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Die Objekte und die Ziele von Lob und Tadel

Im Dokument Lob und Tadel bei Aristoteles (Seite 29-39)

I. Was sind Lob und Tadel?

4. Die epideiktische Redegattung

4.2. Die Objekte und die Ziele von Lob und Tadel

Bei den deliberativen Reden entscheidet die Hörerschaft über die beste künftige Handlung. Bei den gerichtlichen Reden entscheidet der Richter über die Angemessenheit oder Unangemessenheit der Anklage.

Demgemäß beurteilt der Zuschauer Aristoteles zufolge bei der epideiktischen Rede über die Fähigkeit oder das Vermögen: „o( de\ peri\

th=j duna/mewj o( qewro/j.“46.

Bei diesem Satz ist unklar, ob der Zuschauer die Leistung des Redners beurteilen muss oder den Inhalt der Lob- bzw. der Tadelrede. Auch die Bedeutung des Wortes „du/namij“ ist nicht eindeutig.

46 Rhet. I 3, 1358b6.

Nehmen wir zuerst die Frage nach der Rolle des Zuschauers. Der wichtigste Abschnitt für die Frage nach der Rolle des Zuschauers in der epideiktischen Rede lautet:

„Notwendigerweise ist der Zuhörer entweder ein Zuschauer oder ein Beurteiler (h)\ qewro\n ei)=nai h)\ krith/n), und zwar ein Beurteiler über vergangene oder zukünftige Dinge. Über zukünftige Dinge urteilt die Volksversammlung, über vergangene Dinge der Richter, über gegenwärtige Dinge der Zuschauer. Daher ergibt sich notwendig, dass es drei Arten von rhetorischen Reden gibt: die deliberative, die gerichtliche und die epideiktische.“47

Angesichts dieses Zitats könnte man meinen, dem Zuschauer stehe es nicht an, ein Urteil über das vom Redner Gesagte auszusprechen. Und dies im Unterschied sowohl zu dem Richter als auch zu der Volksversammlung. Es scheint, dass bei der epideiktischen Rede der Zuschauer keiner Kontroverse ausgesetzt ist und deshalb ist er nicht gezwungen, ein Urteil über die Lob- oder Tadelrede auszusprechen.

Obgleich der Zuschauer kein Richter (dikasth/j) im institutionellen Sinn ist, nichtsdestoweniger ist er doch ein Beurteiler (krith/j), wie von Aristoteles deutlich betont wird und wie Kraus richtig bemerkt hat48:

„Im weiteren Sinne des Wortes ist ihr [der Aristotelischen Rhetorik]

zufolge jeder Zuhörer, dessen Überzeugung in irgend einer Angelegenheit hervorgerufen werden soll, ein Richter, sowohl der dikasth/j und e)kklhsiasth/j als auch der qewro/j; im engeren Sinne werden jedoch nur die beiden ersteren so genannt; mit der Vergangenheit hat es der dikasth/j zu tun, mit dem Zukünftigen das Mitglied der Volksversammlung, hauptsächlich mit der Gegenwart der betrachtende Zuhörer der epideiktischen Rede“.49

Aristoteles behauptet, dass jede rhetorische Leistung um des Urteils bzw.

47 Rhet. 1358b1-8.

48 Vgl. Rhet. II 18, 1391b7-19.; und Kraus (1905) S. 14.

49 Kraus (1907) S. 32. Dazu noch müssen wir merken, dass jede rhetorische Leistung um des Urteils oder der Entscheidung willen durchgeführt wird. Siehe dafür Rhet. II 1, 1377b20-2. Siehe auch Aristoteles/Rapp (2002) B2. S. 255-57.

der Entscheidung willen durchgeführt wird50. Die Lob- und Tadelreden versuchen, wie die übrigen Redegattungen, den Zuschauer zu überzeugen. Wer lobt oder tadelt, verlangt von den Zuhörern oft nicht, dass sie sich zu seiner Meinung, seinem Lob oder Tadel, äußerlich bekennen; er erwartet jedoch zumindest die innerliche Zustimmung der Hörerschaft zu gewinnen. Eine rhetorische Leistung, die nicht auf die Überzeugung der Hörerschaft abzielte, hätte in der aristotelischen Systematik der Rhetorik keinen Platz. Was genau der Zuschauer beurteilen muss, ist immer noch unklar. Es fehlt auch eine Explikation, worüber genau die Lob- und Tadelrede handeln. Beide Fragen bringen uns zurück zum Problem der „du/namij“:

Aristoteles Zitat über die du/namij lautet:

„der Zuschauer entscheidet also über die Fähigkeit“ (o( de\ peri\ th=j duna/mewj o( qewro/j51).

