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Fragen ohne Antwort - I know it when I play it

Spielsituation 5 (idealisiert) Boss-Fight, beliebiges Spiel

VI. Wider den Definitionszwang

1. Fragen ohne Antwort - I know it when I play it

„Das Eingeständnis, dass beim Medienbegriff so ziemlich alles unklar sei“, bringe „es inzwischen kaum mehr über eine Platitüde hinaus. Die Diskussion des Begriffs erregt daher kaum mehr als höflich zurückgehaltene Langeweile“, so Leschke in einer unmissverständli-chen Einschätzung,290 mit der Paech zuletzt das Ritual am Beginn fast jeder schaftlichen Reflexion markierte, um eben selber das „Ritual am Beginn medienwissen-schaftlicher Reflexionen“ zu reflektieren.291 Die vorliegende Arbeit hat dies gleich zu Beginn als unhintergehbare Voraussetzung überhaupt angenommen und aus dem Problem der Theorie das Programm für die Praxis der Forschung generiert. Die Platitüde bleibt nur dann bestehen, wenn aus dem in ihr geäußerten Problem keine Problemstellung entwickelt wird. Die reine Feststellung allein langweilt in der Tat. Wie steht es, generell gefragt, um das Verhältnis von Theorie und Praxis?

Der Umgang mit etwas Bestimmtem – zum Beispiel das über Regeln bestimmte Spiel – setzt dessen Verschwinden voraus, so ließe sich sagen. Das Medium verschwindet im Gebrauch, oder in der Formulierung Sybille Krämers: „Das Medium ist selbst im blinden Fleck des Mediengebrauchs.“292 Problematisch bleibt dabei der Wunsch, die Praxis direkt in die Theorie zu überführen – die Probleme und Annahmen der Theorie mit der Praxis selbst (performativ) zu erschlagen. „Als die Eleaten die Bewegung leugneten, trat, wie jedermann weiß, Diogenes als Opponent auf; er trat wirklich auf; denn er sagte kein Wort;

sondern ging nur ein paarmal auf und ab, wodurch er jene hinreichend widerlegt zu haben glaubte.“ So eröffnete Kierkegaard seine Schrift ‚Die Wiederholung‘.293 Das Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis wirkt immer wieder krisenhaft, vor allem in Richtung der Theorie.

Augustinus Beitrag zur Theorie der Zeit aus dem elften Buch der Confessiones besteht aus wenig mehr als der W-Frage „Was also ist die Zeit?“. Allein die Frage auf diese Art direkt zu stellen, ist in sich schon ein Leistung, die angesichts des ewig rätselhaften Referenten niemand schmälern will. Augustinus Flucht vor der Antwort – seine Flucht vor der ontologischen Bestimmung der Zeit – war dann allerdings noch bemerkenswerter als die

289 Siehe S. 12 dieser Arbeit.

290 Rainer Leschke: „Medien – ein loser Begriff. Zur wissenschaftshistorischen Rekonstruktion eines Begriffskonzepts“, in: Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, Jahrgang 7, Heft 1 (‚Mediendynamik‘), Siegen 2007, S. 219, zitiert nach: Joachim Paech: Warum Medien?, Konstanz 2008, S.6.

291 Paech: Warum Medien?, S. 6.

292 Sybille Krämer: „Das Medium als Spur und Apparat“, in: dies. (Hrsg.): Medien – Computer – Realität.

Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, Frankfurt a.M. 1998, S. 73-94; zitiert nach: Paech: Warum Medien?, S.

17.

293 Sören Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, München 2007, S. 329.

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Frage, und sie scheint mir auch für die Frage „Was also ist ein Spiel?“ bemerkenswert:

„Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.“ Je ne sais quoi. Zur Bedeutung letzterer ‚Floskel‘ im Kontext des Kunstdiskurses seit dem 17. Jahrhundert meint Paech in Bezug auf Wolfgang Ullrichs Buch

‚Was war Kunst?‘, sie sei in erster Linie Anlass gewesen, „sich über das so schwer Bestimmbare diskursiv auszutauschen. Und dieses ‚Ich weiß nicht was soll es bedeuten‘

leitet nun über zu meiner Frage, die ich im Titel gestellte habe: ‚Warum Medien?‘“294 Es ist bezeichnend und festzuhalten, dass die W-Fragen hier im Falle der Zeit, der Kunst und andernorts zu anderen Themen auf eben die Differenz zwischen Theorie und Praxis verweisen, die auch Sutton-Smith zum Spiel gleich im ersten Satz von ‚The Ambiguity of Play‘

markierte: „We all play occasionally, and we all know what playing feels like, but when it comes to making theoretical statements about what play is, we fall into silliness”295

