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Samuel Pufendorf an Thomasius Stockholm, 9. April 1687

Chronologisches Briefverzeichnis

Falknern 8 dienstlich zugrüßen ich recommendire meinen sohn zum besten undt ver- ver-bleibe unter Christi schutz

C. Thomasium 13

38 Samuel Pufendorf an Thomasius Stockholm, 9. April 1687

5 Siehe den Brief von Graevius an Thomasius von Anfang/Mitte März 1687. Dass Thomasius in seiner Antwort an Graevius so detailliert auf die angefragte finanzielle Unterstützung für seinen Bruder eingeht, einschließlich der Vorschläge, wie Gottfried seinen Schuldenabbau selbst bewerk-stelligen könne, deutet auf ein – zumindest zeitweise – angespanntes Verhältnis zwischen den Brü-dern.

6 Gottfried Thomasius hatte – nicht zuletzt durch Graevius’ Vermittlung – während seiner Reise in die Niederlande und nach England zahlreiche Bekannt- und Freundschaften mit Adligen, Diploma-ten, Staatsmännern und GelehrDiploma-ten, darunter möglicherweise auch Samuel Pufendorf, geschlossen und erfreute sich in diesen Kreisen eines hohen Ansehens.

7 Siehe den Brief von Gottfried Thomasius an Christian Thomasius von Anfang 1687.

8 Auch Lesart „ipse“ möglich.

9 Durch nachträglichen Einschub unsichere Lesart.

10 Thomasius schildert hier – um zu zeigen, dass er seinen Bruder nicht unterstützen könne – seine eigenen finanziellen Verpflichtungen: Für den Unterhalt seiner gesamten Familie in Leipzig müsse er jährlich 1000 Taler und mehr aufbringen und habe gerade erst seine eigenen Schulden abgetra-gen.

11 Wortende verschmiert, alternative Lesart „qvae“.

12 „tq.“ = „tamquam“.

13 Gottfried Thomasius kehrte wenige Monate nach diesem Brief, spätestens Ende 1687 – offenbar auch auf Drängen seines Bruders – nach Leipzig zurück und hielt sich dort etwa ein Jahr lang in dessen unmittelbarem Umfeld auf. Er soll in dieser Zeit Christian beim Aufbau einer Bibliothek behilflich gewesen sein sowie Bücherverzeichnisse und Exzerpte zu dessen Gebrauch – u. a. für die

„Monatsgespräche“ – angefertigt haben; s. Will: Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, Tl. 4, 1758, S. 28; Panzer (Hg.): Bibliotheca Thomasiana, Bd. 1, 1765, S. XIV. Zu einer publizistischen Zu-sammenarbeit von Gottfried und Christian Thomasius in dieser Zeit zugunsten von Samuel Pufen-dorf s. den Briefwechsel zwischen Christian Thomasius und PufenPufen-dorf aus dem Jahr 1688.

38 Samuel Pufendorf an Thomasius Stockholm, 9. April 1687

Vorlage: Königliche Bibliothek Kopenhagen, Sammlung Thott 1276, o. Pag. (eigenhändig) Weitere Überlieferung: Gigas (Hg.): Briefe Pufendorfs an Thomasius, 1897, Nr. I, S. 3–6; Döring (Hg.): Samuel Pufendorf. Briefwechsel, 1996, Nr. 119, S. 161–163.

Stockolm den 9. April. Ao. 1687.

WohlEdler und hochgelahrter, Sonders hochgeehrter herr,

Deßen geehrtes von 1. Febr. habe wohl empfangen, und bitte umb vergebung, daß

sol-ches nicht ehr beantwortet, wegen einiger verhindernuß. Bin Mhh. sehr obligiret für

seine gute affection gegen mir, und für communication seiner gedancken, die ich

aller-dings mit denen meinigen accordirend befinde; und bin versichert, daß Mhh. entlich

Albertum wird ad silentium redigiren, und sein Compendium Orthodoxum bey die

würtzkrämer bringen.

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Es hat sonsten dieser mann in seinen Groll es ziemlich grob

gemacht: allein ich hoffe ihn mit 12 pro centum zubezahlen,

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u. ist die antwort schon

meistens fertig,

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die ihn dermaßen beißen soll, daß ihn gegen Michaelis die lerchen

Stockholm, 9. April 1687

nicht zum besten schmecken sollen.

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Die arbeit an sich selbst ist wohl eben so rühm-lich nicht; doch weil ich darinnen stecke muß ich vollend durch. Habe auch keinen, der nach meinem kopf meine sachen verantworten könte, nach dem der gute Rolletus so zeitlich starb.

