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It is relatively stress-free to write about computer games, as nothing too much has been said yet, and almost anything goes.

Markku Eskelinen, Towards Computer Game Studies43

41 „So entwickelt Iser seine Überlegungen zum kommunikativen Status fiktionaler Texte mit Hilfe der Sprechakttheorie, Funktion und Wirklichkeitsbezug fiktionaler Texte erläutert er mit Hilfe der

Luhmannschen Systemtheorie; zur Beschreibung der Sinnbildung im Leserbewußtsein nutzt Iser Konzepte der Gestaltpsychologie und Phänomenologie (in enger Anlehnung an Husserl und Ingarden). Kritiker bestreiten den Nutzen dieses Theorie-Zappings und werfen Iser Eklektizismus und inkonsistente Begriffshypotrophie vor“, aus: Matthias Richter: „Wirkungsästhetik“, in: Heinz Ludwig Arnold/Heinrich Detering (Hrsg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, München 1996, S. 521. Richter bezieht sich auf: Robert C.

Holub: Reception theory. A critical introduction, New York 1984, S. 100. Vgl. auch Peter V. Zima: Literarische Ästhetik. Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft, Tübingen 1991, S. 257f. Sehr deutlich auch Stanley Fish, der Iser als „the Thomas Browne of literary theory“ bezeichnet – im letzten Satz aus: Stanley Fish: „Why No One’s Afraid of Wolfgang Iser”, in: Diacritics, Spring 1981, S. 13. Auf die Frage, wie sich dies von Isers Art des ‚Denkens als Spiel‘ herleiten lässt, komme ich in Kapitel VI.2 noch einmal zu sprechen.

42 Elsaesser/Hagener: Filmtheorie, S. 12f.

43 Markku Eskelinen: „Towards Computer Game Studies“, in: Noah Wardrip-Fruin/Pat Harrigan (Hrsg.):

First Person. New Media as Story, Performance and Game, Cambridge/Mass. 2004, URL:

http://www.electronicbookreview.com/thread/firstperson/anticolonial (19.01.2012).

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Der angekündigte Kurzschluss von Medienwissenschaft und Spielforschung zielt nicht darauf ab, Spiele a priori als Medien deklarieren, begreifen und behandeln zu wollen – oder gar umgekehrt Medien als Spiele. Diese Zusammenführung müsste von beiden Seiten mit Sorgfalt entwickelt werden. Es sind zunächst strukturelle Analogien theoretisch abstrakter Gegenstände und vergleichbare Problemstellungen der sie untersuchenden Disziplinen, die eine (konstruktive) Verbindung nahe legen, die aber aus der jeweiligen Perspektive heraus auch eine Furcht davor heraufbeschwören, die Probleme des einen könnten die des anderen ohne Gewinn für Lösungsansätze nur wiederholen. Welche Disziplin die Probleme gegebenenfalls wiederholt, wäre dabei schwer zu entscheiden: Die Spielforschung ist wohl älter als die Medienwissenschaft, aber dies ist empfindlich davon abhängig, welche Zeugen jeweils aufgerufen werden. Abseits der Wissenschaften, vom Gegenstand her betrachtet, verweist die Frage, ob Medien oder Spiele zuerst da waren auf ein Henne-Ei-Problem;

dadurch unterstützt, dass sowohl Medien- als auch Spielforschung weder klare Definitio-nen ihres Gegenstandsbereichs noch klare, allgemein akzeptierte disziplinäre Gründungsak-te erkennbar machen. Wie im Falle des Mediums gilt auch beim Spiel, dass entweder der Mangel an verlässlichen, allgemein gültigen Definitionen oder die schiere Menge möglicher Definitionen das Problem und ebenso die eigene Tradition nach Belieben begründet.44 Wenn die Medienwissenschaft wie beschrieben ihre Probleme mit den Definitionen hat, wie sieht es dann in einer ersten Annäherung bei der Wissenschaft zum Spiel aus? Die Situation ist nicht entscheidend günstiger: „Although any serious scholarly study should begin with the definition of its subject matter, in the present case such definitions are elusive“,45 teilten die Spielforscher Elliott M. Avedon und Brian Sutton-Smith unmissver-ständlich mit, als sie 1971 die Forschung zum Spiel (‚The Study of Games‘) zu strukturieren versuchten und den verbindlich geltenden Definitionen von Wert bereits auf der ersten Seite abgeschworen hatten.

