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Steuerhinterziehung und Steuervermeidung

Im Dokument Steuerhinterziehung und Finanzpolitik (Seite 31-35)

Das Grundmodell ist ohne weitere Diskussion eingeführt worden. Es bleibt daher die Aufgabe, die Tragweite des Modells zu bewerten. Dieser Aufgabe wenden sich dieser und der nächste Abschnitt zu. In Abschnitt 1.5 werden die Annahmen des Grundmodells diskutiert. Dabei wird deutlich werden, welche Modifikationen des Modells im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu erwarten sind. Der Beantwortung der Frage, auf welche Aktivitäten eines Stpfl. das Modell anwendbar ist, dient die Abgrenzung der Steuerhinterziehung von der Steuervermeidung in diesem Ab-schnitt.

Nicht alle Aktivitäten, die das Ziel haben, Steuern zu sparen, können als Steu-erhinterziehung qualifiziert werden. Der Anwendungsbereich der in dieser Arbeit

verwendeten Modelle ist daher begrenzt. Die Abgrenzung ist nicht ganz einfach.

Sie ist auf der anderen Seite lohnend, da sie den Standort einer Theorie der Steu-erhinterziehung innerhalb der steuertheoretischen Literatur deutlich macht.

Sowohl der Steuerhinterzieher als auch derjenige, der Steuern vermeiden will, versuchen, Geld zu sparen. Die Gemeinsamkeiten von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sind damit aber im allgemeinen zu Ende. Sie unterscheiden sich durch ihre gesetzliche Würdigung, den Informationsstand der Finanzbehörden, durch eine wichtige Eigenschaft der Budgetbeschränkung des Stpfl. und ihre ln-zidenz. Die Unterscheidungsmerkmale sind nicht unabhängig voneinander. Ich gehe jedoch im folgenden auf jedes der vier Merkmale ein, da erst durch alle zu-sammen deutlich wird, wie sich die Steuerhinterziehung von der Steuervermeidung unterscheidet.

Nach§ 370 Abs. 1 AO 12 begeht eine Steuerhinterziehung, "wer

1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tat-sachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,

2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Un-kenntnis läßt

... und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfer-tigte Steuervorteile erlangt". Die Steuerhinterziehung ist illegal und wird bestraft (§ 370 Abs. 1, 2 und 3 AO).

Eine mit § 370 AO vergleichbare gesetzliche Definition der Steuervermeidung gibt es nicht. Das hat zwei Gründe: Zum einen sind viele Formen der Steu-ervermeidung entweder gesellschaftlich erwünscht oder müssen vom Fiskus aus verschiedenen Gründen akzeptiert werden. Die Heirat etwa führt infolge des Split-tingverfahrens zu einer Steuerersparnis. Diese Steuervermeidung ist erwünscht.

Die Einkommensteuer kann eine Substitution von Freizeit für Einkommen verur-sachen. Die durch diese Substitution vermiedene Steuer muß der Gesetzgeber in Kauf nehmen, wenn er eine Einkommensteuer erheben will. Soweit der Gesetzge-ber die Steuervermeidung nicht unterbinden will oder kann, kommt er ohne eine gesetzliche Definition des Tatbestandes aus.

Für die vom Gesetzgeber nicht gewollte Steuervermeidung ( die Steuervermei-dung im engeren Sinne) gibt es vielleicht deshalb keine gesetzliche Definition, weil er bei Abfassung der Steuergesetze noch nicht weiß, welche "Lücken" sich in ih-nen verbergen und welcher Art die ökonomischen Transaktioih-nen und rechtlichen Konstruktionen sein werden, mit deren Hilfe die Stpfl. die Steuer zu umgehen versuchen. Eine Definition der Steuervermeidung im engeren Sinne gibt Sandford

12Für die gesetzliche Abgrenzung ziehe ich deutsches Recht heran. Sie ist jedoch in fast gleicher Form in Rechtssystemen anderer Länder zu finden (siehe Tipke/Kruse, 1988, S. 90 - 93).

(1980, S. 153): Sie bezeichnet "legal actions undertaken to save tax, which would not have been undertaken but for the tax, which enabled the actor to a.chieve substantially what he would habe archieved in the absence of the tax, and which actions are contrary to the intention of the government" (siehe auch Schneeloch, 1986, S. 260). Nach dieser Definition wäre Steuervermeidung legal. Sie bewegt sich im Gegensatz zu der Steuerhinterziehung innerhalb des Rechts. Dem entspricht die Formel der Rechtsprechung, das Steuerrecht respektiere grundsätzlich die von den Stpfl. gewählte rechtliche Gestaltung eines wirtschaftlichen Vorgangs (vgl.

Tipke/Kruse, 1988, S. 72).

§ 42 AO läßt an der Legalität der Steuervermeidung jedoch Zweifel aufkommen.

Trotz des Mangels einer gesetzlichen Definition wird der Steuervermeidung dort nämlich eine Grenze gesetzt: "Durch den Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuerrecht nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht". Der Gesetzgeber behält sich mit

§ 42 AO vor, zumindest einen Teil der nicht gewollten Steuervermeidung als mißbräuchliche Steuervermeidung bzw. als Steuerumgehung (ebenda, S. 72) ein-zustufen. Die Folge ist, daß bestimmte aufgrund außersteuerlichen Rechts (insbe-sondere zivilrechtlich) zulässige Gestaltungen steuerlich nicht anerkannt werden.

Dies heißt aber nicht, daß sie illegal sind und bestraft werden. Sie haben nur nicht die beabsichtigten steuersparenden Konsequenzen: Umgangene Steuern sind nachzuzahlen.

