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Steuerhinterziehung als Epidemie

Im Dokument Steuerhinterziehung und Finanzpolitik (Seite 71-74)

Erweiterungen des Grundmodells

2.3 Interdependenzen zwischen Steuerhinterziehern

2.3.3 Steuerhinterziehung als Epidemie

Ein Stpfl. wird eventuell mehr hinterziehen, wenn er weiß, daß auch viele andere nicht steuerehrlich sind. Der Steuerbetrug kann ansteckend wirken. Empirische Studien deuten darauf hin, daß "the more tax evaders a taxpayer knows, the more likely he is to evade taxes himself" (Spicer/Lundstedt, 1976, S. 297). Schlicht (1985)16, Benjamini/Maital (1985) und Gordon (1989) untersuchen die Konsequen-zen dieser Annahme über die PräferenKonsequen-zen der Stpfl. Die Interdependenz zwischen

15,p gibt an, um welchen Betrag der ( erwartete Konsum) jedes Stpft. sinkt, wenn eine zusätzli-che Einheit des öffentlizusätzli-chen Gutes finanziert werden soll. m = ,p ist die Sarnuelson-Bedingung für eine pareto-optimale Bereitstellung des öffentlichen Gutes, auch wenn sie hier etwas ungewöhn-lich auasieht.

16Schlichts Modell ist nicht speziell für die Steuerhinterziehung, sondern für Gesetzesverstöße im allgemeinen formuliert.

den Stpfl., die durch die Ansteckung entsteht, wird bei Gordon besonders klar, so daß ich mich im folgenden primär auf diesen Aufsatz beziehe.

In Gordon (1989) hat jeder Haushalt in Periode t die Erwartungsnutzenfunk-tion 17

qU(G)

+

pU(P) - (v

+

r(l - e1-1))H1

Die Steuerhinterziehung verursacht neben der Geldstrafe zusätzliche Kosten. v sind die "privaten psychischen Kosten" pro DM nicht deklarierten Einkommens:

"a false income declaration may induce anxiety, guilt or a reduction in self-image"

(Gordon, 1989, S. 798). v soll von Individuum zu Individuum unterschiedlich sein.

F{v}, 0 ~ v ~ v+, ist die Verteilungsfunktion des Merkmals v in der Bevölkerung.

Sie gibt an, wieviel Prozent aller Stpfl. höchstens Kosten in Höhe von v haben.

r(l - e1_1) sind die für alle gleichen "sozialen psychischen Kosten" pro DM nicht deklarierten Einkommens. Dabei ist r ein Parameter und e1_ 1 der Prozentsatz der Bevölkerung, der in Periode t -1 hinterzogen hat. Gordon nimmt an, daß die Stpfl. erfahren, wieviel Prozent der Bevölkerung in der Vergangenheit steuerehrlich war. Diesen Prozentsatz nehmen sie als Schätzwert für den Teil aller Stpfl., die die Steuerhinterziehung moralisch verurteilen (Gordon, 1989, S. 801). Je mehr die Hinterziehung verurteilt wird, desto größer sind die seelischen Kosten dieser Aktivität.

Ein Stpfl. mit dem Merkmal v hinterzieht, wenn

(q - pa)rU'(Y(l - r)) - (v

+

r(l - e1_ 1 )) > 0

gilt. Sein Entscheidung ist damit abhängig von den Entscheidungen aller anderen Stpfl. in Periode t - 1. Sind seine zusätzlichen Kosten der Hinterziehung nur groß genug, wird er trotz der Annahme q - pa > 0 nicht hinterziehen. Mit der Verteilungsfunktion F { v} kann man nun den Prozentsatz der Stpfl. berechnen, die in Periode t hinterziehen:

e1

=

F{(q- pa)rU'(Y(l - r)) - r(l - e1_ 1 )}

Gilt e,

#-

e,_1 , ist das System (noch) nicht im Gleichgewicht.