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U. wenn ich gleich meinen nahmen deguisire, kennet man doch meinen stylum. So ist auch dignitas Rectoris Lipsiensis so groß, daß er den rang über die da-selbst studirende fürsten nimmet, weswegen man ihn auch magnifice wird scoptisiren müßen.

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Und wird auch nicht vergeßen h. Seckendorffen einige pillen verschlingen zulaßen;

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welcher daß er nun soll hyperaspistes

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unser Lutherischen religion werden, eine große miserie ist. Worbey sich über des mannes vanität zuverwundern, daß er meinet es sey kein Professor capabel gewesen selbige historie zuschreiben. Denn ja Maymburg kein Staatsman, sondern ein Pfaffe war; auch die Reformirten, so ihn ge-zwaget, auch geistliche gewesen: U. müsten ja selbige sachen einem Theologiae Pro-fessori beßer bekandt seyn, als Seckendorffen. Nur hat es daran gefehlet, daß die guten leüte nicht so viel Frantzösisch gelernet, daß sie Maymburgs werck hetten verstehen können.

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Darnach ist es unerträglich, daß h. Seckendorf meinet, er sey ein so großer Staatsmann. Da doch ein großer unterschied ist eine Cantzeley zu Gotha u. Zeitz diri-giren,

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und solche affairen hantieren, die ein momentum in Europa geben; Und glaube ich, daß er alles aus den courranten hat, was er disfals weis. Unter andern Mhh. sachen gefället mir wohl, daß derselbe theoriam status integri ausführet; denn wenn solche ex hypothesibus nostrorum Theologorum distincte delineiret wird, bekommet das menschliche leben eine solche differente gestalt von dem itzigen, daß unsere leges na-turales zu ienen sich am wenigsten reimen soll. U. temperiren den meisten theil unse-rer Jurium die zwey instituta humana, nempe dominium, et imperium humanum,

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welche ob, und wie weit sie in statu integro würden stadt gehabt haben, sehr schwer ist zu determiniren. Davon etwas in der Eride p. 369. berühret ist.

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Mhh. thut sonsten sehr wohl, daß Er alle collision cum Theologis ut talibus decliniret, u. bloß darauf be-stehet, daß h. Velten

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extra aleas vagire, u. eine mixtur, die wieder alle vernunft ist, einführen will. Sonsten stehet auch eine artige passage contra Philosophiam Aristoteli-cam, die Alberus zur Christiana machen will in den neuen Altenburgischen Teutschen Tomis Tomo I. p. 505.

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deßen ich mich bedienen werde umb zuweisen, daß der ienige auch könne ein guter Lutherischer Christ seyn, wenn er gleich nicht mehr als sich ge-buhret von Aristotele helt.

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Es ist eine artige manier Mhh. zu arguiren, daß er als ein degener filius nicht will Philosophus Christianus seyn.

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Allein ich zweifele gar nicht Mh. werde ihn schon gute bezahlung thun; und habe so viel mit Mh. zu discurriren, daß ich alles unmüglich schreiben kan. Verhoffe doch, ob Gott leben verleihet die ehre zu haben Mhh. in der Michaelis Meße in Leipzig zu sprechen. Denn da gedenke ich hinzukommen mit historia Caroli Gustavi, umb zu sehen, ob ich mit selbigen Buchfüh-rern accordiren kan.

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Verbleibe in übrigen lebenslang

Meines hochgeehrten herrn

Dienstwilligster diener

Samuel Pufendorf.

Stockholm, 9. April 1687

P. S.

Ich habe mich höchlich zubedancken für Mhh. höfligkeit in anerbietung seines hauses.

Werde sehen, was die gelegenheit geben wird, wo es dazu komt.

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Es hat mich einer berichtet, ob solte h. Velten gerne poculiren. Möchte wohl wißen, ob dem also were.

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Er h. Dr. Alber meldet in der Vorrede seines buchs de interesse religionum, daß etzli-che gelehrte Magistri beschäfftig sind gewesen soletzli-ches herrlietzli-che Opus ins Teutsetzli-che zu übersetzen. Were curieux zu wißen, ob deroselben LXX. gewesen; und wie viel zeit sie damit zugebracht?

