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Konstitution und Regeln der Peer-Gruppe

Die neuen Organisationsformen der Wirtschaft 5

5.3 Konstitution und Regeln der Peer-Gruppe

Obschon neue Medien die Potenziale in Bezug auf die Reichweite und Vernetzung von Gruppen wie den Commons-basierten P2P-Plattformen stark erweitert haben, stellt sich natürlich die Frage nach der richtigen Größe einer solchen Entität und ob diese kurz- bzw.

langfristig angelegt werden sollte. Dies bedeutet, dass vier verschiedene Kombinationen zur Verfügung stehen. Ein Flashmob ist eine kleine kurzlebige Gruppe, hingegen konsti-tuieren die Peers, die beim Linux-Projekt mitarbeiten, eine große und langfristige Gruppe usw.Die Kerncharakteristika einer kleinen Gruppe sind, dass ihre Mitglieder viel enger miteinander interagieren können, da soziale Dichte leichter ermöglicht wird als in großen Gruppen. Bei dieser Gruppengröße ist es einfacher, kontroversielle Punkte zu erörtern und ein gemeinsames Ziel bzw. Resultat zu erreichen. Kleine Gruppen können also leichter

Vereinbarungen treffen und Shared Awareness erzielen (Shirky 2008: 267). Im Gegen-satz dazu können große Gruppen den schon beschriebenen „Schwarmintelligenzeffekt“

ausnutzen (Anheier/Nassauer 2012). Dabei geht es vor allem darum, dass Individuen, die nicht unbedingt eng verknüpft sein müssen, Ideen und Inhalte generieren, ohne unbe-dingt eine Übereinkunft miteinander treffen zu müssen. Im Gegenteil, die Kriterien für Schwarmintelligenz sind Meinungsvielfalt (das Individuum muss irgendwelche Informa-tionen haben), Unabhängigkeit (die einzelnen Meinungen sind nicht durch die Meinungen anderer im Umkreis geprägt), Dezentralisierung (Nutzung lokalen Wissens) und Aggre-gation (ein Mechanismus bündelt die Urteile zu einer kollektiven Entscheidung) (Suro-wiecki 2007: 32). Der Nutzen der großen Gruppe ist also ihre Diversität, die ihr die Mög-lichkeiten bietet, möglichst viele Ideen und Einstellungen zu nutzen. Im Gegensatz dazu können kleine Gruppen negativen gruppendynamischen Effekten – wie etwa minimierter Risikoeinschätzung und übereilter Konsensfi ndung bzw. Unterdrückung abweichender Meinungen und Konformitätsdruck – leichter zum Opfer fallen. Große Gruppen haben auch dann Vorteile, wenn ihre Mitglieder innovative Aufgaben übernehmen. Das Bei-spiel Linux zeigt, dass solche Gruppen die Möglichkeit haben, viele Ideen auszuprobieren und dann die beste auszuwählen. Vielen mag dieser grundlegende marktwirtschaftliche Trial-and-Error-Prozess sehr verschwenderisch und ineffi zient vorkommen, dies muss aber nicht zutreffen:

„Und doch: So wie das kontinuierliche Wachstum am freien Markt gerade durch seine Fähig-keiten gesichert wird, viele Alternativen zu erzeugen und sie dann auszusieben, ist bei Linux die scheinbare Verschwendung eine Art Stärke […]. Man kann tausend Blumen erblühen lassen und dann eine, die am süßesten duftende, pfl ücken.“ (A.a.O.: 109)

Und wer pfl ückt diese Blume? Idealerweise würde dies ebenfalls die Menge tun. Wie auch immer dies funktionieren soll, es muss zunächst vorausgesetzt werden, dass es gelingt, Urteile und Inputs zu bündeln und zu zentralisieren. Ohne eine derartige Aggregation kann eine Schwarmintelligenz nicht funktionieren.

Um die Aggregation von Leistungen zu erleichtern und die Effekte beider Typen von Entitäten zu nutzen, kann man auf hybride Modelle zurückgreifen. So kompensiert etwa das Kleine-Welt-Modell (kleine dichte Gruppen, die lose miteinander verbunden sind) die Nachteile großer Gruppen (wenig bilaterale Vernetzung) durch die Vorteile kleiner (enge Abstimmung zwischen den Mitgliedern), sofern es nicht notwendig ist, eine gleichartige Verbindungsdichte über die gesamte Gruppe zu erzielen.

Ein weiteres wichtiges Element bei der Konstitution von P2P-Gruppen ist die Art und Weise, wie ihre Mitglieder integriert sind.136 Unabhängig von deren Größe kann dies eine sehr intensive Art der Inklusion sein, die mehrere Tätigkeitsbereiche beinhaltet (Entwick-lung, Design, Test etc.) oder Teile davon. Am anderen Ende der Tätigkeitsskala stehen Mit-136 Diese Beziehungs- und Interaktionsdichte bestimmt natürlich auch, welche Arten von

techni-schen Plattformen und Tools zum Einsatz kommen sollen (McAfee 2009: 81ff.).

glieder, die über vorformulierte Fragen abstimmen. Da die Arbeit in Plattformen ja immer auch eine bestimmte Motivation, Leidenschaft und ein Skill-Set widerspiegelt, werden sich die Peers oftmals auf jeweils bestimmte Aufgaben spezialisieren. Diese Spezialisie-rung wird uns bei der Analyse der gesellschaftlichen Repräsentanz dieser Gruppen noch weiter beschäftigen.

Obschon die Zusammenarbeit im Netz theoretisch keiner Koordination bedarf, fi nden sich bei komplexeren Gruppen der P2P-Welt durchaus gewisse Regeln, welche die Zusam-menarbeit beeinfl ussen (Jemielniak 2014). Neben der technischen Architektur wirken im-mer auch soziale Normen und Managementregeln (siehe Abbildung 7). Alles zusammen wird oft in einer Art technisch unterstützter Hierarchie umgesetzt (Benkler 2006: 104). So gibt es in Wikipedia einen kleinen Kreis von Personen mit Administratorrechten, die Ac-counts oder User blockieren können, wenn diese destruktives Verhalten aufweisen. Dieses Recht wird aber in der Regel nur ausgeübt, wenn die Möglichkeit der Selbstkorrektur nicht angenommen wurde und zuvor ein informeller und formaler Diskurs in der Community erfolgt ist. Andere Plattformen wie etwa Slashdot versuchen solchem Verhalten ex ante entgegenzutreten, indem sie die Möglichkeiten anderer Mitglieder zu moderieren limi-tieren und die Konsequenzen von Peer-Reviews quasi technisch umgesetzt werden: Ab einer gewissen negativen Bewertung werden automatisch Privilegien zur Moderation und Kommentierung entzogen.

Abbildung 7 Rollen und Regeln der Wikipedia-Bürokratie. Quelle: In Anlehnung an Jemielniak (2014: Pos 513ff.).

Damit wird bereits erkenntlich, dass P2P nicht hierarchiefrei und normenfrei funktioniert.

Es ist auch zu bemerken, dass diese Regeln oftmals mit einer gewissen Zurückhaltung de-fi niert und umgesetzt werden, und dass im Falle von Sanktionen der Peer-Modus ebenfalls wirksam wird, indem möglichst breite Unterstützung für die Maßnahme gesucht wird, womit eine Monopolisierung von Macht verhindert werden soll.