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Gut, schön und lobenswert

Im Dokument Lob und Tadel bei Aristoteles (Seite 63-67)

II. Was ist lobenswert?

1. Das Lobenswerte und das Gutsein

1.2. Gut, schön und lobenswert

Für Aristoteles existieren verschiedene Arten des Gutseins. Der gute Läufer und der starke Athlet besitzen jeweils eine Form des körperlichen Gutseins. Zu diesen Formen zählen auch die Gesundheit, die physische Schönheit und die große Statur96. Ihrerseits besitzen der Tapfere und der Gerechte jeweils eine Form des seelischen Gutseins. Das seelische Gutsein wird wiederum von Aristoteles in charakterliche (h)qika/j a)retai/) und intellektuelle (dianohetika/j a)retai/) Formen des Gutseins eingeteilt97. Beispiele charakterlicher Formen sind die Gerechtigkeit und die Tapferkeit; Beispiele intellektueller Formen sind die Klugheit (fro/nesij) und die Weisheit (sofi/a). Zum körperlichen und seelischen Gutsein muss man auch das fachliche Gutsein hinzufügen.

Dies ist nämlich die Fähigkeit, ein fachliches Können in optimaler Weise auszuüben. Beispiele eines fachlichen Könnens sind die Heilkunst, das Spielen eines musikalischen Instrumentes, die Militärkunst oder die Dichtung98.

Gemäß der im letzten Abschnitt analysierten Definition aus EN 1101b12-14 scheint, dass alle Formen des Gutseins lobenswert sind. Dieser Eindruck wird jedoch durch eine Überlegung in EE widerlegt. In EE unterscheidet Aristoteles nämlich zwischen guten Dispositionen wie die Gesundheit und die physische Kraft als Formen des körperlichen Gutseins einerseits und guten und schönen Dispositionen wie Gerechtigkeit und Besonnenheit als Formen des seelischen Gutseins andererseits. Er 96 Vgl. Rhet. 1360b21-22 und 1361a1-6.

97 Vgl. EN 1103a1-10.

98 Vgl. EN 1104a11-19.

behauptet, dass ausschließlich die guten und schönen Dispositionen, d.h.

nur die Formen des seelischen Gutseins, das Lob verdienen. Der entsprechende Abschnitt in EE ist folgender:

„Es gibt ja das Gute (to\ a)gaqo/n) und das Schöne-Gute (to\

kalo\n ka)gaqo/n). Und sie unterscheiden sich voneinander nicht nur gemäß dem Namen, sondern als solche. Denn alle guten Dinge sind ein Ende (te/lh e)sti/n), das wegen sich selbst wählenswert (ai(reta/) ist. Unter den guten Dingen sind diejenigen schön, die wegen sich selbst völlig lobenswert sind (pa/nta e)paineta\

e)sti/n). Denn aus diesen Dingen entstehen diejenigen Handlungen, die lobenswert sind, und diese Dinge selbst sind lobenswert: Die Gerechtigkeit z.B. ist als solche und aufgrund der aus ihr entstehenden Handlungen lobenswert; auch die Besonnenen sind lobenswert, denn die Besonnenheit ist lobenswert. Dagegen ist die Gesundheit nicht lobenswert, denn ihre Hervorbringung (to\ e)/rgon) ist nicht lobenswert. Gleichwohl ist das, was vermittels der Kraft hervorgebracht wird, nicht lobenswert: Denn die physische Kraft ist auch nicht lobenswert. Zwar sind sie gute Dinge, lobenswerte Dinge sind sie nicht. Und dieses gilt auch im Hinblick auf andere Dinge durch Induktion.“99.

Diesem Zitat zufolge sind nur die Handlungen aufgrund der guten und schönen Dispositionen immer lobenswert. So sind Handlungen aufgrund der Gerechtigkeit oder der Tapferkeit immer lobenswert. Dagegen sind Handlungen aufgrund der Formen des körperlichen Gutseins nicht immer lobenswert. Die Gesundheit, eine Form des körperlichen Gutseins, ist nicht lobenswert, weil die Handlungen aufgrund der Gesundheit nicht notwendigerweise lobenswert sind.