Die Knappheit dieses Satzes wurde zum Anlass für eine jahrhundertelang währende falsche Interpretation, deren Ursprung wohl bei Cicero und bei Quintilian zu finden ist. Nach dieser Interpretation ist mit dem Wort

„du/namij“ das künstlerische Können des Redners gemeint. Die epideiktischen Reden wären lediglich Prunkreden, die zum Ziel haben, die rhetorische Fähigkeit des Redners zu zelebrieren. Das Verb

„e)pidei/knumi“ bedeutet, etwas zur Schau zu stellen. Und das, was vorgezeigt wird, muss die Redekunst des jeweiligen Redners sein52. 50 Siehe dafür Rhet. II 1, 1377b20-2. Siehe auch Aristoteles/Rapp (2002) B2. S.

255-57.

51 Rhet. I 3, 1358b6.

52 Für Quintilian und Cicero siehe Kraus (1905), S. 21-23. Der Grund für diese alte und fehlerhafte Deutung erklärt Kraus teilweise mit dem Hinweis auf die Knappheit des Satzes: „Die Zweideutigkeit des Wortes e)pideiktiko/n und die stenographische Kürze des Ausdrucks peri\ duna/mewoj o( qewro/j ist

Es ist das Verdienst des bereits erwähnten Prager Philosophen Oskar Kraus (1872-1942) dieser Interpretation durch zwei Schriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Boden entzogen zu haben. Kraus verteidigt, dass mit dem Wort „du/namij“ Aristoteles die ethische „a)reth“/ — i.e.

das charakterliche Gutsein — und die ethische kaki/a — i.e. das charakterliche Schlechtsein — meinte.

Im nächsten Kapitel werden wir sehen, was Aristoteles unter „Gutsein“

meinte, und welche verschiedene Arten des Gutseins er erkennt. Für dieses Kapitel reicht zu erklären, dass ich mit „Gutsein“ immer das Gutsein des Charakters meine. Bleiben wir eine Weile bei Kraus’ Analyse, um die wichtigsten Stationen seiner Exegese zu erwähnen. Daraus werden wir relevante Informationen für die Bestimmung von Lob und Tadel herausarbeiten53.

Aristoteles widmet das ganze neunte Kapitel von Rhet. I dem Lob und Tadel. Am Anfang des Kapitels stellt er die zentralen Begriffe für Lob und Tadel fest:

„Nach diesem lass uns über Gutsein und Schlechtsein, über das Schöne und Schändliche sprechen. Diese nämlich sind die Ziele gewiß ein Anlaß des Mißverständnisses geworden;“ Kraus (1905) S. 23. Kraus zufolge sei jedoch eine allmähliche Emanzipation der Rhetorik von der Ethik eine wichtigere Ursache der Konfusion gewesen. Diese Emanzipation hätte als bedeutendste Konsequenz, dass die a)reth/ nicht mehr als das eigentliche Objekt des Lobens betrachtet wurde. Vgl. Kraus (1905),S. 23-26. Die a)reth/

und ihre Beziehung mit dem Lob werden uns in nächstes Kapitel beschäftigen.

53 Vgl. Kraus (1905) und (1907). Kraus’ Argumentation wurde später von Mirhady (1995) S. 406 sqq. wiederholt, wie Rapp dokumentiert Aristoteles/Rapp (2002) B2. S. 256. Rapp selbst findet die Kritik von Kraus angemessen und die traditionelle Interpretation schlechthin falsch und unaristotelisch. Siehe Aristoteles/Rapp (2002) B2. S. 255-258. Trotzdem findet man immer noch Autoren, die an der falschen Interpretation gefangen bleiben, siehe z.B.

Rountree (2001), S. 295. Merkwürdigerweise zitiert Rountree (2001) S. 295 die zwei Werke von Kraus, die ich hier benutzt habe, trotzdem behauptet er im Hinblick auf den Zuschauer und seine Rolle als Hörer der epideiktischen Rede: „a spectator is concerned with the ability [of the speaker]“.

