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Der Institutionalismus kristallisiert sich aus einem Vergleich der beiden Ansätze Supranationalismus

TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN

B) Der Institutionalismus von Tsebelis

II. Die Abgrenzung von Tsebslis Ansatz gegen Intergouvernementalismus und Supranationalismus

3. Der Institutionalismus kristallisiert sich aus einem Vergleich der beiden Ansätze Supranationalismus

Tsebelis arbeitet seine institutionelle Theorie aus der Gegenüberstellung von Intergouvernementalismus und Supranationalismus heraus. In einem ersten Schritt erklärt er, warum formale, institutionelle Wechselbeziehungen von Akteuren so wichtig sind. In jeder Spieltheorie gibt es drei Konzepte, die das Agieren von Menschen umfassen: Die Akteure (individuell oder kollektiv), ihre Strategien (die die Ergebnisse ihre Interaktionen bestimmen) und die Abmachungen (die sie am Ende der Interaktionen miteinander schließen). Die meiste Aufmerksamkeit konzentriert sich auf Strategien, die von der Abfolge der Aktionen, den Optionen, die zur Wahl stehen und dem Informationsstand der Spieler abhängen. Für Tsebelis sind es gerade die Institutionen und ihre Regeln, die diese Zwänge, unter denen die Akteure stehen, bereitstellen: Sie schreiben vor was richtig und falsch ist. Sie verlangen, dass die Gesetzgebung von der Kommission ausgehen muss und von Parlament und Rat entschieden werden. Institutionen bestimmen die verfügbaren Optionen der Akteure, die Abfolge der Aktionen und die Information, die sie besitzen. Unterschiedliche institutionelle Strukturen beeinflussen Strategien von Akteuren und führen zu verschiedenen Ergebnissen ihrer Interaktionen. Daher können Institutionen als unabhängige Variable studiert werden um zu sehen wie sie Ergebnisse beeinflussen oder als abhängige Variable um zu sehen wie bestimmte Institutionen gewählt werden.95

In einem zweiten Schritt vergleicht er die Sichtweise der beiden Theorien auf die Bedeutung der Institutionen: Laut Tsebelis konzentrieren sich Intergouvernementalisten in erster Linie auf Vertragsrevisionen und behandeln die Struktur der EU als abhängige Größe. Die Struktur

93 Ebd. S. 364.

94 Ebd. S. 385 bis 387.

95 Ebd. S. 384f.

der EU wird wie bei Moravcsik nur als Verpflichtung der Staaten zur Integration begriffen, anstatt die detaillierten Interaktionen unter den vier EU Institutionen und ihre Auswirkungen auf die Politikergebnisse zu analysieren. Supranationalisten dagegen sehen die EU Institutionen nicht als abhängige Variable, sondern als Akteure die Entscheidungen treffen und die Richtung der europäischen Integration bestimmen. Aber die Supranationalisten stützen sich zu stark auf neofunktionalistische Konzepte (wie der spill-over) und unterlassen eine Analyse der möglichen Strategien und Zwänge der Akteure. Mit anderen Worten, sie untersuchen Institutionen nicht als Erzeuger von Ergebnissen, da die Supranationalisten dies als nicht vorhersehbar und zu abhängig betrachten.96

Beide Ansätze unterscheiden sich damit nicht nur in der Bedeutung, denen sie den Regierungen zugestehen, sondern auch welchen Stellenwert sie den europäischen Institutionen zugestehen. Die institutionelle Untersuchung von Tsebelis hat demonstriert, dass der intergouvernementale Fokus nur auf die Verträge eine vorherige Studie der alltäglichen Realitäten dieser Verträge, dem EU-Alltag, voraussetzt, während dem supranationalen Ansatz eine bessere Struktur und Klarheit fehlen.97

Um nun den eigenen Ansatz deutlich zu machen, unterteilt Tsebelis die gegenwärtige Forschung der EU in drei Gruppen: Intergouvernementalisten, Supranationalisten und Institutionalisten (wie ihn), die in zwei Dimensionen unterschieden werden können:

In der ersten Dimension steht die Bedeutung der Institutionen und Regierungen im Mittelpunkt. Intergouvernementalisten nehmen nur die Interaktionen der Regierungen der Mitgliedsstaaten zur Kenntnis. Supranationalisten und Institutionalisten vertreten dagegen die Auffassung, dass die europäischen Institutionen durch ihre Vielzahl an Gesetzen, Urteilen und Implementierungen den Weg der europäischen Integration jeden Tag mit beeinflussen und lehnen die Sicht der Intergouvernementalisten mit ihrem Fokus auf Vertragsrevisionen dagegen ab.98

Bei der zweiten Dimension, die sich auf die Zielgerichtetheit der EU konzentriert, unterschieden sich die drei Ansätze in anderen Koalitionen: Für die Supranationalisten war der Weg der europäischen Integration keine bewusste Wahl der Akteure, sondern ein Produkt der spill-overs. Dieser Einschätzung stehen Intergouvernementalisten und Institutionalisten gemeinsam ablehnend gegenüber. Laut Intergouvernementalisten wissen die Regierungen, die die Verträge unterzeichnen, genau wo sie hinwollen. Die Institutionalisten teilen diese

96 Ebd. S. 385.

97 Ebd. S. 385.

98 Ebd. S. 385.

Annahme, sofern alle Teilnehmer unter Bedingungen perfekter Information arbeiten, was am Ende eines EU-Gesetzgebungsprozess wahrscheinlich ist.99

Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen Intergouvernementalisten und Institutionalisten in dieser Frage, da erstere die institutionelle Struktur der EU nur als abhängige Variable betrachten, die ein Produkt der Vertragsrevisionen darstellt. Tsebelis hat aber demonstriert, dass es unmöglich ist die Auswahl einer institutionellen Struktur zu analysieren, bevor man nicht die Konsequenzen von unterschiedlichen institutionellen Strukturen versteht. Zuerst muss daher die Untersuchung der institutionellen Konsequenzen erfolgen, bevor eine Analyse zur Auswahl von Institutionen stattfinden kann.100

Der Institutionalismus von Tsebelis beruht damit auf einer Analyse der Institutionen der EU, nicht irgendwelcher Regierungskonferenzen oder anderer gestaltloser Prozesse. Nur die Analyse dieser Institutionen bestimmt welche Präferenzen und Verhalten der Regierungen und transnationalen Eliten wichtig sind.101 Nur wenn die Auswirkungen der institutionellen Regeln auf die Wechselbeziehungen unter diesen Institutionen analysiert werden, kann man den Integrationsprozess als Ganzes und die Politikergebnisse, die jeden Tag in der EU produziert werden, verstehen.102

Tsebelis hat dabei den Anspruch sowohl die Vertragsrevisionen, als auch die alltäglichen Entscheidungen der EU mit seiner Theorie analysieren zu können. „National governments are not the only important decision makers in the EU. The Commission of the European Communities and the European Parliament also play important legislative roles. It is only by analyzing the effects of institutional rules on the interactions among these institutions that one can understand the policies that are produced every day in the EU and hence the nature of the integration process itself.“103

Bereits bei der Abgrenzung seines Ansatzes vom Funktionalismus und Intergouvernementalismus wird deutlich, dass Tsebelis eine Mittelposition einnimmt. Er verwirft die Vorstellungen der Intergouvernementalisten, wonach die Entscheidungen lediglich vom Rat getroffen werden und die europäischen Institutionen lediglich Zaungäste sein sollen, die aus den ihnen von den Verfahrensregeln zugestandenen Rechten keinen Gebrauch machen können. Allerdings verweigert er sich auch der von ihm kritisierten

99 Ebd. S. 385-7.

100 Ebd. S. 386.

101 George Tsebelis and Amie Kreppel, European Journal of Political Research, “The history of conditional agenda-setting in European institutions”, Vol. 33, No. 1, January 1998, p. 56.

102 Geoffrey Garrett and George Tsebelis, International Organisation, „An institutional critique of intergovernmentalism“, Vol. 50, No. 2, Spring 1996, p. 294.

103 Ebd. S. 294.

Ungenauigkeit der funktionalistischen Ansätze. Stattdessen betont er die Bedeutung der Institutionen und ihrer Regeln bei den Entscheidungsprozessen. Diese Vorstellungen präzisiert er in seiner Vetospielertheorie.

III. Die Vetospielertheorie