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II. Methoden – Prolegomena

1. Selbstfindung im Medium

Computerspiele prägt auf unterschiedlichsten Ebenen eine Erblast im Verhältnis zu jenen

‚vorgängigen‘ beziehungsweise ‚alten‘ Medien, die sie überhaupt erst als ‚neue‘ Medien erscheinen lassen. Ihre Geschichte weist besondere Abhängigkeiten von anderen Medien und Mediensystemen auf. Die Art ihrer technologischen Reifung ist in der Mediengeschich-te in vielfacher Hinsicht beispiellos, und ihr Umgang mit dem Erbe ‚der‘ Medien erscheint selbst als Spiel mit Möglichkeiten der Integration unterschiedlichster medialer Strategien bei der Vermittlung beispielsweise von Inhalten, die mittlerweile auch zur Handlung eines Rezipienten auffordern können.

Computerspiele reiften durch selektive Aneignung traditioneller medialer Formen, indem sie beispielsweise ästhetische Strategien des Films und einen Großteil filmsprachlicher Repertoires übernahmen, sobald dies technologisch möglich war. Auf diese Weise konkretisierten diese Spiele eine Form, die von Zeit zu Zeit vergessen ließ, was denn tatsächlich deren neue Qualität sicherte. Wenn es um signifikante Unterschiede ging, so konzentrierten sich in den späten 1990er Jahren die theoretischen Betrachtungen auf das, was die alten Medien im Einzelfall konkret ergänzt und erweitert hat, während davon ausgegangen wurde, dass ein ‚alter‘, eingebetteter Kern (z.B. Literatur, Film) prinzipiell auf ähnliche Weise funktioniert. Aus diesem Grund bestimmte der in den aktuellen game studies bisweilen zur vollkommenen Bedeutungslosigkeit verkommene Begriff ‚Interaktivität‘

weitgehend den Blick auf die neuen Medien, die vor allem deshalb neu erschienen, weil sie eben interaktiv waren. Die Spiele machten es vor oder auch nach, denn Mitte der 1990er

100 Marshall McLuhan: Understanding Media. The extensions of man, London 2003 (11964), S. 6.

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erschloss die CD-ROM als Datenträger mit großem Speicherplatz die Möglichkeiten

‚interaktiver Filme‘ als Spiel, die jedoch ihre technologische Faszination nicht lange aufrecht erhalten konnten:

Durch die CD-ROM war es möglich geworden, ganze Filme digitalisiert zu speichern, wobei die Probleme allerdings die gleichen waren, wie bei einem traditionellen ‚Grafikadventure‘: Jede interaktive Einflussnahme löste nun prinzipiell eine nicht-interaktive, digitalisierte Filmsequenz aus – das Spiel verlor sich in den oftmals viel zu lang angelegten Zwischensequenzen und die dadurch bedingten Zugriffszeiten auf die CD-ROM.101

Diese linearen Sequenzen spielten sich folgendermaßen:

Spielsituation 1

‚Gabriel Knight II – The Beast Within‘ (Sierra Studios 1996) […]

Nach einer digitalisierten ‚Realfilm‘-Sequenz, startet das Spiel. [...] Beginn des zweiten (digitali-sierten) Eröffnungsfilms. [...] Der Protagonist erwacht und ebenso der Spieler, der plötzlich realisiert, dass der (ebenfalls digitalisierte) Protagonist Gabriel Knight nicht frei in seiner statisch vorberechneten 2D/3D-Umgebung bewegbar ist. [...] Der Spieler hat sich für eine Aktion entschieden und der Mausklick auf eine herumliegende Tasche löst erneut eine digitalisierte, nicht-interaktiv steuerbare Filmsequenz aus. [...] Der Protagonist öffnet die Tasche. Der Inhalt erscheint in einem photorealistischen Standbild. Ein Mausklick auf die Gegenstände in der Tasche und der Protagonist ist erneut in einer digitalisierten Filmsequenz bei der Arbeit zu beobachten.102

