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Samuel von Pufendorf an Thomasius Berlin, 24. März 1688

Chronologisches Briefverzeichnis

Falknern 8 dienstlich zugrüßen ich recommendire meinen sohn zum besten undt ver- ver-bleibe unter Christi schutz

C. Thomasium 13

51 Samuel von Pufendorf an Thomasius Berlin, 24. März 1688

Alberi-Berlin, 24. März 1688

ner hier und dar gute picken.

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Unter andren ist die definitio studiosi theologiae excellent.

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Es were gut, wenn es diese Ostermeße noch könte heraus kommen, so het-ten sie etwas zu kauen, biß ich mit Josuae Schwartzij epistola fürn tag komme. Wir haben mit harthäutigen thieren zuthun, und deswegen muß man sie mit der mistgabel kitzeln. Es ist mir immer bange gewesen, sie möchten Mhh. dorten etwa händel ma-chen. Allein H. Hofrath Beßer

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hat mir die sorge meistens benommen; und wann man sich nur vorsiehet, daß sie einem nicht mit einem errore contra articulos fidei, oder injurien fest kriegen, so sind noch wohl mittel sie rasend zu machen, zumahl wo man eines guten freundes im OberConsistorio versichert were, der ihre conatus eludiren könnte, wo sie dorten etwas anfangen wolten.

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Könte Mhh. durchdringen wieder die pedanterey, hette er sich umb unser vaterland immortellement meritiret, und würde es alsdenn unsern jungen Studenten gehen, als dorten dem Apuleio, da er wieder Mensch-liche gestalt annahm.

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Und ist mir nachdencklich vorkommen, daß der berühmte re-formirte theologus Jurieux zu Rotterdam unter die probable indicia, daß der fall des Antichrists nahe sey, rechnet, daß die neue philosophie ie mehr u. mehr überhand nimmet. U. ist gewiß, daß man vermittelst der neuen philosophie die Papisten bald in Frankreich ad silentium redigiret hette, wo sie nicht die dragoner zu hülffe bekom-men.

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Desto unsinniger ists, daß unsre lumina Ecclesiae so sehr streiten den alten quarck beyzubehalten. Das programma de arte cogitandi et ratiocinandi

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hat mir sehr wohl angestanden, u. gebe Gott, daß man den leuten diese art von philosophiren bey-bringen möchte, u. daß sie nicht glaubeten, das raisonniren bestünde eben darauf, daß man einen syllogismum von drey propositionen machen könte, mit Quicquid, Atqui, Ergo.

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U. hat sich, wo mir recht ist, Clavius sehr prostituiret, daß er des Euclidis de-monstrationes in formam eiusmodi syllogismorum redigiren wollen.

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Bey dem Teut-schen programmate über den Gratian

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ist mir eingefallen, ob es nicht müglich were, daß nach dem man das ienige, so justum heißet, zu guter perfection gebracht, man auch die ienige praecepta moralia in formam artis redigiren könte, die darzu dienen, daß man für einen klugen, vorsichtigen und höflichen menschen in der welt passire;

und ob nicht gewiße principia zu finden darauß man alles deduciren könte, u. gewiße

abtheilungen, dahin man alles referiren könte, und also das gantze wesen gleichsam

sub uno intuitu haben. Denn zum exempel, dieser Gratian hat viel herrliche pensées,

viel aber laßen sich schwerlich verstehen, wo man nicht die welt, und die höfe

practi-ciret, einige dinge sind auch alzu spanisch, u. idealisch, u. laßen sich nicht wohl in der

that exprimiren, oder sind nur für etliche wenig singular leute, in universum aber

hen-get es nicht an einander. Hette man aber eine solche scientiam eingerichtet, könte man

alles an seinen ort bringen, u. fehlet es nur an dem σωματοποιεῖν

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, wie vor diesen

Boeclerus de Jure Naturae sagte,

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die materialien solte man bald so wohl aus alten, als

neuen scribenten, u. sonderlich Frantzosen, zusammen suchen. Mhh. speculire ein

we-nig hierauf. Nam est res digna tuo ingenio. Ich kan mich auf diese dinge nicht mehr

mit ernst appliciren; u. verlange Mh. gedancken darüber zuvernehmen. Ich werde

ge-nöthiget dem Pariser Journalisten Abbé de la Rocce einen kleinen nasenstüber zugeben

für seine censur über meine historie, weil er mich beschuldiget, ich hette die gloire der

frantzösischen nation aus affection diminuiret, quod est falsissimum. Nur ihre

falsch-Berlin, 24. März 1688

heit habe ich wohl ziemlich entdecket, welches ihnen vielleicht nicht anstehet.

