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Das Tempus von Lob und Tadel

Im Dokument Lob und Tadel bei Aristoteles (Seite 39-47)

I. Was sind Lob und Tadel?

4. Die epideiktische Redegattung

4.3. Das Tempus von Lob und Tadel

Die Zeitverhältnisse der epideiktischen Redegattung sind wichtig, weil sie uns Vieles über das Wesen von Lob und Tadel verraten. Aristoteles behauptet, der epideiktische Redner beschäftige sich hauptsächlich, aber nicht ausschließlich mit der Gegenwart:

„Zeitformen gehören allerdings zu jeder von diesen Redegattungen:

zur deliberativen Redegattung gehört der Zukunft (denn über das Zukünftige überlegt man, sei es um zuraten oder um abraten); zur gerichtlichen Redegattung gehört die Vergangenheit (den auf das Geschehene bezieht sich immer sowohl der Ankläger als auch der Verteidiger); zur epideiktischen Redegattung gehört hauptsächlich das Gegenwärtige [o( parw/n] (denn alle loben oder tadeln gemäß dem, was vorliegt [ta\ u(pa/rxonta]), dennoch brauchen sie noch [diejenigen, die loben oder tadeln,] dazu oft das Vergangene, um etwas in Erinnerung zu rufen, und auch das Zukünftige, um etwas im Voraus vermuten lassen.“64

Rapp kommentiert, Aristoteles scheine an dieser Stelle „der Freude an der Systematisierung erlegen zu sein“, weil nur mit „begrifflicher Gewalt“

sich die Gegenwart als Zeit der epideiktischen Rede etablieren lasse. Als Beweis beruft er sich auf Rhet. II 22, wo Aristoteles zwei Beispiele des Lobes erwähnt, die zweifellos in die Vergangenheit gehören: Achills’

Tötung Hektors und Athens Sieg über Sparta.65 Rapps Kritik an Aristoteles 64 xro/noi de\ e(ka/stou tou/twn ei)si\ tw=| me\n sumbouleu/onti o( me/llwn (peri\ ga\r tw=n e)some/nwn sumbouleu/ei h)\ protre/pwn h)\ a)potre/pwn), tw=| de\ dikazome/n% o( geno/menoj (peri\ ga\r tw=n pepragme/nwn a)ei\ o( me\n kathgorei=, o( de\ a)pologei=tai), tw=| d

e)pideiktikw=| kuriw/tatoj me\n o( parw/n kata\ ga\r ta\

u(pa/rxonta e)painou=sin h)\ ye/gousin pa/ntej, prosxrw=ntai de\ polla/kij kai\ ta\ geno/mena a)namimnh/skontej kai\ ta\

me/llonta proeika/zontej. Rhet. 1358b13-20.

65 „Als nächstes erhält jede Redegattung eine bestimmte, für sie kennzeichnende Zeitstufe (xro/noj). Für die politische und die gerichtliche Gattung, die bereits durch das entweder zukunfts- oder vergangenheitsbezogene Urteil des Zuhörers eingeführt worden waren, ist das im ersten Fall die Zukunft

scheint angemessen zu sein, es lohnt sich trotzdem die Kritik genau zu bedenken, weil dadurch die Relevanz der Zeitverhältnisse für das Lob und den Tadel klar ans Licht kommt. Ich werde deshalb versuchen, Rapps Kritik auf dreifache Weise zu überprüfen:

Als Erstes werde ich die Bedeutung des Ausdrucks „o( parw/n“ gemäß der Erklärungen von Kraus analysieren. Als Zweites werde ich die Argumentation in Rhet. II 22 betrachten. Es scheint mir, dass gerade die Argumentation dort gegen Rapps Position spricht. Zuletzt werde ich anhand des ersten Teiles von Rhet. III 16 die Verflechtung zwischen Handlungen und Charakter explizieren. Dadurch werden wir sehen, dass der Charakter das eigentümliche Objekt des Lobes und des Tadels ist, und dass er in gewisser Hinsicht auf die Gegenwart bezogen ist. Auch dies spricht gegen Rapps Interpretation.

