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Das Modell mit einer Verjährungsfrist von einem Jahr

Im Dokument Steuerhinterziehung und Finanzpolitik (Seite 154-159)

Verdächtiger: Modelle mit wiederholter Veranlagung

6.2 Rückwirkende Kontrollen

6.2.1 Das Modell mit einer Verjährungsfrist von einem Jahr

Es wird zunächst angenommen, daß

1. die Steuerhinterziehung nach einem Jahr verjährt ist.

Der Stpfl. kann also maximal für die Hinterziehung im laufenden (bzw. gerade zu Ende gegangenen) Jahr und im Vorjahr belangt werden. Die übrigen Annahmen des Modells und kurze Bemerkungen zu ihren Implikationen enthält die folgende Liste.

2. Der Stpfl. lebt unendlich viele Perioden und wird in jeder Periode veranlagt.

Rückwirkende Strafen werden erst dann interessant, wenn der Stpfl. mindestens zweimal hintereinander veranlagt wird. Gegenüber endlich vielen Veranlagungsperioden haben unendliche viele Perioden wie oft in der ökonomischen Theorie -analytische Vorteile, die auch in dieser Arbeit genutzt werden sollen. In der Praxis wird ein Stpfl. zwar nicht unendlich oft, aber jahrzehntelang jedes Jahr veranlagt, so daß man das im folgenden dargestellte Modell als Näherung betrachten kann.

3. Der Stpfl. ist risikoneutral.

Diese Annahme wird die Folge haben, daß der Stpfl. bei seinen Entscheidungen über sein deklariertes Einkommen jeweils Ecklösungen wählt.

4. Der Stpfl. diskontiert zukünftige Einkommen nach Steuer und Strafen mit dem Faktor T/, 0 < T/

<

1.

Der Diskontfaktor T/ ist gleich 1/(1

+

ef,), wobei ef, der Zinssatz ist, mit dem der Stpfl. zukünftige Einkommen diskontiert.

5. In jeder Periode verfügt der Stpfl. über ein gegebenes Einkommen Y, das er dem Finanzamt angeben muß, da es einer Einkommensteuer mit dem Tarif T(Y) unterliegt. Y sei so groß, daß die maximal verkürzbare Steuer 1 DM beträgt. Für die in Jahr t hinterzogene Steuer S1 gilt damit die Beschränkung 0 ~

s,

~ 11•

6. Die Angaben des Stpfl. werden in jeder Periode mit der Wahrscheinlichkeit p kontrolliert (0 < p < 1). Die Prüfung deckt zuerst eine eventuelle Hinter-ziehung in der laufenden Periode auf. Hat der Stpfl. nicht sein tatsächliches Einkommen deklariert, wird geprüft - soweit nicht schon in der Vorperiode geschehen -, ob das in dem Vorjahr deklarierte Einkommen den Tatsachen entsprochen hat.

1 In Kapitel 6 bezeichnet t stets die Periode.

7. Hinterzogene Steuern sind nachzuzahlen. Die zusätzliche Geldstrafe ist ein konstantes Vielfaches a der hinterzogenen Steuern. Die Nachzahlung und die Strafe, die sich auf das Vorjahr beziehen, sind zu verzinsen.

8. Es gilt (1 - p) - pa

=

q - pa

>

0.

9. Der Stpfl. maximiert durch die Wahl von S1 für jede Periode t seines Lebens (t

=

0, 1, 2, ... ) den Barwert seines erwarteten Einkommens nach Steuer und Strafe.

Der Stpfl. kann wohlgemerkt in jeder Periode einen anderen Betrag S1 wählen. Er muß nicht stets den gleichen Anteil seines Einkom~ens hinterziehen.

Annahme 9 läßt sich auch anders ausdrücken. Da das Einkommen gegeben ist, kann man sagen, daß statt des Barwertes der erwarteten Nettoeinkommen der Barwert aller erwarteten Erträge der Steuerhinterziehung maximiert wird.

Wie lauten die Budgetbeschränkungen des Stpfl. in den zwei Zuständen "ent-deckt" und "nicht ent"ent-deckt"? Wird er nicht geprüft, ist sein Nettoeinkommen in einer bestimmten Periode t gleich

G1

=

Y - T(Y)

+

S1

Wird der Stpfl. kontrolliert, sind zwei Fälle zu unterscheiden. Wenn er auch in der Vorperiode geprüft worden ist und für eine eventuelle Hinterziehung S,-1 schon

"bezahlt" hat, ist sein Nettoeinkommen

A =

Y - T(Y) - aS1

Wenn er in der Vorperiode nicht geprüft worden ist, beträgt sein Nettoeinkommen

A = {

Y-T(Y),

Y - T(Y) - aS, - (1

+

a)S,_1

11-1,

wenn wenn

Wenn der Stpfl. ehrlich ist - die Prüfung der Steuererklärung für das laufende Jahr also kein Mehrergebnis einbringt-, wird seine Vergangenheit nicht untersucht. Mit S1 > 0 wird auch die Steuererklärung des Jahres t -1 überprüft und die Hinterzie-hung S1_ 1 entdeckt, so daß eine zusätzliche Nachzahlung und Strafe anfallen. Die Budgetbeschränkung für den Fall einer Kontrolle hängt damit von der jüngeren Vergangenheit ab - wurde in t -1 geprüft? - und weist eine Sprungstelle auf, falls in Periode t - 1 nicht kontrolliert worden ist.

