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TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN

A) Der liberale Intergouvernementalismus von Moravcsik

II. Der Ansatz von Moravcsik

2. Die Erklärung nationaler Präferenzen

Bei einem auf den Staat fokussierten Ansatz wie dem von Moravcsik stehen die nationalen Präferenzen der Nationalstaaten natürlich im Mittelpunkt der Analyse. Bevor man aber die Ergebnisse internationaler Verhandlungen erklären kann, muss man erst die Herausbildung der nationalen Präferenzen in den einzelnen Staaten erläutern.

Moravcsik definiert nationale Präferenzen als ein geordnetes und gewichtetes Set von Werten, die auf zukünftige Abkommen ausgerichtet werden. Sie reflektieren die Ziele von denjenigen innerstaatlichen Gruppen, die den Staatsapparat beeinflussen. Sie werden für ein Themengebiet für ein Land und eine Verhandlung als stabil angesehen. Sofern die Präferenzen über mehrere Verhandlungen, Themengebiete oder Länder hinausgehen, sind sie nicht mehr unbedingt stabil. Präferenzen sind im Gegensatz zu Strategien und Politiken unabhängig von einem speziellen internationalen politischen Umfeld.29

Für Moravcsik ist das Ausmaß der Übereinstimmung der Präferenzen von verschiedenen Staaten von besonderer Bedeutung für das Verständnis von internationalen Verhandlungen.

Um die Ergebnisse von Verhandlungen erklären zu können, müssen die Position und der Zustand der Pareto-Grenze bekannt sein. Diese bezeichnet die Grenze zu dem Set von Abkommen, das den Wohlstand von allen Regierungen verbessert und daher von allen akzeptiert wird. Moravcsik nimmt an, dass die Präferenzen von Staaten sowohl Punkte enthalten, bei denen alle gewinnen können30, als auch Punkte, bei denen eine Seite nur auf Kosten einer anderen31 gewinnen kann.32

Die innerstaatliche Willensbildung der nationalen Präferenzen

In seiner Untersuchung der wichtigsten Antriebsfedern für die Weiterentwicklung der Europäischen Union lässt Moravcsik zwei Theorien gegeneinander antreten, die geopolitische bzw. politisch-wirtschaftliche Beweggründe in den Vordergrund stellen. Moravcsik verwirft die geopolitische Theorie und befindet nur die Erklärungskraft der politisch-wirtschaftlichen Theorie für richtig. Deswegen wird hier die innerstaatliche Herausbildung von Präferenzen nur mit der politisch-wirtschaftlichen Theorie erklärt.

29 Ebd. S. 24.

30 Sogenannte „positive-sum“ Punkte.

31 Sogenannte „zero-sum“ Punkte.

32 Ebd. S. 25.

Diese nimmt an, dass nationale Präferenzen aus einem Kosten-Nutzen Denken der dominanten innerstaatlichen Akteure hervorgehen und deren themenspezifischen Interessen reflektieren.33 Zwei Elemente führen demnach zur Herausbildung der nationalen Präferenzen:

Erstens der Einfluss der bedeutendsten innerstaatlichen Gruppe, die aus Produzenten aus Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistungen besteht und sich gegen schwächere Gruppen wie Konsumenten, Steuerzahlern, der restlichen Welt und zukünftigen Produzenten durchsetzen kann. Der von diesen Produzenten ausgeübte Druck auf die Regierung versteht Moravcsik als Hauptgrund für die Formierung der nationalen Präferenzen.34

Außerdem nimmt er an, dass Politiken stärker auf die Lobbygruppen ausgerichtet sind, die konzentrierte, intensive und klar vorherrschende Interessen haben, statt auf diejenigen, deren Interessen diffus, unsicher und unterrepräsentiert sind.35

Zweitens wägen laut Moravcsik Regierungen verschiedene Gesichtspunkte eines Problems auf europäischer Ebene, beispielsweise Tierschutz gegenüber Industrieinteressen, in gleicher Weise untereinander ab, wie sie das auf innerstaatlicher Ebene tun würden. Dies beweist Moravcsik mit Hinweis auf vier Sachgebiete Landwirtschaft, Industrie, Regulierungsabbau und Geldpolitik.36

