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Spielsituation 5 (idealisiert) Boss-Fight, beliebiges Spiel

VI. Wider den Definitionszwang

3. Rahmung und Immersion als Paradoxie

In Isers Überblendung von ‚Spielpraxis‘ und Texttheorie, in der darin enthaltenen Permanentverschiebung von Sinnebenen zwischen fiktionaler und tatsächlicher Realität gegen ontologische Festschreibungen, wurde noch einmal ein Fall genauer betrachtet, in dem das Spiel das Denken leitet, begleitet und lenkt. Ein weiterer ‚praktizierender‘

Spieltheoretiker war Gregory Batesons. Bei Iser war er bereits erschienen und an verschiedenen Stellen dieser Arbeit war er auch schon Lieferant des ein oder anderen Aphorismus. Keine Arbeit zum Spiel kann Batesons Beitrag ignorieren, vor allem nicht, wenn es darum geht, den Spielbegriff als ‚Medium des Denkens‘, ‚mediale Denkbahn‘ oder

‚operativen Begriff‘ im Gegensatz zu ‚thematischem Begriff‘ einzusetzen. Seine Arbeit an den kommunikativen Bedingungen, die ein Spiel voraussetzt, um stattfinden zu können, besitzt nicht nur allein für die anthropologische Fundierung einer Spieltheorie unschätzba-ren Wert. Eine Annäherung an sein Konzept der Metakommunikation soll hier im Zusammenhang mit dem Begriff der Immersion stattfinden, der in vielerlei Hinsicht einer metakommunikativen Rahmung eines Spiels widerspricht und darüber hinaus der Medienwissenschaft ein strukturelles Problem beschert: Es geht wieder um die Idee einer möglichen ‚Unmittelbarkeit‘ in der Medienrezeption, die der Begriff ‚Immersion‘ zumindest

332 Winkler: Basiswissen Medien, S. 10.

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suggeriert.333 Der Begriff der Immersion wird dazu dienen, das wichtige Konzept der Paradoxie als eine dem Spiel maßgeblich zugrundeliegende Existenzbedingung noch pointierter herauszuarbeiten.334 Gesteuert wird dabei weiterhin auf der medialen Denkbahn des Spiels, dabei noch konkreter nach der Vermittlung unterschiedlicher Sinnbereiche in der Sphäre des Spiels gefragt und danach, welche logischen Voraussetzungen dabei herrschen müssen. Was verbindet sich im Spiel, wo befindet sich der Spieler, wohin wird er im begrifflichen Spektrum der Immersion tatsächlich hineingezogen?

a) Immersion als Problem der game studies

Die Frage nach Immersion zu stellen ist im Bereich der neuen Medien und speziell der Computerspiele weder originell noch neu, weshalb dies hier auch als eine Bestandsaufnah-me zu verstehen ist. Als Begriff siedelt sich ImBestandsaufnah-mersion zwischen einem „excessively vague, all-inclusive concept“335 in der Forschung, einer Art mystischer Design-Praxis und einem graduell differenzierbaren Qualitätsprädikat für Computerspiele an, das gleichermaßen von Seiten der Spielenden und von den Produzenten der Spiele vergeben wird. In letzterem Szenario gilt offenbar die Rechnung, je immersiver desto besser bis hin zu einer Ununterscheidbarkeit artifiziell-virtueller und tatsächlicher Wirklichkeit. Häufig ist dies gebunden an eine vermeintliche Überschätzung der Leistung visuell ‚realistischer‘

Darstellung im Sinne mimetischer Abbildung, deren stetige Verbesserung synonym zu einer Verbesserung der Immersion verstanden wird. Imitation wirkt maßgeblich auf Immersion in diesem Verständnis. So muss ein unerschütterlicher Glaube an die Immersion durchaus auch als Motor für die technologische Industrie und als ein nicht unbedeutender marktwirtschaftlicher Faktor verstanden werden.