Ganz gleich ob in Konzepten der Medienkunst oder der zunehmenden massenmedialen Nutzeraktivierung im Internet: ‚Neu‘ war stets synonym zu ‚interaktiv‘, und man begann Medien nach der Art ihrer Vernetzung zwischen Produzenten und Rezipienten zu unterscheiden, was bisweilen nicht mehr einfach war: Rezipienten übernahmen in ihren Handlungsrollen nun zu einem guten Teil Eigenschaften von ‚assoziierten‘ Produzenten, was vor allem Ordnungsversuche komplizierter machte und abermals binäre Ordnungs-schemata nicht mehr passend erscheinen ließ.

Spiele als ‚interaktive Medienformen‘ übernahmen zwar zunehmend Strategien der Repräsentation und Kommunikation von anderen Medien, veränderten diese in der Integration aber auch grundlegend, indem sie den Rezipienten Möglichkeiten der Medienpartizipation anboten. Diese Art der Integration bedeutete aber mehr als nur die Addition eines weiteren ‚Features‘ oder Zusatzangebots im Medienpark, denn die neuen Strategien, Nutzer in die medialen Strukturen einzubeziehen, veränderten die Bedingungen gerade unterhalb der Oberfläche, die Computerspiele zunehmend den Anstrich des ‚alten‘ im

‚neuen‘ Medium verlieh.

101 Frank Furtwängler: „‚A crossword at war with a narrative‘. Interaktivität versus Narrativität in

Computerspielen“, in: Peter Gendolla/Norbert M. Schmitz/Irmela Schneider/Peter M. Spangenberg (Hrsg.):

Formen interaktiver Medienkunst. Geschichte, Tendenzen, Utopien. Frankfurt a. M. 2001, S. 392.

102 Ebd., S. 392f.

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Abbildung 11 (Bild 1-6): ‚Gabriel Knight II – The Beast Within‘ (Sierra Studios 1996), gemäß der Beschreibung und Abfolge in Spielsituation 1

Die gegebenen Veränderungen wurden auf verschiedene Weise interpretiert: Positionen, die keinen grundlegenden Medienwandel oder Medienumbruch annahmen, verstanden Partizipation und Interaktivität weitgehend monokausal als Verstärkungsfaktor, beispielsweise für mediale Wirkung. Parallel zum Siegeszug des Begriffs ‚Immersion‘103 entwickelte sich abseits der Euphorie eine zu großen Teilen der Sache kaum angemessene Diskussion um die Gefahren dieses ‚teilnehmenden‘ Medienkonsums neuer Art, dominiert

103 Vgl. Kapitel VI.3 ‚Rahmung und Immersion‘.

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von einer Wiederkehr der Frage, inwiefern dies als Probehandeln Auswirkungen für eine gesteigerte Gewaltbereitschaft haben kann. Die Argumentation ist so einfach, wie sie einleuchtend erscheint: Waren die verdächtigen Inhalte schon in den ‚alten‘ populären Medien gefährlich, so muss die aktive Teilnahme an den Inhalten der neuen Medien deren Gefährlichkeit noch steigern. Die Aufnahme der Gewaltbereitschaft im Medienkonsum wächst in dieser Anschauung proportional zur Identifikation des Spielers mit den Handlungen im Spiel. Derartige Positionen fragen allerdings nicht nach den veränderten Bedingungen im Umgang mit Bildern und anderem.