Für die Kluft zwischen Theorie und Praxis besitzt auch Justice Potter Stewarts berühmt gewordener Spruch „I know it when I see it.“ Geltung – formuliert als es 1964 im Prozess des Staates Ohio gegen den Kinobetreiber Jacobellis darum ging, die in Louis Malles Film

‚Les Amants‘ (Louis Malle 1958) gezeigten ‚Obszönitäten‘ der Pornografie zuzuordnen, um damit eine Geldstrafe von 2500$ zu rechtfertigen. Justice Potter schloss mit seinem Satz

„But I know it when I see it, and the motion picture involved in this case is not that.“ den Fall zugunsten von Jacobellis und schützte den Film durch das First Amendment der Verfassung. Dieser Satz steht mittlerweile symbolisch für alle Versuche, eine beobachtbare Tatsache oder ein Ereignis zu charakterisieren, obwohl die Charakterisierung aufgrund unbekannter oder fehlender Parameter zumindest sprachlich-logisch nicht erfasst werden kann.296

Nicht allein das Spiel – im Sinne von ‚I know it when I play it‘ – verweist auf die Fähigkeit, Dinge wissen und erfahren zu können, ohne dass dies beispielsweise in der Logik der Sprache oder auch des Bildes aufgelöst werden könnte. Um es auf die Situation und den Gegenstand der Medienwissenschaft abzubilden, verweist das Spiel in Analogie auch auf das Scheitern jeder positiven Bestimmung von Medialität, wie Dieter Mersch dies in seinem Programm einer ‚negativen Medientheorie‘ benennt: „Der Medienbegriff kann nicht positiv modelliert werden, vielmehr können durch die Reflexionen und Interventionen der Künste nur verschiedene Momente freigelegt werden, die auf die Spur jener ‚Unbestimmbarkeit‘

führen, die sich als ‚Figur des Dritten‘ ‚dazwischen‘ hält und – buchstäblich – in der Mitte bleibt, ohne selbst vermittelbar zu sein.“297

Offenbar scheitert jede positive Bestimmung von Medialität. Entsprechend kann das Mediale, das ebenso ermöglicht wie es sich verbirgt, nur entlang von Resultaten entziffert werden, was erneut auf die unabdingbare Indirektheit medientheoretischer Verfahrensweisen verweist. Die Konsequenz ist, dass sich die Medialität des Mediums seiner Feststellbarkeit entzieht. Sie duldet keine Aussage, und das ist exakt das, was Wittgenstein auch im Tractatus im gleichen Maße in

294 Paech: Warum Medien?, S. 6.

295 Brian Sutton-Smith: The Ambiguity of Play, Cambridge/Mass. 1997, S. 1.

296 Zu diesem ohnehin aufschlussreichen Fall in der ‚Medienrechtsprechung‘ liegen interessante Zeugnisse vor: Das Protokoll der Verhandlung ist bei FindLaw archiviert unter

http://caselaw.lp.findlaw.com/scripts/getcase.pl?court=US&vol=378&invol=184 (19.01.2012); Paul Gewirtz, selbst Potter Stewart Professor of Constitutional Law an der Yale Law School, hat hierzu einen umfangreichen Artikel im Yale Law Journal veröffentlicht: Paul Gewirtz: „On ‚I Know It When I See It‘“, in:

Yale Law Journal, Vol. 105 (1996), S. 1023-1047.

297 Dieter Mersch: Medientheorien zur Einführung, Hamburg 2006, S. 17.

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Bezug auf die logische Form des Bildes wie der Sprache immer wieder von Neuem versucht hat herauszustellen.298

Mersch bezieht sich auf zwei Grundaussagen Wittgensteins, die für das Bild und die Sprache jeweils analoge Eigenschaften formulieren und die sich wiederum auf den Begriff der Medialität beziehen lassen. So sagt Wittgenstein in 4.121 seines ‚Tractatus logico-philosophicus‘, der Satz könne die „logische Form“ nicht darstellen, sie spiegle sich in ihm:

„Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen. Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrücken. Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.“ In Bezug auf das Bild meinte Wittgenstein in 2.171 im Wesentlichen Ähnliches erkannt zu haben: „Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.“ Das Medium verbirgt sich in den Formen, die es hervorbringt. Auch im Spiegelverhältnis Mensch und Spiel erkennen wir dies wieder.