Der Machtzuspruch an die Immersion für Wirklichkeitsgewinn und -verlust formuliert den Urtraum der Apologeten der Virtual Reality vielleicht neu, aber ohne entscheidenden Gewinn. Immersion bringt jedoch auch die Urangst einer Medienkritik erneut zum Vorschein, zum Beispiel in der Frage nach dem Einfluss dargestellter Gewalt auf das tatsächliche Leben. Das Argument um die Immersion ist tragend, aber als Begriff ist Immersion auch schlecht geworden, da er oft nicht ausreichend hinterfragt wird und auch noch kein arbeitsfähiger operativer Begriff in obigem Sinne geworden ist. Man hat zudem den Eindruck, die Frage nach Immersion könne manchmal durchaus über Leben und Tod entscheiden, wenn wir unsere Vorstellungen über das, was Wirklichkeit ist und bestimmt – zumal in Bezug auf Medien –, nicht ein für allemal verlässlich klären. Es steht also einiges auf dem Spiel, könnte man meinen. Das vielleicht unlösbare Problem der multiplen Wirklichkeiten hat freilich eine genauso dauerhafte Beständigkeit für die Zukunft wie eine lange Tradition. Die Tradition koppelt sich hier unmittelbar an jene ‚anthropologische Grundausstattung‘ an, die im Englischen ‚willing suspension of disbelief‘ genannt wird – ein

333 Teile dieses Kapitels wurden bereits zur Diskussion gestellt, in: Frank Furtwängler: „Spiele am Rande des metakommunikativen Zusammenbruchs, in: Britta Neitzel/Rolf Nohr (Hrsg.): Das Spiel mit dem Medium.

Partizipation – Immersion – Interaktion. Zur Teilhabe an den Medien von Kunst bis Computerspiel, Marburg 2006, S.

154-169.

334 Die Paradoxie wird für meine Betrachtungen zur Funktionalisierung des Todes im Spiel in Kapitel VIII noch eine wichtige Rolle spielen. Wir beginnen auf diesem Weg zur Wichtigkeit der Paradoxie im Spiel hier mit dem Begriff der Immersion zum Einstieg.

335 Alison McMahan: „Immersion, Engagement, and Presence. A Method for Analyzing 3-D Video Games“, in: Mark J. P. Wolf/Bernard Perron (Hrsg.): The Video Game Theory Reader, London 2003, S. 67.

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Konzept, das unter diesem Titel in der Literaturwissenschaft spätestens seit der Veröffentlichung von Samuel Taylor Coleridges und William Wordsworths ‚Lyrical Ballads‘

im Jahre 1798 diskutiert und verhandelt wird. Der Romantik verpflichtet ist man dementsprechend geneigt, Ernest Adams und Andrew Rollings ‚Realitätsverständnis‘

Glauben zu schenken, wenn es in deren ‚On Game Design‘ heißt:

Suspension of disbelief is a mental state in which you choose, for a period of time, to believe that this pack of lies, this fiction, is reality. This applies to games as well. When you go inside the game world and temporarily make it your reality, you suspend your disbelief. The better a game supports the illusion, the more thoroughly engrossed you become, and then the more immersive we say the game is. Immersiveness is one of the holy grails of game design.336

Eine Aktivierung des ‚suspension of disbelief‘ als heilige Queste nach dem Gral macht demnach Fiktion zur Realität, und dies gilt auch für Spiele – dies lernen wir hier und hier erkennen wir auch leicht, dass ein Fiktionalitätsmodell wie beispielsweise jenes von Iser, das mit ähnlichen Begriffen auf ungleich komplexere und unpragmatischere Weise hantiert, wohl niemals aus einem engeren Zirkel eingeweihter Kultur- und Literaturwissenschafler heraus in die Industrie kommuniziert werden kann. Die Theorie virtueller Welten befindet sich mitunter noch mitten im 18. Jahrhunderts, was nicht unbedingt das Schlechteste sein muss.

