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TEIL II: DER ABLAUF DER 7. KOSMETIKRICHTLINIE

C) Das Parlament verkehrt den Vorschlag der Kommission in der ersten Lesung in sein Gegenteil

IV. Die erste Lesung im ENVI Ausschuss

3. Das Resultat der Abstimmung

Insgesamt gab es 33 umkämpfte Abstimmungen. Der große Verlierer war die EVP, die 17 Mal alleine stand und überstimmt wurde. Vier Abstimmungen verlor eine Splittergruppe der EVP alleine gegen den Rest. Die Grünen und die GUE verloren acht Anstimmungen zusammen, zwei weitere mit der PES-Minderheit und zwei weitere gemeinsam mit der PES.

Die ELDR befand sich dagegen niemals auf der Verliererseite.

Die 17 Niederlagen der EVP belegen die Neuausrichtung der Richtlinie im Vergleich zum Kommissionsvorschlag: Die Wiedereinführung des Vermarktungsverbotes,434 die Einführung eines sofortigen Tiertestverbotes für Fertigerzeugnisse und ab 2004 für Bestandteile,435 die Möglichkeit Lagerbestände von Kosmetika noch nach Eintritt des Verbotes zu verkaufen,436 die strengen Ausnahmeregelungen für Tiertests,437 die striktere Definition von Kosmetikerzeugnissen um Manipulationen zu vermeiden,438 der Bezug auf die Abneigung der Bevölkerung gegenüber Tiertests in die Richtlinie,439 die Option für Hersteller mit Kosmetika, die nicht auf Tieren getestet wurden, zu werben,440 das Verbot von CMR Stoffen, wenn sie nicht vom SCCNPF akzeptiert wurden,441 die Verpflichtung der Industrie mehr Informationen über die Zusammensetzung ihrer Produkte zu veröffentlichen,442 die Einführung einer Mindesthaltbarkeit443 für Kosmetika mit einer Lebensdauer von mehr als 30 Monaten und eines Warnhinweises für Allergene sowie die Auflistung ihrer Konzentration444 beinhalten die Kernpunkte der neuen Richtlinie. Interessant ist allerdings, dass auch die EVP zur Wiedereinführung des Vermarktungsverbotes stand, obwohl es Unterschiede in der zeitlichen Vorstellung des Inkrafttretens gab.

Die Minderheit der EVP scheiterte an allen anderen Fraktionen, auch der eigenen, mit ihren vier Vorschlägen gegen das Vermarktungsverbot, für Tiertests bei neuen Produkten und für eine Haftung der Kommission für gesundheitliche Schäden durch Alternativmethoden.445

434 Antrag 11.

435 Antrag 12.

436 Antrag 38.

437 Anträge 41 (Teil 2) und 46.

438 Antrag 13.

439 Antrag 6 (Teil 1).

440 Anträge 5, 16 und 54.

441 Antrag 11.

442 Anträge 50, 51, 53 und 58.

443 Antrag 52.

444 Anträge 63 (Teil 2 und 3).

445 Anträge 28 und 47 – 49.

Die acht Niederlagen der Grünen mit der GUE zeigen den gescheiterten Versuch die Richtlinie zu verschärfen: Das sofortige Inkrafttreten des Vermarktungsverbotes,446 ein Verkaufsverbot auch für Warenbestände,447 die schärferen Bedingungen für Hersteller, die mit Waren, die nicht auf Tieren getestet worden sind, werben wollen,448 das Verbot CMR Stoffe zu verwenden,449 das Verbot von Duftstoffen für Kosmetika für Kinder und weibliche Intimpflege,450 das Verbot bestimmte Allergene in Kosmetika zu verwenden.451 Die Grünen und die GUE sind mit vielen harten Positionen gescheitert, konnten aber mit dem Ergebnis, dass den Kommissionsvorschlag in sein Gegenteil verkehrte, gut leben. Trotz gemeinsamen Abstimmens waren die Grünen dabei aber die deutlich aktivere Fraktion, da die GUE keine eigenen Akzente setzte.

