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Funktionsweise der Plattform

Das Individuum rückt in den Vordergrund 4

4.3 Von der Push- zur Pull-Ökonomie:

4.3.1 Funktionsweise der Plattform

Plattformen sind regelbasierte Konstrukte, welche die Verbindung von Benutzern unter-einander und mit Produkten, Dienstleistung und Ressourcen ermöglichen. Hagel et al.

(2010: 75) defi nieren diese Plattformen im weitesten Sinne als eine Art Rahmenwerk „[…]

orchestrating a set of resources that can be confi gured quickly and easily to serve a broad range of needs.“ In der Regel können Nutzer solcher Plattformen Produkte und Dienst-leistungen erfi nden bzw. (mit-) entwickeln93 und auch bereitstellen (z.B.: Veröffentlichung von Texten auf einer Autorenplattform). Nutzer können Produkte und Dienstleistungen abrufen (Online-Kauf eines Buches), aber auch anreichern oder kommentieren (Schrei-ben einer Buchrezension), wodurch ein wertsteigernder Netzwerkeffekt erzielt wird (Dietl 2010: 5). Diese Effekte führen dazu, dass der Wert der Plattform mit der Anzahl der

93 Hagel et al. (2010: 35, 144) unterscheiden hier zusätzlich zu diesen Pull-Plattformen, welche Innovationen durch die Vernetzung und Kollaboration ihrer Nutzer ermöglichen, spezielle De-sign-Plattformen, die mit entsprechenden analytischen Werkzeugen ausgestattet sind, um die Leistungsfähigkeit von Produkten zu verbessern.

Nutzer steigt (Ebd.). Plattformen können zudem zumeist global eingesehen und genutzt werden und weisen eine gewisse Beständigkeit auf (McAfee 2009: 48).94

Plattformen sind zentraler Angelpunkt einer Reaktionsstrategie auf Veränderung in der Art und Weise, wie wirtschaftliche Aktivitäten geplant und umgesetzt werden können.

Für diese veränderten Strategien haben Hagel et al. (2010) den Begriff einer Pull-Öko-nomie geprägt, die im Gegensatz zu der traditionellen Push-ÖkoPull-Öko-nomie ungleich fl exibler und dynamischer agieren kann. Im Unterschied zur Push-Ökonomie, die darauf basierte, Ressourcen auf Basis (vermeintlich) akkurater Nachfragevorhersagen aufzubauen (Push), müssen nun interne und externe Ressourcen sehr schnell anlassbezogen gefunden und integriert werden, um auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren bzw. um beständig Innovationen zu erzielen (Pull). Um diese Flexibilität und Innovationskraft zu erreichen, muss eingestanden werden, dass man nicht mehr über „die“ Kernkompetenzen der Unter-nehmung reden kann, sondern eben auch über die Kompetenzen des Individuums und wie diese mithilfe von Plattformen gefunden, gefördert und vernetzt werden können:

„Rather than molding individuals to fi t the needs of the institutions, institutions will be sha-ped to provide platforms to help individuals achieve their full potential by connecting with others and better addressing challenging performance needs.“ (Hagel et al. 2010: 7f.)

Obschon dies ein Ansatz ist, der ressourcenorientiert erscheint, grenzt er sich doch vom Resource-based View der strategischen Managementlehre ab, weil letzterer vor allem Wert auf den Aufbau „dauerhafter“ Wettbewerbsvorteile durch „interne“ Generierung singulärer Ressourcen legt (Schreyögg 2000: 483). Unter den neuen Rahmenbedingungen lassen sich durch das erratische Umfeld dauerhafte Wettbewerbsvorteile aber oft gar nicht mehr erzielen, und es geht auch nicht mehr ausschließlich um interne Ressourcen, son-dern darüber hinaus um all jene externen Ressourcen, die über eine Netzwerkplattform an einem kritischen Problem arbeiten können (und morgen oder parallel vielleicht an einem

