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II. Methoden – Prolegomena

5. Spielphilosophie oder Wissenschaft vom Spiel?

Ist die weitestgehend neutral als ‚Spielforschung‘ beziehungsweise game studies (oder wie im Falle Sutton-Smith und Avedon auch ‚The Study of Games‘) bezeichnete Auseinandersetzung mit Spielen – elektronischen oder anderen – und damit die eigene nun ein philosophisches oder wissenschaftliches Projekt?

Die Antwort darauf liegt in den Erwartungen, die man an die Eindeutigkeit der Aussagen und Resultate stellen mag. Spielphilosophie bedeutet im hier zugrunde gelegten Verständnis, mit den ‚absoluten‘ Voraussetzungen, die der Gegenstand fordert, von Anfang an der Situation angemessen umzugehen, mit ihnen gewissermaßen ‚zu leben‘, während eine dezidiert wissenschaftliche Herangehensweise den Gegenstand hinsichtlich bestimmter Aspekte oder eben in Richtung bestehender Modelle präpariert, zum Beispiel indem sie ihn (methodologisch durchaus völlig legitim) in seiner Komplexität reduziert. Dies bestimmt notwendigerweise auch die eingesetzten Instrumente der Untersuchungen und die eingesetzten Instrumente bestimmen wiederum den Zugang.95

Die eigene Position ist genauso zu bestimmen wie die Begriffe Philosophie und Wissenschaft, die ansonsten als leere Begriffe nur wenig hilfreich sind. Arbeiten, die in dieser Hinsicht sensibilisieren, sehen den Unterschied zwischen diesen beiden Sphären deutlich, auch wenn sie ihn nicht immer in dieser Gegenüberstellung besprechen. Beat Wyss meidet beispielsweise im Titel seines ‚bildwissenschaftlichen‘ Buchs ‚Vom Bild zum

94 Welche Mechanismen hierfür erschlossen werden, wird Thema von Kapitel V sein.

95 Vgl. hierzu das eigene Kapitel IV zu diesem Thema.

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Kunstsystem‘, wie er sagt, bewusst und entschieden den Hinweis auf ‚Bildwissenschaft‘. In diesem Kontext erscheint auch seine im bisherigen Verlauf meiner Arbeit bereits doppelt angeführte Einschätzung zur Funktion des Irrtums in den Wissenschaften:

Mit dem darin festgeschriebenen Singular [gemeint ist eben ‚Bildwissenschaft‘, FF] läuft Bilderforschung Gefahr, dem naiven Szientismus von Naturwissenschaft und Technik zu erliegen, welcher die ‚Exaktheit’ seiner Ergebnisse von gestern für nichtig erklärt. Für das Wissen aber ist nichts aufschlussreicher als die Wege zwischen entdeckter Wahrheit und der Einsicht eines Irrtums. Es geht also in meiner Bildergeschichte um die Geschichtlichkeit der Bilder, das heißt: um deren zeitlich begrenzte Gültigkeit als Medium, Welt glaubhaft zu zeigen.96 Auch wenn man der Naturwissenschaft nicht gänzlich diesen „naiven Szientismus“

unterstellen sollte, dient diese Unterscheidung für Wyss’ Pointe glänzend, und er weiß als Vertreter der Kunstgeschichte und Philosophie gleichermaßen um das Leistungsspektrum der einzelnen Disziplinen auch in wissenschaftlicher Hinsicht genau bescheid. Die Rede ist nun von einer ‚Bilderforschung‘, die im Begriff so neutral bleibt wie ‚Spielforschung‘, indem sie schlicht eine Tätigkeit markiert: zu forschen eben.97 Auch bei ihm spielt der Weg an sich die entscheidende Rolle. Das Ergebnis als Ziel dieses Weges ist im Wahrheitsanspruch von verschiedenen Faktoren abhängig, unter anderem aber von historischen – Wahrheit gilt zu einer bestimmten Zeit. Wenn Wyss in ‚Vom Bild zum Kunstsystem‘ seinen Versuch wagt, drei Erklärungsmodelle für Sinnkonstruktion übereinander zu legen – Peircesche Semiotik, Freuds Psychoanalyse und Luhmanns Systemtheorie – so schätzt er den Wahrheitsanspruch des Experiments sicherlich richtig ein. Wie die bereits zuvor ins Spiel gebrachte Teilchenphysik erwartet man sich neue Perspektiven durch die Kollision von

‚Materie‘. Zumindest in der Praxis scheint sich der Unterschied zwischen den Einsichten einer Philosophie und dem von Wyss benannten ‚naiven Szientismus von Naturwissen-schaft und Technik‘ zu relativieren.

