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Samuel von Pufendorf an Thomasius Berlin, 25. Februar 1688

Chronologisches Briefverzeichnis

Falknern 8 dienstlich zugrüßen ich recommendire meinen sohn zum besten undt ver- ver-bleibe unter Christi schutz

C. Thomasium 13

47 Samuel von Pufendorf an Thomasius Berlin, 25. Februar 1688

1 Diese satirische Schrift zur Verteidigung Pufendorfs erschien im Juni 1688 anonym, vorgeblich unter dem Namen seines früheren Lunder Kollegen, des Rechtsprofessors Nikolaus Beckmann.

Dieser hatte 1673 den gegen Pufendorf gerichteten „Index Qvarundam Novitatum“ herausgegeben, an dem auch der Theologe Josua Schwartz mitgewirkt hatte. Als fiktiver Adressat musste Severinus Wildschütz, Josua Schwartz’ Stiefsohn, der etwas unglücklich in den publizistischen Schlagab-tausch zwischen Pufendorf und dessen schwedischen Gegnern hineingeraten war, herhalten, vgl.

den Brief von Pufendorf an Thomasius vom 11.2.1688. Eine Anspielung auf die wahre Verfasser-schaft machte Thomasius Jahre später in seiner „Historia juris naturalis“ (1719, S. 121), worin er den Autor als „amicus quidam Pufendorfianus (G. T.)“ bezeichnete. Döring hat überzeugend her-ausgearbeitet, dass es sich bei „G. T.“ um Christian Thomasius’ jüngeren Bruder Gottfried gehan-delt haben dürfte, der sich zu jener Zeit in Leipzig aufhielt, s. Döring (Hg.): Samuel Pufendorf.

Briefwechsel, 1996, S. 181f., Anm. 2. In den erhaltenen Briefen Pufendorfs an Thomasius selbst wird der Name des Verfassers der „Epistola Beckmanni“ nie genannt. Allerdings fällt auf, dass immer, wenn in einem Schreiben von dieser Satire die Rede ist, auch der Bruder erwähnt wird und umgekehrt, vgl. die nachfolgenden Briefe aus dieser Korrespondenz.

47 Samuel von Pufendorf an Thomasius Berlin, 25. Februar 1688

Vorlage: Königliche Bibliothek Kopenhagen, Sammlung Thott 1276, o. Pag. (eigenhändig)

Weitere Überlieferung: Gigas (Hg.): Briefe Pufendorfs an Thomasius, 1897, Nr. IV, S. 10–13; Döring (Hg.): Samuel Pufendorf. Briefwechsel, 1996, Nr. 128, S. 180–182

Berlin den 25. Feb. 1688.

Edler und hochgelehrter,

Mein insonders hochgeehrter herr und werther Freund,

Deßen angenehmes von 18 huius habe mit beygefügten sachen wohl bekommen, und

sind mir alle sachen sehr angenehm gewesen; so hat auch Mh. die geringste gedancken

sich zu machen, daß es mich offendiren könte, daß Mhh. in einigen dingen von meiner

meinung abgegangen.

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Denn das stehet ja einem ieden frey, und mag einer mea pace

alle meine sachen rejiciren, in fall er raisons kan beybringen – wenn er mich nur nicht

will zum ketzer machen, welches ich nicht leyden kan. Und daran unterscheidet man

einen freund von einem adulatore, daß dieser alles ohne unterscheid probiret, iener

aber auch bißweilen dissentiret. Jedoch habe noch nicht zeit gehabt die passagen zu

examiniren, u. die rationes dissentiendi zu erweegen. Soll sehen, ob bißweilen eine

stunde kan abbrechen, und soll darüber conferiren, u. sollen wir uns wohl darüber

ver-gleichen, ohne daß der schultheiß etwas davon bekommen soll. Beckmanni epistol

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hat

mir dermaßen gefallen, daß ich in vielzeiten so nicht gelachet habe, und ist der stylus

über aus naif, u. für die gesellen mit denen man zuthun hat sehr bequem.

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Und finde

ich kein beßer mittel einmahl eine entschaft an diesen gezencke zumachen, als

derglei-chen schrift, dergleiderglei-chen daß von iemand verfertiget würde, ich längst gewünschet

ha-be. U. auf diese weise endet sich dieses geschreibe recht als eine comedie mit einem

boßenspiel, mit der unparteyischen leser höchster satisfaction, und der wiederpart

Berlin, 25. Februar 1688

gröster confusion. Wenn Mh. die überschickte bogen wiederhaben muß, bitte ich es nur mir wißen zu laßen, so will sie straxs wieder übersenden. Wo nicht, behalte sie hier, u. erwarte den rest. Nur habe dieses zuerinnern, daß ich gerne sehe, daß man den Pacifontium herausließe, weil des H. Geheimen Rath von Fuchs seine liebste eine Fridebornin ist, u. könte er sich drüber scandalisiren.

