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Kognitiver Surplus als neue Motivationskraft

Die neuen Organisationsformen der Wirtschaft 5

5.2 Kognitiver Surplus als neue Motivationskraft

Durch die beschriebenen Innovationskapazitäten der Netzwerke bzw. der verwendeten Crowd Intelligence, scheinen die Commons-basierten P2P-Plattformen in der Lage zu sein, einen Nutzen zu generieren und freie Produzenten zur Mitarbeit zu bewegen, ob-wohl die P2P-Organisationen zumeist keine Gehälter bezahlen. In diesem Sinne muss das Label ‚freie‘ Produzenten natürlich mit einem gewissen Vorbehalt verwendet werden, da der Peer, wenn er für seine Mitarbeit an der Commons nicht entlohnt wird, seinen Unter-halt in der Markthierarchie, im staatlichen Sektor oder durch staatliche Transferzahlungen erzielen muss. Die soziale Produktion stellt somit eine Art Post-Management-Organisa-tion dar, die neben dem Modell der staatlichen und marktlichen Hierarchie existiert und gleichzeitig von dieser abhängig ist (Shirky 2008: 42ff). Dieser schwer zu quantifi zierende

„kognitive Surplus“ (Shirky 2010) an Zeit,131 wird heute von Wirtschaft und Politik kaum genutzt – sonst wäre er ja kein Surplus – und zumeist in wenig produktive und kommu-nikative Aktivitäten wie beispielsweise Fernsehen gelenkt (Shirky 2010: 11ff.). Diese Ka-pazitäten sind das Resultat erfolgreicher kapitalistischer Prozesse, die eine Art Plentitude (McCloskey 2006: 24f.) geschaffen haben:

„Today ordinary people have the time to enjoy those amenities of life that only the rich could afford in abundance a century ago. These amenities broaden the mind, enrich the soul, and relief the monotony of earnwork. Today people are increasingly concerned with the meaning of their lives.“

Nach McCloskey hat die Verringerung der Ausgaben für Basisgüter von 80 Prozent auf 20 Prozent im durchschnittlichen amerikanischen Haushalt die Basis für ein Improvement of Mind geschaffen. Wobei natürlich nicht alle Kapazitäten entsprechend ‚sinnvoll‘ ge-nutzt werden:

„[…] a lot of it is spend on rap music rather than Mozart, alas; and on silly toys rather than economics courses, unfortunately.“ (Ebd.)132

131 Zu dem schwierigen Versuch einer solchen Quantifizierung vgl etwa Al-Ani/Stumpp (2015:

132 In den ärmeren Ländern ist dieser Surplus natürlich nicht oder nur in geringem Maße vorhan-13).

den. Alle Ressourcen müssen für das nackte Überleben eingesetzt werden. Aus Sicht dieser Länder wird der Surplus des Nordens vor allem in seiner Kapitalakkumulation ausgedrückt:

„The current crisis of capitalism is that there is surplus liquidity. In other words, the rich have so much wealth that they have exhausted places to store it. If not invested its value depreciates.

Und diese Personen haben Interessen, die im hierarchischen Modell nicht verwirklicht werden können. Dazu tragen nicht nur die Restriktionen des hierarchischen Modells und der selektive Zugang über Eigentumsrechte bei, auch die Überedukation der Mittelschicht fördert Interessen und Motivationen, die heute zumeist brach liegen (Howe 2009: 37ff.).

Im durchschnittlichen Universitäts- bzw. Hochschul-Curriculum werden nicht nur Spe-zialthemen gelehrt, sondern vermehrt auch eine breite Allgemeinbildung vermittelt, die im traditionellen Modell nicht genutzt bzw. abgerufen werden kann, wie wir bei der Be-trachtung der Nutzung der Interessen von Mitarbeitern durch das traditionelle Modell bereits festgestellt haben. Diese Entwicklungen wurde in den letzten Jahren noch weiter verschärft, da Unternehmen bei einem Überangebot an Arbeitskräften oft die Strategie verfolgen, auch für wenig anspruchsvolle Tätigkeiten, hohe Qualifi kationen zu fordern (siehe Kapitel 2.8.):

„The result is that a large number of people are performing their most meaningful and rewar-ding labor away from the workplace.“ (A.a.O.: 39)

Vieles spricht dafür, dass sich die Peers aus dem von dieser Überedukation profi tierenden Mittelstand, und hier vor allem aus der Berufsgruppe der Wissensarbeiter, rekrutieren.