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Bitte h. Lic. Rechenberg, u. seinen hn. Bruder meinet wegen frl. zugrüßen,

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und ich bin lebenslang

Meines hochgeehrten hn.

Dienstwilligster diener Sam. von Pufendorf. mp.

Beilage:

Die zuletzt von Thomasius am 17.3.1688 geschickten Bogen von „Nicolai Beckmanni ad V. C. Severin. Wildschütz Malmogiensem Scandum Epistola“

1 Siehe Beilage.

2 Der Leipziger Theologe Valentin Alberti und seine Anhänger. Zum ‚naiven‘ Latein der „Epistola“

vgl. das Schreiben von Pufendorf an Thomasius vom 25.2.1688.

3 Pufendorf spielt auf die folgende Passage der „Epistola Beckmanni“ (S. 53) an: „Studiosus Theolo-giae est animal rationale, risibile, bipes, vestitum in habitu nigro, gerens in una manu Grammati-cam Wasmuthi, in altera vero Königii Theologiam Positivam, & describens conciones ex ore Prae-dicatorum“. Der Verfasser karikiert hier die u. a. um die Wendungen und Begriffe „homo est“,

„animal“, „rationale“, „risibile“, „bipes“, „albus“ und „niger“ kreisenden Definitionen des Mensch-seins in den verschiedenen Schriften des spätantiken römischen Philosophen Boëthius, der für die scholastische Logik und Aristoteles-Rezeption des Mittelalters von großer Bedeutung war. Der Kieler Orientalist und Theologe Matthias Wasmuth (1625–1688) war mit wichtigen Arbeiten zur arabischen und hebräischen Grammatik hervorgetreten, die als philologisches Rüstzeug für die exegetischen Wahrheitsbeweise der orthodox-lutherischen Dogmatik grundlegend waren; von sei-nem Kollegen an der Rostocker Universität Johann Friedrich König (1619–1664) war 1664 die

„Theologia positiva acroamatica“ erschienen, die sich rasch zu einem der wichtigsten Dogmatik-lehrbücher der orthodox-lutherischen Theologie entwickelt hatte.

4 Johann Besser (1654–1729), Dichter und seit 1680/1681 kurfürstlich-brandenburgischer Rat und Legationsrat; zuvor hatte er einige Jahre in Leipzig gelebt und war weitläufig mit Thomasius ver-schwägert.

5 Es ist nicht ersichtlich, ob Thomasius in seinem vorausgegangenen Brief von einem „guten Freund“ im Oberkonsistorium gesprochen hatte oder ob Pufendorf ihm – nach seiner Besprechung mit Besser – dazu raten wollte, sich einen Gönner in jenem Gremium zu suchen. In der Person des Dresdner Appellationsrats und Stadtsyndikus Adam Christoph Jacobi kannte Thomasius zumindest ein prominentes Mitglied des Oberkonsistoriums, vgl. dessen Korrespondenz mit Thomasius in diesem Band. Zu seinen Unterstützern im Oberkonsistorium, mit dem er seit Anfang 1688 immer wieder in seinen z. T. juristisch ausgetragenen Kontroversen mit führenden Leipziger Theologen und Geistlichen zu tun hatte, zählte Thomasius im Rückblick auch den Präsidenten Hans Ernst von Knoch, vgl. JH-3-I, 2. Aufl., 1724, S. 98. Diese Einschätzung bezog sich allerdings auf einen späte-ren Zeitpunkt von Thomasius’ Leipziger Streitigkeiten. Wenig wahrscheinlich ist Dörings Annah-me (Samuel Pufendorf. Briefwechsel, 1996, S. 187), dass der „gute Freund“ Oberhofmarschall Friedrich Adolph von Haugwitz gewesen sei, denn dieser war nie Mitglied des Oberkonsistoriums gewesen.

6 Im letzten Buch des Romans „Metamorphosen“, auch bekannt unter dem wohl nicht originalen Titel „Der goldene Esel“, des römischen Dichters Apuleius (2. Jh. nach Chr.) gewinnt der

Ich-[Leipzig, ca. 27. März] 1688

Erzähler, der durch eine misslungene Zauberei in einen Esel verwandelt worden war, seine menschliche Gestalt wieder, als er sich der Göttin Isis und ihrem Kult verschreibt.

