• Keine Ergebnisse gefunden

Commons basierte P2P-Modelle: soziale Produktion

Die neuen Organisationsformen der Wirtschaft 5

5.1 Commons basierte P2P-Modelle: soziale Produktion

Neben dem Staat und dem Markt betritt nun eine neue Organisationsform die Arena.

Diese basiert auf den Organisationsmöglichkeiten einer Plattform und den Ressourcen un-zähliger Individuen im Netz. Diese Individuen stellen ihre Arbeitskraft zum großen Teil unentgeltlich zur Verfügung, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, das ihnen wichtig erscheint. Diese Organisationsform basiert also zu allererst auf den sozialen Beziehungen, die diese Individuen eingehen, und somit auf genau jener Art der Kooperation, welche die gängigen Organisations- und Führungsansätze oft nicht genau erfassen konnten bzw. als unerklärliche, aber wichtige Restgrößen in ihrer Gleichung aufscheinen ließen – insbeson-dere dann, wenn diese Handlungen vermeintlich nicht-egoistisches Verhalten darstellten.

Diese neue soziale Produktion basiert auf den folgenden Architekturelementen:128

• Freier Zugang zu bzw. Nutzung von Allmende-Ressourcen (Commons). Bei der P2P-Produktion werden in der Regel Commons verwendet, etwa wenn Peer-Projekte auf den Programmcode, öffentliche Patente und die Inhalte anderer Projekte zugreifen bzw. sie eine Art von Pseudo-Allmende-Ressourcen verwenden, die für ihre Nutzer/

innen kostengünstig bis kostenfrei verfügbar sind, wie beispielsweise Zeit- und Com-puter-Ressourcen (Siefkes 2009: 14);

• Die Ergebnisse der P2P-Produktion sind meist wieder Commons und befi nden sich vor allem in der immateriellen Güterwelt. Commons können jedermann, nicht nur der produzierenden Community, zur freien Verfügung stehen und durch entsprechende Property Rights vor der kommerziellen Ausnützung geschützt werden (Peer Property Mode). Damit entsteht ein Gegensatz zu den traditionellen Property Rights, die einen als freie Produzenten/Peers, sondern eher in ihrem Zwang, an der liquiden Plattform des Pull-Unternehmens zu partizipieren, um Geld zu verdienen. Die Arbeitsweisen dieser Freelancer sind denen der Peers technisch sehr ähnlich (Plattformen, Modularisierung etc.), wenngleich die Notwendigkeit des Gelderwerbs natürlich Restriktionen bei der Selbststeuerung aufwirft.

Zu diesen Zwängen vgl. Horowitz (2011).

128 Zu der Definition und den Merkmalen der P2P-Ökonomie vgl. Bauwens (2005a, 2012a). Zu den unterschiedlichen Ausprägungen von Commons in Bezug auf Regeln und Zugang vgl.

Benkler (2006: 61ff.). Praxisbeispiele finden sich in Surowiecki (2007), Shirky (2008), Howe (2009) und Anheier/Nassauer (2012).

exklusiven Nutzen vorsehen. Eine weitere Besonderheit der Commons in dieser Defi ni-tion ist, dass sie durch die Nutzung keinen Schaden nehmen können, wie die vielzitier-te Hardin-Schafweide oder die von Ostrom beschriebene Naturressourcen-Allmende.

Dies deshalb, weil die Allmenderessource in der Informationswelt ein nicht-rivales Gut ist und deshalb durch ein Mehr an Nutzung nicht an Wert verliert, sondern vielmehr an-gereichert und wertvoller wird, also positive Netzwerkeffekte entstehen: „But in the in-formation Commons created through P2P processes, the value of the collective know-ledge base is not diminished by use, but on the contrary enhanced by it: it is governed, in John Frow’s words, by a Comedy of the Commons, or using a similar metaphor, pro-ducing a Cornucopia of the Commons. This is so because of the network effect, which makes resources more valuable the more they are used.“ (Bauwens 2007);129

• Weitgehende Inklusivität der Mitglieder. Viele dieser Peer-Plattformen beschränken den Zugang bzw. die Mitarbeit von Produzenten zunächst nicht (Anti-Credentialis-mus). Erst im Laufe der Zeit kann eine a-posteriori-Filterung auf Basis der Beiträge von Individuen durchgeführt werden (Meritokratie);

• Nutzung von Schwarmintelligenzmechanismen insbesondere bei größeren Gruppen;

• Weitgehendes Fehlen zentraler Kommandostrukturen bzw. anderweitiger Hubs, die Arbeit anordnen können. Vielmehr wird die Governance durch eine P2P-Produzen-tengemeinschaft bzw. durch die Selbststeuerung der einzelnen Beitragenden übernom-men. Dies bedeutet nicht, dass es keine Hierarchien gibt, allerdings sind diese fl exibler, zeitlich begrenzt und vor allem mit der Zielsetzung versehen, größtmögliche Inklusion und Integration zu ermöglichen;

• Nutzung gewisser Regeln und Protokolle, insbesondere bei größeren P2P-Entitäten.

