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Interner und externer Widerstand steigen an:

Innovation braucht Partizipation Nadine Müller

4.6 Interner und externer Widerstand steigen an:

Off ene Organisationen und Shitstorm

Die neuen Plattformstrukturen und die damit verbundenen neuen Zusammenarbeitsmög-lichkeiten werden wahrscheinlich dazu führen, dass eine neue Defi nition des Verhältnisses zwischen Management und Mitarbeitern gefunden werden muss. Die sich abzeichnende Rolle des Individuums passt nicht in die traditionellen Strukturen, die in wesentlichen Tei-len jedoch nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Wir haben es also mit einer typischen Veränderungsphase zu tun, in der das Neue noch nicht ganz da und das Alte noch nicht ganz verschwunden ist. Getrieben werden diese Veränderungen auch von den Unter-nehmen selbst, welche die Effekte der Plattformen im Hyperwettbewerb nutzen müssen.

Aber dies wird kein völlig planbarer Prozess sein. Die Organisations- und Plattformmit-arbeiter selbst werden die Widersprüche zwischen Hierarchie und Plattform, traditioneller Top-down-Kommunikation und den Möglichkeiten sozialer Kommunikationsplattformen sowie zwischen Selbst- und Fremdsteuerung zu spüren bekommen, weil sie oftmals in bei-den Welten parallel agieren werbei-den. Diese Widersprüche und die neuen Möglichkeiten, diese zu artikulieren und aufzulösen, werden die Transformationsphase formen.

Die absehbaren Veränderungen werden zunächst Möglichkeiten des hierarchischen Ma-nagements weiter limitieren. Die Ausdünnung der Managementebenen begann ja bereits in den Globalisierungsregimen der 1990er-Jahre unter den Überschriften der Flexibilisierung und Prozessorientierung, deren Ziel es war, Abläufe in Organisationen möglichst end-to-end, d.h. von der Entstehung des Produktes/der Dienstleistung bis hin zum Kunden ge-samthaft zu betrachten. Abteilungen wurden deshalb als Trennwände verstanden, die es möglichst auf ein absolut notwendiges Minimum zu beschränken galt (Al-Ani 1996: 25ff.).

Diese Verfl achung und Zurücknahme des Managements wird nun unter den ersten Eindrü-cken der Innovationserfolge von Plattformen fortgesetzt, da es jetzt darum geht, Freiräume für individuelle Kreativität und Verantwortung zu fi nden, was natürlich nur erreicht werden kann, wenn das Management sich weitgehend an die Erfolgsfaktoren des Webs und der Plattformen anpasst (siehe Abbildung 3) und somit einen eher „indirekten Stil“ pfl egt (Pi-cot/Neuburger 2008: 227ff.). Dieser wird auch notwendig, weil das Management gegenüber der hochspezialisierten Gruppe an Wissensarbeitern kaum mehr Möglichkeiten hat, diese inhaltlich zu steuern.116 Man kann auch bereits feststellen, dass traditionelle Management-methoden langsam beginnen, die Strategien der Plattform-Welt zu imitieren. So war etwa der Change-Management-Ansatz á la Push-Ökonomie dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Veränderungsmaßnahmen sorgsam und detailliert geplant und mit verschiede-nen Kaskaden von Mitarbeitern und Change Agents umgesetzt wurden. Nun wird hier bei-spielsweise eine Strategie vorgeschlagen, die neue Verhaltensweisen viral im Unternehmen verteilt und diese mittels Frames subtil steuert (vgl. Herrero 2008).

116 „Those in authority no longer comprehend the work of their subordinates. Even the eminent research scientist can’t boss the lab technicians around: they have knowledge and skills that he doesn’t.“ (Florida 2011: 96)

Managementprinzipien 2.0

• Jeder kommt zu Wort.

• Kreativitätswerkzeuge werden an jeden verteilt.

• Es ist einfach billig, zu experimentieren.

• Fähigkeiten zählen mehr als Referenzen und Titel.

• Das Engagement ist freiwillig.

• Macht wird von den Gefolgsleuten verliehen.

• Autorität ist fl ießend und hängt von der Wertschöpfung ab.

• Die einzigen Hierarchien sind ‚natürliche‘ Hierarchien.

• Die Gemeinschaften defi nieren sich selbst; die Selbstbestimmung ihrer Mitglieder wird durch umfassende Informationen gefördert.

• Fast alles ist dezentralisiert.