7 Der hugenottische Theologe und in Rotterdam tätige Pfarrer Pierre Jurieu (1637–1713) trat mit einer Vielzahl polemischer Streitschriften hervor, die meist gegen die katholische Kirche gerichtet waren. Dazu zählte auch sein Buch „Accomplissement des propheties ou la Délivrance prochaine de l’Eglise“ (1686, dt. ebenfalls 1686), in dem er auf der Grundlage der Offenbarung des Johannes in millenaristisch-apokalyptischer Naherwartung das Ende des Antichrists, des Papsttums, prophe-zeite. Ein Indikator unter anderen war für ihn der Niedergang der Scholastik („cette science barba-re“) resp. der Siegeszug der „Philosophes modernes“, der antidogmatischen „sciences spéculatives“

und der „veritable Philosophie“ (s. Vorrede, o. S.).

8 Thomasius: Lectiones Privatae de Prudentia Cogitandi & Ratiocinandi, 1687, s. Beilage 2 des Brie-fes von Thomasius an Pufendorf vom 17.3.1688.

9 Der Syllogismus „quicquid, atqui, ergo“ bezeichnete den deduktiven Dreischritt aus zwei Prämis-sen und zusammenführender Schlussfolgerung, wie er insbesondere in der scholastischen Logik gebräuchlich war. Vgl. auch Pufendorfs Brief an Thomasius vom 24.3.1691.

10 Der Jesuit und Astronom Christoph Clavius (1537–1612) hatte 1574 in Rom das Geometrielehr-werk „Elementa“ des antiken Mathematikers Euklid von Alexandria herausgegeben und mit einem umfangreichen Kommentar versehen. Euklids „Elementa“ waren eine wesentliche Grundlage für den „mos geometricus“, jene Beweismethode, mit deren Hilfe sich die aufstrebenden (Natur-)Wis-senschaften des 16. und 17. Jahrhunderts und die neuere Philosophie von der universellen Weltdeu-tung der Theologie emanzipierten.

11 Thomasius’ Ankündigung seines Kollegs „Von Nachahmung der Frantzosen“, das erste seiner vier deutschen Programme. Die Lehrveranstaltung basierte auf der Schrift „Oráculo manual y arte de prudencia“ (dt.: Handorakel und Kunst der Weltklugheit), die der spanische Jesuit und Philosoph Baltasar Gracián im Jahr 1647 veröffentlicht hatte. Vgl. auch den Brief eines „auswärtigen Freun-des“ an Thomasius vom November 1687.

12 „somatopoiein“ im Sinne von Nähren, Stärkung, auch Vervollständigung zu einem körperlichen Ganzen; vgl. auch den Gebrauch bei Pufendorf in: De Jure Naturae Et Gentium, 1672, S. [2] des Geleitworts an den Leser.

13 Zum Verhältnis zwischen dem Straßburger Professor der Eloquenz und Geschichte Johann Hein-rich Boecler (1611–1672) und Pufendorf vgl. das Schreiben von Pufendorf an Thomasius vom 15.12.1688.

14 Auf die hier angesprochene Kritik, die der Journalist Abbé Jean-Paul de la Roque (gest. 1691) im Jahr zuvor in seinem „Journal des Sçavans“ an Pufendorfs „Schwedischer Geschichte“ (Commen-tariorum De Rebus Suecicis Libri XXVI, 1686) geübt hatte, reagierte Pufendorf mit einer Publika-tion, die in der Form eines Briefes an Adam Rechenberg gestaltet war und mit einem weiteren Schreiben unter dem Titel „Epistolae duae super censura in Ephemeridibus Eruditorum Parisiensi-bus, et Bibliotheca universali de quibusdam suorum scriptorum locis lata“ (1688) erschien, wieder-abgedruckt in: Döring (Hg.): Samuel Pufendorf. Kleine Vorträge und Schriften, 1995, S. 488–506, s. insbesondere auch Dörings Einleitung, S. 450–487. Besonders unangenehm berührt war Pufen-dorf von dem nationalen Überlegenheitsgehabe der Regierung Ludwigs XIV., das er auch in Ro-ques Besprechung wahrnahm, vgl. ebd., S. 463f.

15 Adam Rechenberg und Gottfried Thomasius.

52 Thomasius an Samuel von Pufendorf [Leipzig, ca. 27. März] 1688

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Bezeugt: Schreiben von Pufendorf an Thomasius vom 31.3.1688