwiederbring‑

lich verloren und unser Denken geht einen unendlichen Weg der niemals voll geleisteten Annäherung. […] Unsere Welt ist unendlich groß geworden und in jedem Winkel reicher an Geschenken und Gefahren als die griechische, aber dieser Reichtum hebt den tragenden und positiven Sinn ihres Lebens auf: die Totalität. Denn Totalität als formendes Prius jeder Einzelerscheinung bedeutet, daß etwas Geschlossenes vollendet sein kann.2

Es hat also eine Zeit gegeben, in der ›Gesetz‹, ›Erinnerung‹ und ›Tradition‹

voneinander nicht zu trennende Momente einer lebendigen »Totalität«

darstellten. Was passiert aber, wenn diese Totalität »gesprengt« wird?

Dann geht der Sinn des Lebens verloren und die Menschen bemühen sich vergeblich darum, die ihnen übrig gebliebenen Fragmente zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammenzufügen.

Nicht nur bei den Griechen der homerischen Epen kann man die

»Totalität als formendes Prius« finden, sondern auch im Judentum.3 So lautet eine für unsere Arbeit äußerst symptomatische, wenngleich lako-nische Notiz Benjamins zum Kafka-Essay einfach: »Das Eingedenken bei den Juden.« (GS II, 1213) Um zu verstehen, worin »das Eingedenken bei den Juden« eigentlich bestand, erweist sich Willy Schottroffs 1964 veröffentlichte Studie über die Wurzel ›zākar‹ im Alten Testament als besonders hilfreich.4 Das von Menschen  – nicht von Gott  – ausgespro-chene ›zkr‹ weist ein breites semantisches Spektrum auf, das Schottroff auf fünf Grundbedeutungen zurückführt: (1) die Erinnerung an Ereignisse

2 Lukács 1916, 25 f.

3 Bezeichnenderweise stellt Chaim Nachman Bialik – in einem Aufsatz, auf den ich später eingehen werde – einen klaren Zusammenhang zwischen der jüdischen Halacha und dem Epos her: »Nur ein ganz klein wenig, ein geringes Maß von Inspiration, und die Halacha verwandelt sich unter seiner [des Lesers, S. M.] Hand zum Epos.« (1919, 73)

4 Ich verwende die 1967 erschienene zweite, erweiterte Auflage.

der Vergangenheit; (2) das Bedenken von Tatbeständen; (3) die gefühls-betonte Anteilnahme; (4) das tathafte Verhalten; (5) der personale Bezug.

Hinsichtlich der ersten Bedeutung bemerkt Schottroff:

Indessen meint Erinnerung hier nicht ein gedankliches Sich‑Zurückversetzen oder gar ein Sich‑Zurückträumen in die Vergangenheit, vielmehr ist bei dieser Erinnerung ein Gegenwartsinteresse leitend: in Gen 42,9 und in 2 Kön 9,25 wird die Gegenwart im Lichte einer Weissagung verstanden, in Num 11,5 wertet die Wüstengeneration die von Entbehrungen gekennzeichnete Gegenwart kraft der Erinnerung an den Ägyptenaufenthalt ab. In der Erinnerung wird hier also das Wesen der Gegenwart erkannt, sie hat wertende Funktion. […] Die Erinnerung erfaßt hier also, was an der Vergangenheit für die Gegenwart aktuell ist, um zu einem angemessenen Handeln oder Verhalten zu kommen.5

Was im Mittelpunkt des jüdisch-biblischen Eingedenkens steht, ist dem-zufolge keineswegs die Vergangenheit, sondern das gegenwärtige, weit-gehend gemeinschaftlich vermittelte Handeln. Analog zum von Lukács thematisierten griechischen Epos weist das »Eingedenken bei den Juden«

auf eine Totalität, in der das Leben sich nach einer lebendigen Tradition richtet, in der gesetzliche Vorschriften und die von Generation zu Gene-ration überlieferten Erzählungen von kollektiven Erinnerungen einstimmig zusammenwirken.

