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Point of Departure: Arbeitsteilung und Hierarchie

will have to be responsible either to some form of constitutionally planned review and exposure or

2.1 Point of Departure: Arbeitsteilung und Hierarchie

Die Feststellung, dass Organisationen die Gesellschaft dominieren, mag uns heute nur allzu einsichtig erscheinen. Lange wurden diese als quasi monolithische Konzepte be-trachtet, die dem Willen einer nicht näher bestimmten Führung gehorchen. Blickt man über die Schulter zurück auf die wirtschaftswissenschaftlichen und auch politologischen Konzepte seit der industriellen Revolution, erkennt man, dass sich erst in den letzten 30 bis 40 Jahren verstärkt eine Perspektive entwickelt hat, aus der heraus die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Ausgestaltung von Freiräumen in Organisationen erkannt und um-zusetzen versucht wird. Mit diesen Sichtweisen entstanden neue Denkweisen und Kon-zepte, die den ansteigenden Anforderungen der Individualität gerecht werden sollten. Hier soll zunächst untersucht werden, aus welcher Perspektive die verschiedenen Modelle und Schulen das Thema Gegenmacht bzw. Widerstand in Organisationen betrachten. Des Wei-teren wird abgeleitet, wie diese Freiräume bewertet und legitimiert werden bzw. welche ausgewählten Organisationsformen und Management-Konzepte zur Steuerung der Indivi-dualität vorgeschlagen werden.

2.1 Point of Departure: Arbeitsteilung und Hierarchie

Die Betrachtungen zu den umwälzenden Prozessen der industriellen Revolution und der Phase der ökonomischen Expansion des ‚hundertjährigen Friedens‘ (1814-1914) dienen nicht einfach nur der historischen Erkenntnis. Seltsam viele Modelle aus dieser Epoche haben sich in unser Denken eingebrannt und steuern noch immer unsere Wahrnehmung und unser Han-deln. An dieser Stelle sei etwa das berühmte Stecknadelbeispiel von Adam Smith (2013: 9ff.) genannt, das vielfach als Begründung für Arbeitsteilung und Hierarchie dient. Der Tayloris-mus bzw. das Scientifi c Management gelten noch immer als grundlegende Erkenntnisse und sind nach wie vor fi xe Bestandteile des Ausbildungskanons der Betriebswirtschaftslehre.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2017

A. Al-Ani, Widerstand in Organisationen • Organisationen im Widerstand, Organisation und Gesellschaft, DOI 10.1007/978-3-658-12570-7_2

Auffällig an der Phase der industriellen Revolution und des nachfolgenden Scienti-fi c Managements waren die generellen politischen Bestrebungen, die Freiheiten, die der Einzelne etwa durch ein recht fortschrittliches Armengesetz in England (Speenhamland-Gesetz 1795) hatte, zurückzudrängen und ihn in die „satanische Mühle“ der industriellen Revolution zu pressen. Offensichtlich waren die Lebensbedingungen auf dem Lande und die dortigen traditionellen Institutionen um ein vielfaches angenehmer als die Umstände, die man in den urbanen Arbeiterslums und den Fabriken mit ihrem gesundheitsschädi-genden Arbeitspensum vorfand.8 Deshalb mussten die traditionellen Institutionen zerstört werden, um den Einzelnen an die Maschine zu zwingen.9 Der österreichische Ökonom Karl Polanyi, der im englischen Exil in den 1940er-Jahren sein Standardwerk über diese Umbruchphase schrieb, identifi zierte diese Zerstörung als eine Grundvoraussetzung für die Herrschaft des Marktes:

„This is the meaning of the familiar assertion that a market economy can only function in a market society.“ (1944: 57)