Abgesehen davon, dass wenig in Adams’ und Rollings’ Aussage wirklich Konsens widerspiegelt, interessieren uns hier dennoch einige ihrer Aussagen. Nehmen wir das Konzept also für den Moment ernst und fragen uns, wie man den Zustand der sogenann-ten ‚immersiveness‘ aufrechterhalsogenann-ten kann. Was bedeutet ‚temporarily‘? Kann dies so lange andauern, dass manch einer vielleicht überhaupt nicht mehr imstande ist, aus einem solchen Zustand wieder herauszutreten? Sind wir stets handlungsmächtig? Wie gefährlich ist Immersion gegebenenfalls?

Der im Konzept der Immersion veranschlagte Verlust an Kontrolle über den eigenen Zustand konterkariert den von mir bereits ausführlich behandelten Gewinn an Kontrolle über eine im Spiel präparierte und eingesetzte Welt. Wo steht der Mensch, wenn er spielt?

Lässt sich wenigstens sein ‚Ort‘ bestimmen? Die Forschung musste sich auf die kursierenden Realitätsverwirrungen einstellen und durchaus auch grundsätzliche Entscheidungen politischer Natur treffen, indem sie die Macht der Immersion relativierte, beziehungsweise auf ein anderes Fundament setzte. Dies charakterisiert eine Skepsis gegenüber Immersion, die einsichtigere Positionen der Forschung auszeichnet. Katie Salen und Eric Zimmerman verfahren in ‚Rules of Play. Game Design Fundamentals‘ – einer eigenwilligen darstellerischen Gratwanderung zwischen Forschungs- und Designkonzepten – anders, wenn sie das Konzept der ‚Realitätsvergessenheit‘ von Spielern zugunsten einer anderen Wirklichkeit im Spiel als „immersive fallacy“ begreifen.337 Genauer verstehen sie unter dem so bezeichneten ‚immersiven Trugschluss‘ die Idee, das menschliche Vergnügen medialer Erfahrung bestehe vorrangig im ‚sinnlichen‘ Transport der Teilnehmenden in eine illusionistische, simulierte Realität. Diese nicht erst mit dem Aufkommen der neuesten virtuellen Welten absolut populäre Vorstellung ästhetischer Erfahrung steht ganz offenbar in Opposition zu spieltheoretischen Ansätzen, die auf den Erkenntnissen Batesons und dessen Konzept der ‚metakommunikativen Rahmung‘ aufsetzen – was wie im Falle

336 Vgl. Das Kapitel 3. ‚Game Settings and Worlds‘, in: Andrew Rollings/Ernest Adams: On Game Design, Berkeley 2003.

337 Katie Salen/Eric Zimmerman: Rules of Play. Game Design Fundamentals, Cambridge/Mass. 2004, S. 450f.

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Zimmerman und Salen immer auch mit Huizingas Idee des magisches Kreises zu tun hat.338 Der magische Kreis steht in diesem Kontext für eine Zone der Sicherheit, in der ein Spiel stattfinden kann; er steht aber gleichermaßen für die Austauschprozesse zwischen der artifiziellen Welt des Spiels und des ‚real life‘ Kontexts im Wirklichkeitsbezug. Metakommu-nikation bedeutet, dass das Spiel immer als eine Situation des ‚Als ob‘ markiert ist. Die beteiligten Spieler sind sich dieser Markierung bewusst, die nach Bateson in einer metakommunikativen Übereinkunft gesetzt wird. Der Gegenstand einer solchen

‚Kommunikation‘ ist das Verhältnis zwischen den ‚Sprechern‘ im kommunikativen Sinne und deren Situation selbst. Dadurch werden die Bedingungen geschaffen, in ein Spiel eintreten zu können, wobei Spiel zu einer ganz besonderen Art der Kommunikation wird unter – wen mag es noch überraschen – nicht immer genau bestimmbaren Bedingungen, die über Kommunikation hinausgehen – also Metakommunikation begründen. Die metakommunikative Übereinkunft basiert auf einer Paradoxie als Vertrag zwischen den am Spiel beteiligten Parteien.339 Sie besteht darin, einen Zustand gleichzeitig als echt und unecht, als wahr und unwahr zu markieren – einen doppelten Zustand zu definieren, den man weder in die eine noch in die andere Richtung endgültig verlagern kann. Existieren kann er auch ohne diese sichere Entscheidung. Die Paradoxie ist hier eine konstruktive Störung, die es nach Bateson ermöglicht, ein gesetztes Zeichen im Übergang zum Spiel als Signal zu interpretieren.