Die Grünen verloren gemeinsam mit einer Minderheit der PES zwei Anträge des Abgeordneten Lund gegen die Mehrheits-PES, die ELDR und die EVP: Der eine zielte auf ein Inkrafttreten des Tiertestverbotes für Bestandteile ab dem Jahre 2001,452 der andere auf das Verbot der Verwendung von 13 Allergenen.453 Allerdings hatte Roth-Behrendt die Abspaltung um Torben Lund nicht als wichtig empfunden, da dieser über keinen mit ihrem vergleichbaren Rückhalt in der Fraktion verfügte. Inhaltlich wurde er stark von den Verbraucherschützern um BEUC beeinflusst.454

Die Berichterstatterin verlor mit der PES dagegen nur zwei Anträge, die von dem Abgeordneten Lund eingebracht worden waren, aufgrund der Ablehnung der ELDR, die mit der EVP stimmte: Der Eine wollte das Vorsorgeprinzip einführen um Kinder besser vor möglichen schädigenden Effekten von Duftstoffen zu schützen, scheiterte aber mit 25 zu 20 Stimmen.455 Der Andere zielte auf ein sofortiges Vermarktungsverbot ab, konnte aber keine Mehrheit gewinnen.456 Dies zeigt die etwas industriefreundlichere Haltung der ELDR im Vergleich zur PES auf. Von diesen beiden Niederlagen abgesehen, hatte sich die PES im Ausschuss durchgesetzt.

446 Antrag 39 (Teil 1).

447 Antrag 34.

448 Antrag 55.

449 Antrag 31.

450 Anträge 30 und 65.

451 Anträge 32 und 60.

452 Antrag 42.

453 Antrag 61.

454 Dagmar Roth-Behrendt, Mitglied des Europäischen Parlaments, deutsche Sozialdemokratin und Berichterstatterin der 6. und 7. Kosmetikrichtlinie, Telefoninterview am 30.1.2007.

455 Antrag 29. Durch seine Ablehnung, der auf die Erwägungen zielte, verfielen Antrag 35 und 62 automatisch, die dies in den Artikeln festgeschrieben hätten.

456 Antrag 37.

Das Resultat

Im Themenfeld Tierversuche führte der Ausschuss wieder das Vermarktungsverbot ein, sobald Alternativmethoden zur Verfügung stehen, spätestens jedoch fünf Jahre nach Ablauf der Richtlinie. Das Inkrafttreten des Tierteststopps für Bestandteile wurde ohne Verlängerungsmöglichkeit auf den 31.12.2004 gelegt. Kosmetika, die auf Tieren getestet wurden, sollten dies auf der Verpackung angeben müssen.

Im Themenfeld Verbraucherschutz verlangte der Ausschuss die vollständige Auflistung aller Inhaltstoffe, nicht nur an die Behörden, sondern auch an die Öffentlichkeit. Aber die Riechstoffe und Parfumkompositionen sollten davon weiter ausgenommenen bleiben.

Weiterhin verlangte er die Etikettierung der Grenzwerte der wichtigsten 26 Allergene samt Anbringung eines Warnhinweises und spezielle Sicherheitsüberprüfungen für die Verwendung von Duftstoffen in Kosmetika für Kinder und weibliche Intimpflege. CMR Stoffe sollten nur verwendet werden dürfen, wenn sie vom SCCNPF als unbedenklich erklärt worden sind. Die Mindesthaltbarkeit von Kosmetika mit einer Mindesthaltbarkeit von mehr als 30 Monaten sollte angegeben werden müssen.

Analyse des Resultates

Der angenommene Bericht des ENVI Ausschusses übernahm die wesentlichen Punkte des Antrages von Roth-Behrendt und wurde am 21. März 2001 mit 46 Stimmen dafür und 3 Enthaltungen beschlossen. Allerdings sind derartige Abstimmungsergebnisse normal, da keine Fraktion normalerweise einen Bericht scheitern lässt.457 Daher war weniger das Abstimmungsergebnis als der Inhalt des Berichts ein Sieg für Roth-Behrendt.

