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TEIL II: DER ABLAUF DER 7. KOSMETIKRICHTLINIE

D) Der Rat weist in seiner ersten Lesung die Forderungen des Parlaments zurück

2. Die Funktionsweise des Rates

Der Rat bzw. Ministerrat ist das wichtigste Entscheidungsgremium der Europäischen Union.

Vertreter der Mitgliedsstaaten artikulieren dort ihre nationalen Interessen und handeln Kompromisse aus. Der Rat kann seine Anfänge bis zum speziellen Rat der Minister der EGKS aus dem Jahre 1951 aus dem Pariser Vertrag zurückverfolgen, der allerdings nur zum Austausch von Informationen diente. Der mit den Römischen Verträgen im Jahre 1957 geschaffene Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften wurde dagegen gegründet um die Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftspolitik zu gewährleisten und Entscheidungen zu treffen (Artikel 145 EG-Vertrag).591

Der Rat besteht aber nicht aus einem monolytischen Block, sondern den Mitgliedsstaaten der EU. Diese variieren beträchtlich nach Bevölkerungszahl, wirtschaftlichem Gewicht, Länge der EU Mitgliedschaft, Verwaltungskultur, Verhandlungsstil, Einstellung zu Europa und anderem. Die Koalitionen im Rat bilden sich je nach Themengebiet immer wieder neu

590 Gesprächspartner aus Rat und Mitgliedsstaaten.

591 John Peterson and Michael Shackleton, “The Institutions of the European Union”, Oxford University Press, 2002. p. 49.

heraus.592 Der Rat ist hierarchisch gegliedert: Von unten nach oben beschäftigen sich erst die aus nationalen Experten zusammengesetzten Arbeitsgruppen, dann der aus Diplomaten bestehende COREPER und schließlich die entsandten Minister des Ministerrates mit den zur Diskussion stehenden Themen.593

Über dem Ministerrat steht noch der Europäische Rat mit den Staats- und Regierungschefs, der aber normalerweise nicht in die Alltagsgeschäfte der EU eingreift, sondern sich um die Entwicklung der großen Linien der EU kümmert. Der Ministerrat tagt in verschiedenen Formationen, je nach Aufgabengebiet. Die Minister nehmen dort als Vertreter ihrer jeweiligen Regierung teil und sind autorisiert diese auf Entscheidungen zu verpflichten.594 Die Präsidentschaft rotiert gleichmäßig zwischen den Mitgliedern für einen Zeitraum von sechs Monaten, der am 1. Januar oder Juni beginnt. Das Beschlusssystem des Rates hängt von dem betreffenden Politikfeld ab.595 Das Sekretariat des Rates ist politisch neutral und unterstützt die gesamte Ratshierarchie bei ihrer Arbeit.

Die Arbeitsweise des Rates

Die Hauptaufgabe des Rates liegt im Treffen von Entscheidungen. Dabei handelt er nach Maßgabe seiner internen und informellen Regeln, die den Entscheidungsprozess des Ministerrates, der Präsidentschaft und des Sekretariates prägen.596

Der Ministerrat ist der wichtigste Gesetzgeber der Europäischen Institutionen. Innerhalb des Rates werden nationale Interessen artikuliert und verteidigt, Koalitionen gebildet und Kompromisse geschlossen. Darüber hinaus muss der Rat auch mit den anderen für den Entscheidungsweg relevanten Institutionen verhandeln. Die Kommission nimmt an den Sitzungen des Rates teil, das Parlament muss dagegen über die Entscheidungsverfahren einbezogen werden.597

Die Arbeit des Ministerrates wird durch den COREPER und die Arbeitsgruppen vorbereitet.

Die Minister nehmen alle auf unterer Ebene ausgehandelten Kompromisse ohne Diskussion als so genannte „A-Punkte“ an und diskutieren lediglich Themen, die auf unterer Ebene keine Einigung gefunden haben. Schätzungen zufolge behandeln die Minister nur 10 bis 15 Prozent der zu verabschiedenden Gesetzesakte. Am Ende einer Diskussion im Ministerrat wird der

592 Ebd. S. 63.

593 Ebd. S. 49.

594 Ebd. S. 50.

595 Ebd. S. 47.

596 Ebd. S. 53.

597 Ebd. S. 54.

betreffende Punkt beschlossen oder wieder an den COREPER oder die Arbeitsgruppen zur weiteren Verhandlung verwiesen. 598

Bei Abstimmungen im Ministerrat gilt je nach Themengebiet die einfache Mehrheit, die qualifizierte Mehrheit oder das Einstimmigkeitsprinzip. Nur in letzterem Fall besitzen die Mitglieder ein Vetorecht. Bei den meisten Entscheidungen gilt das Verfahren der qualifizierten Mehrheit. Dabei verfügt jedes Land über eine gewisse Anzahl von Stimmen, die sich nach der Bevölkerungsstärke ausrichtet. Bis zum Vertrag von Nizza reichte die Skala von zwei Stimmen für Luxemburg bis zu zehn Stimmen für Frankreich oder Deutschland. Seither liegt das Minimum bei drei Stimmen für Malta und das Maximum bei 29 Stimmen für große Länder wie Frankreich oder Deutschland.599

Um zu einer Entscheidung zu kommen sind folgende Bedingungen zu erfüllen: Erstens muss eine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Unter den Bestimmungen der EU-15 vor dem Vertrag von Nizza, unter denen die Kosmetikrichtlinie verhandelt wurde, lag diese bei 62 von 87 möglichen Stimmen. Seit dem Vertrag von Nizza und der Osterweiterung sind 255 von 345 Stimmen nötig. Die Sperrminorität trat demnach früher bei 26 von 87 Stimmen und nun bei 91 von 345 Stimmen ein. Zweitens muss mindestens die Hälfte der Staaten zustimmen.