Der Mittelstand, wie McCloskey (2006: 82) am historischen Beispiel der Niederlande auf-zeigt, war zudem schon immer von den moralischen Widersprüchen des Geldverdienens am meisten geplagt, in dem Sinne, dass es nur die Möglichkeit gab, reich oder beliebt zu werden. Die moralischen Widersprüche der Marktvereinbarung sind oft schmutzig, viele Hände müssen geschüttelt werden.133 Allerdings besitzt der Mittelstand jene Fähigkeiten und Ressourcen, die notwendig sind, einen ‚Beitrag‘ zu leisten:

„A hungry peasant or a well-heeled aristocrat has, as we say, no issue with money or con-sumption […]. But the middenstand live with the ambiguities of materialism. They have so very much of that matter, after all, and know how it was earned.“ (Ebd.)

So kann die Mitarbeit an sinnvollen Commons durchaus ein entlastendes Ventil sein. Ge-rade wenn diese Arbeit Spaß, unter Umständen auch Reputation mit sich bringt, man sich

This is what has led to land grabbing and investment in grain futures market. This is why we see record amounts being spent on art […]. This is why we see car companies pushing zero per cent financing.“ (Moorsom 2012)

133 Die Reaktionsweisen der niederländischen Mittelsicht auf diese vom Markt geforderten Ver-haltensweisen äußern sich etwa in einer Stilisierung des Heimes als einen ‚reinen‘ (Rückzugs-) Ort, der im Gegensatz zu den Marktpraktiken steht: „The family houshold was the saving grace of the Dutch culture that otherwise would have been indelibly soiled (sic) by materia-lism“ (Schama 1987: 388). Und McCloseky (2006: 83) ergänzt: „The Dutch home has soap and towels and moral clarity. The market entails carefully judged degrees of trust, orders of ability, the relativity of a price. At home the man retreats to the sacred absolutes of love, obligation, power. We say it is his castle, Het Slot, where he is no longer required to calculate and deal.“

Aufgaben selber auswählen und einteilen kann, und wenn die Leistung und das Wissen mehr zählt, als der Status (Jahnke/Prilla 2009: 135f.). Ein weiterer motivatorischer Vor-teil der P2P-Modelle ist, dass diese Modelle oftmals eine heimelige Atmosphäre für ihre Mitglieder schaffen, welche die Hemmschwelle für einen Beitrag niedrig hält, und diese an sehr fundamentale Motivationsmechanismen appellieren: Das Nahe ist gegenständ-licher, fassbarer. Hier kann Motivation sehr direkt wirken: vertraute Umgebung, vertraute Gegenstände und vor allem das Arbeiten in einer angebbaren Gruppe Gleichgesinnter bzw. -motivierter. Das Direkte motiviert direkt, im Gegensatz zur Arbeit in einer anony-men, arbeitsteiligen Organisation.134 Zudem repräsentieren die mittelständischen Wissens-arbeiter jene Berufsgruppe, deren Produktivität und Möglichkeiten durch die Nutzung von Plattformen bzw. Netzwerken am meisten gestiegen ist und die sich in diese neuen Orga-nisationsstrukturen optimal einpassen bzw. diese nutzen können (Back/Heidecke 2009:

95ff.). Zusätzlich zu dieser Motivationsfähigkeit der neuen Modelle konnten unendlich viele inhaltliche Themen gefunden werden, die das Interesse der Beteiligten widerspie-geln. Diese Nutzung neuer inhaltlicher Themenbereiche abseits ausgetretener Pfade bzw.

existierender Property Rights ist auch möglich, weil es eine Besonderheit des Kapitalis-mus ist, dass der wirtschaftliche Bereich nur lose mit den anderen Teilsystemen der Ge-sellschaft zusammenhängt und deshalb außerhalb der Wirtschaft immer wieder Impulse generiert werden, die gänzlich neu und innovativ sein können.135