Die Jahre ab 1970 waren dabei eine passende Zeit, aus gutem Anlass (wieder) über Spiele nachzudenken, da eine neue Art von Spielen (regelrecht buchstäblich) auf dem ‚Radar‘46 erschien. Zumindest auf den Ideen des 10 Jahre älteren ‚Space War‘ aufbauend, das Steve Russell auf einem PDP-1 Mainframe Rechner am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt hatte, wird ‚Computer Space‘ im Publikationsjahr der Spielstudie 1971 das erste Video-Arcade-Spiel; 1500 dieser Automatenspiele werden vertrieben und die, in nordamerikanischen Bars oft alkoholisierte Zielgruppe hat große Schwierigkeiten mit der Komplexität des Spiels, gerahmt von einem dem Design dieser Jahre entsprechenden Schränklein, das auch Teil der Cocktailbar hätte sein können. Ein Jahr später wird Ataris simpleres Pong in den Arcades erscheinen, danach als Erweiterung des heimischen Fernsehers in nüchternem Kästchen einer Konsole, und damit den eigentlichen kommerziellen Beginn der neuen Spiele markieren. Der von Avedon und Sutton-Smith herausgegebene Band hat zu diesem historischen Anlass allerdings keine Verbindung, und es wird ab dem Erscheinungsdatum fast 30 Jahre dauern, bis die Spielforschung unter der Bezeichnung ‚game studies‘ neuen Wind bekommt, um sich dann beinahe exklusiv mit den elektronischen Spielen zu befassen.

44 Vgl. hierzu weiter unten v.a. Rainer Leschkes Einschätzung zu frühen Zeugnissen der Medienkultur, zitiert auf S. 128.

45 Elliott M. Avedon/Brian Sutton-Smith: The Study of Games, New York 1971, S. 1.

46 Zur Hardware und Apparate-Geschichte der frühen Computerspiele, vgl. Claus Pias Dissertation Computerspielwelten, veröffentlicht als: Claus Pias: Computer Spiel Welten, Berlin/Zürich 2002.

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‚The Study of Games‘ von Avedon und Sutton-Smith blickt in weiten Teilen auf die Forschung zum Spiel in Anthropologie und Folklore zurück, die in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts blühte. Wie Jesper Juul in einer retrospektiven Rezension mit gewissem Bedauern feststellt, blieben die im Band versammelten interdisziplinären Beiträge hinter den Möglichkeiten gemeinsamer Diskussionen zurück.47 Das ‚Nebeneinan-der‘ der Beiträge des Bands erscheint jedoch angemessen und dies ganz unabhängig von den Voraussetzungen, die die Publikationsform etwa begleiten. Die Unverbundenheit ist konsequent angesichts der Grundverfassung einer Spielforschung. So gesteht das Autorenduo gleich in der Einleitung des Sammelbands ein, dass dem eigenen Gegenstand definitorisch kaum nachzukommen sei. Ein konsistentes Gesamtbild von ‚Spiel‘ stehe unter anderem aus diesem Grund außerhalb des Möglichen. Möglich erscheint eben nur das unverzahnte Nebeneinander, was uns augenblicklich in den zuvor geschilderten Kontext der Medienwissenschaft zurückversetzt.