Die gegenwärtige Medienwirkungsdebatte konfrontiert uns mit kritischen Fragen:104 Sie beinhalten den Hinweis auf einen drohenden Kontrollverlust der Medienkonsumenten über sich selbst, wenn sie sich dem aussetzen, was ihnen die Medien vorsetzen. Die Ohnmacht, eine mögliche geistige und körperliche Degenerierung der Betroffenen aufzuhalten, wird entlang vager Szenarien erörtert. Gefragt wird, ob Kinder beispielsweise durch Computerspiele und Fernsehen ‚verblöden‘ und sogenannte ‚Killerspiele‘ sie in hinterhältigen Trainingsprogrammen zu Killern ausbilden. Aus Angst vor intelligenten Amokläufern wünscht man sich dabei schon der eigenen Sicherheit wegen, dass die

‚Verblödung‘ schneller eintritt. Der Blick in die Zukunft erscheint düster. Manfred Spitzers Untertitel zu ‚Vorsicht Bildschirm!‘ muss wohl als Kausalkette für die Schadenswirkung verstanden werden: ‚Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft‘.105 Die Befürchtungen über den Selbstkontrollverlust individueller Menschen und einer in der Summe resultierenden Gesellschaft in so genannter ‚Medienverwahrlo-sung‘106 setzen aber zumindest ein Gefühl des individuellen und gesellschaftlichen Kontrollverlusts über die Medien selbst voraus, die ihre offenbar bedenkliche Rolle kaum aus sich selbst heraus einnehmen konnten.

Das Thema spaltet die Meinungen. Bedauernswert und bemerkenswert bleibt, dass hierbei ein Mangel an Positionen beobachtbar ist, deren Vertreter sich nicht auf einer ‚Mission‘

befinden. Ein erster sinnvoller Schritt bestünde in einer vorsätzlichen Absage an permanent wertende Positionen, die Differenzierungen aufgrund der Polarisierung, die sie nach sich ziehen, unweigerlich hemmen müssen. Die Vermutung, dass wir die ‚elektroni-schen Medien‘ nicht ausreichend verstehen, um sie befriedigend in ihren Wirkungen zu erklären, wird durch manichäistische Zuordnungen zu Licht (z.B. Kunst) oder Finsternis (z.B. Populärkultur) nur zementiert; sie sind häufig noch einfacher strukturiert als die thematischen Inhalte von Computerspielen, die den Kritikern an erster Stelle verdächtig sind. Auch hier erkennt man die Beurteilungsprobleme im bereits zentral besprochenen Unbestimmtheitsproblem begründet, das besonders durch einen Verlust binärer Ordnungsschemata entscheidend wirkt.

Vorherrschende Zuordnungen zu gegebenen Kontexten verweisen jedoch auf einen wichtigen Grund unserer Schwierigkeiten, diese neuen Medien einzuschätzen. Er besteht insbesondere in einer charakteristischen Unüberwindbarkeit festsitzender Schemata in der

104 Teile der folgenden Abschnitte wurden bereits zur Diskussion gestellt in: Frank Furtwängler: „Im Spiel unbegrenzter Möglichkeiten. Zu den Ambiguitäten der Videospielforschung und -industrie“, in: Jan

Distelmeyer/Christine Hanke/Dieter Mersch (Hrsg.): Game over?! Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld 2008.

105 Manfred Spitzer: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft, Stuttgart 2005.

106 Ein Begriff, den Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, in verschiedenen kleineren Beiträgen in die Diskussion einbrachte. Beiträge finden sich z.B. auf der Website URL: http://www.mediaculture-online.de (19.01.2012) oder der Website des Instituts direkt URL:

http://www.kfn.de (19.01.2012).

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Beurteilung neuer Phänomene: Zahlreiche Verteidiger der populären Medien glauben an die Möglichkeit, durch eine Zuordnung der Computerspiele zu etablierten Wertsystemen, wie beispielsweise der Kunst, automatisch ihre Etablierung und gesellschaftliche Akzeptanz durchsetzen zu können; ähnlich wie es in der Vergangenheit für den Film mit Einschrän-kungen möglich war. Viele Kritiker sehen in umgekehrter Entsprechung in Computerspie-len die große Chance, die letztendlich schon früher am Film oder auch an Video und Comics letztendlich immer wieder verlässlich gescheiterten beziehungsweise eingefrorenen Diskussionen um die negativen Wirkungen der populären Medien zu reanimieren. Beide Möglichkeiten basieren auf den gleichen qualitativen Voraussetzungen, und sieht man von den unterschiedlichen Zielen ab – Akzeptanz versus Ablehnung –, so entsprechen sich beide Strategien bis in Details.

