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Samuel Pufendorf an Thomasius [Stockholm, wahrscheinl. Mai 1685] 1

Chronologisches Briefverzeichnis

Falknern 8 dienstlich zugrüßen ich recommendire meinen sohn zum besten undt ver- ver-bleibe unter Christi schutz

26 Samuel Pufendorf an Thomasius [Stockholm, wahrscheinl. Mai 1685] 1

de und Pufendorfs Antwort darauf. Größere Überlieferungslücken sind insbesondere für die An-fangszeit der Korrespondenz zu vermuten; der Meinungsaustausch könnte z. T. – wie auch später immer wieder einmal – über Dritte, etwa über Rechenberg, gelaufen sein. Zur Überlieferungssitua-tion des Pufendorf-Nachlasses, von dem sich nichts erhalten hat, vgl. Döring (Hg.): Samuel Pufen-dorf. Briefwechsel, 1996, S. XII–XVII.

3 Seine Abwendung vom orthodox-lutherisch geprägten Denken seiner Jugend hin zum Naturrecht eines Hugo Grotius oder eines Samuel Pufendorf hat Thomasius in späteren Jahren mehrfach be-schrieben – nicht immer ohne stilisierende Übertreibungen, s. zusammenfassend mit Quellenan-gaben Gierl: Pietismus und Aufklärung, 1997, S. 424ff.; Steinberg: Christian Thomasius als Natur-rechtslehrer, 2005, S. 23–25, 32–34. Erste eigene Veranstaltungen zum Naturrecht hielt Thomasius bereits Anfang der 1680er Jahre in Leipzig ab (vgl. den Brief von Jacobi an Thomasius vom 1.12.1682); Pufendorf war ihm hierbei, auch über spezielle Naturrechtsfragen hinaus, eine wesent-liche Richtschnur. Ein Höhepunkt in diesem persönwesent-lichen Rezeptionsprozess war ein Kolleg zum Naturrecht nach Pufendorfs „De Officio Hominis“ (1673), einer komprimierten Zusammenfassung von dessen „De Jure Naturae Et Gentium“ (1672). Thomasius hielt die Veranstaltung im Sommer-semester 1685 und im WinterSommer-semester 1685/1686 und wiederholte sie – wegen ihres großen An-klangs – noch einmal in den beiden Folgesemestern.

4 Valentin Alberti (1635–1697), seit 1663 Professor für Logik, Dialektik und Metaphysik an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig, seit 1672 zusätzlich Inhaber eines theologischen Extraordinariats, war ein früherer akademischer Lehrer von Thomasius sowie ehemaliger Leipziger Kommilitone von Pufendorf. Zum erbittert ausgetragenen publizistischen Streit zwischen Alberti als Vertreter eines christlichen Naturrechts und Pufendorf als Verfechter eines säkularisierten Na-turrechts vgl. die Anmerkungen zum Brief von Pufendorf an Thomasius vom Mai 1685. Was den Beginn der Kontroverse zwischen Thomasius und Alberti anbetrifft, so scheint sicher, dass sie von Thomasius ausging, als er sich in seinen Privatkollegs mit den Hypothesen Pufendorfs beschäftigte und an ihrem Beispiel die Unzulänglichkeiten der gegen Pufendorf gerichteten christlichen Natur-rechtslehre Albertis in dessen „Compendium Juris Naturae, Orthodoxae Theologiae Conformatum“

(1676/1678) aufzeigte, was ihm – so Thomasius’ Vermutung – Alberti verübelt und zum Anlass eines langjährigen Rachefeldzugs genommen habe. Teil dieser Kampagne sei auch die Hinter-treibung seiner Bewerbung um eine Supernumerar-Assessur am Leipziger Konsistorium zur Jah-reswende 1683/1684 gewesen, s. dazu Thomasius’ Darstellung in seinem Schreiben an das Ober-konsistorium Dresden vom 24.1.1689. Offen brach der Schlagabtausch zwischen Alberti und Thomasius erst Anfang 1688 aus, als Alberti in seiner Eigenschaft als Bücherkommissar gegen Thomasius’ „Monatsgespräche“ vorging, s. dazu die Schreiben von Thomasius an den Rat der Stadt Leipzig vom 23.1.1688 und an das Oberkonsistorium Dresden vom 25.1.1688.