Diese, wie auch immer hervorgerufenen, Interessen und Leidenschaften sind also die wahren Treiber der P2P-Ökonomie. Mit wenig Risiko und unter Einsatz vorhandener Mit-tel (Computer, Netzwerke, Zeit) kann das Individuum endlich jene Projekte verwirklichen, zu denen es eine unmittelbare Motivation hat. Die Möglichkeiten potenzieren sich, da die P2P-Organisationsform außerhalb der traditionellen hierarchischen Modelle und restrik-tiven Property Rights existiert. Eigentumsrechte sind in der traditionellen Ökonomie zu-meist exklusiv und limitieren den Zugang des Menschen zu Ressourcen. Sie legen fest, wie

134 Der Mensch hat, evolutionär bedingt, scheinbar große Abstraktionsleistungen zu vollbringen, um sich in großen und aggregierten Populationen zu behaupten. Seine Motivation ist den über-wiegenden Teil seiner zwei Millionen Jahre langen Evolutionsgeschichte immer kleingruppen-orientiert gewesen. Das Leben in großen Entitäten geht zulasten seiner direkten Motivation (Es ist leichter, ein Glas in die Hand zu nehmen, als zu denken: „Aus den Augen aus dem Sinn!“). Man kann hier offenlassen, ob die Peer-to-Peer-Ökonomie kleine handlungsfähige Gruppen nachbildet, die eine direkte Motivation erlauben, oder ob sie eine neue Art der Ins-titution darstellen, die „das Uneinfühlbare scheinbar verständlich machen“ (Claessens 1980:

299). So kann das in der P2P-Welt oft verwendete Small-World-Network-Konzept – das eine enge Verknüpfung von Mitgliedern kleiner Gruppen und eine lose Verbindung dieser Klein-gruppen untereinander vorsieht – die direkte Motivation fördern (Shirky 2008: 216).

135 Diese Impulse können natürlich in jedwede Richtung gehen: „Es ist nicht ausgemacht und im Normalfall auch nicht notwendig, dass von diesen nicht-ökonomischen Bereichen umfassende Strategien zur Stabilisierung von Kapitalismus ausgehen. […] Diese Entkoppelung spiegelt sich wieder in einer kritischen Sicht der nicht-ökonomischen Sphäre auf die ökonomische.

Aufklärung wird möglich, weil das Wirtschaftssystem nicht permanenter Rechtfertigung be-darf“ (Elsenhans 2011: 27).

mit diesen umzugehen ist und beschränken bzw. kanalisieren relevante Informationen und Kooperationsmöglichkeiten. In einer jenseits dieses Systems agierenden, aber mit diesem verbundenen P2P-Produktion, welche Commons nutzt bzw. erstellt und den Zugang zu diesen deshalb weitgehend offen defi niert, hat das Individuum somit mehr Möglichkeiten als jemals zuvor, „mehr für sich, selbst und mit anderen“ zu tun (Benkler 2006: 9). Im Kontrast zu den individuellen Widerstandsstrategien von Gorz (siehe Kapitel 2.2.), die dieser vor der Web-Revolution formulierte, ist die Alternative nicht allein der Rückzug in eine weitgehend private Welt, in der man oft isoliert ist, sondern ein vernetztes Umfeld, in dem man seine Interessen vor allem auch gemeinsam mit anderen Individuen verfolgen kann. Das Individuum entwickelt sich also vom passiven Konsumenten (Couch Potatoe) der 1980er-Jahre zu einem Akteur, der mehr Möglichkeiten und Freiheiten hat:

„Human beings who live in a material and social context that lets them aspire to such things as possible for them to do, in their own lives, by themselves and in loose affi liation with ot-hers, are human beings who have a greater real for their agency. […] These behaviors emerge now precisely because individuals have a greater degree of freedom to act effectively, un-constrained by a need to ask permission from anyone.“ (Benkler 2006: 139)

Auch Gorz selbst kam in seinem letzten Werk zu der Schlussfolgerung, dass dieser Sur-plus ein zentraler Antriebsmechanismus bei der Transformation der Gesellschaft ist und er erkannte auch, dass dieser Überschuss nach einer anderen Art der Organisation und Ökonomie drängt:

„[Es gibt] viel mehr Kompetenzen, Talente und Kreativität […], als die kapitalistische Öko-nomie verwenden kann. Dieser Überschuss an menschlichen Ressourcen kann nur in einer Ökonomie produktiv werden, in der die Schaffung von Reichtum nicht den Rentabilitätskri-terien unterliegt.“ (Gorz 2011: 29)