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Limitationen von P2P-Modellen in der Wirtschaft

Artifi cial Intelligence Jack McDevitt

5.6 Limitationen von P2P-Modellen in der Wirtschaft

Die Limitationen der P2P-Modelle liegen zum einen in der Möglichkeit, dass Hierarchien das offene Modell zustellen und sogar komplett vereinnahmen und zum anderen in der Ausklammerung des Produktionsprozesses.

Im Spannungsfeld zwischen Komplexität und selbstbestimmter P2P-Kooperation exis-tiert die reale Gefahr, dass sich bestimmte zentrale Koordinationspunkte herauskristallisie-ren und die Dezentralisierung einschränken bzw. Hierarchien einfügen und die Selbststeue-rung zurückdrängen. Nun verfügen die P2P-Modelle zumeist nur über relativ offene und zurückhaltende Steuerungskreise, sind aber nicht völlig autoritätsfrei. So ist P2P nicht anti-hierarchisch, sondern tendiert eher zu fl üssigen Strukturen und meritokratischen Prinzipien:

„[…] P2P is a democratic process of full inclusion based on the idea equipotency. It believes that expertise cannot be located beforehand, and thus general and open participation is the rule. But selection immediately sets in as well, since the equipotency is immediately verifi ed

by work in the project. Thus there is a selection before the project, and a hierarchy of net-works is created, where everyone fi nds his place according to demonstrated potential. Within the project, a hierarchy is also immediately created depending on expertise, engagement and the capacity to generate trust. […] Peer to Peer is not anti-hierarchy or even anti-authority, but it is against fi xed hierarchies and ‚authoritarianism‘[…].“ (Bauwens 2005b)

Wie am Beispiel Linux gezeigt, hat dort der Gründer durchaus die Macht, Arbeitsergeb-nisse abzulehnen (Benkler 2006: 105). Er kann sie jedoch nicht anordnen. Zudem bestün-de auch hier die Möglichkeit, dass diese Rolle ebenso von einer Gruppe von Program-mieren wahrgenommen wird. Man könnte also alle Lösungen und Urteile bündeln und dann eine kollektive Bewertung durchführen (Surowiecki 2007: 110). Oftmals werden diese neuen Muster einer dezentralen Arbeitsordnung jedoch missverstanden. So wurde etwa die Popularität einiger Internetseiten und die weitgehende Nichtbeachtung vieler an-derer schon als Rückkehr der Massenmedien interpretiert (Benkler 2006: 12). Betrachtet man die Entwicklung näher, fällt auf, dass es nach wie vor unzählige Webseiten gibt, die verschiedene Interessen-Cluster bedienen. Auf Plattformen für freiwillige Feuerwehren werden sich die Nutzer beispielsweise mit anderen freiwilligen Feuerwehren austauschen und verbinden. Aus diesen Clustern schaffen es dann einige Nachrichten auf eine regio-nale Seite. Dieser Prozess geht so lange weiter, bis eine Meldung bzw. Nachricht zu einer

‚Superstarseite‘ weitergeleitet wird. An diesem Prozess sind sehr viele Nutzer beteiligt, die ihre Meinungen, Kommentare und Präferenzen in die Auswahl und das Verlinken (Shortcuts) von Botschaften einfl ießen lassen. Das Ergebnis ist eine Nachricht oder Be-obachtung, die vielen engagierten Menschen wichtig ist. Dies steht im Gegensatz zu den Massenmedien, die ein moderates aber gleichverteiltes Interesse von kaum engagierten Konsumenten präferieren (A.a.O.: 13). Zudem gibt es in der P2P-Ökonomie auch sehr klare und effektive Widerstandsmechanismen gegenüber Autorität. So könnte etwa Tor-valds Entscheidung über die Zusammensetzung der Releasepakete von Linux auch unter Druck geraten und kritisiert werden. In diesem Sinne ist seine Autorität vielleicht eher überzeugender Natur als eine rechtliche bzw. technische Anordnungs-Kompetenz (A.a.O.:

105). Wenn Mitglieder einer P2P-Plattform unzufrieden sind, können sie massive Gegen-maßnahmen durch Abwanderung und Widerspruch ergreifen. Diese Strategien können P2P-Mitglieder einfacher umsetzen als Mitglieder einer hierarchischen Organisation, da Abwanderung auf Knopfdruck geschieht und die Artikulation von Widerspruch über das Netz schnell, einfach und kostenminimal erfolgt. Als etwa Amazon in den 1990er-Jahren beschloss, Zahlungen von Herausgebern als Gegenleistung für Buchempfehlungen anzu-nehmen, kam es zu einer massiven Kritik im Netz und zu einer Abwanderung von Peer-Rezensionsschreibern zu anderen Online-Buchhändlern. Amazon sah sich gezwungen, diese Praktiken einzustellen und Werbung als solche klar zu kennzeichnen. Google lernte aus diesen Erfahrungen und verzichtete im selben Jahr erstmals auf den damals üblichen Verkauf von Suchergebnisrängen (A.a.O.: 157).