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Vorlage: Königliche Bibliothek Kopenhagen, Sammlung Thott 1276, o. Pag. (eigenhändig; o. O., o. D.)2

Weitere Überlieferung: Gigas (Hg.): Briefe Pufendorfs an Thomasius, 1897, Nr. XXXIV, S. 74–75;

Döring (Hg.): Samuel Pufendorf. Briefwechsel, 1996, Nr. 111, S. 1533

WohlEdler, Vest- und hochgelahrter,

sonders hochgeehrter Herr,

[Stockholm, wahrscheinl. Mai 1685]

Deßen geehrtes von 11. April ist mir zwar sehr angenehm gewesen in ansehen der sonderbaren affection so Mhh. gegen mir bezeuget; wiewohl die aestime von meiner person weit übertrifft die meriten, so bey mir selbst befinde, und deswegen solche meistens Mhh. gütigkeit und höfligkeit zuschreibe. Zwart habe ich wohl mich beflißen etwas dem gemeinen besten beyzutragen, allein man hat es mir so sauer gemacht, daß mich oft hat gereuen wollen, daß ich weiter, als das vade mecum

4

zugehen mich er-kühnet. Jedoch haben sich auch einige gefunden, die meine arbeit nicht so gar ver-worffen haben; und vernehme sonderlich, daß Mhh. einige meinet wegen an ihrem orte irritiret.

5

Nun kan mir Mhh. gute zuneigung gegen mir nicht anders als angenehm seyn, solte mir aber doch leid seyn, wenn Er bey des Summi Aristotelis favoriten in ungnade gerathen solte.

6

Es were denn, daß Mhh. von der Secte werre, die da glauben, daß man in der welt für einen guten Mann passiren kan, wenn man gleich nicht in Al-berti Magni

7

verba geschworen.

8

Für meine person habe ich mich längst resolviret nichts darnach zufragen, was selbige leute von mir halten, u. ist mir gnug, wenn einige gute ingenia mich nicht inter inutilia terrae pondera rechnen.

9

U. weil dergleichen güte bey Mhh. auch verspüre, so bitte sel. solche affection gegen mir beständig beyzubehal-ten[.]

10

Könte ich gelegenheit finden meine schuldige gegenerkändtnuß auf einige wei-se in der that an tag zu legen, solte ich mir es für ein groß glücke achten, und wird Mhh. sich versichern, daß ich beständig lebe

Meines hochgeehrten hn.

Dienstergebenster diener Samuel Pufendorf.

1 Döring setzt als Entstehungszeitpunkt „ca. Mai 1686“ an. Nach Gigas stammt der Brief „wahr-scheinlich aus dem Jahre 1687“, was auf jeden Fall zu spät sein dürfte, da etwa das Schreiben von Pufendorf an Thomasius vom 4.9.1687 bereits eine fortgeschrittene wechselseitige Vertrautheit er-kennen lässt, während dieser Brief in Ton und Gehalt noch die eher distanziert-freundliche und un-verbindliche Art des Anfangs verrät. Zu den Gründen der Einordnung in das Jahr 1685 s. den Brief von Thomasius an Pufendorf vom 11.4.1685. Was den Monat anbetrifft, ist der Brief wahrschein-lich im Mai entstanden, mögwahrschein-licherweise auch etwas später.

2 Eine Besonderheit ist Pufendorfs Verwendung des Buchstaben „v“. Häufig setzt er ihn für „u“ wie in „und“/„u.“ oder für „w“ wie in „zwar“ und „etwa“ ein. In dieser Edition wird er in diesen Bedeu-tungen einheitlich als „u“ bzw. „w“ wiedergegeben.

3 Detlef Dörings vorbildliche Bearbeitung und Kommentierung der Briefe Pufendorfs an Thomasius war eine wichtige Grundlage für diesen Teil der Edition; auf seine Ausgabe sei daher ausdrücklich verwiesen. Für den vorliegenden Band wurden alle Briefe neu transkribiert; daraus resultieren auch gelegentliche Abweichungen in der Lesung einzelner Wörter. Außerdem setzt der Kommentar – nicht zuletzt dank neuer Recherchemöglichkeiten – andere Akzente.

4 Gemeint ist möglicherweise das „Vade mecum sive manuale philosophicum“ des Leipziger ortho-dox-lutherischen Theologen Johann Adam Scherzer (1628–1683) aus dem Jahr 1654, das 1675 in einer erweiterten Neuauflage erschienen war (weitere Auflagen: 1658, 1686 und 1704). Das Werk bot ein Lexikon philosophischer Definitionen sowie eine Anleitung zur klaren begrifflichen Unter-scheidung und zum logischen Disputieren. Das Buch wurde bis ins 18. Jahrhundert benutzt und

ge-[Stockholm, wahrscheinl. Mai 1685]

schätzt, etwa von Scherzers bekanntestem Schüler Gottfried Wilhelm Leibniz oder von Christian Wolff; es war jedoch für Radikalkritiker des scholastischen Denkens wegen seiner metaphysischen Axiome und Syllogismen zu sehr einer überkommenen Schulphilosophie verhaftet, vgl. dazu die Einleitung von Stephan Meier-Oeser zur Neuedition der Ausgabe von 1675, 1996, S. VII–XXVII und Sparn: Die Schulphilosophie in den lutherischen Territorien, 2001, S. 520–522. Pufendorf, der mit Scherzer mehrere Jahre lang im Streit lag, nachdem jener 1673 als Dekan der Theologischen Fakultät Leipzigs bzw. Bücherkommissar maßgeblich auf ein Verbreitungs- und Druckverbot von Pufendorfs „De Jure Naturae Et Gentium“ in Sachsen hingewirkt hatte, äußerte sich in mehreren seiner Gegenschriften aus der Zeit („Epistola ad amicos“, 1676, und „Specimen controversiarum circa Jus Naturale“, 1678) abfällig über die Geistlosigkeit und den pompös als innovativ angeprie-senen Sammelfleiß von Scherzers Kompendien, u. a. auch dem „Vade mecum“, s. Palladini (Hg.):