Wyss aufrichtig schon im eigenen Vorwort deutlich markierter Versuch wurde äußerst unterschiedlich rezensiert, was uns erneut vor Augen führt, wie unterschiedlich klar die Einschätzungen zur Leistungsfähigkeit von Theorien und der Entstehung neuer Theorien vorliegt: Für die Süddeutsche Zeitung kam Beat Wyss’ produktiv angelegter Kollisionsversuch als Eklektizismus an, während sein Projekt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung als geglückt betrachtet wurde. Andreas Strobl vermutete in der SZ hier eher eine Ausgeburt der

‚copy&paste‘-Kultur:

Das Buch bietet nicht die versprochene neue Perspektive, und die Geschichtlichkeit der Kunstautonomie ist schon oft befragt worden. Flotte Formulierungen oder scheinbar schlag-kräftige Kapitelüberschriften können darüber nicht hinwegtäuschen. So bleiben zwar die nacherzählten Geschichten aus der Kunstgeschichte als ein kurzweiliger Parcours in Erinnerung, aber man hat wie nach einem durchzappten Fernsehabend keinen volleren, sondern nur einen dicken Kopf.98

96 Wyss: Vom Bild zum Kunstsystem, S. 9.

97 Wyss redet nachweislich ebenso selten von ‚Kunstwissenschaft‘ und bevorzugt es, von ‚Kunstgeschichte‘

zu sprechen.

98 Andreas Strobl: „Theorieumschalten. Beat Wyss erzählt Geschichten aus der Kunstgeschichte“, in:

Süddeutsche Zeitung 02.06.2006, archiviert unter URL: http://www.buecher.de/shop/buecher/vom-bild-zum-kunstsystem-2-bde-/wyss-beat/products_products/detail/prod_id/15235203/ (19.01.2012)

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Niklas Maak meinte in der FAZ hingegen, in Wyss’ ‚experimenteller Denkanordnung‘ und im, wie er sagt, als „heitere[n] Gruß aus der Theorieküche formulierte[n] Ansinnen“, deutlich mehr entdeckt zu haben als nur „Geschichten aus der Kunstgeschichte“ (Strobl):

Es klingt erst einmal so, als ob das Ergebnis durchaus schwer verdaulich sein könnte. Peirce und Luhmann liefern für sich genommen schon sperriges Material genug, und anfangs droht man in dem Denkgebäude, das Wyss aufstapelt, hin und wieder den Überblick zu verlieren; auf welcher Etage befinden wir uns denn jetzt, möchte man dem Autor, der mit schnellen Denkschritten seinen Bau durcheilt, zurufen, würde man nicht ahnen, daß es in diesem Bau gar keine starren Etagen, sondern nur palimpsestöse Spiralen gibt - von denen aus sich dann allerdings ganz erstaunliche Blicke in den Talkessel der Bildgeschichte eröffnen.99

Eine Entscheidung zwischen Philosophie und Wissenschaft wird zumindest in der vorliegenden Arbeit nie ernsthaft und etwa in säuberlicher Trennung gefordert werden. Es bleibt aber essentiell, sich das Spannungsfeld bewusst zu machen, in dem sich Forschung – auch die eigene – bewegt, damit die Resultate unter den geltenden Voraussetzungen beurteilt werden können. Der Titel ‚Computerspielphilosophie‘ äußert eine relative Präferenz.

99 Niklas Maak: „Mit den Pathosformeln kommen wir nicht weiter. Luhmann im Gepäck: Vom Bild zum System will Beat Wyss die Kunstgeschichte treiben“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.03.2006, archiviert unter URL:

http://www.buecher.de/shop/buecher/vom-bild-zum-kunstsystem-2-bde-/wyss-beat/products_products/detail/prod_id/15235203/ (19.01.2012).

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III. Selbstfindungsprozesse

Every culture and every age has its favorite model of perception and knowledge that it is inclined to pre-scribe for everybody and everything. The mark of our time is its revulsion against imposed patterns.

Marshall McLuhan, ‚Understanding Media‘100

Die bisher dar- und ausgestellte doppelte Unbestimmtheit von Spiel und Medium inklusive deren Begründung könnte immer noch leicht auf ein Scheinproblem, ein gemachtes Problem der Theorie verweisen, das wenn überhaupt nur bedingte Relevanz für die

‚Realität‘ der Medien und Spiele in der tatsächlichen Medien- und Spielpraxis besitzt. Der problemlose Umgang mit Spielen ist weit in die Menschheitsgeschichte zurück belegt.

Vergleichbares ließe sich auch für Medien behaupten.

Das folgende Kapitel ist von der Frage geleitet, wie Rezipienten- und Produzenten (getrennt durch das Produkt und gemeinsam zugleich) mit den diagnostizierten Unbestimmtheiten und deren Bedingungen umgehen und wo sie selbst Teil der Unbestimmtheiten sind.