(skopoi/) für diejenigen, die loben und tadeln.“54.

Wenn diese die zentralen Begriffe für Lob und Tadel sind, was ist denn das Objekt von der Lob- und Tadelrede und was haben diese Begriffe mit der erwähnten „du/namij“ zu tun?

Die epideiktische Rede enthält keine Überlegung über diese Begriffe. Der Lob- oder Tadelredner will nicht einem Zuschauer beibringen, was diese Begriffen bedeuten. Das Schöne und das Schändliche, das Gut- (a)reth/) und das Schlechtsein (kaki/a) sind nicht der Endzweck der epideiktischen Reden, sei es der Lob- oder Tadelrede. Der Endzweck jeder diesen Reden ist, wie gesagt, die Entstehung einer Überzeugung beim Adressaten55. Wir müssen deshalb herausfinden, worauf sich die Überzeugung der Lob- und Tadelrede bezieht, um die Themen der epideiktischen Redegattung herauszufinden. Fangen wir mit der Lobrede an.

Gemäß Aristoteles gehöre es zur Lobrede, die Größe des Gutseins (a)reth/) sichtbar zu machen. Damit dies geschehe, sei es nötig, dass der Redner die Handlungen so vorführe, wie sie „beschaffen“ sind:

„Das Lob ist eine Rede, die die Größe des Gutseins sichtbar macht 54 Rhet. 1366a23-25.

55 Vgl. Rhet. I 1, 1355a2-5 und Rhet. I 2, 1355b25-27. Siehe auch Rhet. III 16, 1416b16-1417a6. Da wird es klar, dass jede Rede nicht um das Theoretisieren bestimmter Begriffe geht, sondern um zu zeigen, dass eine Handlung gerecht oder nützlich usw. ist Darüber Kraus (1905) S. 14: „Der Zuhörer soll aber nicht nur von dem überzeugt werden, was Tugend und Laster, und was kalo/n und ai)sxro/n ist; er soll über die Größe, über das Maß ein Richter sein; und dieser Umstand ist ebenfalls allen Redegattungen gemeinsam.“ Siehe auch Aristoteles/Rapp (2002) B2. S. 390. Anmerkung zu 1366a23-1366a33: „Tugend (a)reth/) und Laster (kaki/a), das Schöne (to\ kalo/n) und das Schändliche (to\ ai)sxro/n) stellen den Gegenstand der lobenden bzw. tadelnden Rede wie überhaupt den Gegenstand von Lob und Tadel dar.“

(e)mfani/zwn me/geqoj a)reth=j), es ist deswegen nötig, die Handlungen als Handlungen von einer bestimmten Beschaffenheit (w(j toiau=tai) vorzuführen.“56

Was meint Aristoteles hier mit „die Größe des Gutseins“? Mein Interpretationsvorschlag ist: Die Größe des Gutseins (a)reth/) deutlich zu machen, bedeutet, das Gutsein in all seiner Schönheit vor die Augen der Zuschauer zu führen. Das Gutsein gehört zu den sogenannten „schönen Dingen“ (ta\ ka/la). Das Gutsein ist vielleicht das Schönste überhaupt.

Das Gutsein (a)reth/) ist eine innere Disposition, eine „Beschaffenheit“

der Seele. Daher ist es nicht sichtbar, ähnlich wie das Hör- oder Sehvermögen nicht sichtbar sind. Der Lobredner versucht, das Gutsein des Gelobten sichtbar zu machen. Daher muss der Lobredner sich auf die Handlungen des Gelobten beziehen. Er muss nämlich zeigen, dass die Handlungen des Gelobten schön sind. Schöne Handlungen weisen auf das Gutsein des Charakters des Handelnden hin.

Die Aufforderung des Aristoteles, in der Lobrede die Handlungen als

„Handlungen von einer bestimmten Beschaffenheit vorzuführen“, heißt nach meiner Interpretation, die Handlungen als dem charakterlichen Gutsein entsprechend aufzuzeigen. Denn nur Handlungen, die dem charakterlichen Gutsein entsprechen, können schöne Handlungen sein.