Nun zeugt Kafkas Werk nach Benjamin paradigmatisch vom Tradi-tionsbruch und von seinen Folgen: Das Handeln wird nicht mehr von überlieferten Modellen geregelt, das Gesetz hat seine Selbstverständlichkeit eingebüßt, die Erinnerung erscheint nicht mehr als der feste Boden, auf dem die Gegenwart beruht, sondern eher als ein »Moorboden« (GS II, 429), in dem man jederzeit versinken kann. An einer der von Benjamin zitierten Stellen schreibt Kafka: »Ich habe Erfahrung und es ist nicht scherzend gemeint, wenn ich sage, daß es eine Seekrankheit auf festem Lande ist.«6 (428) Wenn die traditionelle Erfahrung darin besteht, sich in der Welt aufgrund von feststehenden Gesetzen orientieren zu können, zeugen Kafkas Schriften von einer schwindelerregenden Lage, in der anscheinend jedes Zeichen rätselvoll geworden ist, da es nicht mehr auf ein eindeutiges Signifikat verweist: »Von Ordnungen und Hierarchien zu sprechen, ist hier nicht möglich.« (415) Bereits im Trauerspielbuch hatte Benjamin dieses wesentliche Merkmal der Moderne durch die Formel der

5 Schottroff 1967, 114 f. Darauf kommt Schottroff nochmals im zusammenfassenden Ab‑

schluss seiner Studie zurück: »Über den bloß gedanklichen Bezug zu … hinaus [sic!] ist zkr hier eine Tendenz zur Tat hin eigen. Diese ist schon dort festzustellen, wo das Verbum die menschliche Erinnerung an Ereignisse der Vergangenheit bezeichnet. Die Erinnerung ergreift Vergangenes um seiner Gegenwartsbedeutung willen und im Blick auf ein gegen‑

wärtiges Handeln.« (339)

6 Es handelt sich um ein Zitat aus Kafkas Gespräch mit dem Beter (GS II, 428).

Allegorese dargelegt: »Jede Person, jedwedes Ding, jedes Verhältnis kann ein beliebiges anderes bedeuten.« (GS I, 350) Mit Kafka gelangt allerdings die prekäre, schwankende Phänomenologie des modernen Geistes an eine weitere Schwelle, auf der nicht nur die Ordnung der Repräsentation mit den auf ihr beruhenden semiotischen Rastern problematisch geworden ist,7 sondern auf der sogar die Wahrnehmung dessen, was sich ereignet, ungewiss bleibt: Schließlich weiß man nicht, was Odradek ist, nicht nur nicht, was es bedeutet.8

Mit einem dialektischen Kunstgriff betrachtet Benjamin jedoch Kafkas Werk als eine unerhörte Gelegenheit, um gerade in dem Zusammenbruch der Bedeutungen und der Sprengung der Totalität das Auftauchen einer unwillkürlichen Erinnerung an die Vorwelt zu erleben: eine Erinnerung an jene unvordenkliche Epoche, in der es noch kein Gesetz, damit aber auch keine strukturierten Traditionen gab; eine Epoche, die also dem Zeitalter der Totalität vorausging. Dieser eigentümliche Vorgang ließe sich schematisch so zusammenfassen: Erst in der Welt nach dem Gesetz kann sich die Erinnerung an die Welt vor dem Gesetz einstellen; erst in dieser auf dem Traditionsbruch beruhenden Gegenwart kommt jene archaische Vorwelt zu ihrer Lesbarkeit.

Damit erklärt sich auch, warum ich eine Lektüre des Kafka-Essays im Rahmen der vorliegenden Arbeit für wesentlich halte: Kafkas Werk gilt Benjamin als Zeugnis einer zur höchsten Intensität gesteigerten Erfahrung des Eingedenkens, das eine Eigendynamik entfaltet, die zu überraschenden Experimenten führt. Die Intensität dieser Erfahrung beruht darauf, dass es in Kafkas Welt weder ein Gesetz noch eine Tradition gibt, die das Eingedenken in seiner Entfaltung einschränken könnten. So lautet einer der Grundsätze von Benjamins Deutung: »Es kommt ihm [Kafka, S. M.]

darauf an, die Gegenwart durchaus zu eliminieren« (GS II, 1205). Denn Kafka lebte in der polaren Spannung zwischen Vorwelt und Erlösung.