In dem Drang, ein homogenes Phänomen zu konstruieren, das in die jeweiligen Schemata passt, verlieren die neuen Qualitäten der Gegenstände ihre angemessene Beachtung. Ein Beispiel kann dies illustrieren: Die Verallgemeinerung des berüchtigten Ego-Shooters, synonym zu ‚Killerspiel‘, für den Eindruck eines Gesamtszenarios ist nur deshalb möglich, weil bisher niemand das heterogene Feld der Computerspiele überzeugend und nachhaltig differenzieren kann – weder Kritiker noch Verteidiger. Sachlich und formal betrachtet ist der Ego-Shooter kaum mehr als ein erfolgreicher visueller Typus dieser Spiele, dessen Form allerdings zusammen mit einem Inhalt systematisiert wird, z.B. indem dieser Typus als Genre begriffen wird. Nun ist ein Genresystem zwar ein Differenzierungsversuch, im Fall Computerspiel allerdings weder verlässlich noch aussagekräftig. Es ist teilweise Relikt tradierter Systeme und damit eher Symptom von Orientierungslosigkeit als ein Instrument zur Orientierung, da es sich nicht an einheitlichen Merkmalen von Computerspielen orientiert.107

Das hier jeweils schon in Kapitel I.3 und II.3 konkret auf die game studies bezogene Problem bei der Suche nach einheitlichen Merkmalen von Computerspielen ist Ursprung der gegebenen Differenzen in deren Erforschung; und die nicht vorhandene Einheit verhindert effektiv ein geschlossenes Auftreten der Spielforschung zur Klärung kursierender Fragen.

Wohin der Blick auf sie auch fällt: Einheit dominiert in diesem Bereich selten. Die Praktiken des Umgangs mit Computerspielen all jener, die beispielsweise an den eben erwähnten Diskussionen teilnehmen, können hier als Indikator für die Eigenschaften der Spiele selbst gelesen werden. Dazu muss man bei eingehender Betrachtung der Meinungs-gruppen feststellen, dass es immer mehr als zwei Positionen gibt, wenn man bereit ist halbwegs zu differenzieren und sich von den gröberen binären Ordnungsschemata absetzt.

Schon ein gemäßigter Rückzug aus den öffentlichen Diskussionen in ernsthaftere Spielforschung, offenbart beliebig viele Oppositionen, die den Streit um Details in jeder beliebigen Auflösung beinhalten können. Der schon gut durch sich selbst dokumentierte

107 Eine konsistent logische Einteilung in Genres liegt nicht vor: Es gibt Verweise auf strukturelle Merkmale, z.B. zeitliche (Aufbaustrategie- und Rollenspiele, rundenbasiert und Echtzeit); die schon erwähnten Verweise auf visuelle Typen (Ego-Shooter); medienhistorische Verweise auf apparative Typen (Arcade), auch

Mischungen aus medienhistorischen Verweisen und Verweisen auf narrative Eigenschaften (Adventure) etc.

Durch die Verweise auf unterschiedliche Qualitäten sind Mischformen jederzeit möglich, die beliebig selektiv sind und auch direkt auf bekannte Vorläufer Bezug nehmen (z.B. Action-Adventure im Stil von ‚Tomb Raider‘

oder Ähnliches). Konsistente logische Einteilungen in Typologien verlieren durch die Vielzahl an kategoriellen Bausteinen, die die komplexen Merkmale der Spiele reflektieren könnten, schnell ihren

pragmatischen Wert und setzen sich nicht durch, vgl.: Espen Aarseth/Solveig Marie Smedstad/Lise Sunnanå:

„A multi-dimensional typology of games“, in: Marinka Copier/Joost Raessens (Hrsg.): Level Up, S. 48-53.