Ein weitreichendes Ergebnis dieser Marktrevolution war, dass das Arbeitsvermögen des Individuums als Ware, als Produktionsfaktor betrachtet werden konnte. Die problemati-sche Haltung, die Arbeit des Menproblemati-schen und auch die Natur als eine Commodity zu be-trachten, steht im krassen Kontrast zu der Beobachtung, dass Gesellschaften im Grunde immer wieder versuchten und versuchen, die Kräfte des Marktes mit gesellschaftlichen Regeln und Institutionen zu zügeln.10 Ironischerweise scheinen aber gerade die Alimentie-8 England besaß mit dem Speenhamland-Gesetz von 1795 eine Art ‚bedingungsloses‘ Grund-einkommen, das an den Brotpreis gekoppelt und auch als Lohnzuschuss effektiv war. Die Arbeitsverpflichtungen der Armen als Gegenleistungen wurden oftmals eher lax gehandhabt.

Neben negativen ökonomischen Effekten, behinderte dieses Gesetz die Herausbildung eines Arbeitsmarktes. Allerdings: „No measure was ever more universally popular. Parents were free of the care of their children, and children were no more dependent upon parents; employ-ers could reduce wages at will and laboremploy-ers were safe from hunger whether they were busy or slack […]“ (Polanyi 1944: 79). Erst mit dem zentralisierten „Poor Law“ von 1843 wurde dieses

„Right to Live“ abgeschafft (Ebd.).

9 Für Polanyi (1944: 163) war dies ein Vorgang, der immer beobachtbar war, wenn die Moderne auf traditionelle Gesellschaftsinstitutionen traf: „The natives are to be forced to make a living by selling their labour. To this end their traditional institutions must be destroyed, and preven-ted from re-forming, since as a rule the individual in a primitive society is not threatened by starvation unless the community as a whole is in a like predicament.“ Ein faszinierendes Bei-spiel hierfür ist etwa die Ablehnung moderner Schulreformen durch traditionelle Handwerker im 19. Jahrhundert in Neuengland. Den Handwerken war klar, dass diese neuen Schulen ihre Kinder auf die Arbeit in der modernen Fabrik vorbereiten sollten, was sie ablehnten (Katz 2001: 84ff.).

10 Siehe hier die wirtschaftshistorische Diskussionen von North (1981) und vor allem Polanyi (1944, 1979), der Marktbeziehungen als relativ neue Entwicklung in der Geschichte betrachte-te. Polanyis Sichtweise, dass Märkte vor der industriellen Revolution kaum vorhanden waren bzw. stark reglementiert wurden, wurde natürlich immer wieder kritisiert. So wirft

McClos-rung und Subvention der armen Massen ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Durchbruch des Kapitalismus gewesen zu sein, was damals natürlich nicht erkannt wurde.11

Das Thema der Zurückdrängung individueller Autonomie kann als ein weiteres zentra-les Element dieser Phase betrachtet werden. Wurde das Individuum zunächst entwurzelt und entkulturalisiert,12 um es zu brechen, wurde es nun in extrem arbeitsteilige Prozes-se hineingezwängt. Aufbauend auf den ErkenntnisProzes-sen der friderizianischen Militärre-form und des Stecknadelbeispiels vom Adam Smith, entwickelte der Techniker Frede-rick Taylor ein System, das vor allem darauf beruhte, die Verantwortung vom Arbeiter

key (1997) Polanyi vor, dass er das Ausmaß der Marktregulierungen überschätzt bzw. Märkte als nicht mehr gegeben sieht, sobald diese gesellschaftlichen Reglementierungen unterworfen werden. Damit wird die Argumentation zumindest verkompliziert, da nun festgestellt werden müsste, ab welchem Regulationsausmaß ein Markt aufhört, ein Markt zu sein. North (1981:

41ff.) ist hier präziser und weist darauf hin, dass Polanyi Märkte als preisbildende Märkte ver-stand und außer Acht ließ, dass jede freiwillige vertragliche Bindung über Märkte zuver-stande kommt, selbst wenn diese reglementiert und administriert werden.