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1 Gemeint ist Albertis christliche Naturrechtslehre „Compendium Juris Naturae, Orthodoxae Theolo-giae Conformatum” von 1676/1678, die Thomasius in der Tat in seinen „Institutiones Jurispruden-tiae Divinae“ (1688) einer ausgiebigen Kritik unterziehen sollte; die 2. Auflage von 1694 trug da-her sogar explizit den Zusatz „In quibus Fundamenta Juris Naturalis [...] ab objectionibus dissentientium, potissimum D. Valentini Alberti, Professoris Lipsiensi, liberantur“.

2 Die Formulierung geht wohl zurück auf die „usurae centesimae“, den höchsten erlaubten Zinsatz der späten römischen Republik und der nachfolgenden Kaiserzeit (er lag bei 1 % pro Monat bzw.

12 % im Jahr). Unter Kaiser Justinian wurde dieser Höchstsatz auf die Hälfte gesenkt, mit der Aus-nahme von besonders gefährlichen Seegeschäften. Den niedrigsten Zinssatz zahlten Angehörige des höchsten gesellschaftlichen Ranges, vgl. Art. „Wucher“, in: Pierer’s Universal-Lexikon, Bd. 19, Altenburg 1865, S. 370.

3 Gemeint ist seine gegen Albertis „Eros Lipsicus“ von 1687 gerichtete „Commentatio Super In-venusto Veneris Lipsicae Pullo“.

4 Kurz vor Michaelis begann alljährlich der Fang der wegen ihres zarten Fleisches (auch von Pufen-dorf) geschätzten Lerchen. Zu diesem Zeitpunkt fand auch die Michaelismesse statt. Pufendorfs

„Commentatio“ erschien rechtzeitig zur Messe im September 1687, s. den Brief von Pufendorf an Thomasius vom 31.8.1687.

5 Johannes Rolletus war das Pseudonym, unter dem Gottfried Klinger, ein Jurastudent an der Univer-sität Jena und entschiedener Pufendorf-Anhänger, 1677 und 1678 zwei Verteidigungsschriften zu-gunsten von Pufendorfs Naturrechtslehre veröffentlichte. Wegen des Verdachts der Verfasserschaft wurde er Ende 1677 in Karzerhaft genommen. Nach seiner Freilassung trat er als Sekretär in die Dienste von Pufendorfs Bruder Esaias, starb aber schon wenige Monate später im Dezember 1678.

Pufendorf nahm 1686 die beiden Publikationen Klingers in seine Sammlung eigener Streitschriften

„Eris Scandica“ auf, weshalb in vielen Bibliographien und Bibliothekskatalogen das Pseudonym Pufendorf zugeschrieben wird, vgl. Palladini: Discussioni, 1978, passim; Laurent: Pufendorf et la loi naturelle, 1982, S. 42, 212; Döring (Hg.): Samuel Pufendorf. Briefwechsel, 1996, S. 398f.

6 Rektor der Leipziger Universität im noch laufenden Wintersemester 1686/1687 war Alberti. Das

„magnifice“ spielt auf die offizielle Anrede des Rektors an, aber auch auf den Spottnamen „Alber-tus Magnus“, den Pufendorf gerne für Alberti gebrauchte.

7 Pufendorfs „Commentatio“ war in erster Linie eine Abrechnung mit Valentin Alberti, sie enthielt allerdings längere Passagen, die gegen Veit Ludwig von Seckendorff und dessen Verteidigung durch Alberti in dessen „Eros Lipsicus“ gerichtet waren, S. 31–35 und passim bzw. S. 278–280 und passim in der Neuedition bei Palladini (Hg.): Pufendorf. Eris Scandica, 2002. Über den Beginn der Kontroverse Pufendorfs mit Seckendorff, vgl. den Brief von Pufendorf an Thomasius vom 9.6.1686. Seckendorff selbst griff nicht mit eigenen Publikationen ein.

8 „Hyperaspistes“, der Schutzschildhalter, war seit der Reformationszeit ein beliebter Titel von Streitschriften zu Glaubensfragen; eine der ersten und bekanntesten Publikationen war Erasmus’

Stockholm, 9. April 1687

von Rotterdam (ca. 1466–1536) Erwiderung von 1526/1527 auf Luthers „De Servo Arbitrio“

(1525).