Moravcsik’s fünf Hypothesen aus seiner politisch-wirtschaftlichen Theorie

Insgesamt folgert Moravcsik die innerstaatliche Willensbildung aus der politisch-wirtschaftlichen Theorie heraus und stellt Hypothesen zu fünf verschiedenen Bereichen auf:

Erstens worauf die Präferenzen der Nationen beruhen, zweitens warum es zu einer Änderung dieser Präferenzen kommt, drittens inwieweit die Europäische Integrationspolitik mit der weiteren Außenpolitik des Landes übereinstimmt, viertens welche Akteure den internen politischen Prozess dominieren und fünftens auf welcher Hauptargumentation die interne Entscheidungsfindung beruht.37 Demnach erwartet die politische Wirtschaftstheorie von Moravcsik folgendes:

Die Präferenzen der Nationen lassen sich aus ihren wirtschaftlichen Interessen ableiten: „On the first dimension, cross-issue and cross-national variation, the political economic approach predicts that national positions will vary by issue and by country, following the nature and intensity of economic incentives“.38

33 Ebd. S. 26.

34 Ebd. S. 36.

35 Ebd. S. 39.

36 Ebd. S. 37.

37 Ebd. S. 28 und 49f.

38 Ebd. S. 49.

Die Präferenzen der Nationen werden sich ändern, wenn sich ihre wirtschaftlichen Interessen durch wirtschaftliche Ereignisse oder inneren Politikwechsel ändern. “On the second dimension, timing, shifts in preferences should follow the onset and precede the resolution of shifts or trends in economic circumstances. Changes in European policy should correlate with major changes in economic circumstances or domestic policy reversals.”39

Die EU Politik eines Nationalstaates wird mit seiner unilateralen, bilateralen und globalen Politik übereinstimmen und sich nicht nur an Sicherheitsfragen orientieren. „On the third dimension, policy consistency and negotiating demands, we should expect that governments will pursue a regional EC policy consistent with their unilateral, bilateral, and global multilateral policies rather than one consistent with their geopolitical policies.”40 Diese Dimension ist für diese Arbeit natürlich irrelevant.

Bei der Formulierung der nationalen Präferenzen werden die wirtschaftlichen Interessengruppen gemeinsam mit regierenden Parteien den innerstaatlichen Konflikt um die Formulierung der nationalen Präferenzen gewinnen. „On the fourth dimension, domestic actors and cleavages, the political economic theory predicts that economic interest groups and economic officials, along with ruling parties and chief executives, will take the lead in formulating policy.” 41

Bei der Entscheidungsfindung soll der Diskurs der Eliten von wirtschaftlichen und nicht von sicherheitspolitischen Argumenten geprägt werden. “On the fifth dimension, negotiating demands and salient concerns in domestic policy discourse, the political economic theory predicts confidential policy discourse among top decision-makers about the efficient attainment of economic objectives.”42 Auch diese Dimension kann in dieser Arbeit nicht verwendet werden.

Für den Zweck dieser Arbeit sind somit lediglich die erste, zweite und vierte Dimension von Belang. Die dritte und fünfte Dimension untersuchen das Spannungsfeld von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, das in dieser Arbeit nicht existiert und können deshalb verworfen werden.

Einer Anwendung der drei anderen Hypothesen auf die Fragestellung dieser Dissertation steht dagegen nichts entgegen. Es ist möglich, die erste und vierte Hypothese zusammenzulegen, da die eine die nationalen Präferenzen aus den wirtschaftlichen Beweggründen herausfolgert und die andere wirtschaftliche Interessengruppen als dominante Kraft im Inneren eines Landes bezeichnet.

39 Ebd. S. 50.

40 Ebd. S. 50.

41 Ebd. S. 50.

42 Ebd. S. 50.

Demnach erklärt sich die innere Willensbildung der Nationalstaaten folgendermaßen: Die dominanten wirtschaftlichen Interessengruppen werden den innerstaatlichen Konflikt gewinnen und die nationalen Präferenzen bestimmen. Änderungen erfolgen lediglich falls sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern oder ein Politikwechsel erfolgt.

3. Zwischenstaatliches Verhandeln