11 Damit steht also nicht die Ausbeutung der Armen als wesentliches Element des Übergangs zum Kapitalismus im Vordergrund, sondern eher die Steigerung der Masseneinkommen und damit die Schaffung von Absatzmärkten für effiziente Serienproduktionen, die das eigentliche Markenzeichen des Kapitalismus sind. „Die Armengesetze haben kapitalistische Akkumula-tion begünstigt, aber nicht durch die Vergrößerung des verfügbaren Überschusses, sondern durch die Stärkung der Nachfrage nach Gütern, die mithilfe von Technologien kostengüns-tig unter Nutzung großer Serien mit Maschinen hergestellt wurden“ (Elsenhans 2012: 78).

Schließlich wurden die Steuern, mit denen die Armengesetze finanziert wurden, ja auch vom privaten Sektor bezahlt. Die Agrarunternehmer mit mittleren und großen Betrieben bezahlten sogar doppelt. Einmal durch die Übernahme der Kosten des Überlebens der Armen und dann noch durch die Zahlung einer Lohnsubvention, die vom Umfang der Arbeitsleistung und dem erbrachten Grenzprodukt abhing.

12 Eine Methode, die auch heute noch in ihrer ausgeprägtesten Form in der Militärorganisation angewendet wird: „Insofern sie (die Kontrollprozeduren) dem Rekruten klar machen wie sehr er sich nun unabhängig von seinem zivilen Status in einer neuen Gesetzesumwelt mit eigenen Gesetzen befindet und wie sehr er die neuen ihm von der Militärinstitution angebotene Ver-haltensorientierung und Identifikationsmöglichkeiten benötigt, um nicht den Verlust seiner inneren Selbstsicherheit […] zu riskieren. Diskulturation auf den unteren Ebenen können wir auch Enthumanisierung nennen.“ (Krippendorf 1985: 153) Diese Diskulturation war bei der Einordnung der Arbeiter unter die Hierarchie natürlich auch wesentlich, wenngleich oft subti-ler, da in westlichen Gesellschaften der Weg über die Propagierung entsprechender kultureller Werte genommen werden musste: „So labor unions have by now been virtually wiped out in the United States, in part by a huge amount of business propaganda, running from cinema to almost everything, and through a lot of other techniques as well. But the whole process took a long time – I’m old enough to remember what the working class culture was like in the United States: there was still a high level of it when I was growing up in the late 1930’s. It took a long time to beat it out of workers’ heads and turn them into passive tools; it took a long time to make people accept that this type of exploitation is the only alternative, so they’d better just forget about their rights and say, ‚Okay, I’m degraded’.” (Chomsky et al. 2002: 250)

zum Manager zu transferieren.13 Damit dies gelingen konnte, wurden die Arbeitsabläufe des Arbeiters genau abgemessen und beschrieben und seiner Arbeitskraft entsprechend

‚eingepasst‘. Durch diese extreme Arbeitsteilung sollte ein technologisches Optimum erzielt werden. Die Aufteilung in immer kleinere Arbeitspartikel wird aus dieser Sicht eigentlich nur mehr durch die Größe des Marktes limitiert. Bei genauerer Betrachtung erkennt man bei diesen historischen Modellen einige Unklarheiten, vor allem aber eine ausgesprochene Radikalität, die offensichtlich von den Umständen gefordert wurde. Diese extreme Sichtweise schlägt sich wohl nicht zufällig bis auf das Psychogramm von Tay-lor, dem Erfi nder des Scientifi c Managements, nieder.14 Nicht nur ist das mentale Setting seines Erfi nders recht bemerkenswert, bei näherer Betrachtung entpuppt sich auch das Thema der technologischen Effi zienz, die als Hauptlegitimation diente, als nicht ganz ein-deutig. In dem Aufsehen erregenden Artikel What do Bosses do? machte Stephen Marglin in den 1970er-Jahren ganz andere Kräfte für Hierarchien und Arbeitsteilungen dieser Pha-se des Kapitalismus verantwortlich. Marglin analysierte das berühmte Stecknadelbeispiel von Smith, in dem dieser die Vorteile der Spezialisierung anhand eines extrem arbeits-teiligen Produktionsablaufes darstellte und kommt zu ganz anderen Schlussfolgerungen:

„A workman with his wife and children, could have proceeded from task to task, fi rst dra-wing out enough wire for hundreds of thousands of pins, then straightening it, then cutting it, and so on with each successive operation, thus realizing the advantages of dividing the overall production process into separate tasks.“ (1974: 70)

Indem man die Tätigkeiten also in einen effi zienten sequenziellen Ablauf bringen könnte, wäre die extreme Arbeitsteilung gar nicht notwendig: die Tätigkeiten könnten genauso gut in einer Gruppe nacheinander ausgeführt werden.

