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TEIL II: DER ABLAUF DER 7. KOSMETIKRICHTLINIE

C) Das Parlament verkehrt den Vorschlag der Kommission in der ersten Lesung in sein Gegenteil

3. Die Akteure im Parlament

Das Parlament und die grundsätzliche Einstellung der Fraktionen zur Kosmetikpolitik

In seiner fünften direkt gewählten Legislaturperiode, von 1999 bis 2004, tendierte das Parlament eher in die liberal-konservative Richtung. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei, EVP, verfügte über 232 Sitze, die Fraktion der Sozialisten, PES, über 175. die Fraktion der Liberalen, ELDR, über 53, die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken, GUE, über 49, die Grünen über 45, die Fraktion der Union für ein Europa der Nationen über 23 und die Fraktion für ein Europa der Demokratie und Unterschiede über 18. Dazu kamen 31 allein stehende Mitglieder, die nicht in einer Fraktion organisiert waren.

295 Ebd. S. 148.

296 Ebd. S. 149.

297 Ebd. S. 121.

Das Verhältnis der einzelnen Fraktionen zur Industrie sowie dem Tier- und Verbraucherschutz ist unterschiedlich ausgeprägt. Für die Grünen sind die letzteren beiden Kernthemen ihrer Identität. Die Sozialdemokraten sympathisieren mit dem Tier- und Verbraucherschutz, räumen den Interessen der Industrie aber einen größeren Stellenwert als die Grünen ein. Die GUE steht den Interessen der Industrie sehr skeptisch gegenüber. Die Liberalen verfügen über einen sehr starken Industrie- und einen sehr starken Verbraucherschutz- und Tierschutzflügel, was unterschiedlichste Ergebnisse ermöglicht. Der Verbraucherschutz wird als wichtig angesehen, aber stärker auf Belastungen für die Industrie untersucht. Die Konservativen halten Verbraucher- und Tierschutz für wichtig, betonen aber die Bedeutung der wirtschaftlichen Interessen.

Die PES und ihre Berichterstatterin Roth-Behrendt: Das Vermarktungsverbot durchsetzen Die PES lag voll auf der Linie von Roth-Behrendt und unterstützte ihren Bericht. Hauptziel war die Durchsetzung des Vermarktungsverbotes. Die Gruppe agierte inhaltlich weitgehend geschlossen, aber es gab auch Differenzen. Die französischen Sozialisten standen dem geplanten Vermarktungsverbot skeptisch gegenüber. Im Laufe des Verfahrens sollte sich diese Frage zur Bruchstelle entwickeln und die französischen Sozialisten zur Abspaltung von der Mehrheitslinie bewegen.

Da Politik von und unter Menschen ausgehandelt wird, kommt dem menschlichen Faktor ebenso große Bedeutung zu. Die Berichterstatterin der Kosmetikrichtlinie wurde Roth-Behrendt, die bei allen Akteuren, ob Freund oder Gegner, einen sehr guten Ruf genießt. Sie gilt als sehr kompetent, mit viel Erfahrung und einem guten Netzwerk.298 „Frau Roth-Behrendt war sehr wichtig. Sie ist stark im Verhandeln, kannte das Dossier ausgezeichnet und steht als Vollblutpolitikerin gerne im Kreuzfeuer.“299

Ihre Ernennung zur Berichterstatterin der 7. Kosmetikrichtlinie am 19. Juni 2000 war weder innerhalb der PES noch des Parlaments umstritten. „Es gab keine Konkurrenz wer Berichterstatter der Richtlinie wird. Roth-Behrendt hatte schon die 6. Richtlinie verabschiedet, war Koordinatorin und unumstritten.“300 Die Grünen waren mit der Wahl ebenso zufrieden, da Roth-Behrendt nicht als industrienah gilt. „Um der Sachen willen ist es besser, wenn die Durchsetzung von einer großen Partei erfolgt. Wäre der Berichterstatter ein

298 Übereinstimmende Haltung fast aller Beamten der Kommission und des Parlaments, der Diplomaten, Lobbyisten der Industrie und des Tier- und Verbraucherschutzes und Abgeordneten des Parlaments.

299Gesprächpartner aus Kommission und Parlament.

300Gesprächpartner aus Kommission und Parlament.

industrienaher Sozi, wäre das ein Horror, wäre der Berichterstatter ein grüner Konservativer, wäre es ein Traum.“301

Die Position der EVP: Ja zum Tierschutz, aber Industrieinteressen berücksichtigen

Die Ausgangsposition der EVP in Bezug zur 7. Kosmetikrichtlinie bestand aus zwei Elementen. „In erster Linie ging es der EVP um einen strikten Tierschutz, das war wichtiger, aber die Lösung sollte für die Industrie praktikabel und anwendbar sein.“302 Die EVP war der Gegenpart von Roth-Behrendt und versuchte neben dem Tierschutz auch die Industrieinteressen zu berücksichtigen. Das galt insbesondere für die Durchsetzung von drei Tiertests, bei denen längere Fristen bis zum Eintritt des Vermarktungsverbotes gelten sollten (die so genannten drei Ausnahmen).