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Grundlagenstreit zwischen Ludologen und Narratologen108 fand eher im Bereich gröberer Auflösung, globaler Einstellungen und Zuständigkeiten statt. Doch auch im Mikrokosmos des Begriffsspektrums ist man sich uneins: Zwischen Kernbegriffen wie Immersion, Interaktion, Partizipation, den in der Öffentlichkeit weniger populären Begriffen wie dem der ergodic literature109, und nicht zuletzt dem Spielbegriff selbst ist ausreichend Spielraum für Differenzen aller Art. Man könnte sich damit trösten, dass es hier vielleicht nur um die Klärung von Begriffen ginge, doch die definitorische Notsituation oder gar der definitorische Zusammenbruch verweist über sich hinaus auf eben jene fehlende Einheit in der Auseinandersetzung mit Computerspielen. Eine Einheitsstiftung würde gerade jenen Differenzierungsmangel auf verschiedenen Ebenen voraussetzen, den man eigentlich auflösen müsste, um zu spezifischeren Einsichten zu gelangen. Die Situation wirkt paradox, doch dies mag durchaus mit dem Gegenstand selbst zusammenhängen, wie ich später noch deutlicher argumentieren werde.

Aus Erkenntnissen über die fehlende Einheit auf verschiedensten Ebenen sind die Aufgaben jener Disziplin erst abzuleiten, die sich als game studies explizit der Erforschung von Computerspielen widmen wollen und damit auch lernen müssen, mit Paradoxien oder Widersprüchen umzugehen. Akzeptiert man die im herrschenden Mangel an Klarheit steckende Ambiguität, so nähert man sich dem Kern dessen, was wir als Spiel verstehen müssen. Diese Einsicht behindert oder verhindert nicht die Möglichkeit, durch spezifische Reduktion der komplexen Merkmale von Computerspielen in differenzierten Untersu-chungen spezifische Klarheit zu erlangen.110 Dass die Schwierigkeiten über die Eigenschaften von Computerspielen zu entscheiden durch ihre Eigenschaften als Spiel vorgegeben sind, muss in der Forschung reflektiert werden. Dies genügt dem bereits für die Medienwissen-schaften geforderten Maß an Selbstreflexion, z.B. den Erkenntnisgrenzen für bestimmte Modelle, die einen Gegenstand eben immer nur ‚modellieren‘, Rechnung zu tragen. Dies ist auch als eine der dringlichsten Aufgaben der game studies zu begreifen. Zu akzeptieren wäre, dass Differenzierung zumindest hier nicht zu einem einheitlichen Verständnis des Gegenstands führt, sondern zu vielseitigen, multiperspektivischen Betrachtungsweisen, die gegenseitig nicht zu konkurrieren haben in ihrem Wahrheitsanspruch, sondern vielmehr als komplementär verstanden werden müssen. Einsichten der einen Betrachtung müssen nicht die Einsichten der anderen entkräften, nur weil sich die Einsichten dadurch widersprechen, dass beide auf denselben Gegenstand ‚Computerspiel‘ blicken. Der Blick ist selten der gleiche und ein derartiges Grundverständnis bleibt gewöhnungsbedürftig, ganz in jenem Sinne, der hier bereits unter den wissenschaftskulturellen und philosophischen Rahmenbe-dingungen angesprochen wurde. Differenzierungen durch unterschiedliche Zugriffsoptio-nen sind als legitim und als Teil des Spiels zu begreifen. Man hat diese Aufgabe als Teil der Arbeit am Selbstverständnis der game studies zu verstehen, das der herrschenden Ambiguität des Spiels Rechnung trägt.