Die Not formuliert das Programm und die Feststellung der Unbestimmtheit, der Unergründlichkeit des Gegenstands Spiel bleibt bei Sutton-Smith durchgängiges Merkmal seiner vorgelegten Schriften. Gut 25 Jahre später wird er mit ‚The Ambiguity of Play‘48 eine wichtige Monographie liefern, in der er die Definitionsfrage noch einmal explizit durch das Nebeneinander von mindestens zehn Arten der Rhetorik, über Spiele zu sprechen und zu denken, dekonstruiert. Die Form übersteigt die Wichtigkeit der Inhalte und spricht deutlicher. Auch hier begegnet uns wieder die Kumulation der Perspektiven als Strategie, und die Spielforschung sichert ihre Basis, zumindest im Falle Sutton-Smith, gleichermaßen nicht durch verlässliche Definitionen ihres Gegenstands, sondern in Form oft kurioser Archive und Sammlungen. Alles scheint in ein offenes Diskursfeld zu münden – im Werk Sutton-Smiths – 1997 schon 73-jährig – weiterhin ohne Referenzen zu den Computer- und Videospielen, die beinahe drei Jahrzehnte danach keineswegs mehr als neues Phänomen gelten.49

Die Definitionsprobleme im Gegenstandsbereich der Medienwissenschaft und der game studies erscheinen als strukturell ähnliches Problem. Die Frage bleibt in beiden Fällen, ob und wie deren Schwierigkeiten methodisch produktiv gewendet werden können.

In der Quasiverweigerung des Spiels gegenüber definitorischen Bestimmungen besteht noch kein hinreichendes Kriterium, diese Spiele zum Gegenstand der Medienwissenschaft zu machen – oder eben umgekehrt: die Medien nicht zu einem Gegenstand der Spielforschung. Sollten die Probleme beider Forschungsbereiche jedoch über ihre Analogie hinauswachsen, so gäbe es bereits durch diese Beobachtung berechtigte Gründe, Spiele

47 „As with many other multidisciplinary and anthological endeavours, the reader is best off by immediately abandoning any hope of seeing the collected articles combine in some kind of unified focus or method: The articles do not really talk to each other”, in: Jesper Juul: „The repeatedly lost art of studying games“, in: Game Studies, volume 1, issue 1 July 2001, URL: http://www.gamestudies.org/0101/juul-review (19.01.2012). Juul scheint von den neuen Impulsen der Spielforschung gleich so geblendet, dass er die Autoren gar visionär auf die letzten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhundert zurückblicken lässt. Auf diesen Fehler sei ausdrücklich hingewiesen.

48 Brian Sutton-Smith: The Ambiguity of Play, Cambridge/Mass. 1997.

49 Dies ist nicht nur in der Forschung sicherlich ein Generationen- oder Übergabeproblem, auch wenn Sutton-Smith wie auf der Digra-Konferenz 2003 in Utrecht übergroß aus Florida auf die Leinwand projiziert mit Eric Zimmerman ‚das Spiel‘ diskutiert und er zumindest auch in Doktorprüfungen zum Thema der

‚neuen‘ Spiele in Erscheinung tritt: „January 16th 2004: Successfully defended Ph.D. dissertation. Committee:

Peter Bøgh Andersen, Marie-Laure Ryan, and Brian Sutton-Smith”, aus dem Lebenslauf Jesper Juuls, URL:

http://www.jesperjuul.net/cv.html (19.01.2012).

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(auch) als Medien zu behandeln. Und dies ohne einen Vergleich von definierten, distinkten Eigenschaften, sondern über Merkmale ihrer Unbestimmbarkeit und Unbestimmtheit. Die game studies machen die Kernprobleme der Medienwissenschaft in einem veränderten Licht nicht nur sichtbarer sondern sogar transparenter, wenn auch nicht unbedingt lösbarer im Sinne einer binären Logik von ‚wahr‘ und ‚falsch‘. Dies verweist auf den Kern der Problematik, denn um klarer zu sehen, muss gegebenenfalls mit anderen Logiken operiert werden: Logiken, die die Paradoxien auflösen, die ein Spiel in binären Logiken definiert; Logiken, die wie die unscharfe (fuzzy) Logik mehr als nur zwei Zustände kennen, gegebenenfalls mit einem Zustandskontinuum umgehen können. Winklers Ordnung des Gegenstandsbereichs