Da aber die Vorwelt vergessen ist, kann man mit Benjamin die These aufstellen: Kafka betrachtet die Welt von der paradoxen Perspektive des Vergessens aus.9 Es handelt sich um eine paradoxe Perspektive, weil man

7 Zur modernen Ordnung der Repräsentation vgl. Foucault 1966, Kap. 3.

8 Das rätselvolle Ding ›Odradek‹ steht bekanntlich im Mittelpunkt von Kafkas Parabel Die Sorge des Hausvaters.

9 Über die Bedeutung des Vergessens in Benjamins Kafka‑Deutung hat Jeanne Marie Gagne‑

bin (1994, 104) zutreffend bemerkt: »L’oubli n’est pas seulement, chez Kafka, le thème profond de l’œuvre mais bien la loi secrète de sa production. C’est parce que le texte inaugural de la halachah se dérobe à notre saisie […] que les récits de Kafka, semblables aux commentaires hagadiques d’une loi disparue, acquièrent leur dynamique propre.

L’oubli de la tradition sacrée ou profane, qui autorisait jusqu’alors toute prise de parole ou d’écriture, engendre cette narrativité neutre, sans attaches ni assises, que les textes de Kafka manifestent.«

auf einem »Moorboden« (429) keinen stabilen Standpunkt einnehmen kann. Zudem verweigert sich das Vergessen jedweder Identifizierung: Es stellt keine eigentliche ›Position‹ dar, vielmehr die radikale Entsetzung jedweder anthropozentrischen Perspektive. Das Einzige, was man mit rela-tiver Sicherheit über das Vergessen behaupten kann, ist, dass es gleichzeitig entstellend und entstellt ist. So lässt es sich nicht ›an sich‹ betrachten, son-dern ausschließlich in seinen Wirkungen. Und diese Wirkungen erwecken im Betrachter ein tiefes Staunen. Nicht von ungefähr hält Benjamin mit Brecht das Staunen für das charakteristische Thema Kafkas:

Fest steht ihm [Brecht, S. M.] jedenfalls, daß Kafka nur ein einziges Thema hat […]. Dies Thema ist, im Sinne Brechts, aufs allgemeinste als das Staunen zu bezeichnen. Das Staunen von einem Menschen, der ungeheure Verschiebungen in allen Verhältnissen sich anbahnen fühlt ohne den neuen Ordnungen sich selber einfügen zu können. […] Kafka, scheint mir, ist davon so beherrscht, daß er überhaupt keinen Vorgang in unserm Sinn unentstellt darstellen kann. Mit andern Worten, alles, was er beschreibt, macht Aussagen über etwas anderes als sich selber. (GS II, 1203 f.)10

Statt das Staunen überwinden zu wollen, bleibt Kafka ihm in seiner ex-emplarisch nüchternen Schreibweise bis zum letzten treu. In seinem Essay versucht Benjamin seinerseits, dieses Staunen rigoros zu entfalten, und zwar nicht wie »das aus Papier gekniffte Boot« zum glatten Blatt, sondern »wie die Knospe zur Blüte« (GS II, 420).11 In dieser komplexen Entfaltung, in der sich vielfältige Ansätze fruchtbar verschränken, spielt das Motiv des Vergessens bzw. der Vergessenheit eine zentrale Rolle. Eine ausführliche Behandlung dieses Motivs ist insofern für uns unumgänglich, als das Vergessen die wesentliche Voraussetzung des Eingedenkens ausmacht.

6.2. Aktualität der Vorwelt und gestische Entleerung des Subjekts

Benjamins Kafka-Essay lässt sich als ein Traktat über das Vergessen bzw. die Vergessenheit lesen, das um folgende Problematik kreist: Wie geht man mit der Vergessenheit um? In Kafkas Schriften macht

Benja-10 Tagebucheintragung Benjamins vom 6. Juni 1931 (vgl. auch GS VI, 432 f.).