Damit diese Organisationsformen entstehen können, bedarf es dreier wesentlicher struk-tureller Voraussetzungen: Zunächst muss die physische Infrastruktur in der Gesellschaft mehr oder weniger universell verteilt sein. Computer sind als Kapitalgüter dieser Orga-nisation im Eigentum breiter Bevölkerungsschichten, und dieser Kreis übersteigt den von Besitzern von Verlagen, Satelliten, Kabelgesellschaften, Filmstudios usw. um das Viel-fache. Die Infrastruktur muss zudem auch keine Kapitalrenditen erzielen.

Zweitens besteht das verwendete Rohmaterial dieser Ökonomie in der Regel aus öf-fentlich verfügbaren Gütern – bereits existierende Informationen, Wissen und Kultur. Die sozialen Grenzkosten dieser Inputfaktoren sind damit gleich Null. Dies bedeutet wieder-um, dass diese Faktoren für jegliche Zielsetzungen von Individuen verfügbar sein sollten, außer der Gesetzgeber beschließt, diese Güter absichtlich zu verteuern.

Drittens muss eine Organisation in der Lage sein, die zu lösenden Probleme/Aufgaben in einer modularen Art und Weise zu strukturieren, damit es einer großen Anzahl von

129 Die Andersartigkeit der Informationsgüter als Allmende-Ressourcen wurde von Ostrom spä-ter natürlich auch erkannt: „[…] open access to information is a horse of a much different color than open access to land or water […]. With distributed knowledge and information the resource is usually nonrivalous.“ (Hess/Ostrom 2011: 13)

Individuen mit einer großen Bandbreite an Skills und Ressourcen ermöglicht wird, an deren Lösung und Umsetzung mitzuarbeiten und somit neues Wissen, Informationen und Kultur herzustellen. Und zwar in einer Art und Weise, welche die Selbststeuerung des Individuums berücksichtigt:

„These architectures and organizational models allow both independent creation that co-exists and coheres into usable patterns, and interdependent cooperative enterprises in the form of peer-production processes.“ (Benkler 2006: 106)

Wie können derartige Organisationen funktionieren? Das wohl markanteste Erfolgsbei-spiel dieser Strukturform ist die Open-Software-Bewegung. Der Startpunkt dieser P2P-Kooperation ist zumeist eine Person bzw. eine kleine Gruppe von Individuen, die einen Teil einer Software als Prototyp entwickeln, bis zu einem Punkt, an dem das Produkt ver-ständlich ist, aber dennoch viel Raum für Entwicklungsmöglichkeiten bleibt. An diesem Punkt wird das Programm mit seinem Source Code über eine Plattform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Andere Individuen können nun Fehler fi nden oder zusätzliche Funk-tionalitäten vorschlagen. Diejenigen, die Bugs gefunden oder neue FunkFunk-tionalitäten vor-geschlagen haben, müssen aber nicht die besten Personen sein, um diese zu beheben bzw.

in das Programm einzubauen. Auf Basis der Meldung an ein Forum, kann nun auch eine dritte Person den Fehler beheben bzw. die Erweiterungen umsetzen. Das Ergebnis besteht somit aus einer losen Kollaboration zwischen einem Autor, der die Software schrieb, einer weiteren Person, die einen Mangel oder Verbesserungsbedarf aufzeigte, und einer dritten, die diese Vorschläge umsetzte.130 Das Erstaunliche an dieser Zusammenarbeit ist, dass sie ohne wesentliche Managementaufwände auszukommen scheint:

„This collaboration is not managed by anyone who organizes the three, but is instead the out-come of them all reading the same Internet-based forum and using the same software, which is released under an open, rather than proprietary, license. This enables some of its users to identify problems and others to fi x these problems without asking anyone’s permission and without engaging in any transaction.“ (A.a.O.: 67)

Es sind nun bereits über 100.000 derartiger Projekte mit über einer Million Anwendern registriert (Ebd.). Sehr ähnlich funktioniert die Wikipedia Enzyklopädie. Diese Plattform gibt jedem die Möglichkeit, Beiträge zu editieren. Auch hier gibt es wieder unterschied-liche Rollen: Personen die Beiträge editieren, Individuen, die Anmerkungen und Fehler melden etc. Die Beiträge sind Commons bzw. auf einer öffentlich zugänglichen, kosten-freien Plattform gespeichert.

130 Zu der Funktionsweise von Open Software vgl. z.B. Benkler (2006: 66ff.), Seebald (2008:

11ff.), Shirky (2008: 234-247), Howe (2009: 107), Bauwens et al. (2012: 184-194).

Die Vorrausetzungen bzw. die Entstehung von P2P-Organisationen scheinen aber nicht allein organisatorischer und technischer Natur zu sein, vor allem die Motivation der bei-tragenden Individuen ist eine gänzlich neue Kraft.