Die Lösung dieser Differenzengleichung - der gleichgewichtige Prozentsatz e der Hinterzieher - hängt kritisch von der Form der Verteilung F ab. Unabhängig von der Form von F gilt jedoch: Wenn die psychischen Kosten der Hinterzie-hung (gemessen an den Parametern v und r) im Vergleich zu dem Grenzertrag (q - pa)rU'(Y(l - r)) nicht zu groß (klein) sind, gibt es eine> 0 (e < 1) (Gor-don, 1989, S. 803). Möglicherweise existiert jedoch mehr als ein innerer Gleichge-wichtswert des Anteils der Steuerzahler, die hinterziehen: Wegen der Ansteckung

171n diesem Abschnitt bezeichnet t die Periode und r den Steuersatz.

deklarieren alle Stpfl. tendenziell gleich viel oder wenig. Zu diesem Ergebnis kom-men auch Schlicht (1985) und Benjamini/Maital (1985). Gordon und Schlicht zeigen weiter, daß es instabile Gleichgewichte geben kann, die schwerwiegende Konsequenzen haben. Ein kleiner exogener Anreiz, etwas weniger Einkommen zu deklarieren, veranlaßt jeden einzelnen Stpfl. zunächst zu einer kleinen Änderung seines Verhaltens. Wenn der einzelne gewahr wird, daß alle anderen mehr hinter-ziehen, geht er selbst noch weiter. Die Ansteckung ruft einen kumulativen Verfall der Steuermoral hervor, selbst wenn der Anstoß von außen nur klein war:

Gordon untersucht neben der Existenz und Stabilität der Gleichgewichtslösung die Wirkung einer Erhöhung des Steuersatzes auf die Zahl der Hinterzieher und die Summe der nicht deklarierten Einkommen aller Individuen. Dabei geht er von einem inneren Gleichgewicht e1 aus und nimmt an, daß das System stabil ist.

Eine höhere Steuer läßt zunächst den Grenznutzen der ersten hinterzogenen DM steigen:

8[(q-pa)rU'((l - r)Y) - (v

+

r(l - e1 )]

ßT

(q - po:)[U'((l - r)Y) - rU"((l - r)Y)Y] > 0

Damit steigt der Anteil der Hinterzieher in der Bevölkerung. In der nächsten Pe-riode sind daher die psychischen Grenzkosten der Steuerhinterziehung gesunken, und die Zahl der ehrlichen Stpfl. nimmt weiter ab. In dem neuen Gleichgewicht ist der Anteil der Hinterzieher größer als in dem Ausgangsgleichgewicht ( e2 > e1 ).

Zusätzlich haben die Stpfl., die schon vor der Steuererhöhung nicht ehrlich wa-ren, einen Anreiz, mehr als zuvor zu hinterziehen, da die psychischen Grenzkosten gesunken sind. In die andere Richtung weist wieder der mit einer abnehmenden ab-soluten Risikoaversion negative Einkommenseffekt der Besteuerung. Die Reaktion der Summe aller nicht deklarierten Einkommen kann daher zwar nicht eindeutig bestimmt werden. Ein positiver Zusammenhang zwischen der Besteuerung und diesem Maß des Abgabenwiderstands ist aber möglich.

Die Instabilität des Hinterziehungsverhaltens, die mit der Ansteckung verbun-den sein kann, läßt Schlicht (1985, S. 266) vor der von der Marginalanalyse sug-gerierten Vorstellung warnen, "that slightly increasing incentives to unlawful be-haviour will lead to a slightly lesser degree of law-obedience". Die Warnung ist sicher berechtigt. Es bleibt jedoch unklar, ob es viele Stpfl. geben wird, die sich anstecken lassen: Ist es mit anderen Worten rational, sich bei einer exogenen Entdeckungswahrscheinlichkeit zu Gesetzesverstößen anstecken zu lassen? Diese Frage heißt natürlich nicht mehr, als daß eine genauere Begründung der von Ben-jamini/Maital, Schlicht und Gordon postulierten Präferenzen erforderlich ist.

Auch ohne eine Ansteckung durch psychische Kosten der Hinterziehung könnte das Verhalten eines Stpfl. von anderen abhängig sein: Seine subjektive Schätzung der Entdeckungswahrscheinlichkeit könnte um so kleiner sein, je mehr erfolgreiche

Steuerhinterzieher er kennt. Es müßte danach heißen, "the more successful tax evaders a taxpayer knows, the more likely he is to evade taxes himself".

Im Dokument Steuerhinterziehung und Finanzpolitik (Seite 71-74)