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Ziel dieser Arbeit war es, einen Beitrag zur Klärung der Frage zu leisten, welche Akteure den europäischen Entscheidungsprozess am nachhaltigsten beeinflusst haben. Dies sollte mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse über den Werdegang der 7. Kosmetikrichtlinie geschehen, indem die Faktoren bestimmt wurden, die zu ihrem Ergebnis führten. Daneben sollte die Erklärungskraft von zwei theoretischen Ansätzen miteinander verglichen werden.

11 In dieser Arbeit werden die Verts/ALE als Grüne, die GUE/NGL als GUE und die PPE-DE als EVP bezeichnet.

Die Entscheidungsfaktoren der 7. Kosmetikrichtlinie

Ausschlaggebend für die endgültige Form der Kosmetikrichtlinie war die Dominanz des Parlaments. Der entscheidende Grund dafür lag in der unterschiedlichen internen Verfasstheit der beiden kollektiven Vetospieler Rat und Parlament. Während das Parlament geschlossen auftrat, kollabierte der Rat wegen seiner inneren Zerrissenheit. Die unterschiedlichen Faktoren, die zur Geschlossenheit des Parlamentes bzw. zur Spaltung des Rates führten, wurden in dieser Arbeit in abnehmender Bedeutung in Haupt-, Primär- und Sekundärfaktoren klassifiziert. Hauptfaktoren hatten demnach entscheidenden, Primärfaktoren einen starken und Sekundärfaktoren einen gewissen Einfluss auf das Ergebnis.

Die Spaltung des Rates resultierte aus einem Haupt-, fünf Primär- und zwei Sekundärfaktoren. Der Hauptfaktor bestand im drohenden Inkrafttreten der 6. Richtlinie im Falle des Scheiterns der Verhandlungen, was starken Druck auf die einzelnen Ratsmitglieder ausübte. Die fünf Primärfaktoren unterstützten die davon ausgehenden Auflösungstendenzen:

Sie bestanden aus dem Rechtsgutachten des juristischen Dienstes, das die Sorge um die WHO abmilderte; die politisch-emotionale Dimension der Tierschutzfrage, die zu einer Mobilisierung der Öffentlichkeit hätte führen können und seine Gegner einschüchterte; dem unflexiblen Beharren Frankreichs und der Industrie auf dem Vermarktungsverbot; der Positionierung Deutschlands im Sinne des Parlaments gegen Ende der Verhandlungen und die Verhandlungsführung der dänischen Präsidentschaft im Vermittlungsausschuss, die das Parlament unterstützte. Eventuell hatte auch ein Seitenwechsel der Kommission gegen Ende des Verfahrens im Vermittlungsausschuss einen starken Einfluss, die Meinungen der Akteure gehen darüber aber weit auseinander. Als Sekundärfaktoren spielten noch die Sorge um die Verbesserungen im Verbraucherschutz und das effiziente Lobbying der Tierschützer eine Rolle.

Die Geschlossenheit des Parlaments rührte aus vier Haupt-, einem Primär- und zwei Sekundärfaktoren. Die vier Hauptfaktoren bestanden in der politisch-emotionalen Dimension des Themas, auf die eine direkt gewählte Institution sehr sensibel reagiert; dem Agieren der Kommission mit ihrem zweimaligen Verschieben der 6. Richtlinie ohne Beteiligung des Parlaments, ihrem Versuch das Vermarktungsverbot zu kippen, ihrer Missachtung des Parlaments und ihrer Aufgabe der Vermittlerrolle; dem Agieren der Berichterstatterin mit ihrem Beharren auf dem Vermarktungsverbot, ihrer Öffnung der Richtlinie für den Verbraucherschutz, ihrem Kompromiss mit der EVP und ihrer harten Haltung gegenüber dem Rat sowie dem Agieren der Industrie mit ihrer Radikalstrategie ohne Rückfallposition, dem fehlendem Verständnis für die politisch-emotionale Dimension des Tierschutzthemas und der

Ignoranz gegenüber dem Parlament und den NGOs. Als Primärfaktor zählte das effiziente Lobbying der Tierschützer. Den geringsten Einfluss auf die Geschlossenheit des Parlaments hatten das Lobbying der Verbraucherschützer und der Wunsch die Fortschritte aus den Verhandlungen zur 7. Richtlinie im Verbraucherschutz zu sichern. Diese beiden Punkte können daher als Sekundärfaktoren eingeordnet werden.12

Die Hypothesen der beiden Theoretiker: Tsebelis aussagekräftiger als Moravcsik

Von den vier Hypothesen der beiden Theoretiker besaßen immer diejenigen von Tsebelis die größere Erklärungskraft, während diejenigen von Moravcsik nicht der Realität standhielten.

Die erste Hypothese zielte auf das Abstimmungsverhalten des Parlaments. Tsebelis Annahme sagte ein einheitliches Abstimmen voraus, da sich das Parlament gegenüber dem Rat durchsetzen will, während Moravcsik ein ähnliches Abstimmungsverhalten im Parlament wie im Rat prognostizierte. Tsebelis Vorstellung sollte sich bewahrheiten. Allerdings zeigte eine nationale Abspaltung französischer Abgeordneten von dieser Parlamentslinie, dass bei wichtigen Abstimmungen ein gemeinsames Abstimmen von Nationalstaat und seinen europäischen Abgeordneten möglich ist. Moravcsik kann somit auch, wenngleich eine geringere Geltung beanspruchen.

In der zweiten Hypothese stand die Entscheidungsfindung im Rat im Mittelpunkt. Tsebelis gestand auch den kleineren Staaten Einfluss auf das Geschehen mittels der Verfahrensregeln zu, während Moravcsik diese von den größeren Staaten dominiert sah. Tsebelis sollte Recht behalten, da die Präsidentschaften und Stimmrechte der kleinen Länder Einfluss geltend machen konnten und die großen Länder das Verfahren nicht alleine kontrollierten.

Die dritte Hypothese behandelte das Verhältnis zwischen dem Rat und den beiden supranationalen Institutionen. Laut Tsebelis sollten diese ihren Einfluss wahrnehmen können, während Moravcsik von einer Dominanz des Rates ausging. Vor dem Hintergrund des Vetorechts des Parlaments und der Durchsetzung seiner Interessen im Verfahren erwies sich die Hypothese von Tsebelis als zutreffend.

Die vierte Hypothese hob auf die Möglichkeiten der Lobbyisten ab, das Verfahren auf EU Ebene zu beeinflussen. Für Tsebelis stand dem nichts entgegen, Moravcsik billigte den auf nationaler Ebene erfolglosen Lobbyisten allerdings nicht zu, auf EU Ebene Einfluss zu nehmen. Auch hier sollte sich die Hypothese von Tsebelis als richtig erweisen.13

12 Die Ergebnisdiskussion erfolgt im Teil III B) Warum hat das Europäische Parlament die Auseinandersetzung um die 7. Richtlinie gewonnen?

13 Die Ergebnisdiskussion erfolgt im Teil III C) Waren die Hypothesen von Moravcsik oder Tsebelis aussagekräftiger?