Eine weitere, fast noch wichtigere Limitation ist, dass sich die P2P-Ökonomie heute vor allem auf das Design und die Entwicklung von Produkten fokussiert und nicht auf die

Pro-duktion selbst. Theoretisch kann heute P2P immer dann zum Einsatz kommen, wenn der Designprozess vom Produktionsprozess abkoppelbar ist, verteilte Technologien eingesetzt werden können (Computer, Netzwerke etc.) und gegebenenfalls verteiltes fi xes Kapital (Car Pooling) vorhanden ist. Damit bleibt die P2P-Kooperation aber immer auch abhängig von Produktionskapazitäten des Marktes oder des Staates. Hier erscheint eine mögliche Weiterentwicklung sehr essenziell, um die Größe und vor allem auch die Kapitalisierung der P2P-Ökonomie voranzutreiben:

„Instead of associating with shareholding companies, why not create our own entities: ethical company structures, in which the commons values are embedded within its legal structure, and do not have to be imposed from the outside? In other words, where the ‚invisible hand‘

needs not be theorised as an outside force, but is a clearly active ‚visible hand‘ that drives each individual, but commons-oriented, enterprise?“ (Bauwens 2012a)

P2P-Plattformen könnten somit als Inkubatoren für Unternehmen dienen, die sich an den Prinzipien der Commons-Produktion orientieren. Dies, indem kostenfreie Peer-Produc-tion-Lizenzen an Unternehmen vergeben werden, die bestimmte ethische Grundsätze ver-folgen. Alle anderen Interessenten müssten für diese Lizenzen zahlen. Durch diese posi-tive Diskriminierung im Bereich der Property Rights sowie durch ethische Investments151 könnte das Wachstum eines Commons-Sektors im Produktionsbereich beschleunigt wer-den. Allerdings ist hier noch kein konkretes P2P-Produktionsmodell in Sicht.152 Allenfalls sollten noch nicht näher defi nierte, ethisch getriebene, organisatorische Änderungen für das Individuum in der neuen P2P-Fabrik durch eine Bepreisung der P2P-Leistungen für Netarchien bzw. eine weiterhin kostenlose Nutzung für ‚reine‘ P2P-Produktionen geför-dert werden. Allerdings scheint die Popularität von Commons auch die Suche nach Lö-sungen für das Produktionsproblem zu beleben. Eine sehr umfassende Sichtweise wurde hier von Siefkes (2009: 29ff.) entwickelt. Er fokussiert sich etwa auf das zentrale Problem, dass es in einer P2P-Ökonomie auch immer Aufgaben geben wird, die erledigt werden müssen, ohne dass es freiwillige Produzenten gibt, die hierfür Interesse äußern. Neben den traditionellen Methoden, diese ungewünschten Tätigkeiten zu automatisieren oder in-teressanter zu machen, schlägt er auch Steuerungsmechanismen vor, die diese Aufgaben einem Produzenten zuführen. So könnten Projekte bzw. Organisationen etwa ein Aufga-benversteigerungssystem einrichten:

151 Vgl. hier Beispiele in Gilding (2011: 248ff).

152 Hier scheint es nur vage Andeutungen in Richtung kooperativer Modelle zu geben. „Die Com-moners sollten deshalb selbst eine neue Art gemeinnütziger Organisation schaffen, die auf dem Markt operiert. Eine solche Organisationsform würde Commoners als Mitglieder haben und deren Interessen sowie den Commons oberste Priorität einräumen. Dabei würde sie die Profit-mechanismen ihren sozialen Zielen unterordnen. Solche Peer-Organisationen könnten durch gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit eine Gegenökonomie schaffen und einer neuen Logik des Produzierens zum Durchbruch verhelfen, die die Abhängigkeit von Kapital überwindet.“ (Bauwens 2012c: 453)