Steuerhinterziehung und Steuervermeidung lassen sich damit erstens wie folgt unterscheiden. Die Steuerhinterziehung ist illegal und wird bestraft. Die Steuer-vermeidung ist entweder legal oder sie ist nach außersteuerlichem Recht zwar legal, wird aber steuerlich nicht anerkannt.

Das zweite Unterscheidungsmerkmal betrifft den Informationsstand des Fiskus.

Bei der Steuervermeidung kennt er alle "steuerlich erheblichen Tatsachen". Die Steuerhinterziehung besteht gerade darin, dem Fiskus unvollständige Angaben zu machen. Vollständig informiert kann dieser erst dann sein, wenn eine steuerliche Prüfung erfolgreich abgeschlossen ist.

Cowell (1987, S. 175) grenzt die Steuerhinterziehung von der Steuervermeidung durch eine Eigenschaft der Budgetbeschränkung des Stpfl. ab. Die Steuerhinter-ziehung resultiert in einer Unsicherheit über die letztlich zu zahlende Steuer und Strafe. Das Nettoeinkommen ist abhängig davon, ob der Steuerpflichtige (zufällig) entdeckt wird oder nicht. Die Steuervermeidung hat dagegen nach Cowell jeweils ein ganz bestimmtes, sicheres Einkommen nach Steuer zur Folge. Die Unterschei-dung ist instruktiv, hat jedoch Grenzen. Die Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle kann für einen Hinterzieher subjektiv (oder auch objektiv) null sein. Die Bud-getbeschränkung wäre dann nicht stochastisch. Dennoch bleibt die Täuschung

der Finanzbehörde nach dem Buchstaben des Gesetzes eine Steuerhinterziehung.

Schwerer wiegt, daß auch die Steuervermeidung eine Entscheidung bei Unsicher-heit sein kann. Gewöhnlicherweise eingeschlagene Wege der Steuervermeidung können verstellt sein, da sie plötzlich als Mißbrauch eingestuft werden. Neuen Ge-staltungen kann von Anfang an die Anerkennung versagt bleiben, so daß Steuern nachzuzahlen sind und sich der (vielleicht beträchtliche) Aufwand nicht gelohnt hat. Das weiß man jedoch vielleicht erst am Ende eines Finanzgerichtsprozesses.

Wenn sich steuerliche Gestaltungen an der Grenze zum Mißbrauch bewegen, ist ihr Erfolg unsicher (vgl. Stiglitz, 1986, S. 511).

Kommen wir zu dem letzten Unterscheidungsmerkmal. Die Steuerhinterzie-hung hängt von dem Erhebungsverfahren ab. Die Steuervermeidung hängt davon ab, ob es dem Gesetzgeber gelingt, die von ihm beabsichtigte Besteuerung gesetz-lich zu verankern. "The incidence of evasion is ... a function of the mechanisms by which tax is assessed and collected, and the extent to which they can be controlled and monitored; the incidence of avoidance is a function of the tax base and de-pends on the extent to which legislation is successful in expressing the underlying economic concepts. Avoidance depends on the base, evasion on the assessment procedures" (Kay, 1980, S. 136).

Obwohl nicht jedes Unterscheidungsmerkmal in jedem Fall brauchbar ist, tra-gen sie alle dazu bei, die Steuerhinterziehung von der legalen Steuervermeidung und der Steuervermeidung, die sich in Richtung auf § 46 AO bewegt (Steuerumge-hung), abzugrenzen. Diese Dreiteilung der Aktivitäten, die auf eine Steuererspar-nis abzielen, verwende ich jetzt, um den Platz einer Theorie der Steuerhinterzie-hung innerhalb der steuertheoretischen Literatur zu bestimmen.

Die traditionelle Steuerwirkungslehre und die Optimalsteuertheorie behandeln die legale Steuervermeidung durch "angemessene Gestaltung" des Rechts. Die Ent-scheidungen zwischen dem Arbeitsangebot und der Freizeit, zwischen Konsum und Sparen, die Entscheidungen über Finanzierung und Investitionen etc. werden von den Möglichkeiten beeinflußt, legal Steuern zu sparen. Seit Allingham/Sandmo (1972) beschäftigt sich die Steuertheorie auch mit der Hinterziehung. Sehr schnell ist sie dann auch dazu übergegangen, den Zusammenhang zwischen der angemes-senen Steuervermeidung und der Steuerhinterziehung zu untersuchen, indem sie in Modellen mit endogenem Arbeitseinkommen die Steuerhinterziehung integrierte (siehe Abschnitt 2.2). Nur wenig Aufmerksamkeit hat die Finanzwissenschaft je-doch der Steuervermeidung im engeren Sinne gezollt, obwohl deren praktische Bedeutung nicht zu übersehen ist 13 • Mögliche Zusammenhänge zwischen der

13Kay (1980, S. 135) kommt zu der Einschätzung, " ... it is avoidance activity (im Sinne eines tendenziellen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten (R.H.)), which accounts for a high pro-portion of the economic effects of taxation, rather than the work/leisure or consumption/savings tradeoffs conventionally analysed in public finance". Auch wenn man Kays Einschätzung nicht

Steuervermeidung im engeren Sinne (Steuerumgehung) und der Steuerhinterzie-hung sind bislang fast völlig unbeachtet geblieben. Offensichtlich ist natürlich, daß niemand Steuern hinterziehen wird, die er mit geringem Aufwand vermeiden kann, ohne an die Grenze des§ 42 AO zu stoßen 14•

1.5 Die Prämissen des Grundmodells

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