99 e)/sti dh\ to\ a)gaqo\n ei)=nai kai\ to\ kalo\n ka)gaqo\n ou) mo/non kata\ ta\ o)no/mata, a)lla\ kaq au(ta\ e)/xonta diafora/n. tw=n ga\r a)gaqw=n pa/ntwn te/lh e)sti/n, a(\ au)ta\ au(tw=n e(/neka/ e)stin ai(reta/. tou/twn de\ kala/, o(/sa di au(ta\ o)/nta pa/nta e)paineta\

e)sti/n. tau=ta ga/r e)stin a)f w(=n ai(/ te pra/ceij ei)si\n e)painetai\ kai\ au)ta\ e)paineta/, dikaiosu/nh kai\ au)th\ kai\

ai( pra/ceij, kai\ oi( sw/fronej: e)paineth\ ga\r kai\

h( swfrosu/nh. a)ll ou)x u(gi/eia e)paineto/n: ou)de\ ga\r to\

e)/rgon: ou)de\ to\ i)sxurw=j: ou)de\ ga\r h( i)sxu/j. a)ll a)gaqa\ me/n, e)paineta\ d ou)/. o(moi/wj de\ tou=to dh=lon kai\ e)pi\ tw=n a)/llwn dia\ th=j e)pagwgh=j. EE 1248b16-26.

Dies scheint mir unproblematisch zu sein: Handlungen, die von einem gesunden Zustand zeugen, sind nicht deswegen lobenswert, sie zeugen von keinem guten Charakter. Sie zeugen lediglich von einem gesunden Körper. Sie sagen weder in gutem noch in schlechtem Sinn etwas über uns aus. Sie zeigen lediglich unseren körperlichen, nicht aber unseren seelischen Zustand. Das Gleiche gilt für die physische Kraft und letztendlich für jede Form des körperlichen Gutseins. Die Formen des körperlichen Gutseins sind zweifellos wünschenswerte und gute physische Zustände und trotzdem sind sie nicht lobenswert.

Problematisch an diesem Zitat aus der EE scheint mir jedoch, die dort getroffene Unterscheidung zwischen guten und guten-schönen Dingen.

Denn wir wissen noch nicht, was das Schöne ist. Wir wissen bereits, dass das Schöne sich auf besondere Weise auf das Gutsein bezieht. Wir haben ja im vorherigen Kapitel gesehen, dass Aristoteles den Zusammenhang zwischen dem Lob, dem Gutsein und dem Schönen in Rhet. I 9, 1366a23-25 feststellt, genau in dem Kapitel also, in dem er das Lob behandelt.

Später im gleichen Kapitel bekräftigt Aristoteles nochmals die Beziehung zwischen dem Gutsein und dem Schönen:

„Denn es ist offensichtlich, dass die aus dem Gutsein gemachten Dinge notwendigerweise schön sind (denn sie beziehen sich auf das Gutsein) und auch diejenigen Dinge, die aus dem Gutsein entstehen [sind notwendigerweise schön]. Diese beiden sind einerseits die Zeichen des Gutseins und andererseits seine spezifischen Hervorbringungen.“100

So sind z.B. sowohl Zeichen der Tapferkeit als auch tapfere Handlungen schön. Ein ähnlicher Gedanke finden wird in EN vorausgesetzt:

„Das Objekt des Lobes ist nämlich das Gutsein, denn aus dem Gutsein entstehen die schönen Handlungen.“101.

100 fanero\n ga\r o(/ti a)na/gkh ta/ te poihtika\ th=j a)reth=j ei)=nai kala/ (pro\j a)reth\n ga/r kai\ ta\ a)p a)reth=j gino/mena, toiau=ta de\ ta/ te shmei=a th=j a)reth=j kai\ ta\ e)/rga. Rhet. 1366b25-28.

101 o( me\n ga\r e)/painoj th=j a)reth=j: praktikoi\ ga\r tw=n

Die Verbindung mit dem Schönen scheint folglich, der Hauptunterschied zwischen den Formen des seelischen Gutseins und den Formen des körperlichen Gutseins zu sein. Aufgrund dieses Hauptunterschiedes werden die seelischen Formen des Gutseins immer gelobt, die körperlichen aber nicht. Es scheint deshalb, dass das Schöne grundsätzlich lobenswert ist. Und auch umgekehrt, dass das Lobenswerte grundsätzlich etwas Schönes ist. Was ist aber unter dem Schönen zu verstehen? Mit dieser Frage werden wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. Ich werde versuchen, erstens das Schöne zu definieren, zweitens zu erklären, warum die Menschen das Schöne loben und drittens, welche Gründe wir haben, um selbst nach dem Schönen zu streben.

kalw=n a)po\ tau/thj: EN 1101b31-32.

Im Dokument Lob und Tadel bei Aristoteles (Seite 63-67)