Zu dem Einkommen

Pi

fehlt noch eine Bemerkung. Die Nachzahlung der in Jahr t - 1 verkürzten Steuer wird verzinst, da§ 235 AO bestimmt: Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Die Verzinsung der Strafe soll damit gerechtfertigt

werden, daß der Barwert der Strafe für die Hinterziehung in einer bestimmten Pe-riode unabhängig davon sein soll, zu welchem Zeitpunkt das Vergehen aufgedeckt wird. Der Einfachheit halber ist unterstellt, daß Strafe und Nachzahlung mit dem Zinssatz verzinst werden, mit dem der Stpfl. sein Einkommen diskontiert.

Die Annahmen 1 - 9 werden nun in ein Modell - speziell einen Markov-Entscheidungsprozeß - übersetzt. Da dieses Instrumentarium in den vorange-henden Kapiteln keine Verwendung gefunden hat, wird die Übersetzung unseres ökonomischen Problems Schritt für Schritt vor sich gehen.

Da mit einer rückwirkenden Kontrolle die jüngere Vergangenheit des Stpfl.

eine Rolle spielt, denkt er daran, daß er sich in Periode t in genau einem von drei Zuständen befindet, bevor er seine Steuererklärung für diese Periode abgibt.

Die Bezeichnung, die Beschreibung und einen Namen dieser drei Zustände enthält folgende Liste:

s: Der Stpfl. war in Jahr t - 1 steuerehrlich ("Start").

m: Der Stpfl. hat in t - 1 hinterzogen und wurde entdeckt ("Mißerfolg").

e: Der Stpfl. hat in t - 1 hinterzogen und wurde nicht entdeckt. Auch in t - 2, t - 3, etc. hat er möglicherweise hinterzogen und wurde nicht entdeckt.

Ist er in Zustand e, hat er in der jüngsten Vergangenheit also mindestens einmal hintereinander erfolgreich Steuern verkürzt, nachdem er vor dieser Erfolgsserie entweder ehrlich war oder entdeckt worden ist ("Erfolg").

Sei Z

=

{s,m,e} die Menge aller Zustände. Sei (S1/f) ein Vektor, der für jeden Zustand y E Z angibt, ob in Periode t alle oder keine Steuern verkürzt werden. Es kann hier angenommen werden, daß die hinterzogene Steuer in Zustand y in Jahr t, S111, entweder eins oder null ist. Unten wird gezeigt, daß diese Annahme eine Konsequenz der Risikoneutralität des Stpfl. ist. Die Matrix der Übergangswahr-scheinlichkeiten (p11z[(Sl/f)]), y, z E Z, gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Stpfl. von einem Zustand y in Periode t in einen Zustand z in Periode t

+

1 über-geht. Die Übergangswahrscheinlichkeiten sind abhängig von den Entscheidungen (S11,). Die Matrix der Erträge (r11z), y, z E Z, gibt an, was der Stpfl. relativ zu seinem sicheren Nettoeinkommen Y - T(Y) gewinnt oder verliert, wenn er von Zustand y in Zustand z übergeht.

Nehmen wir zunächst einmal an, daß in jeder Periode 1 DM Steuern hinterzogen wird, egal in welchem Zustand der Stpfl. jeweils ist: (S1/f)

=

(111), t

=

0, 1, 2, ....

und

Abbildung 6.1: Die möglichen Wege eines notorischen Hinterziehers in den ersten drei Perioden

t=O t=l

~

e s

...

m

t=2

--- ----

- e m e

~

s

m

m -a -a

•=3

---

~ e

---- --- -

m e m e - - - - m ---m

-

_. e

e

(-a-(1

+

0)71-1)

:)

Die Zustände sind der Übersicht halber an den Seiten der Matrizen festgehalten.

Startet der Stpfl. in Periode t

=

0 in Zustands, gelangt er mit der Wahrscheinlich-keit q nach e und mit der Wahrscheinlichkeit p nach m. Bei diesen Übergängen gewinnt er 1 DM oder er verliert a. Sein erwarteter Ertrag ist q - pa. Hat er Erfolg gehabt und befindet er sich nun in e, geht er mit der Wahrscheinlichkeit p in m über und verliert dabei a

+

(1

+

0)71-1. Mit der Wahrscheinlichkeit q bleibt der Stpfl. in Zustand e: Wenn er dreimal (und öfter) hintereinander hinterzieht, ist die Strafe nicht größer, als wenn er zweimal hintereinander kein Einkommen deklariert. Aufgrund der Verjährung kann der Stpfl. mit der Wahrscheinlichkeit q in Zustand e verbleiben.