Das Wort „o( parw/n“ ist ein Partizip Präsens aktiv Singular maskulin des Verbes „pa/reimi“ . Als finites Verb bedeutet „pa/reimi“

„gegenwärtig“, „anwesend sein“, „daneben“ und „dabei sein“. Als Partizip bedeutet „o( parw/n“, „das Gegenwärtige“ aber auch das, „was zur Hand ist“. Offenbar bedient sich Aristoteles von dieser Zweideutigkeit des und im zweiten Fall die Vergangenheit. Für das Lob und den Tadel des vorführenden Redners bleibt als Zeitstufe die Gegenwart, wobei Aristoteles diese Zuordnung mit dem Hinweis relativiert, dass in dieser Gattung oft auch an das Vergangene erinnert oder das Zukünftige ausgemalt wird. Hier scheint der Autor der Freude an der Systematisierung erlegen zu sein, denn die dritte Zeitstufe für die dritte Gattung, nämlich die Gegenwart für die vorführende Rede, kann nur mit begrifflicher Gewalt etabliert werden: wenn etwa Aristoteles selbst in Kap. II 22 als Beispiele des Lobes Achills Tötung von Hektor oder den Sieg der Athener bei Sparta nennt, handelt es sich zweifellos um Vergangenes und es ist nicht einzusehen, warum dies weniger Gegenstand der vorführende Rede sein könnte.

– Das Problem dürfte sein, dass die Zuordnung von Zukunft und Vergangenheit zur Gerichtsrede und zur politischen Rede allzu gut passt, die vorführende Rede in diesem Schema aber eigentlich keinen Platz hat.“ Aristoteles/Rapp (2002) B2.

S. 259 Kommentar zu Rhet. 1358b13-b20. Und auch: „Die Zeitstufen Vergangenheit und Zukunft für die Gerichtsrede und die politische Rede sind klar;

die Gegenwart für die vorführende Rede oder Lobrede ist nur noch als ,Systemzwang‘ zu rechtfertigen.“ Aristoteles/Rapp (2002) B2. S. 254.

Partizips, indem er die Zuschreibung der Gegenwart zu der epideiktischen Rede mit dem Satz begründet: „alle loben oder tadeln gemäß dem, was vorliegt (ta\ u(pa/rxonta)“.

Was ist aber das, „was vorliegt“, was ist „ta\ u(pa/rxonta“ ? Und warum bezieht es sich auf die Gegenwart? Für Kraus schließe „ta\ u(pa/rxonta“

die vergangenen Taten der Gelobten bzw. der Getadelten ein. Diese Taten seien nun dem Redner gegenwärtig (to\ parw/n), wenn er lobt oder tadelt. Dazu kommentiert Kraus:

„[…]und wenn Aristoteles z.B. immer und immer wieder lehrt, es handle der beratende Redner vom Künftigen, der gerichtliche Redner und der epideiktische vorzüglich vom Gegenwärtigen, so ist wohl zweifellos, daß die Zweideutigkeit der Worte parw/n und u(pa/rxwn ihm hierbei zu Hülfe kam; denn die Lob- und Tadelrede bezieht sich zwar gern auf Zeitgenossen und in diesem Sinne auf die Gegenwart, aber das Lob der Vorfahren, der Heroen, Götter ist doch der beliebteste Gegenstand epideiktischer Reden; über paro/nta, u(pa/rxonta spricht der Redner in diesen Fällen nur insofern, als er von „Vorhandenem“ d.i. von solchem redet, was von dem Gelobten als vorhanden, existent oder wirklich prädiziert werden kann (vgl.

auch II 22, 1396a15– ktl.)“66

Besonders interessant an Kraus’ Zitat ist, dass er auf Rhet. II 22 hinweist, also genau auf die Stelle, auf die Rapp seine Kritik an Aristoteles’ „Freude an der Systematisierung“ begründen will. Um Kraus’ Hinweis zu verstehen, empfiehlt es sich deshalb eine detaillierte Betrachtung dieses Kapitels.

Rhet. II 22 handelt über das Enthymem. Das Enthymem ist eine Art der Deduktion in die Rhetorik67. Aristoteles stellt fest, dass, wer Deduktionen 66 Kraus (1907) S. 45. Fn. 1.