Die ELDR unterstützte die Linie der PES und Roth-Behrendt mit Ausnahme zweier Anträge über die Einführung des Vorsorgeprinzips für die Verwendung von Duftstoffen in Kosmetika für Kinder sowie des sofortigen Tiertestverbotes für Bestandteile und erzwang damit eine leicht industriefreundlichere Richtung. Alle erfolgreichen Anträge mit gewissen Erleichterungen für die Industrie brachte die ELDR unter Davies ein.

Die Konservativen versuchten die Tier- und Verbraucherschutzregelungen abzuschwächen, hatten aber keine gemeinsame Linie, sondern bestanden aus zwei Gruppierungen. Die Mehrheit um die Schattenberichterstatterin akzeptierte das Vermarktungs- und das Tierschutzverbot, versuchte jedoch das Inkrafttreten von fünf auf zehn Jahre zu verlängern bzw. Möglichkeiten zur zweijährigen Verlängerung zu geben. Eine Minderheit versuchte die

457 Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

Tierschutzregelungen völlig zu kippen. Beide scheiterten, zumindest die Mehrheit stimmte dann aber doch für den Gesamtentwurf.

Die Grünen versuchten dagegen, insbesondere die Verbraucherschutzpunkte über den Entwurf von Roth-Behrendt hinaus zu verstärken, konnten sich mit ihren Forderungen aber nicht durchsetzen. Weder das sofortige Inkrafttreten des Vermarktungs- und Tiertestverbots samt Untersagung des in Verkehrbringens von bereits produzierten Kosmetika nach dem Stichtag, noch die drei Ziele im Verbraucherschutzschärferen, die angestrebten Verbote bei den Duftstoffen und den CMR sowie die ausführlicheren Informationspflichten erhielten eine Mehrheit.458 Trotz dieser Niederlage stimmten die Grünen für den Vorschlag von Roth-Behrendt.

Die politische Konfliktlinie im Ausschuss verlief demnach zwischen sieben Gruppierungen, von denen je zwei im Zentrum, zwei auf der linken und drei auf der rechten Seite des politischen Spektrums standen: PES und ELDR bildeten im Zentrum die ersten beiden Gruppierungen, da ihre Positionen in der Mitte lagen, müssen voneinander aber doch unterschieden werden, da sie in zwei Fällen voneinander abwichen. Die ELDR gewann alle Abstimmungen, die PES verlor nur die beiden Anträge ohne die ELDR. Allerdings ist es wichtig hinzuzufügen, dass im Europäischen Parlament keine festen Koalitionen existieren und das Abstimmungsverhalten auf der individuellen Interessenlage jeder Fraktion beruht.

Trotzdem kristallisieren sich bei jedem Gesetzgebungsverfahren de facto eine eigene Koalition heraus.

Auf dem linken Spektrum existierten ebenfalls zwei Gruppierungen: Die Erste stellten die Grünen gemeinsam mit der GUE dar, die sich bei allen Abstimmungen identisch verhielten.

Die Grünen waren darin aktiver, versuchten die Richtlinie zu verschärfen, scheiterten damit und unterstützten dann die PES/ELDR Koalition. Die GUE verhielt sich eher passiv und folgte den Grünen in ihrem Abstimmungsverhalten. Die Zweite bestand aus einer kleinen Minderheit der PES um den Abgeordneten Lund, der mit zwei Anträgen, ohne die Rückendeckung der Berichterstatterin, vergeblich versuchte, die Richtlinie nach links zu verändern.

Auf dem rechten Spektrum führte die Spaltung der EVP zu drei Gruppierungen: Die Mehrheit der Konservativen um ihre Schattenberichterstatterin bildete die erste Gruppierung. Sie teilte das Ziel eines Vermarktungsverbotes, versuchte aber die Richtlinie abzuschwächen.