Die Paradoxie wirkt auch auf die Unterscheidung von Rahmung und Immersion, die nicht vollständig trennbar sind, sondern einen Doppelzustand im Sinne der metakommunikati-ven Situation darstellen. Das Konzept der Immersion veranschlagt eine Vollständigkeit simulierter Realität als abgeschlossenes, autonomes System auch der Kommunikation, bei der die Rahmung nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Die erzeugte Welt als Raum ist in einer Weise absolut, dass man sozusagen nicht einmal ‚bis zur Wand‘ blicken kann.

Nun wurde das Spiel hier bereits in Kapitel V als weitgehend autonomes System beschrieben, jedoch ausdrücklich nie unter dem Gesichtspunkt einer Subtraktion der Außenbezüge. Die virtuelle Manipulation der Welt draußen, also jene Welt außerhalb des

‚magischen Kreises‘, findet im System des eingesetzten Spiels statt, das die Welt draußen zu eben jenen Zwecken der Manipulation selektiv abbildet, um den Spielern zumindest das Gefühl von Kontrolle zu verleihen, das sie in der eigentlichen Welt nie erfahren hätten.

Diese Dynamik transportiert im jeweiligen Fall die Außenbezüge. Der Spielbegriff betont im hier zugrunde gelegten Verständnis die Kontrolle der Spieler über das, was im Spiel geschieht. Immersion hingegen betont die Kontrolle, die ein Spiel über die Spieler ausübt.

Beide Begriffe bezeichnen unterschiedliche Perspektiven und dennoch gehört beides unbedingt zum Spiel.

In dieser Sichtweise stellt sich der immersive Trugschluss noch einmal anders dar: Würde der Außenbezug einer Spielwelt hinfällig, so gäbe es keine Motivation für den Spieler, das Geschehen im Spiel als etwas Besonderes und von der Welt ‚Abgesondertes‘ zu betrachten und zu erfahren. Der Außenbezug ist ‚Medium‘ der Erfahrung innerhalb des magischen Kreises. Spielwelten haben wir als ‚Parallelwelten‘ zu begreifen, die ausdrücklich nicht alleine existieren können. Über diese Logik herrscht jedoch nicht an allen Orten Konsens und es

338 Johan Huizinga: Homo Ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur, Amsterdam 1940, S. 17.

Es gibt freilich noch andere Konzepte des ‚framing‘, beispielsweise bei: Erving Goffman: Encounters, Indianapolis 1961, vgl. auch Köpping: „The Ludic as Creative Disorder“.

339 Auf die Art der zugrunde gelegten Paradoxie werde ich in Kapitel VIII.2 am Beispiel der Funktion des Todes in Spielen näher eingehen.

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hält sich hartnäckig die Idee, eine erzeugte Welt könne in einer Weise komplett und selbstgenügsam sein, dass die tatsächliche Welt unwichtig und hinfällig werde. Noch wird allerdings kein Mensch direkt in eine virtuelle Welt hineingeboren, wie es uns beispielsweise der Film The Matrix (Andy Wachowski/Larry Wachowski 1999) gut platziert kurz vor dem neuen Millenium vor Augen führte. Dabei lohnt es sich, noch einmal einen Blick auf jenen Film zu werfen, der die Diskussionen um die virtuellen Welten und deren Absolutheitsan-spruch eben am Anfang des neuen Jahrtausends geprägt und angetrieben hat wie kaum ein anderes Ereignis, geschweige denn ein ausgewiesen theoretisches Werk:

In einer ersten Begegnung mit Morpheus, die zu seiner Erweckung führen sollte, widerfährt Neo eine Auffrischung in der Theorie virtueller Welten und Medien im Film, die er und mit ihm das Publikum offenbar nötig hat – Neo schon deswegen, weil er in Baudrillards Buch ‚Simulacra and Simulation‘ die Seiten ausgehöhlt hatte, um darin illegale Software zu verstecken.340 In manchmal schwer zu ertragendem Gestus eines propheti-schen Gelehrten macht Morpheus den Zuschauer neben der Vorbereitung auf Neos Initiation vor allem darauf aufmerksam, dass hier der Medientheoretiker und Philosoph dem Actionhelden die Schau stehlt: „Like everyone else you were born into bondage, born into a prison that you cannot smell or taste or touch. A prison for your mind... Unfortu-nately, no one can be told what the Matrix is. You have to see it for yourself”, sagt Morpheus zu Neo. ‚You have to see to believe it‘ – ‚you have to play it to know it‘ – etwas in dieser Art möchte man ergänzen.341

Die sich in den späteren Teilen der Matrix-Trilogie fortschreitend zur befremdlichen Heilsgeschichte entwickelnde Erzählung nimmt hier ihren Anfang im engeren Sinne:

Einmal erleuchtet und erkannt gibt es kein zurück mehr: „This is your last chance. After this there is no turning back. You take the blue pill, the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe. You take the red pill, you stay in Wonderland, and I show you how deep the rabbit hole goes. Remember, all I'm offering is the truth, nothing more.” Morpheus schildert hier Neo die Optionen über die Definition zweier Zustände, in denen er sich befinden kann – symbolisch repräsentiert durch die Pillen in rot und blau. Im einen Zustand (blau) befindet er sich bereits. Er müsste also die blaue Pille nur nehmen, wenn sie ihn auch vergessen ließe, was er soeben von Morpheus hatte erzählt bekommen. Dieser Zustand ist ein Traumzustand, der absolute Wirklichkeit besitzt, ohne die Ahnung darüber, dass es auch einen anderen Zustand absoluter Wirklichkeit geben kann. Es gibt keinen Außenbezug, der real sein könnte. Zwei Zustände absoluter Wirklichkeit formulieren jedoch ein Paradoxon. Deswegen besitzt der andere Zustand (rot) eine völlig andere Qualität, da dessen Wirklichkeit keine absolute mehr sein kann, sondern fortan in der Gewissheit der Existenz multipler Wirklichkeiten gelebt werden muss, die stets das Absolutheitskriterium des jeweils anderen Zustands vernichtet. Ein wahrhaftiger Sündenfall eines unschuldigen Wesens und ‚The Matrix‘ bringt dies beinahe unmissver-ständlich zum Ausdruck. Man kann jedoch leicht übersehen, dass es in Wahrheit gar nicht um diese zwei Zustände geht, sondern um die Trennung beziehungsweise Verbindung zweier Zustände – um den Austauschprozess zwischen Zuständen der Wirklichkeit. Insofern ist

340 Im Film zu sehen kurz vor der achten Filmminute.

341 Wir können hier direkt auf die Ausführungen in Kapitel VI.1 zurückverweisen. Doch auch an Reggie Fils-Aime Aussage im letzten Satz des ausführlich in Kapitel III.2.b) besprochenen media briefing vor der

Markteinführung der Nintendo Wii Konsole mag man sich erinnern: „But in reality we also know that seeing is just an impression – playing is believing.“