94 Es ist beachtenswert, dass der Begriff der Plattform selbst einer Mutation aus seiner techni-schen Ursprungsverwendung unterworfen ist und von Unternehmen im Verlauf der Zeit auch unterschiedlich bzw. weitläufiger verwendet wird: „In the discourse of the digital industries, the term platform has already been loosened from its strict computational meaning. Through the boom and bust of investment (of both capital and enthusiasm), ‚platform‘ could suggest a lot while saying very little. Microsoft, as just one example, regularly refers to Windows Media as a platform […], developed a ‚Commerce Platform‘ […], described the ‚.Net‘ web services, their move to Internet computing, as a platform […], signaled their embrace of mobile devices by rebranding Windows CE as the ‚Media2Go platform‘ […], and unveiled the ‚next-generation online advertising platform, MSN adCenter‘ in 2005 – as well as consistently using the term in the more traditional computational sense to describe Windows operating system. In fact, nearly every surge of research and investment pursued by the digital industry – e-commerce, web services, online advertising, mobile devices, and digital media sales – has seen the term migrate to it. Though nearly all of these still refer to, if not a computational infrastructure, than at least a technical base upon which other programs will run, certainly the term was already exceeding this semantic boundary.” (Gillespie 2010: 5)

anderen).95 So gehen etwa Unternehmen wie IBM dazu über, Ressourcen für ihre Projek-te nicht mehr inProjek-tern vorzuhalProjek-ten, sondern jeweils exProjek-tern über entsprechende Plattformen fl exibel an sich zu binden:

„Das Projekt ist Teil des bereits laufenden Programms ‚Liquid‘, zu Deutsch ‚fl üssig‘, das die alte, starre Arbeitsorganisation weltweit in eine neue, fl exiblere oder eben auch fl üchtigere Organisation transformieren soll. […] Zu diesem Zweck sollen künftig Kundenprojekte wie etwa die Beratung bei der Modernisierung von Unternehmenssoftware verstärkt von freien anstelle der bisher fest angestellten Mitarbeiter durchgeführt werden. IBM will solche Pro-jekte auf Internetplattformen ausschreiben, wo sich dann auch die ehemals fest angestellten IT-Entwickler um die Jobs bewerben können. Nicht die Arbeit verschwindet, wohl aber die bisherige Form des festen Arbeitsplatzes.“ (Handelsblatt 2012)

Auch traditionelle Fertigungsunternehmen beginnen nun, den Pull-Gedanken umzuset-zen, indem sie Mitarbeiter für Projekte über die Abteilungsgrenzen hinweg zusammen-schließen und sie dann unternehmensartig – man ist versucht zu sagen ‚selbstgesteuert‘

– agieren zu lassen:

„Einigen unserer Mitarbeiter ist aufgefallen, dass schwangere Frauen am liebsten im Lie-gen fernsehen. Als sie ihre Idee vorstellten, haben wir sie freigestellt, damit sie sich diesem Projekt widmen konnten. Sie knüpften Kontakte zu einer chinesischen und einer amerika-nischen Firma und fanden einen Weg, dieses Problem technisch zu lösen – das Bild wird mit einem Miniprojektor an die Decke gebeamt. Das nenne ich ein ‚Mikrounternehmen‘, das einen Nischenmarkt besetzt hat. Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter Unternehmen im Unternehmen gründen.“ (Wirtschaftswoche 2015)

Generell scheint sich die Idee von Plattformen immer mehr durchzusetzen. Dies auch des-halb, weil immer klarer wird, dass derjenige Marktmacht erzielt, der die Kontrolle über Plattformen ausübt:

„Some fi rms have already acted on the insight that digital platforms are crucial for their futures. One is Trumpf. Another is Klöckner, a metals trader, which has created a platform to connect steelmakers with construction fi rms and other customers. Germany’s engineering and manufacturing giants, too, have started to take platforms seriously: Bosch now offers an

“IoT Suite” to help other companies create new services around connected devices. Deutsche Telekom has teamed up with other fi rms to establish Qivicon, a smart-home platform to rival Apple’s and Google’s.“ (Siegele 2015)

95 Allerdings scheint sich der Resource-based View dieser Sichtweise anzunähern. So wurde anhand der Produktpolitik von IBM in den 1990er-Jahren festgehalten, dass der Konzern den Vorteil der Marktbeherrschung nur aufbauen konnte „[…] weil es möglich war, die techno-logischen Fähigkeiten von außen – über den Marktmechanismus – hinreichend schnell zu beschaffen. Interne Perspektive und externe Perspektive scheinen sich, so gesehen, doch zu ergänzen(sic) […].“ (Knyphausen-Aufseß 2000: 470)