Jedoch sind nicht alle Handlungen, die dem Gutsein entsprechen, schön und daher weisen nicht alle Handlungen, die dem Gutsein entsprechen, auf einen guten und lobenswerten Charakter hin. Schöne Handlungen sind nur diejenigen, die gemäß dem Gutsein erfolgen und von einer 56 Rhet. 1367b28-29. Kraus übersetzt und ergänzt zugleich: „Das Lob ist eine Rede, welche die Größe der Tugend anschaulich macht. Er (der Redner) muß nun die Handlung darstellen, aufweisen als so geartete d.h. als tugendhafte.“

Kraus (1905) S. 12.

bestimmten Schwierigkeit und Bedeutung sind, d.h. von einer bestimmten

„Größe“.57

Der Lobredner zielt also auf das Gutsein ab, weil er beweisen will, dass der Gelobte über das Gutsein verfügt. Um dies zu beweisen, muss er zeigen, dass der Gelobte schöne Handlungen ausgeführt hat. Insofern zielt der Lobredner gleichzeitig auf das Gutsein und auf das Schöne.

Ähnliches gilt beim Tadel: Der Tadelredner versucht, das charakterliche Schlechtsein (kaki/a) des Getadelten in seiner Tragweite zum Vorschein zu bringen. Dieses tut er, indem er Handlungen des Getadelten als hässlich oder niedrig schildert. Der Tadelredner zielt auf das Schlechtsein ab, indem er versucht, einen schlechten Charakter auszumalen; dafür aber muss er wiederum die Handlungen des Getadelten als hässlich schildern. Insofern zielt er gleichzeitig auf das Hässliche und auf das Schlechtsein58.

Kommen wir nun zum Wort „du/namij“ und seiner Bedeutung zurück.

Nach Kraus beziehe sich die im Rhet. I 3, 1358b6. erwähnte „du/namij“

57 Was eine schöne Handlung ist, analysiere ich im Kapitel II.

58 In Rhet. I 9 konzentriert sich Aristoteles meistens auf das Lob. Kraus meint daher, dass Aristoteles in diesem Kapitel a parte meliore argumentiere, indem er lediglich das Lob analysiere, seine Überlegung aber mutatis mutandi für den Tadel gelte. Kraus Meinung finde ich zutreffend. Denn Aristoteles definiert in diesem Kapitel einige „a)retai/“, — i.e. einige Formen des charakterlichen Gutseins wie Tapferkeit, Besonnenheit, Freigebigkeit und Großgesinntheit (Rapp Vorschlag für griechische „megaloyuxi/a“) — und über ihre jeweils entsprechende „kaki/a“ (ihre jeweilige charakterliche Form des Schlechtseins) behauptet er nur, sie sei „das Gegenteil“ (de\ tou)nanti/on). Siehe dafür Rhet.

1366b11-20. Auch am Ende des Kapitels behauptet Aristoteles, wenn man das Lob und die Enkomien (ta\ e)gkw/mia) verstanden habe, seien es auch ihre Gegenteile offenbar, nämlich der Tadel und die Vorwürfe (ta\ o)nei/dh). Den Unterschied zwischen Enkomium und Lob behandle ich im nächsten Kapitel; den zwischen Vorwurf und Tadel im Kapitel III.

auf das Gutsein (a)reth/) und das Schlechtsein (kaki/a), da sowohl das Gutsein als auch das Schlechtsein für Aristoteles eine spezifische Art von

„du/namij“ seien59. Als Beweis für seine Interpretation beruft sich Kraus auf Rhet. I 9., wo Aristoteles das Gutsein als eine „du/namij“ definiert und ihre Formen bzw. „Teilen“ aufzählt:

„Gutsein aber ist, wie es scheint, eine Kraft (a)reth\ d e)sti\ me\n du/namij w(j dokei=), Güter zu beschaffen und zu bewahren, und eine Kraft, viele und große Wohltaten zu erweisen, und zwar alle Arten von Wohltaten bei allen Dingen. Die Formen [wörtlich: „Teile“]

des Gutseins sind: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit, Großzügigkeit, Großgesinntheit, Freigebigkeit, Sanftmut, Klugheit, Weisheit. Notwendigerweise sind die größten Formen des Gutseins aber diejenigen, die den anderen am nützlichsten sind, wenn das Gutsein ja eine Kraft ist, Wohltaten zu erweisen (ei)/per e)sti\n h( a)reth\ du/namij eu)ergetikh/) […]“60.