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dies eine natürliche Frage der Medientheorie. Es ist das Bewusstsein der Grenze, über die fortan ein permanenter Informationsaustausch zwischen mindestens zwei Zustandssphären stattfinden wird – meistens sind es jedoch beliebig viele, da die Abgrenzung der Wirklichkeitszustände häufig im eigenen Ermessen liegt. Nicht so in ‚The Matrix‘, wo die Abgrenzung der Einfachheit halber stets deutlich markiert ist. Aber auch hier bliebe ohne diesen Austausch die sekundäre Wirklichkeit in der Matrix so unbedeutend wie das eigentliche Leben, das darin simuliert wird und unser eigenes widerspiegelt (das ist die Ironie der Matrix!). Gleichzeitig wäre aber auch das Leben des Widerstandskämpfers außerhalb der Matrix sinnlos und die Handlung des Films ‚The Matrix‘ so ereignislos wie die Schulstunde des Morpheus, sitzend in einem Sessel aus rotem Kunstleder. Das Leben in der Matrix, in das selbst die Eingeweihten immer wieder eindringen, um die ‚Welt zu retten‘, erhält durch den Austausch über die Grenze der beiden Zustandssphären neuen, oder gar den einzigen Sinn. Dies kann man von der Matrix für die Spieltheorie lernen.

Die Immersion – ursprünglich ein medizinischer Begriff, der das Eintauchen in ein Heilbad bezeichnet – findet in ‚The Matrix‘ eine entsprechende visuelle Formulierung, die uns zum Thema der Geburt in einer virtuellen Realität zurückbringt (Abbildung 47). Diese war als notwendige Bedingung unter Verdacht, eine virtuelle Welt als absolute im Sinne der ‚totalen‘

Immersion zu ermöglichen.

Abbildung 47: Fötus unter Maschinenkontrolle im Film ‚The Matrix‘. Es ist unklar, ob die Leitung den Fötus mit Energie versorgt, in diesem Zustand bereits Energie vom Menschen gewonnen wird, oder darüber schon die Information der Matrix das Bewusstsein des Menschen im Frühsta-dium prägt – oder gar alles zugleich geschieht.

Morpheus beschreibt die Unterjochung der Menschheit durch die Maschinen:

A singular consciousness that spawned an entire race of machines. We don't know who struck first, us or them. But we know that it was us that scorched the sky. At the time they were dependent on solar power and it was believed that they would be unable to survive without an energy source as abundant as the sun. Throughout human history, we have been dependent on machines to survive. Fate it seems is not without a sense of irony. The human body generates more bio-electricity than a 120-volt battery and over 25,000 BTU's of body heat. Combined with a form of fusion the machines have found all the energy they would ever need. There are fields, endless fields, where human beings are no longer born, we are grown. For the longest time I wouldn't believe it, and then I saw the fields with my own eyes. Watch them liquefy the dead so they could be fed intravenously to the living. And standing there, facing the pure horrifying precision,

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I came to realize the obviousness of the truth. What is the Matrix? Control. The Matrix is a computer generated dream world built to keep us under control in order to change a human being into this. [Herv. FF]

Morpheus zeigt Neo eine Batteriezelle.

Sobald der Mensch erkennt, was die Matrix ist, gewinnt er Kontrolle über sich selbst – eine Kontrolle, die ihm die Matrix schon vor der Geburt entzogen hat. Im Kontrollverlust verliert die Matrix ihren Sinn, denn sie ist selbst Kontrolle wie Morpheus definiert hatte.

Damit hat Morpheus auch markiert, welches Interesse die Spieltheorie am (theoretischen) Experiment haben könnte, das zumindest der Film formuliert: Es geht zwar um Kontrolle, jedoch (noch) nicht um Kontrolle, die der Mensch auf eine eingesetzte Wirklichkeit wie die Matrix ausübt. Die Kontrolle über die Matrix gewinnt der Mensch in seiner Befreiung von der totalen Immersion noch nicht.342 Für die Maschinen, die wiederum die Matrix

Damit hat Morpheus auch markiert, welches Interesse die Spieltheorie am (theoretischen) Experiment haben könnte, das zumindest der Film formuliert: Es geht zwar um Kontrolle, jedoch (noch) nicht um Kontrolle, die der Mensch auf eine eingesetzte Wirklichkeit wie die Matrix ausübt. Die Kontrolle über die Matrix gewinnt der Mensch in seiner Befreiung von der totalen Immersion noch nicht.342 Für die Maschinen, die wiederum die Matrix