Die Plattformorganisation hat also nicht sehr viel mit den Reengineering-Modellen der 1990er-Jahre gemeinsam. So wurde dort zwar eine radikale Just-in-time-Philosophie um-gesetzt – Mitarbeiter und Ressourcen wurden nur angefordert, wenn dies notwendig war –, allerdings hatte etwa Toyota die Anzahl seiner Kooperationspartner und Lieferanten strikt limitiert und durch fortschreitende Standardisierung sein System gegenüber potenziellen Kooperationspartnern schrittweise abgeschottet (Hagel et al. 2010: 81).

Plattformen können also dazu verwendet werden, Marktteilnehmer zu verbinden (Kauf und Verkauf), vor allem aber auch, um Ressourcen miteinander zu verknüpfen, die Pro-dukte entwickeln bzw. anreichern (Projektmitarbeit bzw. Weiterentwicklung und Kom-mentierung von Produkten und Dienstleistungen). Hierzu können natürlich auch Kunden und andere Interessierte eingebunden werden, die vorher nur schwach mit dem Unterneh-men verbunden waren. Die Plattformorganisation mit ihren schnellen Reaktionsmöglich-keiten und Netzwerkeffekten ist also die organisatorische Antwort auf die Anforderungen des Hyperwettbewerbs. Die Frage, welche Auswirkungen die aufgezeigten Veränderungen und Möglichkeiten haben, ist aufgrund der rasanten Entwicklungen und unterschiedli-chen Defi nitionen oft nur schwer zu beantworten. Plattformen der Pull-Ökonomie haben sich jedoch bereits in bestimmten Unter nehmensfunktionen ausgebreitet (Ebersbach et al.

2011: 234ff.; Back et al. 2009: 254ff.; Komus/Wauch 2008: 145ff.; Fliess et al. 2011; Hilde-brand et al. 2011; McAfee 2009: 43ff.; Al-Ani 2012a: 216):

• Vertrieb, Marketing und PR: Werbeplätze und -zeiten müssen nicht mehr von den Printmedien und Fernsehstationen gekauft werden. Werbung kann kostenfrei in den sozialen Medien ‚geschaltet‘ und verbreitet werden. Nach Suchmaschinenoptimierung und klassischem Anzeigenmarketing experimentieren Unternehmen mit neuen Ver-triebswegen und Marketing-möglichkeiten. Während einige ihre Produkte über Spam-ming vertreiben, gehen andere den Weg, ihre Produkte und Dienstleistungen in Foren und Blogs zu bewerben. Kunden werden zudem über Joint-Consumption und Co-Mar-keting integriert.

• Market Making: Plattformen können auch als Begegnungsstätten für Angebot und Nachfrage konzipiert werden. So werden etwa in Crowd-Funding-Plattformen Kredit-nachfrager und Kreditgeber zusammengebracht. Ähnlich funktionieren Auktionsplatt-formen.

• Kommunikation: In der betriebsinternen Öffentlichkeit werden Wikis und Blogs als Dokumentationstools und Nachrichtenportale eingesetzt. Immer enger mit dieser be-triebsinternen Öffentlichkeit sind externe Kommunikationspunkte verbunden, die ebenfalls über soziale Medien bedient werden.

• Ausbildung: Ausbildungsmaßnahmen können ebenfalls Wikis, Blogs, Social Book-markings etc. als E-Learning-Plattformen nutzen.

• Forschung und Entwicklung (F&E): Hier wird insbesondere über Kundenintegration (Co-Creation, Co-Production) ein Schritt in Richtung Open Innovation gegangen.

Mitarbeiter, Kunden, aber auch generell Interessierte können ihre Ideen und Vorschlä-ge über Plattformen einbrinVorschlä-gen.

Alle diese verschiedenen Plattformen müssen vor allem zwei wesentliche Funktionen er-füllen: den Zugang zu innovativen Ressourcen ermöglichen und diesen Ressourcen bzw.

Beteiligten einen Nutzen bieten.