Die Position der EVP hat sich im Verlauf des Verfahrens kaum geändert, wenngleich sie unterschiedlich in den beiden Lesungen agierte. In der ersten Lesung vertrat sie eine strengere Position, die aber gegen die anderen Parlamentsparteien gerichtet war. Die Konfliktlinie im Parlament bis zur zweiten Lesung kann als eine rechts-links Spaltung zwischen den Parteien, bezeichnet werden. In der zweiten Lesung ging es der EVP dann darum, die Industrie einzubinden und gemeinsam gegen den Rat Stellung zu beziehen. Die EVP verfügte einerseits über eine starke Stellung, da Roth-Behrendt sie für das Erreichen von 314 Stimmen in der zweiten Lesung brauchte und daher zu einem Kompromiss bereit war. Andererseits wurde diese starke Position durch die Spaltungstendenzen der EVP unterminiert.

Verschiedene Persönlichkeiten waren für die EVP in das Verfahren involviert: Garcia Tormo (Sp) agierte als Schattenberichterstatterin und Florenz (D) als Koordinator im Ausschuss. Die wichtigsten EVP Befürworter für einen strengen Tierschutz waren Fleming (Ö) und Bowies (UK). Im letzteren Fall erklärt sich das dadurch, dass Gegner des Tierschutzes in Großbritannien aufgrund der starken Tierschutzlobby politisch massiv Probleme bekommen können. Nistico und Fatuzzo (beide Italien) setzten sich dagegen stärker für die Wirtschaftsinteressen ein.

Die konservativen und liberalen Abgeordneten konnten in ihrer Haltung zum Tierschutz in drei Kategorien eingeteilt werden: „Erstens Wirtschafthardliner, denen der Tierschutz egal ist und für die alles was der Wirtschaft hilft gut ist. Zweitens echte Tierschützer wie beispielsweise Frau Fleming (EVP-Ö) und drittens wirtschaftsnahe Leute, die Angst vor der Öffentlichkeit hatten und deswegen dagegen gestimmt haben.“303

301 Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

302 Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

303Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

Interessant sind die Fälle der französischen und britischen Abgeordneten. Erstere, weil ihr Land am meisten zu verlieren hatte, letztere, weil in Großbritannien die stärkste Tierschutzlobby in Europa beheimatet ist: „Die französischen Abgeordneten waren gegen die 7. Richtlinie, trauten sich aber nicht dagegen auszusprechen, da das Parlament insgesamt dahinter stand.“304 Trotzdem sollten eine Mehrheit der französischen Sozialisten und eine Minderheit der französischen Konservativen gegen die Richtlinie stimmen. Der Widerstand von Grossetete, Fraktionsvorsitzende der französischen Konservativen, wird als eher moderat beurteilt. Lediglich Bernie (F/EDD) kämpfte stark für die Interessen der Industrie, aber er verfügte kaum über Glaubwürdigkeit, da er von einer schwachen Gruppe kam und sich im Parlament noch keinen Namen gemacht hatte.305 Die Emotionalität des Themas und die starke Sensibilität für Tierschutzfragen in Großbritannien führten dazu, dass sich industrienahe britische Abgeordneten nicht so stark auf der Seite der Industrie engagieren konnten.

Die Position der ELDR: Der engste Verbündete von RB

Die ELDR wollte das Vermarktungsverbot durchsetzen und stimmte gemeinsam mit der PES, teilweise auch mit den Grünen und der Linken gegen die EVP. Der Verbraucherschutz hatte eine niedrigere Priorität. Die ELDR verfügt über einen starken Tierschutzflügel und einen sehr starken Industrieflügel. Mit ein Grund, warum die ELDR so stark auf Seiten von Roth-Behrendt und des Tierschutzes stand, lag im Engagement zweier wichtiger ELDR Parlamentarier begründet: Dem Schattenberichterstatter Davies (UK, LibDem) war diese Richtlinie eine Herzensangelegenheit.

Die Position der Grünen: Den Verbraucherschutz in drei Punkten verstärken

Das Vermarktungsverbot war natürlich auch für die Grünen der entscheidende Punkt. Aber die Grünen positionierten sich als die Partei, die den Verbraucherschutz am stärksten verschärfen wollte. Sie hatten drei Ziele: Im Zentrum stand das Verbot der CMR Stoffe der Kategorie 1 und 2, das sie in der ersten Lesung erreichen wollten. Daneben versuchten die Grünen aber auch eine verbesserte Informationspflicht der Unternehmen und ein Verbot von Duftstoffen für Kosmetika für Kinder und weibliche Intimpflege durchzusetzen.

„Die Wichtigkeit der Punkte muss man relativ sehen. Roth-Behrendt hatte das Tierschutzthema mit der Vermarktungsverbotsregelung zu 90 Prozent besetzt. Die konnte man da schlecht rechts oder links überholen. Die Grünen haben Roth-Behrendt nach Kräften unterstützt. Es wäre vergebliche Liebesmüh gewesen, da die Fristen etwas zu verkürzen zu

304Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

305 Gesprächspartner aus Kommission und Parlament.

versuchen. Von daher haben sich die Grünen auf den Verbraucherschutz gestürzt und hatten dort das Monopol.“306 Wichtige Parlamentarier der Grünen waren Kenna (UK), de Roo (NL) und Breyer (D).

Die Position der Linken

Die Linke votierte fast immer mit den Grünen und entwickelte kaum eigene Initiativen.