9 Der französische Jesuit und Historiker Louis Maimbourg (1610–1686) hatte die Lutheraner und die Reformierten jeweils in einem Buch angegriffen, „Histoire Du Lutheranisme“ (1680) und „Histoire Du Calvinisme“ (1682). Auf Maimbourgs „Histoire Du Lutheranisme“ reagierte Seckendorff mit einer Gegendarstellung, die das erste von fünf Büchern der Vorlage ins Lateinische übersetzte und mit einem umfangreichen, auf eine große Zahl von Originalquellen gestützten Kommentar versah, s. Seckendorff: Commentarius Historicus Et Apologeticus De Lutheranismo, 1688. Der Band er-schien trotz des Imprints „1688“ bereits 1687, vgl. Strauch: Seckendorff, 2002, S. 5–18. Eine um zusätzliche Dokumente erweiterte und kommentierte Übersetzung nunmehr der ersten drei (der insgesamt sechs) Bücher von Maimbourgs „Histoire Du Lutheranisme“, die der Frühzeit der Re-formation gewidmet waren, brachte Seckendorff 1692 heraus.

10 Seckendorff war von Ende 1664 bis 1681 Kanzler im Herzogtum Sachsen-Zeitz, zuvor diente er von 1646 bis 1664 unter Herzog Ernst dem Frommen in gothaischen Diensten, zuletzt als Präsident der Regierung und Kammer des Herzogtums. Dies war eine deutlich höhere Position als die eines Kanzlers, die Seckendorff in Gotha nie innehatte, wie Pufendorf fälschlich schreibt und in einem Großteil der Literatur zu lesen ist, dazu Strauch: Seckendorff, 2002, S. 2, sowie die Stellenstatistik bei Ruge: Übersicht über die Besoldung, 2002, S. 121–126.

11 Vgl. Pufendorf: De Officio Hominis, 1678, Lib. I, Cap. IX, § 22.

12 Die genannte Stelle aus der „Eris Scandica“ gehört zu § 9 des zweiten, der Auseinandersetzung mit Alberti gewidmeten Kapitels der Streitschrift „Spicilegium controversiarum“, die ursprünglich 1680 erschienen war. Es geht um Albertis Auffassung vom „status integritatis“, dem Stand der Un-schuld des Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit vor dem Sündenfall, als alleinige Basis des Ius naturae. Pufendorf sowie in seiner Folge auch Thomasius in den „Institutiones Jurisprudentiae Divinae“ (1688) lehnten dieses Kernelement der christlichen Naturrechtslehre zugunsten eines pro-fanen Naturrechts ab, das auf dem Geselligkeitsstreben beruhte und allein durch Vernunft erkenn-bar war; vgl. Osterhorn: Die Naturrechtslehre Valentin Alberts, 1962; Schneider: Justitia universa-lis, 1967, S. 247–253; Baudach: Planeten der Unschuld – Kinder der Natur, 1993, S. 95–110;

Grunert: Normbegründung, 2000, S. 36–56.

13 Volksprachliche Variante für „Valentin“.

14 Luther: Der Erste Teil aller Deutschen Bücher und Schrifften (Altenburger Ausgabe), 1661. Die Stelle gehört zu Luthers programmatischer Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ aus dem Jahr 1520.

15 Wie Pufendorf hier ankündigt, hat er die genannte Passage, in der Luther gegen den „blind Heidni-schen Meister Aristoteles“ und den Gebrauch derjenigen seiner Bücher an den Universitäten, die mit den christlichen Auffassungen kollidieren würden, später in seiner „Commentatio“ wiederge-geben und das Zitat gegen den orthodox-lutherischen Aristoteliker Alberti gewendet, vgl. Pufen-dorf: Commentatio, 1688, S. 21–23 bzw. S. 272f. der Neuedition bei Palladini (Hg.): Samuel Pufendorf. Eris Scandica, 2002.

16 Eine Anspielung auf Thomasius’ Vater Jacob, der wegen seiner Rechtschaffenheit und Ausgewo-genheit in religiösen Fragen weithin gerühmt und dem Sohn oft in wohlmeinender oder polemi-scher Absicht als Vorbild vorgehalten wurde.

17 Pufendorf stand kurz vor dem Abschluss der Geschichte des schwedischen Königs Karl X. Gustav (1622–1660), s. das Schreiben Pufendorfs an den Historiker Johann Ulrich Pregitzer (1647–1708) vom 29.7.1687, in: Döring (Hg.): Samuel Pufendorf. Briefwechsel, 1996, S. 165. Das Werk er-schien 1696 posthum in Nürnberg unter dem Titel „De Rebus A Carolo Gustavo Sueciae Rege Gestis Commentariorum Libri Septem“ und ein Jahr später in deutscher Übersetzung, vgl. dazu das Schreiben von Pufendorfs Witwe Catharina Elisabeth an Thomasius vom 29.4.1697 (Bd. 2).