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TEIL II: DER ABLAUF DER 7. KOSMETIKRICHTLINIE

C) Das Parlament verkehrt den Vorschlag der Kommission in der ersten Lesung in sein Gegenteil

IV. Die erste Lesung im ENVI Ausschuss

1. Einführung in den Verfahrensablauf und die Positionen der Akteure

Innerhalb des Ausschusses gab es eine starke Mehrheit für die grundsätzliche Position von Roth-Behrendt, das Vermarktungsverbot wieder einzuführen und die Richtlinie für Verbraucherschutzpunkte zu öffnen.

Die Fraktionen standen sich in folgenden Koalitionen gegenüber: Die Grünen und die GUE versuchten den Entwurf im Tier- und Verbraucherschutz zu verschärfen, die EVP zielte dagegen auf eine industriefreundlichere Ausrichtung ab. Die EVP war allerdings in einigen Punkten gespalten, da einige der deutschen und britischen EVP-Angeordneten Roth-Behrendt unterstützten. Die ELDR wählte meist mit der PES, stand aber einen Tick näher an der Industrie. Nachdem die Abstimmungen um die einzelnen Anträge beendet waren, nahmen alle Fraktionen den Bericht fast einstimmig an: 46 Mitglieder stimmten dafür, 3 enthielten sich, keiner stimmte dagegen.

Es folgt eine Kurzdarstellung der Abstimmungsregeln und Diskussionen im Ausschuss, des Vorschlages von Roth-Behrendt sowie der Übersicht über die Anzahl der Anträge der Ausschussmitglieder. Danach analysiert eine thematische Auflistung die Auseinandersetzung um die unterschiedlichen Änderungsanträge, wobei auch die unterlegenen und verfallenen Anträge mit einbezogen werden. Schließlich folgt eine Untersuchung der verlorenen Anträge bevor das Resultat der Ausschussphase der ersten Lesung gezogen wird.

Abstimmungsregeln und der Unterschied zwischen Erwägungen und Artikeln

Jeder Abgeordnete kann einen Antrag stellen, über den im Ausschuss abgestimmt wird. Sollte er eine einfache Mehrheit erhalten, erfolgt die Aufnahme in den Bericht. Wenn ein Artikel oder eine Erwägung einmal geändert wurde, so verfallen alle anderen auf ihn zielenden Anträge. Wichtig ist der Unterschied zwischen Erwägungen und Artikeln in einer Richtlinie.

Erwägungen besitzen im Gegensatz zu Artikeln keine rechtliche Verbindlichkeit. Es ist möglich, dass man eine Änderung nur in die Erwägungen hineinschreibt, ohne sie in den Artikeln zu wiederholen. Dies führt dann zu keiner rechtsverbindlichen Regelung, setzt aber ein politisches Zeichen im Sinne einer Symbolpolitik.

Die Diskussionen im ENVI Ausschuss

Der ENVI Ausschuss hatte eine erste Diskussion über den Vorschlag von Roth-Behrendt am 27.2.2001. Die meisten Parlamentarier zeigten sich dabei als heftige Gegner des Vorschlages der Kommission. Selbst konservative oder liberale Abgeordnete, die man wirtschaftsnäher einordnen würde, standen zwischen grundsätzlicher Unterstützung des Vermarktungsverbotes oder leichter Abschwächung.331

Die Kommission versuchte sich zu verteidigen, indem sie auf die drei miteinander zu vereinbarenden Ziele, Verbraucherschutz, Tierschutz und Einhaltung der internationalen Verpflichtungen hinwies und die Bedeutung der wissenschaftlichen Beweise unterstrich.332 Die Kommission war sich noch im Oktober 2000 in einem internen Briefing nicht über das Ausmaß der Gegnerschaft im Ausschuss sicher und resümierte zutreffend: „The key question is whether there will be a strong opposition to Mrs. Roth-Behrendt draft report“.333 Allerdings sollte diese Opposition im Parlament nicht auftauchen.