Sobald die meisten positiv bestimmbaren Parameter fehlen, die zu einer Definition des Gegenstands über die Bestimmung bestimmbarer Eigenschaften führen könnten, so ist es gleich einfacher all jenes zu benennen, was man vermisst. Dies sind aber oft nur die fehlenden Parameter selbst und man bewegt sich rasch in eine aussichtslose Perspektive für den Versuch einer indirekt ‚positiven‘ Definition. Die oft nicht ganz klar abzugrenzende Alternative besteht darin, den Gegenstand über das Abwesende ‚negativ‘ zu konturieren:

Bestimmt man annähernd alles, was nicht zum Gegenstand gehört, so landet man nach sehr viel Arbeit und Mühe irgendwann beim Gegenstand selbst – durch die Bestimmung seines Negativs im Ausschlussverfahren. Durch dichte Wege erstellt man die Karte. Auch dies war in Kapitel II beispielsweise an Foucaults ‚stolpernder‘ Bewegung bereits erkennbar. Die begehbaren Wege, die um einen Berg im Nebel herumführen, konturieren zumindest dessen Basis.

Sutton-Smith verglich im Vorwort zu ‚The Ambiguity of Play‘ – also bereits vor der oben zitierten Feststellung über die Ohnmacht bei Spieldefinition – sein 40 Jahre andauerndes Bemühen, die Bedeutung von Spiel zu erfassen („pursuing the meaning of play“), mit jenem von Umberto Ecos Mönchen aus Der Name der Rose, die keine Antwort auf die Frage hatten, was Gott sei:

It has become apparent to me that an understanding of play's ambiguity requires the help of multiple disciplines. But it has also become apparent that it is difficult to approach the subject matter of play directly when there is so much implicit ideological rhetoric that comes with these disciplines. The procedure to be adopted, therefore, is like that of Umberto Eco in his novel The Name of the Rose (1983), in which he describes the activity of a group of medieval monks who, having realized that it is impossible to say what God is, have devoted themselves to revealing what God is not.299

Die Fragen scheinen in der Tat verwandt und sie sind grundsätzlich philosophischer Natur – wenn nicht gar wie in diesem Beispiel theologischer. Entscheidend bleibt, dass die Mönche in ‚Der Name der Rose‘ nicht sagen, was Gott nicht ist, sondern in ihrer Welt aus einer jeweils bestimmten Praxis heraus (unter anderem Mord) Zeichen produzieren und offenbaren (‚reveal‘), die indirekt darauf schließen lassen, dass es nicht Gott ist, der sich hier offenbart. Die Mönche nutzen in dieser Perversion ‚negativer Theologie‘ die Welt als Medium,

298 Mersch: „Tertium Datur (Einführung in eine negative Medientheorie)“.

299 Brian Sutton-Smith: The Ambiguity of Play, Cambridge/Mass. 1997, S. vii.

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indem sie sie auf bestimmte Weise kontrollieren, um das Unbestimmte sichtbar zu machen.

Dies ist den Reflexionen und Interventionen der Künste als Praxis analog, in der

„verschiedene Momente freigelegt werden, die auf die Spur jener ‚Unbestimmbarkeit‘

führen“, wie Dieter Mersch die indirekte Modellierung des Medienbegriffs beschrieben hatte.300

Wie offenbart man in der Art und Praxis des Denkens, in der Methode selbst den Gegenstand? Wie lässt sich gegebenenfalls im Falle des Spiels dadurch der Ohnmacht gegenüber Definitionen entkommen? Auf dem Weg zu möglichen Antwortangeboten auf diese Fragen werfen wir im Folgenden zunächst noch einmal einen Blick in die Literatur-wissenschaft, die, wie zuvor erwähnt,301 einen nicht unbedeutenden Beitrag zur theoreti-schen Auseinandersetzung mit dem ‚Spiel‘ geleistet hat. Ich möchte aber erneut nicht eine historische Diskursentwicklung nachzeichnen,302 sondern wage vielmehr einen punktuellen Zugriff, der auch ein Rückgriff auf bisher schon Behandeltes beinhaltet.