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Hingegen könte der scriptor epistolae noch mehr anlaß bekommen mit H. Wildschütz nahmen sich lustig zuma-chen, wenn er critisiren wolte, ob es nicht vielleicht heißen solte Wildschiß, quasi di-cas, stercus ferinum, aut crepitus ventris ferinus seu bestialis. Sapienti sat. Es ist auch zu wißen, daß dieses Wildschütz patruus, der ein Priester aufm lande in Schonen war,

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mit den schnaphahnen gehalten, und ihr gewehr in der kirchen verwahret, worüber er auch zur rede gestellet worden, u. darnach öffentlich mit ihnen herumbgeraubet – und sich auf die dänische seite begeben. Eben so hat auch dieses Wildschützes Mutterbru-der gethan,

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der einer von den principalen schnaphahnen mit gewesen, so daß er von vater und mutter her latrones inter collaterales rechnen kan.

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Und verdammet unser Wildschütz, u. dr. Schwartz in seiner predigt diese schnaphanerey expresse. Aber die-ser undie-ser Wildschütz, weil er damahls zu jung war mit in den busch zugehen, u. itzo keine gelegenheit ist zu schnaphanisiren, so agiret er latronem famae

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. Denn von rota ist er gesichert, et existimationem hat er nicht, quam possit perdere.

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So könte man auch dieser particularitet sich nicht uneben bedienen.

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Dieses Wildschütz seine Mut-ter, war wie sie dr. Schwartz heyrathete, eine ziemliche junge galante wittbe; Schwartz aber war der miserabelste courtisan von der welt. Gleichwohl hatten einige schälke ihme einige jalousie erreget. Damit er nun versichert were, was er für ein weib bekeh-me, subornirte er zwey Schwedische junge Edelleute, die damahls zu Lund studirten, einer hieß Schönleben, der andere Hord

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, sie solten nach Malmö ziehen, und seine verlobte tentiren, ob sie stich hielte oder nicht. Die zogen hin, u. referirten, daß sie ge-funden hatten arcem inexpugnabilem, da war der gute Mann sehr froh, u. zog mit freu-den hin ad complendas nuptias, weil er nun versichert were, daß er eine rechte Penelo-pen bekehme.

Quaestio est, ob er sich nicht selbst wollen zum hanrey machen, und leno seyn, wenn

es nur hette wollen angehen.

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Des armen Scharenschmidt erbarmet es mich.

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Jedoch

muß man sehen, daß es gedrucket wird so heimlich als es müglich ist. Kan dieses

opusculum auf diese Ostermeße herauß kommen, so habe ich nicht zu eylen mit der

epistola Schwartzij ad Wildschissium, die ich mit guter weile so sanglant machen will

als es immer müglich, u. mit selbiger mühe auch h. Carpzov

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, den Capellan zu

Wit-tenberg

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, u. den närrischen Pfannern

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nach gebühr abzwagen will. Denn quoad realia

sind sie ordentlich von der Schule geschlagen, u. behelffen sich nur mit calumnien,

und entlehneten scommatibus, denen man auf diese weise den zapfen zu schlagen

muß. Von Mh. H. Bruder habe jüngst Hn. Rechenberg meine meinung geschrieben,

und soll ich mir seine beforderung recht laßen angelegen seyn;

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allein ich bin hier

noch nicht warm worden, u. kenne weder die leute noch die gelegenheiten, so daß ich

keinen freund rathen kan auf ein ungewißes sich an einen so teuren ort zu wagen. Was

die hiesigen factiones belanget, so habe ich schon davon in Schweden gewußt; laße

mich aber diese nicht anfechten. Denn ich komme als ein gelehnter Mann von einem

Berlin, 25. Februar 1688

großen könig u. königin

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, die es I. Churfl. Durchl.

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als eine sonderbare freundschaft imputiren, und wird auch hier so verstanden, u. ich bin kommen, dem gantzen Hause so favorable dienste zuthun; und kehre mich an nichts, bin zufrieden, wenn sie mir mein versprochen tractament geben; und mache einem so wohl cour, als dem andren, schadet mir was, so gehe ich immediate zu dem obersten Haupt, als ich in Schweden auch gethan habe. Und werde des Martialis hofregel brauchen: nulli te facias nimium sodalem.

