• Keine Ergebnisse gefunden

Mobilisierung: Politische Kommunikation im Netz ist wichtiger als Zugang zu Informationenist wichtiger als Zugang zu Informationen

Die Zukunft radikaler Politik, 2009: 24

7.2 Neue Organisationsoptionen in der Politik

7.2.2 Mobilisierung: Politische Kommunikation im Netz ist wichtiger als Zugang zu Informationenist wichtiger als Zugang zu Informationen

Eine wichtige Erkenntnis aus den politischen Unruhen der letzten Zeit war, dass ein er-weiterter Zugang zu Informationen nicht hinreichend ist, um politische Veränderungen zu

Continuous Improvement der bestehenden Lösungen und verbundenen selbsterfüllenden Er-wartungen („weil es jetzt so ist, wird es immer so sein“) umschrieben (Al-Ani 2000: 56f.;

North 1990: 93ff.)

168 Diese Problematik wurde bereits im Zusammenhang mit den demokratischen Implikationen der Kybernetik erörtert: Um Entropie zu reduzieren, wird ja immer nur über den ‚General Will‘ abgestimmt. Es ist nicht vorgesehen bzw. wird bezweifelt, dass dieser von den Wählern erarbeitet bzw. auf Basis von individuellen Präferenzen aggregiert werden kann (siehe Kapitel 2.4).

initiieren. Informationen müssen zwischen Freunden, Familienmitgliedern und Kollegen auch diskutiert werden, um zu einer politischen Meinung zu kommen und dann in einer Aktion zu münden: „Access to information is far less important, politically, than access to conversation“ (Shirky 2011: 35).

Genau hier kann das Web einen großen Unterschied machen: Es verteilt nämlich nicht nur journalistische Standpunkte, sondern produziert diese auch, indem es Kommentare und kritische Diskussionen generieren und transportieren kann.

Natürlich sind die Möglichkeiten, komplexe und abstrakte Inhalte zu vermitteln, be-grenzt, und so zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Mobilisierungserfolg dann groß ist, wenn die Ziele eher etwas mit einem konkreten Missstand und tagtäglichen All-tagserfahrungen zu tun haben als mit politischen Ideologien (Ebd.). So war der tatsäch-liche Auslöser für die Revolution in Tunesien die Selbstverbrennung eines Gemüsehänd-lers, der auf seine persönliche prekäre Lage aufmerksam machen wollte. Wenngleich die E-Democracy noch keine wesentlichen Fortschritte zu machen scheint, gelingt es jedoch durch das Web schneller als vorher, Massen zu politischen Zielen zu mobilisieren, und zwar in einem demokratischen Umfeld, aber vor allem auch in autoritären Staaten, die diese Art des Widerstands bislang unterdrücken konnten. Natürlich haben disziplinierte und durchorganisierte Gruppen immer einen Vorteil gegenüber unkoordinierten Gruppen, wenn es darum geht, kollektive Aktionen zu planen und umzusetzen. Allerdings gelingt es durch das Web, die Nachteile für bislang lose verbundene Gruppenmitglieder zu mini-mieren, weil die Kosten einer Verdichtung reduziert werden können (Shirky 2011: 25). Die Koordination im Netz beruht oft auf einer Art geteilter Wahrnehmung (Shared Awaren-ess), in der jedes Mitglied nicht nur seine eigene Situation versteht, sondern auch die der anderen (Ebd.). Durch das Netz kann diese Wahrnehmung erreicht werden, indem etwa durch das Senden und Weiterleiten von Textbotschaften große Gruppen schnell und ohne komplexe Managementstrukturen mobilisiert werden können. Das, was Hirschman in sei-nem Nachtrag zum Konzept des Widerspruchs als horizontale Voice bezeichnete, kann nun also durch eine entsprechende Vernetzung aus dem Zustand des ‚Raunens‘ schneller und einfacher in eine politische Aktion umgesetzt werden. Erstmals wurde die Effektivi-tät einer derartigen Mobilisierung im Fall des Sinclair Medienunternehmens im Zuge des US-Wahlkampfes 2004 umfassend dokumentiert. Das Unternehmen beschloss kurz vor den Wahlen, einen kritischen Bericht über die Kriegserfahrungen des Präsidentschafts-kandidaten Kerry auszustrahlen. Als dies – wahrscheinlich durch einen internen Mitarbei-ter weitgeleitet – nach außen drang, wurde das Thema von einigen Bloggern aufgegriffen, die gemeinsam eine Gegenkampagne entwickelten, welche bei den Werbekunden von Sin-clair ansetzte und diese informierten, dass das Unternehmen im Begriff sei, seine Macht vielleicht missbräuchlich auszuüben, um eigene politische Standpunkte durchzusetzen.

Relativ schnell entwickelte sich ein Schneeballeffekt, der zu einem Abspringen von Wer-bekunden und einem Sinken des Aktienkurses führte, was Sinclair letztlich bewog, die Sendung abzuändern (Benkler 2006: 220ff.).