67 Vgl. besonders Rhet. 1395b21-22. Dazu Aristoteles/Rapp. (2002) B1. S. 323-335.

bilden wolle, seien es politische Deduktionen oder andere, müsse notwendigerweise „ta\ u(pa/rxonta“ („das Vorliegende“ oder „die vorliegenden Sachen“) haben, die zu dieser Deduktion gehören, und zwar benötige er entweder alle „ta\ u(pa/rxonta“ oder einige68.

Was „ta\ u(pa/rxonta“ sind, deutet Aristoteles zunächst am Beispiel einer politischen Deliberation: Es sei nicht möglich darüber zu deliberieren, ob die Athener Krieg führen sollen oder nicht, wenn man über die athenischen Streitkräfte, über ihre Alliierten und Feinde, über vergangene athenische Kriege und Derartiges nicht Bescheid weiß69. „ta\

u(pa/rxonta“ betreffen also in diesem Beispiel die Lage der Athener in Bezug auf den Krieg. Diese Lage besteht aus verschiedenen Tatsachen, wie die Größe der Streitkräfte, der Ausgang der vergangenen Kriege oder die Bündnisse mit anderen Völkern.

Im Hinblick auf das Loben und das Tadeln sind „ta\ u(pa/rxonta“ — das, was vorliegt — die Taten des Gelobten resp. des Getadelten. Zwar liegen solche Taten in der Vergangenheit, jedoch nur, weil sie von uns in der Gegenwart bekannt und anerkannt werden, sind wir überhaupt imstande, jemanden mit Recht zu loben oder zu tadeln. In dieser Hinsicht sagt Aristoteles:

„Oder wie könnten wir die Athener loben, wenn wir keine Kenntnis von der Seeschlacht von Salamis hätten oder von der Schlacht von Marathon oder von den für die Herakliden vollbrachten Handlungen oder von anderen so beschaffenen Handlungen. Denn alle loben infolge der vorhandenen schönen Handlungen oder infolge der zumindest vermeintlichen schönen Handlungen (tw=n u(parxo/ntwn h)\ dokou/ntwn u(pa/rxein kalw=n). Und gleichwohl tadeln alle infolge der gegenteiligen Handlungen, indem 68 Vgl. Rhet. 1396a4-6.

69 Vgl. Rhet. 1396a7-12.

sie darauf schauen, ob ihnen etwas Derartiges vorhanden ist oder vorhanden zu sein scheint (ti/ u(pa/rxei toiou=ton au)toi=j h)\

dokei= u(pa/rxein), wie zum Beispiel, dass die Athener die Griechen unterjocht haben; und dass die Athener die Einwohner von Aigina und Potidaia — die Bundesgenossen gegen die Barbaren waren und sich dabei, als die besten Bundesgenossen ausgezeichnet haben — zu Sklaven machten; und alle schauen auf andere derartige Handlungen, um zu sehen, ob ihnen irgendein so beschaffener Fehler vorhanden ist (ei)/ ti a)/llo toiou=ton a(ma/rthma u(pa/rxei au)toi=j.).“70

Nach Aristoteles wäre es für uns unmöglich, die Athener zu loben oder zu tadeln, wenn wir keine Kenntnis über ihre lobenswerten Handlungen — z.B. der Seeschlacht von Salamis — oder über ihre tadelnswerten Handlungen — die Knechtschaft über ehemalige Bundesgenossen — hätten. Loben und Tadeln setzen die Kenntnisse von authentischen oder zumindest von vermeintlichen lobens- bzw. tadelnswerten Handlungen voraus. Folgerichtig kann jemand nur dann mit Recht gelobt oder getadelt werden, wenn seine Handlungen nicht ganz im Dunkeln bleiben, sondern wenigstens einigermaßen bekannt werden. Hierin liegt einer der Gründe, die erklären, weshalb Aristoteles die Gegenwart als die Zeit für Lob und Tadel bestimmt hat: Nur wenn die vergangenen Handlungen des Gelobten oder des Getadelten dem gegenwärtigen Redner zur Verfügung stehen, kann er mit Recht loben oder tadeln.