‚Medien‘ und ihrer Perspektiven verwies bereits in eine ähnlich gelagerte Richtung. Oder man entscheidet sich alternativ dafür, die Paradoxien in binären Logiken bestehen zu lassen, um sie als das zu akzeptieren, was sie für Spiele sind: im eigentlichen Sinne prägende unscharfe Definitionen, die Definitionen in binären Schemata aktiv verhindern. Dies wäre im herkömmlichen Verständnis der Leistung von Definitionen nicht hinreichend. Auch darauf hätte man sich gegebenenfalls einzustellen.

Dass die Medienwissenschaften in bestimmten ‚Perspektivierungen‘ für einen Umgang mit unscharfen Definitionen grundsätzlich bereit sind, zeichnete sich in den Ausführungen des vorigen Kapitels ab. Die game studies zögern deutlich in ihrer Bereitschaft, einen solchen Weg zu gehen. Sie ignorieren dadurch in weiten Teilen jene Ergebnisse traditioneller Spieltheorie, die in dominanter Verkörperung durch Figuren wie Brian Sutton-Smith und Gregory Bateson vor ‚falsch‘ verstandener Einheit warnen und stattdessen Unbestimmtheit und Unschärfe propagieren. Auch wenn dies häufig weniger direkt in konkreten Aussagen formuliert ist, so macht die Tradition der Spielforschung deutlich, dass sie im Kern genau das zusammenhält, was sie nicht zusammenhält: Das ‚Objektive‘ der Spielforschung gründet sich auf eine Gesamtheit aller subjektiven Perspektiven, um es in andere Worte zu fassen. In Bezug auf die neuen Spiele (Computerspiele, Videospiele) meinte Henry Jenkins 2004: „There is not one future of games. The goal should be to foster diversification of genres, aesthetics, and audiences, to open gamers to the broadest possible range of experiences.“50 Mit dem Spiel denkend auf die Spielforschung übertragen, sind auch Spielforscher Spieler und damit Teil des in Jenkins Aussage markierten Publikums (‚audience‘). Die Theorie zum Spiel ist ein besonderer Teil der benannten Erfahrung (‚experience‘), was für ein tragfähiges Konzept eines ‚playing research‘ später wichtig sein wird.51

Wie in der Medienwissenschaft sind es die unterschiedlichen Wege und Zugänge, die geradezu typisch und konstruktiv in ihrer Gesamtheit noch deutlicher aufzuwerten wären.

Welche strukturelle Grundlage diese geteilte Eigenschaft haben mag, kann nicht von vornherein entschieden werden. Eine Bestimmung des Spiels als Gegenstand der Medienwissenschaft darf nicht direkt erfolgen, sofern sie tragfähig sein will – ebenso wenig die Bestimmung der Medien als Gegenstand einer Spielforschung. Beides wäre durch die schwammartige Aufnahmebereitschaft des Gegenstandsbereichs auf beiden Seiten kein Problem. Wie schon erwähnt, bestimmt gerade die Möglichkeit, zu vieles als Medium und Spiel definieren zu können häufig die Situation in einer Weise, die deren begrifflichen Nutzen für ein analytisches Programm nur schwächt. Es gilt genauer zu arbeiten und die

50 Jenkins, Henry: „Game Design as Narrative Architecture“, in: Noah Wardrip-Fruin/Pat Harrigan (Hrsg.):

First Person. New Media as Story, Performance and Game, Cambridge/Mass. 2004, S. 118-130, URL:

http://web.mit.edu/cms/People/henry3/games&narrative.html (19.01.2012).

51 Vgl. Kapitel IV dieser Arbeit.

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Verbindung ohne normative Setzungen erst durch eingehendere Analysen stärker zu konturieren, auch in einer Annäherung über die geteilten Voraussetzungen der jeweiligen wissenschaftlichen oder philosophischen Auseinandersetzung.