Der Entwurf von Roth-Behrendt

Roth-Behrendt brachte 20 Änderungsanträge334 am Kommissionsvorschlag in den Ausschuss ein.335 Ihre wichtigste Forderung war ein Vermarktungsverbot von Kosmetika in der EU, die auf Tieren getestet wurden, obwohl Alternativmethoden zur Verfügung stehen, spätestens aber fünf Jahre nach Annahme dieser Richtlinie.336 Außerdem verlangte sie ein Tiertestverbot für Bestandteile von Kosmetikprodukten sobald Alternativmethoden zur Verfügung stehen, in jedem Fall aber ab dem 31.12.2004. Sie rief in Erinnerung, dass es bereits ein Tiertestverbot für Fertigerzeugnisse seit der fünften Richtlinie gab, das schlecht umgesetzt wurde und somit nicht eine weitere Frist, wie von der Kommission angestrebt, erhalten sollte, sondern gleichzeitig mit der Richtlinie in Krafttreten müsste.337 Außerdem sollten Hersteller damit werben können, dass sie Produkte verkaufen, die ohne Tiertests entstanden sind.338

331 European Commission, Secretariat-General, Directorate E, Summary Record of Committee on the Environment, Public Health and Consumer Policy on 26 and 27th February 2001, SP (2001)630, Brussels, 7.3.2001.

332 European Commission, GD Enterprise, Koeninger, Carvalho, „Flash report“, Environment Committee, 7th Amendment to the Coemstics Directive, 27.2.2001, p. 1-2.

333 Commission Européenne, Briefing pour rencontre entre le Commissaire Liikanen et CFTA le 18 octobre 2000, 17.10.2000, p. 10.

334 Zehn davon betrafen Änderungen in den Erwägungen und zehn in den Artikeln.

335 Europäisches Parlament, Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik, Vorläufig 2000/0077 (COD), PE 297.227, ***I Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur siebten Änderung der Richtlinie 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über kosmetische Mittel, Berichterstatterin Dagmar Roth-Behrendt, 12.

Januar 2001, S. 1–30.

336 Antrag 11.

337 Beide Antrag 12.

338 Antrag 16.

Neben der Tierschutzproblematik öffnete Roth-Behrendt die Richtlinie für den Verbraucherschutz. „Mir waren sämtliche Verbraucherschutzpunkte genauso wichtig wie die Tierschutzpunkte. Die Industrie hat mich besonders wegen der Verbraucherschutzpunkte nicht gemocht.“339 Sie forderte ein Verbot von CMR Stoffen, sofern das SCCNPF nicht nachweisen kann, dass ihre Verwendung unbedenklich ist.340 Die im Gegensatz zum späteren Verlauf des Verfahrens sanftere Regelung der CMR Stoffe zu Beginn resultierte aus der Tatsache, dass ein vom SCCNPF angefordertes Gutachten noch nicht vorlag. Daher konnten

„wir bei der CMR Frage nicht so hinlangen wie wir wollten und haben auf das Gutachten gewartet.“341 Weiterhin verlangte Roth-Behrendt die Einführung eines Mindesthaltbarkeitsdatums nach dem Öffnen für Produkte, die länger als 30 Monate haltbar sind.342 Kosmetikprodukte für Kinder und weibliche Intimpflege sollten einer gesonderten Risikoanalyse unterworfen werden.343 Dazu forderte Roth-Behrendt die Einführung und Etikettierung von Grenzwerten (0,1% bei abwaschbaren344 und 0,001% bei nicht abwaschbaren345 Stoffen) für die Verwendung der 26 vom SCCNPF identifizierten Allergene samt einem Warnhinweis.346 Die Riechstoffe sollten ihre Sonderstellung dagegen behalten dürfen.347

Die Anträge der Ausschussmitglieder

Abgeordnete aus vier Fraktionen brachten 45 Anträge ein:348 Acht Abgeordnete der EVP scheiterten mit ihren 18 Anträgen damit, den Bericht industriefreundlicher zu gestalten. Die beiden Abgeordneten Patricia McKenna und Hiltrud Beyer der Grünen zielten mit 13 gemeinsamen Anträgen darauf ab, den Tier- und Verbraucherschutz zu erhöhen und hatten mit fünf davon Erfolg. Chris Davis von der ELDR unterstützte die Linie von Roth-Behrendt und versuchte mit seinen sechs angenommenen Änderungsanträgen Besorgnisse der Industrie zu zerstreuen. Torben Lund von der PES verstärkte mit zwei erfolgreichen von acht

339 Dagmar Roth-Behrendt, Mitglied des Europäischen Parlaments, deutsche Sozialdemokratin und Berichterstatterin der 6. und 7. Kosmetikrichtlinie, Telefoninterview am 30.1.2007.

340 Antrag 11.

341 Dagmar Roth-Behrendt, Mitglied des Europäischen Parlaments, deutsche Sozialdemokratin und Berichterstatterin der 6. und 7. Kosmetikrichtlinie, Telefoninterview am 30.1.2007.