„Dieses System listet alle zu erledigenden Aufgaben auf und ermöglicht es allen Projekt-mitgliedern, sich die Aufgaben, die ihnen am besten gefallen, auszusuchen. Gibt es nicht genügend Freiwillige für eine Aufgabe, wird das Gewicht dieser Aufgabe erhöht: Wer diese Aufgabe übernimmt, muss weniger Zeit für das Projekt aufbringen. Umgekehrt wird das Ge-wicht von Aufgaben, für [d]ie sich mehr Freiwillige als nötig interessieren, reduziert – man muss also mehr Zeit für das Projekt aufbringen, wenn man sie übernehmen will (sofern man sich nicht entscheidet, doch lieber etwas anderes zu machen, was weniger Zeit kostet). Nach jeder solchen Anpassung der Gewichte haben die Projektmitglieder die Möglichkeit, sich umzuentscheiden. Dieser Vorgang wird fortgesetzt, bis alle Aufgaben aufgeteilt wurden – bis die Gewichte unpopulärer Aufgaben so stark gestiegen sind, dass sie dennoch genügend Freiwillige anziehen, und die Gewichte beliebter Aufgaben so stark gefallen sind, dass sich die überzähligen Freiwilligen auf weniger zeitaufwendige Aktivitäten umorientiert haben.“

(Siefkes 2009: 29)

Die Limitationen von P2P in der Wirtschaft und insbesondere im Produktionsbereich sind also trotz möglicher Anpassungsmaßnahmen keinesfalls geringer Natur und erklären, bei allen positiven Funktionalitäten, warum diese Kooperationsart noch nicht weiter ver-breitet ist. Die Kooperation mit traditionellen Unternehmen scheint also somit aus diesem Aspekt heraus notwendig und eine wichtige Strategie zu sein, um das P2P-Modell zu er-gänzen und zu verbreiten.

5.7 Zusammenfassung

Der vom erfolgreichen Kapitalismus geschaffene Surplus an kognitiven Fähigkeiten und ethischen Reserven, die heute in der Unternehmung oder Bürokratie keine Verwendung fi nden, hat sich durch die neuen Plattformen eine organisatorische Ausdrucksweise ge-schaffen. Gemeinsam mit anderen Peers arbeiten unzählige Menschen in ihrer Freizeit an gemeinsamen Projekten, deren Nutzung und Zugang meist öffentlich ist. Diese Manifesta-tion ist produktiv, weil unbezahlte bzw. vom Markt oder Staat unterhaltene, hochmotivier-te Individuen diese Arbeit als Ausdruck ihres Bedürfnisses sehen, sinnvolle Tätigkeihochmotivier-ten zu leisten. Im Gegensatz zu der Plattformarbeit in Hierarchien ist die Arbeit der Peers weitgehend selbstgesteuert und basisdemokratisch organisiert. Peers können Amateure oder auch Spezialisten sein, deren Leistungsbeiträge durch eine Modularisierung und Ag-gregationseffekte auf die individuellen Möglichkeiten angepasst werden können.

Diese Produktivität und Innovationskraft ruft das durch den Hyperwettbewerb gebeu-telte Unternehmen auf den Plan, das durch eine Nutzung bzw. Kooptation dieser Platt-formen seine Innovationskapazitäten erweitern muss. Zu dieser Innovationsleistung ist das Unternehmen häufi g allein nicht mehr in der Lage, weil der Wettbewerb gleichzeitig die Möglichkeiten für Trial-and-Error-Prozesse limitiert hat und Hierarchien und Märkte einen strukturellen Nachteil haben, da es schwierig ist, innovative Prozesse zu bepreisen und zu strukturieren. Kooptierende Netarchien müssen sich aber auch anpassen, um nicht mit den Peers und ihren Prinzipien in Konfl ikt zu geraten. Dieser Anpassungsdruck

er-gänzt den Druck, den die Einführung von Plattformen und Netzwerken in globalisierten Hierarchien bereits generiert, und wird als eine wichtige Triebfeder bei der weiteren Ent-wicklung des Kapitalismus zu betrachten sein. Abzuwarten bleibt, ob die P2P-Modelle den Druck zur Schaffung hierarchischer Strukturen sowie die Sogwirkung der Netarchien überstehen werden. Es ist kaum zu erwarten, dass die Anpassungen nur in eine Richtung laufen werden. Die Perspektive der P2P-Aktivisten ist jedoch, dass das Netz die klassi-schen Machtakkumulationen nicht mehr zulässt. Zu groß und vielfältig sind die Möglich-keiten, auszuweichen und neue Lösungen zu schaffen. Es besteht auch die Chance, die Produkt- und Serviceideen der P2P-Plattform selbst umzusetzen und eigene Produktions-strukturen aufzubauen, die nach ethischeren Gesichtspunkten organisiert sein können und von P2P-Plattformen unterstützt und bevorzugt werden könnten.