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Worzu ich schon einen guten grund geleget, in dem ich mich so wohl bey hofe, als anderwerts in possession gesetzet keinen wein zu trincken. Leipzig hoffe schon wils Gott zu sehen, wenn wir uns hier erst recht eingerichtet haben, u. da finde ich wohl gute freunde, die eines mit lachen. Ich grüße hn. Prof. Rechenberg und Mh.

seinen hn. Bruder

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nebenst anderen guten freunden zum freundlichsten, und bin le-benslang

Meines hochgeehrten herrn Dienstwilligster diener Sam. v. Pufendorf.

1 Thomasius hatte seine „Institutiones Jurisprudentiae Divinae“, die Pufendorf offensichtlich mit Thomasius’ Schreiben vom 18.2.1688 zugegangen waren, als Verteidigungsschrift des pufendorf-schen Naturrechts konzipiert. Sie lehnten sich insbesondere an dessen Naturrechtskompendium

„De Officio Hominis“ (1. Aufl. 1673) an, das Thomasius im Sommersemester 1687 seinem Kolleg zum Naturrecht zugrunde gelegt hatte, vgl. Steinberg: Christian Thomasius als Naturrechtslehrer, 2005, S. 34. Allerdings setzte er in den „Institutiones“ durchaus auch eigenständige Akzente.

Thomasius selbst hob in diesem Zusammenhang immer wieder seine Unterscheidung zwischen na-türlichem Recht und allgemeinem göttlichen geoffenbarten Gesetz (ius divinum [positivum] uni-versale) hervor. Letzteres diente ihm zum Nachweis, dass etliche soziale bzw. sittliche Normen der Offenbarung und nicht dem Naturrecht entstammten (z. B. Polygamieverbot), ein Argument, das geeignet sein sollte, das Naturrecht zu enttheologisieren. Außerdem resultierte aus der Begründung, dass auch allgemeine offenbarungstheologisch begründete Normen für den Umgang der Menschen untereinander rechtsrelevant seien, der Anspruch, dass diese Materien auch in das Fachgebiet der Juristen gehörten und nicht mehr allein Sache der Theologen sein sollten. Vgl. Kühnel: Das politi-sche Denken von Christian Thomasius, 2001, S. 36–41; vgl. auch Grunert: Normbegründung, 2000, S. 191–198.

2 „Nicolai Beckmanni ad Severin. Wildschütz Epistola“; Pufendorf hatte erste Bogen dieser noch unveröffentlichten Satire erhalten. Zur mutmaßlichen Verfasserschaft von Gottfried Thomasius vgl.

Christian Thomasius’ Brief an Pufendorf vom 18.2.1688; dort auch zu den beiden fiktiv-realen Hauptfiguren des Briefwechsels Nikolai Beckmann und Severin Wildschütz.

3 Die Schrift erinnert mit ihrem schlichten, die deutsche Syntax nachahmenden Latein sehr stark an die von Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten 1515/1517 verfassten „Dunkelmännerbriefe“. Das war unter den zeitgenössischen Lesern ein verbreiteter Eindruck, s. z. B. das Schreiben von Johann Philipp Slevogt an Günther Christoph Schelhammer vom 31.7.1688, in: Scheffel (Hg.): Virorum clarissimorum ad Schelhammerum epistolae selectiores, 1727, S. 169.

4 Der brandenburgische Wirkliche Geheime Rat und Staatsminister Paul von Fuchs (1640–1704) war seit 1674 in zweiter Ehe mit seiner Cousine Louise Friedeborn (1654–1707) verheiratet. Fuchs hat-te 1684 die Abwerbung Pufendorfs aus Schweden nach Berlin eingefädelt, vgl. Döring: Pufendorfs Berufung nach Brandenburg-Preußen, 2012, S. 137f. Die beanstandete Stelle mit dem Wortspiel

Berlin, 25. Februar 1688

Pacifontius–Friedeborn gehörte wahrscheinlich in den unmittelbaren Kontext der Empfehlung

‚Beckmanns‘ an ‚Wildschütz‘, seinen Nachnamen nach der Art der Gebildeten zu latinisieren, s.

Beckmanni Epistola, 1688, S. 12–14. Auf diese Passage dürften sich auch Pufendorfs nachfolgende Vorschläge für die lateinischen Fäkalvarianten von Wildschütz/Wildschiss beziehen, die Gottfried Thomasius – im Unterschied zu allen anderen Anregungen – nicht übernahm.