Wenn Syt

=

1 entdeckt wird, ist der Stpfl. jeweils wieder in derselben Situation wie "am Start" in s. Von m aus kann er nur nach e und m übergehen. Diese Übergänge sind jeweils mit den gleichen Erträgen verbunden, wie die Übergänge von Zustands nach munde. Abbildung 6.1 zeigt alle möglichen Wege eines Stpfl., der sein Einkommen nie wahrheitsgemäß deklariert, in den ersten drei Perioden.

Dabei ist angenommen, daß er in Zustand s startet. Einern Pfeil, der nach oben

Abbildung 6.2: Die möglichen Wege eines Hinterziehers, der nur in Zustand e ehrlich wird, in den ersten drei Perioden

t=O t= 1 t=2 t-3

---

e

~ e s

---...

m

s

~ m

--- ~

m e

--- ----...

e s

m

(unten) zeigt, folgt der Stpfl. jeweils mit der Wahrscheinlichkeit q (p).

Wenn der Stpfl. nie sein tatsächliches Einkommen deklariert, kann er nicht in Zustand s zurückkehren. Alle Elemente der ersten Spalte der angegebenen Matrix der Übergangswahrscheinlichkeiten sind daher null. Wenn er jedoch sein Einkom-men wahrheitsgemäß deklariert, gelangt er von jedem Zustand y E Z mit der Wahrscheinlichkeit eins nach s: Wenn er einmal ehrlich ist, hat er seine Vergan-genheit hinter sich gelassen. Dies gilt auch für den Fall, daß die Finanzbehörde den Stpfl. gar nicht kontrolliert. Auch eine spätere rückwirkende Prüfung wird ja beendet werden, sobald eine Periode gefunden wird, in der nicht hinterzogen worden ist. In der Matrix der Übergangswahrscheinlichkeiten, die oben angegeben ist, können also in jeder einzelnen Zeile q und p durch null ersetzt und es kann stattdessen an den Anfang der Zeile eine Eins gestellt werden. Die Zeilensummen der stochastischen Matrix blieben bei dieser Operation gleich eins: In irgendeinen der möglichen Zustände muß der Stpfl. ja übergehen, solange der stochastische Prozeß weitergeht. Wenn der Stpfl. z.B. ehrlich wird, sobald er gerade einmal erfolgreich war, im übrigen aber stets kein Einkommen deklariert, erhält man die Matrix

s m e (Py,((Syt)

=

(110)])

= : (~

e 1

p p 0

Die möglichen Wege eines Stpfl., der in Zustand e stets ehrlich ist und in den

Zuständen s und m immer hinterzieht, zeigt Abbildung 6.2 für die ersten drei Perioden. Einern waagerechten Pfeil folgt der Stpfl. mit der Wahrscheinlichkeit eins. Die Wahrscheinlichkeit, einen Schritt nach oben (unten) zu tun, ist wieder gleich q (p).

Legt der Stpfl. für jeden Zeitpunkt t

=

0, 1, 2, ... und jeden Zustand y E Z fest, ob S111 gleich null oder eins sein soll, und befindet er sich zu t

=

0 in s,

wird sein Werdegang in dem Zustandsraum Z durch eine Markov-Kette mit den Übergangswahrscheinlichkeiten (p11z((S111 )]), t

=

0, 1, 2, ... , und der Anfangsver-teilung "mit der Wahrscheinlichkeit eins befindet sich der Stpfl. zu t

=

0 in s"

vollständig beschrieben. Die Folge der Zufallsvariablen "Zustand, in dem sich der Stpfl. in Periode t befindet", t

=

0, 1, 2, ... , genügt der Markov-Eigenschaft: Die Wahrscheinlichkeit, daß der Stpfl. in der nächsten Periode in Zustand z gelangt, hängt (bei gegebenem Sy1) nur von dem Zustand y ab, in dem er sich gerade befin-det. Die Übergangswahrscheinlichkeiten Pyz(S111 ) sind unabhängig von der übrigen Vorgeschichte des stochastischen Prozesses. Anschaulich ausgedrückt heißt das:

Die zukünftige Entwicklung, die der Stpfl. durchläuft, ist nur von dem Zustand abhängig, in dem er sich gegenwärtig befindet, unabhängig aber von seiner Ver-gangenheit. Diese Eigenschaft ist wichtig, weil man ohne sie nur wenig über einen stochastischen Prozess aussagen kann.

In einem Modell der Steuerhinterziehung mit rückwirkenden Kontrollen ist es zunächst überraschend, die Markov-Eigenschaft anzutreffen. Wie weit die Überprüfung von Veranlagungen der Vergangenheit geht, hängt doch gerade von der Vorgeschichte des Stpfl. ab. Aus der Theorie stochastischer Prozesse ist je-doch bekannt, "that essentially every stochastic process can be viewed as a Markov process" (Heyman/Sobel, 1984, S. 105), wenn man den Zustandsraum nur so weit definiert (bzw. definieren kann), daß die relevante Vergangenheit immer in dem gegenwärtigen Zustand zusammengefaßt ist.

6.2.2 Das Markov-Entscheidungsproblem

Im Dokument Steuerhinterziehung und Finanzpolitik (Seite 154-159)