Seit Nizza existiert eine dritte Bedingung: 62 Prozent der Bevölkerung der Union müssen vertreten sein.600 Die Entscheidungsfindung im Rat läuft nicht auf eine reine Abstimmungsmechanik heraus. Die Suche nach einem Konsens ist die Praxis und jede Präsidentschaft versucht, so viele Länder wie möglich in ihren Kompromissvorschlag zu integrieren. Statistisch werden nur in einer von vier Entscheidungen Abstimmungen angesetzt.601

Die Präsidentschaft ist der Hauptansprechpartner der Kommission und des Parlaments während der Verhandlungen. Sie ist in den Ratsverhandlungen neutral. Das Sekretariat des Rates hat zwei formale Funktionen: Erstens die Organisation der Konferenzen und zweitens die Unterstützung der Ausschüsse.602

Der COREPER

COREPER, der Ausschuss der ständigen Vertreter, wurde als Vorbereitungsgremium für die Ministerratssitzungen gegründet, wandelte sich aber zu einem Ort der kontinuierlichen Verhandlungen und Entscheidungen. Dieses kollektive Entscheidungssystem entwickelte

598 Ebd. S. 54.

599 Ebd. S. 57.

600 Ebd. S. 58.

601 Ebd. S. 58.

602 Ebd. S. 60.

seine eigene Organisationskultur, Normen, Rationalität und Verhandlungsstil.603 Der COREPER ist einer der Hauptakteure in der alltäglichen Entscheidungsfindung der EU, steht aber nicht im Rampenlicht. Die Mitglieder des COREPER stehen in dem Spannungsverhältnis einerseits die nationalen Interessen ihrer Länder zu vertreten, andererseits Kompromisse und Lösungen zu erreichen.604

Der Vorläufer des COREPERs wurde bei dem ersten Ministertreffen im Jahre 1952 ad hoc gebildet und dann permanent weitergeführt. Mit den Römischen Verträgen wurde dann die gesetzliche Basis für das Komitee mit Artikel 151 EEC geschaffen. COREPER erhielt schnell den Ruf, Kompromisse schmieden zu können und Lösungen über eine breite Anzahl an Themen zu erreichen.605 1962 teilte man den COREPER in zwei bis heute gültige Themengebiete auf: Der COREPER II umfasst die Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten und behandelt die Außen-, Finanz- und Innenpolitik sowie institutionelle Fragen. COREPER I besteht dagegen aus den Stellvertretern der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten und beschäftigt sich mit dem Binnenmarkt und angrenzenden Themen.606

Der COREPER hat starke Einflussmöglichkeiten auf die Gesetzesvorhaben der EU. Dazu gehört die „de facto“ Macht Entscheidungen zu treffen, sowie die institutionelle Fähigkeit Interessen zu bündeln.607 Formal besitzt der COREPER keine Entscheidungsautorität, trifft aber in der Praxis als ständiges Verhandlungsgremium Entscheidungen am laufenden Band.

Dabei herrscht innerhalb des COREPERs eine Kultur des Konsenses, es wird versucht so viele Delegationen wie möglich zur Zustimmung zu bewegen. Offiziell darf im COREPER nicht abgestimmt werden, dies kann aber über Abstimmungen, die anzeigen, wie eine Delegation im Ministerrat wählen würde, umgangen werden. 608

Die institutionelle Fähigkeit divergierende Interessen zu bündeln resultiert aus vielen Faktoren: Der Intensität der Verhandlungen, der Abwesenheit von Öffentlichkeit, der gegenseitige Wille aller Delegationen die Probleme der anderen zu verstehen, der Vielzahl behandelter unterschiedlicher Themen, einem Gedächtnis für gegenseitig erbrachte Leistungen, einer speziellen Konsenskultur, die soviel Mitglieder wie möglich einzubinden versucht und einer gewissen Autonomie des COREPERs von Anweisungen der Hauptstadt.

603 Ebd. S. 277.

604 Ebd. S. 278.

605 Ebd. S. 281.

606 Ebd. S. 284.

607 Ebd. S. 287.

608 Ebd. S. 287.

Dies alles kreiert ein dynamisches Umfeld, in dem Entscheidungen getroffen werden können.609

Das Verhältnis des Rates zu anderen Institutionen

In den 90ziger Jahren kam es zu einer Machtverschiebung im Dreieck zwischen Rat, Parlament und Kommission. Mit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens und dem damit verbundenen Vetorecht sowie dem direkten Zugang zum Rat, erfuhr das Parlament einen entscheidenden Machtzuwachs und etablierte sich gleichauf mit dem Rat als Gesetzgeber. Die Kommission verlor dagegen die Möglichkeit, Änderungsanträge des Parlaments abzulehnen. Dennoch bleibt sie ein wichtiger Akteur: Die Kommission besitzt das Initiativrecht, gilt als Hüterin des Gemeinschaftsinteresses und kann als Vermittlerin zwischen den Institutionen auftreten. Gleichzeitig ist sie aber auch Anwalt ihres eigenen Vorschlages.610 Das Parlament ist nun ein Gesetzgeber auf gleicher Augenhöhe mit dem Rat und verfügt über ein Vetorecht bei Entscheidungen. Daher nimmt der Rat das Parlament nun ernster und dieses verhält sich weniger störrisch als früher, als es versuchte seine Macht auszubauen. Das Mitentscheidungsverfahren verlangt ein hohes Ausmaß an Kooperation zwischen den gesetzgebenden Institutionen. Um das dreistufige Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen, existieren viele informelle Verhandlungswege zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission um zu eruieren, ob eine Lösung bereits in der ersten oder zweiten Lesung erreichbar ist.611

3. Präsidentschaften und Interessen der Länder