5 Möglicherweise Friedrich Clausen Wilschiött, Vikar in Hesslunda/Schonen, der wahrscheinlich ein Bruder des Malmöer Bürgermeisters Jacob Claudius Wildschütz (Jacob Clausen Wilschiött, 1610–

1667), des leiblichen Vaters von Severin Wildschütz, war. Diese und folgende Angaben zur Fami-lie Wilschiött nach Isberg: Bidrag till Malmö stads historia, Bde. 1 u. 2a, 1895/1897, passim.

6 Söfren Nielsen (vor 1662–1701), der älteste Bruder von Severin Wildschütz’ Mutter Karine Wil-schiött, geb. Nielsdotter, hatte in Greifswald studiert und zeitweilig in Dänemark gelebt. 1684 wur-de er als Ratsherr in Helsingborg erwähnt.

7 Pufendorfs Versuch, die Familie Wildschütz als einen Clan von Landesverrätern und Schnapphäh-nen, d. h. bewaffneten Wegelagerern, darzustellen, zielte vor allem auf Josua Schwartz, der 1677 aus Lund geflohen war, nachdem ihm während der dänischen Invasion in Schonen wegen einer Predigt für den dänischen König Landesverrat vorgeworfen war, vgl. Palladini (Hg.): Samuel Pufendorf. Eris Scandica, 2002, S. 383, Anm. 6. Die Provinz Schonen, in der die Familie Wil-schiött lebte, war nach langer dänischer Herrschaft im Frieden von Roskilde 1658 an Schweden ge-fallen, seither jedoch wiederholt Objekt kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten, zuletzt im Schonischen Krieg 1676–1679.

8 Wegen nachträglicher Überschreibung ist die Wortmitte unlesbar. Gigas’ und Dörings Lesart „fa-mae“ scheint am plausibelsten.

9 Der Abschnitt „Und verdammet unser Wildschütz … possit perdere“ wurde nachträglich eingefügt.

10 Pufendorfs Empfehlung folgend griff die „Epistola Beckmanni“ diese Episode auf, vgl. S. 85f.

11 Der erste Buchstabe kommt sonst nicht bei Pufendorf vor, dürfte aber als „H“ zu lesen sein (ebenso bei Döring und Gigas). Das Matrikelverzeichnis der Universität Lund weist für die fragliche Zeit den Eintrag eines Johannes Arffwedus de Schönleben auf. Ferner gab es mehrere Studenten mit dem Namensbestandteil Hård(h), s. dazu Wilner (Hg.): Album Academiae Carolinae, Bd. 1, 1926, S. 4–7.

12 Die Geschichte von den beiden studentischen ‚Treuetestern‘ aus Lund findet sich tatsächlich in der

„Epistola Beckmanni“ wieder (S. 91f.), dort sind die Namen mit „S“ und „A“ abgekürzt. Und auch Pufendorf selbst verwendete die Episode – allerdings ohne Nennung von Namen – in seiner

„Schwartzii Dissertatio Epistolica“, s. S. 310 der Neuedition in: Palladini (Hg.): Samuel Pufendorf.

Eris Scandica, 2002.

13 Zwischen dem an der Jenaer Universität lehrenden Juristen Karl Scharschmidt (1645–1717) und Pufendorf hatte es in den Jahren 1677/1678 eine Kontroverse gegeben, nachdem der Erstere publi-zistisch gegen Pufendorfs „Monzambano“ und dessen Kritik an der „Monstrosität“ der Reichs-strukturen hervorgetreten war. In der „Epistola Beckmanni“ (S. 42–45) verspottet Gottfried Thomasius genüsslich die Reichstheorie sowie die Eitelkeit des noch immer nicht zu einer Profes-sur gelangten Scharschmidt („non est animal Professorabile“).

14 Pufendorf bezog sich damit vermutlich auf jene gegen ihn gerichteten Auslassungen des Leipziger Theologen Johann Benedict Carpzov, von denen ihm Thomasius berichtet hatte, vgl. Pufendorfs Brief an Thomasius vom 11.2.1688.

15 Pufendorf spielt hier auf ein Ereignis an, das an der Universität Wittenberg vorgefallen war. Dort hatte sich Ende Januar 1688 der aus Glückstadt in Holstein stammende Jurastudent Joachim Gerhard Ram das Leben genommen und einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er sich kritisch über das Christentum äußerte. Von geistlicher Seite waren daraufhin Rams Tat sowie insbesondere die „atheistischen“ Positionen in dem Abschiedsbrief öffentlich gegeißelt worden, ein Prediger hat-te sogar die Lektüre von Büchern Pufendorfs dafür verantwortlich gemacht. Dies wird auch von