Spezifische Zugriffsoptionen auf Computerspiele müssen sich also stets selbst reflektieren.

Steven Johnson hat hierzu in seiner gelungenen Streitschrift ‚Everything Bad is Good for You‘

zunächst die heikle Kommunikationssituation zwischen den beteiligten Parteien unter anderem auf deren unterschiedliche Erfahrungsdimensionen zurückgeführt. Damit hat er en

108 vgl. Kapitel II.3 ‚Game Studies als Ausgangspunkt?‘, speziell Fußnote 87.

109 Dieser Begriff und die Konsequenzen der ‚Ergodizität‘ als Begriffsentlehnung werden detailliert besprochen in Kapitel VII.

110 Dieser Zugang wird im nächsten Kapitel weiter thematisiert werden, wenn es ausdrücklich um die methodologischen Zugänge gehen wird.

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passant eine mögliche, plausible Differenzierung von Computerspielen geliefert. Gelungen ist diese schon deshalb, da Johnson den gängigen, medienkritischen Positionen widerspricht und dabei einen hohen Grad an Differenzierung beibehält. Damit relativiert er in seiner Praxis die Prädikate ‚good‘ und ‚bad‘ im Titel seines Buchs, auch wenn er sich prinzipiell auf einer Mission befindet, die das ‚Gute‘ in den elektronischen Medien herausstellen will. Er sagt: „I worry about the experiential gap between people who have immersed themselves in games, and people who have only heard secondhand reports, because the gap makes it difficult to discuss the meaning of games in a coherent way.“111 Die Kohärenzproblematik, die Johnson hier anspricht, entspringt einer wahrhaft medientheoretischen Grundfrage: Was ist der Inhalt eines Mediums? Der Unterschied in der Erfahrung, die Johnson hier beobachtet, entsteht aus zwei unterschiedlichen Zugriffsopti-onen, die zwei unterschiedliche Blicke auf ein und denselben thematischen Inhalt freisetzen. Sie unterscheiden sich an der nächsten medientheoretischen Grundfrage: Gibt es thematische, vom Medium selbst abgekoppelte Inhalte, die man verhandeln könnte?

Die erste Zugriffsoption besteht in einer Beurteilung der thematischen, audiovisuellen Inhalte von außen, die abgekoppelt sind von ihren Funktionen im medialen Kontext des Computerspiels. Sie ermöglicht die traditionelle Rezeption von Computerspielen als Zuschauer, die durchaus legitim ist, sofern sie als solche verstanden und markiert wird.

Johnson versteht diesen Blick auf Computerspiele und andere populäre Medienformen im Sinne symbolischer Interpretationen im Gegensatz zu ‚systemischen‘ Interpretationen, wie er sagt, wobei letztere in engerem Zusammenhang zu einem Handeln des Spielers in einem Spiel stehen. Der in hundert symbolisch ‚blutende‘ Polygone zerschossene Körper eines Polygongegners in einem Ego-Shooter wird (symbolisch) interpretiert, ohne die Funktion des Ereignisses selbst im Kontext eines komplexen spielerischen Handelns (systemisch) zu sehen.

Es braucht uns angesichts der von Johnson angeführten Behauptungen nicht weiter zu interessieren, was er unter symbolisch nun genau in diesem Kontext verstehen will. Johnson führt dies selbst nicht weiter aus. Für seine Betrachtungen spielen symbolische Betrachtun-gen auch keine primäre Rolle: „The approach followed in this book is more systemic than symbolic, more about causal relationships than metaphors. It is closer, in a sense, to physics than to poetry. [Herv. FF]”112 Entscheidend ist für uns hier genau diese Unterscheidung, die er trifft – zwischen symbolisch und systemisch oder vergleichbaren Begriffen, die der prinzipiellen, qualitativen Unterscheidung dienen. Die symbolische Interpretation des Ereignisses von außen hat für Aussagen über dessen Wirkung nur Gültigkeit auf einer, mit der Beobachterposition von außen ebenso korrespondierenden Ebene der Rezeption, also auf der Ebene ebenfalls nicht spielender Beobachter. Auch wenn die Betrachtungen legitim sind, müssen sich diese Beobachtungen gegebenenfalls damit abfinden, dass sie lediglich Wirkungen auf eine Gruppe beschreiben, die nicht interessiert, weil sie eventuell nicht nur irrelevant ist, sondern gegebenenfalls überhaupt nicht existiert. Es muss von vornherein die jeweilige, Computerspiele auf die ein oder andere Art rezipierende Gruppe bestimmt und entschieden werden, ob sie postuliert und manchmal auch nur konstruiert ist – ‚objektiv‘