7.2.3 De-Monopolisierung und De-Institutionalisierung von Macht Netzwerke sind extrem effi zient. Sie können Mobilisierungen beinahe in Echtzeit ermög-lichen und auf Events kurzfristig reagieren. Politisch gesehen, stellen Netzwerke eine De-Monopolisierung von Macht dar. Macht, in Form von Reputation, die Einfl uss ermöglicht, wird durch die individuellen Plattformmitglieder bzw. ihre Expertise und Partizipation verkörpert. Wenn ein Individuum nicht mehr partizipiert oder keine relevante Expertise einbringen kann, verliert es diesen Einfl uss wieder. Falls es einigen Mitgliedern der Platt-form dennoch gelingt, Macht zu monopolisieren, haben die übrigen Mitglieder immer die Möglichkeit, das Netzwerk zu verlassen bzw. eine eigene Plattform zu gründen (Bauwens 2011). Wie bereits geschildert, ist der potenzielle Einfl uss unzufriedener Mitglieder durch-aus beträchtlich, da sich im Netz relativ einfach Kampagnen lancieren bzw. neue Plattfor-men gründen lassen.169 Hilfreich ist hier auch das Prinzip der Nicht-Repräsentanz, d.h. die Mitglieder der Plattform lassen sich durch niemand vertreten.170 In der Moderne glaubte man, dass sich das Individuum nicht selbst vertreten könne, da sonst Chaos und

Zwie-169 So verkündet auch Holger Jung, einer der großen Werber in Deutschland folgerichtig: „Heu-te hat jeder Angst vor dem Shitstorm“ (Ebenführer 2012). Bauwens (2011) sieht die Wider-standskräfte von P2P auch gegen kooptierende Unternehmen erfolgreich agieren: „Think about Yahoo, Google, Amazon, eBay who exemplify the process of monopolization in the ‚attention economy‘. But the user community is not without power to affect these processes: collective re-action through opinion storms are activated by abusive monopolistic behavior, and can quickly damage the reputation of the perpetrator, thereby forcing a change in behavior in the monopo-listic ambitions. Competing resources are almost always available, or can be built by the open source community. But more fundamentally, the blogosphere practice shows that it is possible to route around such problems, by creating mediating processes using the community as a whole.

Thus techniques such as folksonomies, i.e. communal tagging, or reputation ranking, such as the ‚Karma‘ points used by the Slashdot community, avoid the emergence of autonomous me-diating agents. The blogosphere itself, in the form of the Technorati ranking system for example, has found ways to calculate the interlinking done by countless individuals, thereby enabling itself to filter out the most used contributions. Again, monopolization is excluded.“

170 Ein Beispiel hierfür ist die Bewegung nach der Regierungsbeteiligung der rechtspopulisti-schen FPÖ in Österreich im Jahre 2000. „Der Ausbruch von Militanz am 4. Februar 2000 war von niemanden organisiert, er wurde von niemand erwartet. Die Demokratische Offensive wollte sich als repräsentativ verstehen und sagte eine Demonstration ab, zu der sie gar nicht aufgerufen hat. Die täglichen und später wöchentlichen Demonstrationen ließen sich dann we-der von we-der Staatsmacht lenken noch von linken owe-der revolutionären Gruppen. Nur die Groß-demonstration am 19. Februar verlief in einem institutionalisierten Rahmen der traditionellen Politik mit Prominenten auf der Bühne und einer passiven Masse im Publikum. Für die spon-tanen Demonstrationen stimmt auch nicht, dass sie sich für einen Regierungswechsel benut-zen lassen würden. Im Gegenteil, immer wieder wurden aktuelle Ereignisse, z.B. rassistische Übergriffe aufgegriffen, die sich gegen die staatlichen Institutionen im Allgemeinen richteten und nicht von den zufälligen Personen oder Parteien in der Regierung abhängig sind. Diese Bewegung ist zwar bis auf Reste wieder unsichtbar geworden, aber es wurde die Grundlage für einen nächsten Ausbruch gelegt. Es ist bis jetzt niemanden gelungen, sie zu institutionalisieren und in repräsentierbare Bahnen zu lenken.“ (Foltin 2002)

tracht herrschten. Deshalb gibt das Individuum Rechte an einen Souverän oder einen Staat ab, der es vertritt. Das Individuum verliert seine Individualität und wird so als Volk oder Nation vereinigt. Im Netz gibt es keine Repräsentanz außerhalb des Individuums. Durch diese ‚Immanenz‘ können Mitglieder relativ einfach abwandern, da das Netzwerk keine

‚kollektive Persönlichkeit‘ ist, sondern aus Individuen besteht, die sich zu einem Zweck zusammenschließen, aber auch wieder abwandern können, wenn sie dies wünschen.

Eng mit der De-Monopolisierung verknüpft ist die De-Institutionalisierung. In der Mo-derne geschieht die Validierung des Wissens nicht mehr nur über die Tradition, sondern vor allem auch durch Institutionen. Es wird angenommen, dass das Individuum solche Institutionen braucht, um diszipliniert zu werden und Wissen durch Mediation zu emp-fangen.171 In der P2P-Welt geschieht die Weiterleitung von Wissen auch ohne derartige Institutionen (Bauwens 2011). Wie bereits geschildert, wird Wissen in Netzwerken erzeugt und durch die einzelnen Mitglieder kommentiert, angereichert und weitergegeben. Insti-tutionen, im Sinne von Informationsquellen sind zwar nach wie vor relevant, sie sind aber immer im Wettbewerb mit vielen anderen Quellen und Zitaten im Netz (Al-Ani 2016c).