Samuel Pufendorf. Eris Scandica, 2002, S. 98, 129f., 152. Zu Scherzers Rolle beim Verbot von Pufendorfs Naturrechtslehre vgl. das Schreiben von Thomasius an Pufendorf vom 28.8.1689.

5 Vgl. den Brief von Thomasius an Pufendorf vom 11.4.1685.

6 Meint die aristotelisch-scholastisch geprägten Theologen der lutherischen Orthodoxie wie Valentin Alberti.

7 Albertus Magnus (ca. 1200–1280), scholastischer Theologe und Bischof, einer der wichtigsten Begründer des christlichen Aristotelismus. Pufendorfs Formulierung ist hier natürlich spöttisch auf Valentin Alberti und dessen scholastisch-aristotelische Denkweise gemünzt. Die gezielte Namens-verwechslung benutzte Pufendorf wiederholte Male, so tauchte sie bereits 1680 in seinem „Spicile-gium controversiarum“ auf, Cap. II, §7 (S. 224 der Edition von Palladini (Hg.): Samuel Pufendorf.

Eris Scandica, 2002). Pufendorf und Alberti, die sich aus ihren gemeinsamen Studientagen in Leipzig kannten, verband eine herzliche Feindschaft, seit Alberti 1676/1678 in seinem „Compendi-um Juris Naturae, Orthodoxae Theologiae Conformat„Compendi-um“ Pufendorfs 1672 erstmals erschienene Naturrechtslehre „De Jure Naturae Et Gentium“ vom Standpunkt des christlichen Naturrechts kriti-siert hatte. Es schloss sich eine jahrelange Kontroverse an, die 1686/1687 ihren Höhepunkt erreich-te, als auch Pufendorf und Thomasius ihren Briefwechsel intensivierten.

8 „in verba schwören“: Anspielung auf das Horaz-Diktum „Nullius addictus iurare in verba magistri“

(Liber Epistolarum 1, Ep. 1, „Ad Maecenatem“, Zl. 14). Pufendorf kehrt die darin angedeutete Ge-dankenfreiheit von jeder vorgegebenen Lehrautorität (in der verkürzten Form „Nullius in verba“

war es auch Motto der Royal Academy zu London und wurde gleichfalls von philosophischen Ek-lektikern gerne benutzt) ironisch in das Gegenteil um: Der Hinweis charakterisiert hier den ortho-doxen Lutheraner Valentin Alberti, der für Pufendorf wie für Thomasius alles andere als ein Reprä-sentant freier Denkungsart war. Zum Horaz-Zitat und seiner Verwendung vgl. Albrecht: Thomasius – kein Eklektiker?, 1989, S. 80f., Anm. 37; Krohn: Die ästhetischen Dimensionen der Wissen-schaft, 2006, S. 24.

9 „inutilia terrae pondera“ war eine feststehende, offenbar auf die Novellen Kaiser Justinians (No-vellae Lib. LXXX, Cap. 5: „frustra esse terrae onus“) zurückgehende Wendung, die besonders in der Reformation zur Umschreibung kirchlicher Missstände (etwa des Mönchstums) Verbreitung fand und später auf die verschiedensten Gravamina übertragen wurde. Sie spielte gleichfalls in Na-turrechtsabhandlungen des 17. und 18. Jahrhunderts eine Rolle, so etwa bei Pufendorf selbst in: De Jure Naturae Et Gentium, 1672, Lib. III, Cap. III (De promiscuis officiis humanitatis), §2, S. 282 sowie Lib. V, Cap. I (De pretio), §4, S. 592. Ganz gleichgültig war Pufendorf die Meinung der Gegner offenbar nicht, denn er hatte Anfang 1686 unter dem Titel „Eris Scandica“ noch einmal seine wichtigsten älteren Streitschriften gegen die Gegner seiner Naturrechtsauffassung vereint und herausgegeben, darunter solche gegen ehemalige Kollegen in Lund, wie den Juristen Nikolaus Beckmann (ca. 1635–1689) und den Theologen Josua Schwartz (1635–1709), oder eben auch ge-gen Valentin Alberti und Johann Adam Scherzer in Leipzig; vgl. dazu die Einleitung zu Palladini (Hg.): Samuel Pufendorf. Eris Scandica, 2002, S. VII–XVII.