nicht existiert oder nur für ein Modell spezifischer Betrachtungen.113 Eine Differenzierung

111 Steven Johnson: Everything Bad Is Good For You. How Popular Culture Is Making Us Smarter, London 2006, S.

25.

112 Ebd., S. 10.

113 Die Frage, ob sich Sequenzen, die nicht von aktiver Partizipation des Spielers dominiert werden, für Untersuchungen dieser Art legitimieren lassen, wird ebenfalls kontrovers diskutiert: James Newman konzipiert hier z.B. Spielmodi, die er on-line und off-line nennt (und damit durchaus zu weiteren begrifflichen

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der Diskussionen muss verschieden möglichen Ebenen der Beobachtung und des Zugriffs Beachtung schenken. Wie Johnson zunächst zwischen systemischen und symbolischen Betrachtungen zu differenzieren, ist angesichts der Konfusionen verschiedener Betrachtungsebenen wertvoll. In verschiedenen Differenzierungen der Beobachtungsebe-nen entscheiden sich disziplinäre Zuständigkeiten. Es wird entschieden, ob (wie im Beispiel der Betrachtung ‚von außen‘) noch game studies stattfinden oder Operationen im assoziativen Raum um diese Spiele andere Möglichkeiten der Untersuchung eröffnet haben, die eben möglich, der expliziten Forschung zum Spiel gegebenenfalls aber weniger angemessen erscheinen. Wir nähern uns zunehmend dem von Winkler treffend bezeichneten Assoziationsraum einer Medienwissenschaft, in dem es wichtig wird, die spezielle Perspektivierung einer Untersuchung klar auszuweisen, um die eigene Tragweite notwendigerweise zu reflektieren und sie gerade dadurch zu stärken.114

Der Assoziationsraum der Medien und mit ihnen der Medienwissenschaft hat im Fall der Computerspiele besonderen Bestand: Computerspiele aktivieren in ihren Selektionen aus einer Vielzahl anderer Medienbereiche Assoziationen im Betrachter, die doch alle irgendwie legitim erscheinen.115 Durch plausible, innovative Assoziationen werden Gegenstände und die Gruppen, die sich zu ihnen in Bezug setzen, nicht selten erst konstituiert – und mit ihnen auch deren Probleme. Dazu ist auch die Frage nach der Wirkung von ‚Inhalten‘ zu zählen: Hat die Öffentlichkeit beispielsweise den Horrorfilm der 1970er Jahre heute

Der Assoziationsraum der Medien und mit ihnen der Medienwissenschaft hat im Fall der Computerspiele besonderen Bestand: Computerspiele aktivieren in ihren Selektionen aus einer Vielzahl anderer Medienbereiche Assoziationen im Betrachter, die doch alle irgendwie legitim erscheinen.115 Durch plausible, innovative Assoziationen werden Gegenstände und die Gruppen, die sich zu ihnen in Bezug setzen, nicht selten erst konstituiert – und mit ihnen auch deren Probleme. Dazu ist auch die Frage nach der Wirkung von ‚Inhalten‘ zu zählen: Hat die Öffentlichkeit beispielsweise den Horrorfilm der 1970er Jahre heute