Wenn es also zunächst nur wenige technologisch begründete Argumente gab, die Spe-zialisierung immer weiter voranzutreiben, und man frühzeitig erkannte, dass dies zulasten des Individuums aber auch der Innovationskapazitäten geht, was war dann der Grund für 13 Vgl. für Taylor z.B. Kieser/Kubicek (1978: 117ff.). Umfassender und kritischer auch Morgan

(1986: 19-33).

14 Um dessen Motivation und Beweggründe besser zu verstehen, kommt man nicht umhin, ihn als ‚anal-fixierten‘ Kontrollfreak zu bezeichnen, der komplexe Systeme der Beherrschung ent-warf, um sich selbst bzw. sein Leben in den Griff zu bekommen. Taylors Verhaltensweisen wa-ren wohl selbst nach damaligen Standards ‚auffällig‘: „On cross country walks the young Fred would constantly experiment with his legs to discover how to cover the greatest distance with a minimum of energy […]. And as an adolescent, before going to a dance, he would be sure to make a list of the attractive and unattractive girls likely to be present, so that he could spend equal time with each. Even during sleep this same meticulous regulation was brought into operation. From about the age of twelve Taylor suffered from fearful nightmares and insom-nia. Noticing that his worst dreams occurred while he was lying on his back, he constructed a harness of straps and wooden points that would wake him up whenever he was in danger of getting into this position. In later years he preferred to sleep in an upright position.“ (Morgan 1986: 205)

die andauernde Popularität und Dominanz des Arbeitsteilungsmodells seit der industriel-len Revolution? 15 Zum einen muss darauf hingewiesen werden, dass die Massen keines-falls freiwillig in die Fabriken strömten, sondern dass dies zumeist unter strukturellem und konkretem Zwang geschah. Unter solchen Umständen liegt es auf der Hand, dass mehr Ressourcen und Aufmerksamkeit in die ‚Disziplinierung‘ bzw. in die Einengung von Freiheitsräumen gelegt werden musste. Dies wird umso deutlicher, als Smith in sei-nen Modellen keinesfalls von komplexen Tätigkeiten spricht, sondern von sehr einfachen (Stecknadeln, Mühlen etc.), bei denen der Druck zur Spezialisierung nicht offensichtlich ist. Des Weiteren kann angefügt werden, dass dem Produktionsprozess neue Bevölke-rungsgruppen, d.h. Frauen und Kinder, zugeführt wurden, und hier besondere Regulie-rungen und NormieRegulie-rungen notwendig machten. Marglin kommt allerdings, aufgrund der wenig überzeugenden Argumente für eine tiefe Arbeitsteilung à la Smith, zu einer ganz anderen Schlussfolgerung:

„In my view the reason lies in the fact that without specialization, the capitalist had no es-sential role to play in the production process. If each producer could himself integrate the component tasks of pin manufacture into a marketable product, he would soon discover that he had no need to deal with the market for pins through the intermediation of the putter-outer. He could sell directly and appropriate to himself the profi t […]. Separating the tasks assigned to each workman was the sole means by which the capitalist could […] remain essential to the production process as integrator of these separate operations into a product (…).“ (1974: 70)