Die Handlungen sind für den epideiktischen Redner so etwas wie der

„Rohstoff“ des Lobens und des Tadelns. Jedoch besteht die spezifische Funktion des Lobens oder Tadelns nicht darin, Handlungen und Ereignisse bloß zu schildern, dies wäre eher eine Aufgabe für den Dichter. Auf welche besondere Weise bezieht sich dann der epideiktische Redner auf die Handlungen? Eine Überlegung am Anfang von Rhet. III 16 bietet eine Antwort und bestärkt zugleich die Kritik an Rapps These bezüglich des Zeitverhältnisses der epideiktischen Reden. Aristoteles beginnt Rhet. III 16 mit der folgenden Überlegung:

70 Rhet II 22, 1396a12-22.

„[...] die Erzählung in den epideiktischen Reden erfolgt aber nicht der Reihe nach, sondern wird gemäß den verschiedenen Teilen verteilt:

es ist denn nötig, die Handlungen einzeln durchgehen, die die Rede ausmachen. Die Rede ist also zusammengesetzt einerseits aus fachfremden Elementen (denn die Ursache der Handlungen ist nicht im Redner zu finden), andererseits aus fachlichen Elementen; das fachliche Können besteht darin zu zeigen, dass etwas der Fall ist, wenn es unglaubwürdig ist, oder dass es von einer bestimmten Beschaffenheit (poio/n) oder von einer bestimmten Größe (poso/n) ist oder auch alle diese drei. Deswegen darf der Redner manchmal, nicht alle Handlungen der Reihe nach zu erzählen, weil sich eine solche Darstellung dem Gedächtnis nicht leicht einprägt.

Vielmehr ist der Gelobte aufgrund dieser Handlungen als tapfer zu bezeichnen, aufgrund jener Handlungen aber als weise oder gerecht.

Auch ist die Rede auf diese Weise einfacher, auf jene Weise aber bunt und nicht schlicht. Es ist nötig die bekannten Handlungen nur in Erinnerung rufen; deswegen bedürfen die meisten Menschen keiner Erzählungen, wenn man zum Beispiel den Achill loben will — denn alle kennen seine Handlungen; der Redner muss sich aber von diesen Handlungen gebraucht manchen. Wenn ein Redner aber den Kritias loben will, muss er seine Handlungen erzählen — denn die meisten Menschen kennen sie nicht.“71

Der epideiktische Redner beruft sich also nicht auf beliebige Handlungen, sondern auf Handlungen, die von Tapferkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und dergleichen zeugen. Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit sind verschiedene Formen des charakterlichen Gutseins. Wenn der Lobredner auf tapfere, weise und gerechte Handlungen hinweist, versucht er durch seine Erzählung, das charakterliche Gutsein des Gelobten vor der Hörerschaft bzw. vor den Zuschauern sichtbar zu machen.

Wenn die Funktion der Lobrede und des Lobes darin besteht, die Größe des Gutseins deutlich zu machen, ist es dafür nötig, die Handlungen als Handlungen von einer bestimmten Beschaffenheit zu schildern72. In der Passage von Rhet, III 16, die wir gerade analysieren, kommt Aristoteles auf diese Überlegung zurück und vertieft sie zugleich: Die vom Lobredner 71 Rhet. III 16,1416b16-29. Meine Kursiven.

72 „Das Lob ist eine Rede [bzw. ein Wort], die die Größe des Gutseins sichtbar macht (e)mfani/zwn me/geqoj a)reth=j). Es ist deswegen nötig, die Handlungen als Handlungen von einer bestimmten Beschaffenheit (w(j toiau=tai) vorzuführen.“ Rhet. 1367b28-29.

geschilderten Handlungen müssen einerseits von einer bestimmten Beschaffenheit sein, nämlich gemäß dem Gutsein; sie müssen aber auch eine bestimmte Größe aufweisen. Was meint Aristoteles damit?

Die Idee hier ist, dass nicht jede Handlung, die gemäß der Gerechtigkeit, der Tapferkeit oder dem Gutsein ausgeführt wird, ausreicht, um den Charakter einer Person als gut zu bestimmen: Der erfahrene Krieger bleibt vielleicht während der Schlacht ruhig, weil er weiß, dass sein Heer dem feindlichen Heer zahlenmäßig deutlich überlegen ist. Er verhält sich zwar wie ein Tapferer, indem er ruhig bleibt, ist aber keineswegs allein aufgrund dieser Haltung als tapfer zu qualifizieren73. Auch eine Person, die die Dunkelheit oder die Spinnen nicht fürchtet, handelt gemäß der Tapferkeit, ihr Verhalten bietet jedoch kein schlagkräftiges Argument für ihre Tapferkeit und verdient in der Regel kein Lob.