Allerdings sollte ihr das nicht gelingen, da sie bei zwölf Abstimmungen unterlag. Aus dieser

458 Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

Mehrheits-EVP schälte sich bei fünf Abstimmungen eine Minderheit heraus, die für einige PES Vorschläge votierte.459 Eine dritte Gruppierung umfasste eine Minderheit der EVP um einige italienische Abgeordnete, die dieses Vermarktungsverbot grundsätzlich ablehnte. Ihre vier Anträge, die nicht von der EVP Mehrheit gebilligt wurden, scheiterten.

Grüne & GUE PES Minderheit PES Mehrheit ELDR EVP (UK/D) EVP Mitte EVP Rechts Mc Kenna/Breyer Lund Roth-Behrendt Davies Florenz Garcia Nistico

Linkes Spektrum Mitte Rechtes Spektrum

Die Positionen der Gruppierungen werden in der folgenden Tabelle aufgelistet: Um Platz zu sparen, werden allerdings Grüne & GUE mit der PES Minderheit und die PES Mehrheit mit der ELDR zu je einer Spalte zusammengefasst. Die Abweichler zur Mitte der EVP (UK/D) Gruppe werden nicht eigens aufgeführt. Bei der Darstellung des Verbraucherschutzes kommt es zu einer ähnlichen Umgruppierung.

459 Anträge 6 (Teil 1), 12, 13, 16 und 50.

Interessenbild der strittigen Punkte im ENVI Ausschuss in der ersten Lesung ENVI I***

Tiertestthematik

Grüne/GUE und PES Minderheit

PES und ELDR Mehrheits-EVP Rest EVP

Vermarktungsverbot ab bzw. in 31.12.2001 5 Jahren 10 Jahren Keines

Teststop für Bestandteile ab 1.12.2001 31.12.2004* 31.12.2004 + 2 Jahre (Gespalten: Ein Teil wie PES)

Keines Teststop für Fertigerzeugnisse ab 1.12.2001 Inkrafttreten der

Richtlinie

Wie PES Wenn Bestandteile bekannt sind

Ausnahmeregelung Wie PES Ja Nein Nein

Werbung: „Nicht auf Tieren getestet“ Ja, aber schärfere Bedingungen

Ja Nein, stattdessen „Auf Tieren getestet“

(Gespalten: Ein Teil wie PES)

Nein, stattdessen „Auf Tieren getestet“

Definition Fertigerzeugnis um

Prototyp erweitert Wie PES Ja Wie PES und wie Rest EVP (Gespalten) Nein

ENVI I***

Verwendung von CMR Stoffen Verbot - Nur wenn sie das SCCNPF für unbedenklich erklärt

Dagegen Mindesthaltbarkeit Wie PES Wie PES Produkte mit mehr als 30 Monaten Haltbarkeit

müssen angeben, wie lange man sie nach dem Öffnen verwenden kann

Alle Produkte müssen ihre Mindesthaltbarkeit nach dem Öffnen angeben, dafür kein Verfallsdatum mehr

Informationspflicht Wie PES Wie PES Alles an die Öffentlichkeit Nein (Gespalten)

Verwendung von Allergenen Verbot von 26 Stoffen

Verbot von 13 Stoffen

Die Mindestkonzentration von 26 Stoffen muss angegeben werden + Warnhinweis

Vorsorge-prinzip Spezielle Risikoanalyse* Nein

Ausnahme für Riech- und Aromastoffe

Nein Nein Ja Wie PES

Abkürzungen:

„Wie PES“ bedeutet, dass eine andere Fraktion wie die PES und die ELDR abgestimmt hat, unabhängig davon, von wem der Antrag kam.

„Fett“ markiert, was sich in der Abstimmung durchgesetzt hat.

„*“ zeigt die beiden Abstimmungen auf, bei denen die PES die kursiv gedruckten Positionen vorgezogen hätte, aber nicht durchsetzen konnte, da die ELDR dagegen stimmte.

„-“ bedeutet, dass über die Haltung der Fraktion bzw. des Fraktionsteils keine Informationen vorliegen.

„Gespalten“ bedeutet, dass die Fraktion bzw. ein Teil dieser Fraktion in dieser Frage gespalten war. Die Art der Spaltung wird kurz beschrieben.

V. Die erste Lesung im Plenum