Der Arbeitsprozess wurde also unterteilt, um dem Kapitalisten die Rolle des Integrators zuzuweisen, der die kleinteiligen Arbeitsinputs koordinierte, zusammensetzte und ver-marktete. Hierarchie und Spezialisierung waren also auch Mittel, um die Dominanz einer neuen Kaste, die der Manager, abzusichern. Nun ist es natürlich nicht so, dass Hierarchie und Spezialisierung Erfi ndungen des kapitalistischen Systems sind. Im Allgemeinen wa-ren aber jene Hierarchien und Spezialisierungen, die mit dem Kapitalismus eingeführt wurden, viel undurchlässiger: In der vorkapitalistischen Gesellschaft waren die Gilde-arbeiter in der Regel für das Produkt und den Arbeitsprozess verantwortlich und nicht völlig entkoppelt von dem Endprodukt ihrer Arbeit. Ebenso war natürlich auch die Wirt-schaft dieser GesellWirt-schaften hierarchisch organisiert. Aber diese Hierarchien waren eher fl ach und weniger als undurchlässige Pyramiden aufgebaut. Der Einzelne fi ng als Lehrling an und konnte es über den Verlauf der Zeit bis zum Meister bringen. Im Kapitalismus kann

15 Smith selbst waren die negativen Folgen der Arbeitsteilung sehr wohl klar und er schilderte in einem weiter hinten stehenden – und vielleicht oft übersehenen – Kapitel in Wohlstand der Nationen diese durchaus drastisch: “Jemand, der tagtäglich nur wenige Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand auszuüben. […]. So ist es ganz natürlich, daß er verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann.“ (2013: 662)

der Arbeiter selten zum Manager aufsteigen.16 Zudem waren die Grenzen zwischen den Hierarchieebenen in der vorkapitalistischen Zeit viel fl ießender, da der Meister genauso wie der Lehrling in die Produktion involviert war (A.a.O.: 63f.).17

Es bleibt anzumerken, dass die Kritik an dieser ‚Teile und Herrsche‘-Doktrin durch die Herausbildung von Fabriken mit ihren immer komplexer werdenden Produkten und Produktionsabläufen wenig Platz hatte bzw. die Legitimation von Arbeitsteilung und Hie-rarchie durch die wachsende Komplexität der Fertigungsabläufe zunächst verstärkt wurde.

Die Thesen von Taylor wurden dann beispielsweise von Henry Ford in seinen Autofab-riken in das Maschinenzeitalter übertragen. Allerdings ergänzte dieser das Konzept um eine wichtige gesellschaftliche Komponente. Der große fordistische Kompromiss nach dem zweiten Weltkrieg sah vor, dass die erzielten Gewinne nicht nur in neue Maschinen investiert werden sollten, sondern auch zur Erhöhung der Löhne und damit zur Steige-rung der Kaufkraft für die produzierten Güter (Kühl 2004: 30). Wir können an dieser Stelle festhalten, dass die Rolle des Individuums in dieser Phase der kapitalistischen Ent-wicklung auf extreme, sehr eindimensionale Positionen reduziert wurde: Die menschliche Arbeitskraft ist eine Ware. Menschen müssen aufgrund ihrer Faulheit, ihres Widerwil-lens und ihrer Disziplinlosigkeit durch extra geschaffene Leitungsfunktionen und extrem feingliedrige Arbeitsschritte kontrolliert und angeleitet werden. Bemerkenswert ist auch – wenn auch nicht überraschend –, dass diese vorgeblich situative Organisationsform, die von bestimmten Faktoren und Rahmenbedingungen abgeleitet wurde (in diesem Fall tech-nologische Effi zienz), den Machtfaktor bzw. die Dominanz über andere Individuen in sich trägt, wenngleich dies verdeckt und nur mit Mühe zu erkennen ist.18