Diese Stelle nennt Kraus „einen Hymnus“ und fügt hinzu:

„Da in dieser einem Hymnus ähnlichen Definition von der a)reth/

prädiziert wird, daß sie eine du/namij sei, so durfte und mußte ich, wenn ich nicht an der überkommenen Verzerrung aristotelischer Lehren mitschuldig werden wollte, unter der du/namij, die den Gegenstand der epideiktischen Rede und der Beurteilung ihres Zuhörers bildet, nichts anderes verstehen als die von der Tugend bzw.

dem Laster prädikable Macht, Gewalt oder Kraft.“61

Für Kraus’ These spricht die Tatsache, dass die Definition des Gutseins als „du/namij“ in dem Abschnitt vorgebracht wird, der dem Lob und dem Tadel gewidmet ist. Aristoteles verliert bei dieser Definition kein einziges Wort über die vermeintliche rhetorische Fähigkeit eines Redners als Objekt des Lobes und Tadels. Die Redekunstfertigkeit wird auch nicht unter den Teilen des Gutseins erwähnt.

59 Vgl. Kraus (1907) S. 41.

60 Rhet. 1366a36-1366b4.

61 Kraus (1907) S. 41.

Es gibt noch ein weiteres Argument dafür, unter „du/namij“

hauptsächlich die Formen des charakterlichen Gutseins zu verstehen, und zugleich das Gutsein als das eigentliche Objekt des Lobes zu bestimmen:

Gleich nach der erwähnten Definition des Gutseins als eine Kraft oder Fähigkeit, Gutes zu bewirken, behauptet Aristoteles, die Leistungen einer Person seien ein Zeichen ihrer inneren Beschaffenheit (e(/cij). Oft lobten wir eine Person, so Aristoteles weiter, nicht etwa, weil sie schöne Leistungen vollbracht hat, sondern lediglich, weil wir glaubten, sie hätte die nötige Beschaffenheit, um schöne Leistungen zu verbringen:

„Die Leistungen sind aber ein Zeichen der Beschaffenheit (ta\ d

e)/rga shmei=a th=j e(/cew/j e)stin) , da wir ja auch jemanden loben könnten, der noch nichts vollbracht hat, falls wir glauben, dass er von einer solchen Beschaffenheit ist.“62.

So können wir jemanden loben, nicht weil er bereits tapfere und große Taten durchgeführt hat, sondern weil wir ihn — aus welchen Gründen auch immer — für tapfer halten. Das Lob richtet sich also auf die tatsächliche Erscheinung des Gutseins durch das Handeln der Person oder sogar auf die Vermutung des Gutseins im Charakter der Person. Dies scheint mir dadurch bestätigt, dass Aristoteles das Gutsein auch in anderen Werken sowohl als eine besondere Art von Beschaffenheit (e(/cij) als auch eine besondere Art von „ du/namij“ definiert63. Es bleibt 62 Rhet. 1367b32-34.

63 Für das Gutsein als Disposition oder Verfassung (e(/cij) und als Fähigkeit (du/namij) vgl. EE 1218b37-1219a6. Siehe auch für das Gutsein als Fähigkeit (du/namij) De Anim II, 417a21-31. Beide Passagen so wie den Begriff der

a)reth/ im Allgemeinen diskutiere ich ausführlich in nächstem Kapitel. Für eine Diskussion über den Unterschied zwischen dem Begriff der „a)reth/ als

du/namij“ in Rhet. und als „e(/cij“ in der EN siehe Allard-Nelson (2001). Wie ich, meint auch Allard-Nelson, dass Aristoteles den Begriff der „a)reth/ konsequent in Rhet. und EN behandelt. Sie versteht eine gute „e(/cij“ (eine

noch das Zeitverhältnis der epideiktischen Rede zu erklären.

a)reth/) als eine entwickelte oder vollkommene „du/namij“. Wer eine

du/namij“ hat, kann sie zum Guten oder zum Schlechten anwenden, dagegen, wer eine gute „e(/cij“ entwickelt hat, kann sie nur zum Guten betätigen. Die meisten Menschen, die die Kunst der Rhetorik praktizieren, besitzen die

„du/namij“ der Rhetorik, nicht aber die gute „e(/cij“ bzw. die „a)reth“ /. Siehe Allard-Nelson (2001), S. 253-355

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