342 Antrag 14.

343 Antrag 17.

344 Rinse-off.

345 Leave-on.

346 Anträge 15 und 19.

347 Antrag 15.

348 Europäisches Parlament, Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik, PE 297.227/21-65, Entwurf eines Berichts von Berichterstatterin Dagmar Roth-Behrendt, Kosmetische Mittel, Anträge 21 bis 65, 8. März 2001, S. 1-40.

eingebrachten Änderungsanträgen den Verbraucherschutz durch die Einführung einer Informationspflicht von Herstellern über die Bestandteile ihrer Produkte.

Die Anzahl der Abstimmungen

Bei einigen Anträgen erfolgte auf Wunsch einer Fraktion eine Aufspaltung des Antrages in mehrere Teile über die dann separat abgestimmt werden kann. Der gegensätzliche Fall einer Fusion ist ebenso möglich, wenngleich seltener. Beide Fälle haben sich auch im Verfahren der 7. Richtlinie ereignet. Die Aufspaltung der Anträge führt zu einer höheren Anzahl von Abstimmungen, als ursprünglich Anträge existieren, da die einzelnen Teile als eigene Anträge betrachtet werden können. Um die Anzahl der Kampfabstimmungen, wo unterschiedliche Fraktionen verschiedener Meinung waren, zu ermitteln, wird zuerst die Anzahl der Anträge berechnet. Danach wird untersucht wie viele Anträge geteilt oder fusioniert wurden. Von dem Ergebnis werden dann die einstimmig verabschiedeten Anträge „en bloc“ sowie die zurückgezogenen und verfallenen Anträge subtrahiert.

Insgesamt wurden im Ausschuss 73 Anträge beraten: 20 von der Berichterstatterin, 45 von den Fraktionen und acht aus dem IETR Ausschuss. Vier der Anträge wurden geteilt,349 zwei weitere gedrittelt.350 Damit erhöhte sich die Anzahl der Abstimmungen von 73 auf 81.

Zwei Abstimmungen fanden wegen Rückzug des Antrags nicht statt351 und 22 verfielen während der Abstimmung.352 Damit standen den Abgeordneten insgesamt 57 Anträge bzw.

Antragsteile zur Abstimmung, von denen 23 einstimmig angenommen353 und einer einstimmig abgelehnt354 wurde. Die restlichen 33 waren zwischen den Fraktionen hart umkämpft: 14 wurden positiv355 und 19 negativ356 beschieden.

Die EVP verlor zwölf Abstimmungen vereint357 und fünf gespalten.358 Außerdem votierte die EVP gegen vier Anträge einer Minderheit der eigenen Partei, da sie diese Anträge in ihrer Radikalität nicht billigte.359 Die Grünen und die GUE scheiterten an acht Abstimmungen360

349 Anträge 6, 11, 39 und 41.

350 Anträge 63 und 64.

351 Anträge 19 und 21.

352 IETR 1, 2, 3 und 8 sowie die Anträge 22, 23, 24, 25, 35, 36, 40, 41 (Teil 1), 43, 44, 45, 56, 57, 59, 62 und 64 (Teil 1), 64 (Teil 2) und 64 (Teil drei).

353 IETR 5, 6, und 7 sowie die Anträge 1-4, 6 (Teil 2), 7-10, 11 (Teil 2), 14, 15, 17, 18, 20, 26, 27, 33, 39 (Teil 2), und 63 (Teil 1).

354 IETR 4.

355 Anträge 6 (Teil 1), 11 (Teil 1), 12, 13, 16, 38, 46, 50, 51, 53, 54, 58, 63 (Teil 2) und 63 (Teil 3).

356 Anträge 28, 29, 30, 31, 32, 34, 37, 39 (Teil 1), 42, 47, 48, 49, 52, 55, 60, 61 und 65.

357 Anträge 5, 6 (Teil 1), 38, 41 (Teil 2), 46, 51- 54, 58, 63 (Teil 2) und 63 (Teil 3).

358 Anträge 11 – 13, 16 und 50.

359 Anträge 28 und 47 – 49.

360 Anträge 30 – 32, 34, 39, 55, 60 und 65.

und verloren zwei weitere gemeinsam mit der PES.361 Eine Minderheit der PES scheiterte gemeinsam mit den Grünen und der GUE in zwei weitere Abstimmungen an Abgeordneten der eigenen Fraktion.362 Die ELDR befand sich dagegen niemals auf der Verliererseite.