Es ist eine der wichtigsten Thesen meiner Arbeit, dass es auf die Größe der Handlung genauso ankommt, wie auf ihre Beschaffenheit, um das Lob oder den Tadel angemessen zu verteilen. Anders gesagt: Nicht jeder, der gemäß dem Gutsein handelt, verdient Lob; und nicht jeder, der gemäß dem Schlechtsein handelt, verdient Tadel. Die schönen Handlungen, die immer Lob verdienen, unterscheiden sich von den übrigen Handlungen gemäß dem Gutsein gerade darin, dass sie eine bestimmte Größe aufweisen. Und die hässlichen Handlungen, die immer tadelnswert sind, unterscheiden sich ebenfalls aufgrund einer bestimmten Größe von den übrigen schlechten Handlungen74.

Im Hinblick auf Rapps Kritik gegen Aristoteles will ich zuletzt noch einen Punkt erwähnen. Da Lob und Tadel sich auf den Charakter der Person und 73 Das Beispiel entstammt aus EN 1116b3-8.

74 Die schönen und die hässlichen Handlungen untersuche ich im zweiten resp.

dritten Kapitel dieser Arbeit.

nicht auf ihre einzelnen Handlungen beziehen — denn die Handlungen sind nur dann zu erwähnen, wenn dadurch der Charakter sichtbar wird —, besteht auch in dieser Hinsicht eine Verknüpfung zwischen Lob und Tadel einerseits und der Gegenwart andererseits: Die einzelnen Handlungen werden von uns ausgeführt, und sobald sie ausgeführt werden, gehören sie der Vergangenheit an; der Charakter dagegen ist in den meisten Fällen permanent. Anders formuliert: Wir realisieren verschiedene Handlungen, aber wir haben einen bestimmten Charakter. Solange eine Person erwachsen ist, ist in der Regel ihr Charakter gleichbleibend vorhanden bzw. präsent oder gegenwärtig. Deshalb empfiehlt Aristoteles beim Loben dessen, was als ehrenwert gilt, so zu reden, als wäre es im Gelobten gegenwärtig vorhanden:

„Es ist aber nötig bei jeder Zuhörerschaft über das, was jeweils als ehrenwert gilt (ti/mion o)/n), so zu reden, als ob es vorhanden wäre (w(j u(pa/rxei), so z.B., als ob das jeweils Ehrenwerte vorhanden sei bei den Skythen, den Lakonien oder den Philosophen.“75.

Der Vorrang des Charakters für das Zuteilen von Lob und Tadel und sein Vorhandensein oder besondere Art der Gegenwärtigkeit werden in Rapps Kritik übersehen76.

75 Rhet. 1367b9-11. In nächstem Kapitel werden wir den Unterschied zwischen ehrens- und lobenswert analysieren. Dieser kommt allerdings in den Ethiken nicht indes in der Rhet. vor.

76 Wie ich, kommt auch Moline zu dem Schluss, dass sowohl ein Lob wie auch ein Tadel im Hinblick auf den Charakter zugeteilt werden. Siehe Moline (1989) S.

294: „The question to be answered in conferring or withholding blame is not one of voluntariness, intentionality, deliberateness, or even avoidability at the time of the action. It is a question of the sorts of preferences or attitudes citizens in a community aiming at the complete and self-sufficient human good can tolerate in one another. It is a question of character.“ S. 295: „As with blame, praise on Aristotle's view "arises out of actions" (e)k tw=n prace/wn o( e)/painoj, Rhetoric 1367b24) but is not of or according to (kata/) actions; it is rather of or according to virtue (NE 1106a1-2).“ Ebd.: „While it is true that we praise or blame people for their actions and reactions, it is the agents themselves ― and more specifically, their dispositions ― which serve as the direct objects of the praise or blame, especially if one views the issue, as Aristotle does, from the perspective of politikh/, the body of understanding needed by a legislator or judge.“

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