11 Die hier angedeutete Stelle aus dem Kafka‑Essay lautet in ihrer Vollständigkeit wie folgt:

»Das Wort ›entfaltet‹ ist aber doppelsinnig. Entfaltet sich die Knospe zur Blüte, so entfaltet sich das aus Papier gekniffte Boot, das man Kindern zu machen beibringt, zum glatten Blatt. Und diese zweite Art ›Entfaltung‹ ist der Parabel eigentlich angemessen, des Lesers Vergnügen, sie zu glätten, so daß ihre Bedeutung auf der flachen Hand liegt. Kafkas Pa‑

rabeln entfalten sich aber im ersten Sinne; nämlich wie die Knospe zur Blüte wird.« (GS II, 420)

min verschiedene Antworten auf diese Frage ausfindig, die allerdings im Text nicht systematisch durchgeführt, sondern mit einem für Benjamin charakteristischen Gestus durch Zitate und kurze Kommentare evoziert werden, um sich im Laufe der Darlegung zu überschneiden. Die vier Teile, in die sich der Essay gliedert, sind mit Namen von bestimmten Figuren –

»Potemkin«, »Ein Kinderbild«, »Das bucklicht Männlein«, »Sancho Pansa« – überschrieben, die auf je verschiedene Modi des Umgangs mit der Vergessenheit verweisen.12

Nach einer präzisen Konstruktion veranschaulicht die Geschichte vom unternehmungslustigen Kanzlisten Schuwalkin am Anfang des ersten Teils Kafkas »Rätselfrage« (410), die erst am Ende des letzten Teils im klugen Trick von Sancho Pansa ihre angemessene Lösung finden wird – allerdings nicht ohne einen die Rätsel anhäufenden Umweg über die zwei zentralen Abschnitte des Aufsatzes. Wie lautet aber Kafkas »Rätselfrage«? Obwohl Benjamin sie nicht explizit formuliert – er hält aus dieser Schrift jedweden Erläuterungsversuch programmatisch fern, um statt dessen parabolisch vorzugehen –, liefert er uns zum mindesten einen aufschlussreichen Hin-weis, um sie zu entschlüsseln:

Der eilfertige Schuwalkin, der alles so leicht nimmt und zuletzt mit leeren Händen da steht, ist Kafkas K. Potemkin aber […] ist ein Ahn jener Gewalthaber, die bei Kafka als Richter in den Dachböden, als Sekretäre im Schloß hausen. (410) Folgt man diesem Wink, so könnte die Rätselfrage folgendermaßen wie-dergegeben werden: Wie lässt sich das Vergessene als Vergessenheit zum Ausdruck bringen? Und vor allem: Wie kann man sich Wege erschließen, um dem schwer kompromittierten Verhältnis zur Tradition, d. h. zu den Vätern gerecht zu werden? Denn gerade die tiefe »Verkommenheit« (411) der Machthaber, die von Potemkin vorbildlich verkörpert wird, lastet auf verheerende Weise auf dem Leben der Söhne. So erscheint der alte Vater in Kafkas Urteil als »der Strafende« (ebd.):

So fristet […] der Vater […] von dem Sohn sein Leben, liegt wie ein ungeheurer Parasit auf ihm. Er zehrt nicht nur an seiner Kraft, er zehrt an seinem Rechte dazusein. (411 f.)13

12 Über den Stellenwert des Vergessens in Benjamins Kafka‑Lektüre bemerkt Alexander Ho‑

nold (2000b, 295): »Vergessen waltet sans phrase, wie im zeitgleichen und doch gänzlich anderen Denken Heideggers. Nicht ›etwas‹ wird oder ist vergessen, denn dann wäre die Lücke, etwa durch das Beibringen des vermißten Regenschirms, rasch und unkompliziert zu füllen. ›Vergessen‹ ist in einem weiten, gleichsam entleerten Sinne zu lesen. Es ist der Name für das Verhältnis, in dem die Menschen zur Vorgeschichte stehen, zu dem, was vor der Geschichte und vor ihrer Geschichte da ist, als immer schon Vorausgegangenes und beim Versuch seiner Vergegenwärtigung immer wieder Entgleitendes.«

13 Die In‑Frage‑Stellung der väterlichen Autorität kann als der geschichtsphilosophische Index sowohl von Kafkas als auch von Freuds Werk angesehen werden, wie Stéphane Mosès