Abgerundet wurde die Normierung und Dekulturalisierung des Individuums in der Unternehmung durch die Unterdrückung oder Ausgrenzung all seiner Leidenschaften und Emotionen, die nicht auf den unmittelbaren Gelderwerb und die monetäre Nutzenmaxi-mierung ausgerichtet waren. Das uns heute so seltsam blutleer erscheinende Konzept des Homo oeconomicus fand in dieser Zeit seine wohl größte Entsprechung. Die Idee, die vor allem von Bernhard Mandeville in seinen Ausführungen zum Dextrous Management und anschließend von Adam Smith ausformuliert wurde, legte fest, dass es für eine Gesell-schaft zuträglich sei, wenn alle irrationalen LeidenGesell-schaften, Begierden und Laster unter-drückt würden, mit Ausnahme der „Interessen“ an ökonomischen Vorteilen (Hirschman 16 Daran hat sich bis heute prinzipiell nicht viel geändert: „Der Arbeiter hat sich dennoch

kei-neswegs, wie manchmal behauptet wird, in den gleichberechtigten ‚Wirtschaftsbürger‘ ver-wandelt. Noch immer liegt die Wahrscheinlichkeit, für Arbeiterkinder, wieder Arbeiter zu werden, in Deutschland bei deutlich über 50 Prozent, das heißt, weit über dem Wert, der sich bei gleicher Chancenverteilung ergäbe. […] Die Arbeiterschaft als soziale Kategorie hat sich keineswegs in Luft aufgelöst.“ (Deutschmann 2002: 218)

17 Vgl. hier die eindrucksvolle Beschreibung der Veränderung und Radikalisierung von einzel-nen Berufsgruppen in Hobsbawms (1999) Uncommon People.

18 „Under socialism, no less than under feudalism and capitalism, the primary determinant of basic choices with respect to organization of production has not been technology – exogenous and inexorable – but the exercise of power – endogenous and resistible.“ (Marglin 1974: 112)

1980: 40). Damit sollte eine Welt erschaffen werden, die beständig und vorhersehbar ist:

„Interest will not lie“ (A.a.O.: 1980: 51). Damit wurden – ohne dass dies vielleicht zu-nächst intendiert war – wichtige methodische Kategorien eingeführt, die die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften noch immer begleiten und die geradewegs hin zu den immer noch verwendeten Annahmen über das rationale Verhalten von ökonomischen Akteuren führten, die erst später von Simon in eine beschränkte Rationalität abgeschwächt wurden.

Das materielle Interesse – und nicht irrationale Leidenschaften – sollten also das Leben angenehmer machen, indem es zu einer Verfeinerung der Sitten und Gebräuche beitrug.

Wie schon Montesquieu feststellte:

„Es ist eine nahezu allgemeingültige Regel: überall, wo milde Sitten herrschen, gibt es Han-del, und überall, wo es Handel gibt, herrschen milde Sitten.“ (1991: 326)19

Dies war also die Begründung für die nun auch philosophisch festgelegte eindimensionale Persönlichkeit des Menschen. Diese Auffassung, die uns heute so fremd erscheint, ent-sprang der

„[…] tiefsten Unruhe, welche die unabsehbaren und allgegenwärtigen Gefahren einer be-stimmten historischen Epoche hervorriefen, – aus der Besorgnis über die zerstörerischen Kräfte, die von menschlichen Leidenschaften – mit einer Ausnahme – entfesselt wurden:

mit der Ausnahme, wie es damals schien, der ‚harmlosen‘ Habsucht: Kurz, der Kapitalis-mus sollte gerade das erreichen, was bald als seine übelste Eigenschaft verurteilt wurde.“

(Hirschman 1980: 141)20

Die Vorstellung des in die Maschinenorganisation eingepassten Menschen war also um-fassend. Um die Unwilligen in die Fabriken zu zwingen, mussten Organisationen und Managementkonzepte entwickelt werden, welche die Menschen, die sich in den traditio-nellen Institutionen einigermaßen behaglich gefühlt hatten, zwangen, Tätigkeiten

Die Vorstellung des in die Maschinenorganisation eingepassten Menschen war also um-fassend. Um die Unwilligen in die Fabriken zu zwingen, mussten Organisationen und Managementkonzepte entwickelt werden, welche die Menschen, die sich in den traditio-nellen Institutionen einigermaßen behaglich gefühlt hatten, zwangen, Tätigkeiten