• Ideen konkurrieren gleichberechtigt miteinander.

• Käufer und Verkäufer fi nden leicht zueinander.

• Ressourcen fl ießen ungehindert in vielversprechende Projekte.

• Entscheidungen werden von Gleichgestellten gefällt.

• …

Abbildung 3 Management 2.0. Quelle: Hamel (2008: 360f.).

Die eigentlichen Managementaufgaben werden in Zukunft also immer öfter nicht mehr von den Managern durchgeführt, sondern von einem weiter gefassten Kreis von Individu-en. Natürlich müssen auch weiterhin Aktivitäten koordiniert, Ziele festgelegt und Wissen verbreitet werden, aber diese Arbeit kann immer öfter von der Machtperipherie im Unter-nehmen durchgeführt werden (Hamel 2008: 361).

Und schon entstehen erste Organisationsformen, die versuchen, diesen neuen Entwick-lungen gerecht zu werden. Insbesondere Modelle, die die Prinzipien der Selbststeuerung und Selbstidentifi kation nutzen und sie im Einklang mit der Hierarchie operationalisieren wollen, stehen hier im Vordergrund. Ein Beispiel ist etwa die IT-Firma Red Hat, welche kurzerhand das geläufi ge Organisationsdiagramm ‚umdreht‘, um so anzudeuten, dass die eigentliche unternehmerische Kraft sowie Anstöße von den Mitarbeitern kommen müs-sen, sich diese selbstgesteuerten Initiativen im Praxistest dann zu Strategien verdichten können und sodann in inklusiven Managemenentscheidungen formalisiert werden (Whi-tehurst 2015). Dieses Verfahren steht im klaren Gegensatz zu den bestehende Protokollen, die von einer Top-down-Strategie des Managements ausgehen, die zunächst den Mitarbei-tern erklärt werden muss, damit diese dann aktiv werden (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4 Die offene versus die konventionelle Organisation. Quelle: Whitehurst (2015: 20).

Auch entstehen Strukturen, welche die Funktion und Wirkungsweisen von Plattformen und Netzwerkorganisationen abzubilden versuchen, indem sie die Grenzen der Unterneh-mung öffnen, Patente der Öffentlichkeit zugänglich machen und so externe Produzenten zum Wertschöpfungsbeitrag stimulieren wollen. Verschiedene Akteure arbeiten hier etwa gemeinsam an Produkten, die als öffentliches Patent oder über offene Schnittstellen (Ap-plication Programming Interface – API) zugänglich sind. Indem sie dieses Produkt wei-terentwickeln, ist ihre Leistung einerseits eine Art Allmende bzw. Commons, andererseits können sie damit auch eigenes Geld verdienen (Bauwens et al. 2012: 184ff.). Dies zeigte sich eindrucksvoll bei dem Autohersteller Tesla, der seine Patente öffnete, um durch den so erhofften Schub an Innovationen im Elektroautobereich auch seine Marktposition zu verbessern.

„Angesichts einer Weltproduktion von nahezu 100 Millionen Fahrzeugen jährlich und etwa 2 Milliarden Fahrzeugen weltweit im Verkehr, kann Tesla alleine nicht genug Elektrofahr-zeuge bauen, um der sich anbahnenden Kohlenwasserstoffkrise zu entgegen. Mit anderen Worten, der Markt ist riesig. Unsere wirkliche Konkurrenz sind nicht die wenigen Elektro-fahrzeuge anderer Hersteller, sondern die riesige Flotte von Fahrzeugen mit Benzinmotor, die tagtäglich von den Fertigungsbändern auf den Markt strömen. Wir sind überzeugt, dass Tesla, aber auch andere Hersteller von Elektrofahrzeugen und natürlich die Welt von einer gemeinsamen, sich schnell entwickelnden Technologie-Plattform profi tieren würden. Tech-nologische Führung wird nicht durch Patente defi niert, die ja in der Vergangenheit nur wenig Schutz gegen wirklich entschlossene Konkurrenten boten. Ein Technologieführer ist viel-mehr ein Unternehmen, das die weltbesten Ingenieure und Entwickler für sich gewinnen und motivieren kann. Wir glauben daher, dass eine auf unsere Patente angewendete Open-Source-Philosophie Tesla eher stärkt als schwächt.“ (Musk 2014)

Abbildung 5 Open-Manufacturing-Plattform. Quelle: In Anlehnung an Bauwens et al. (2012: 195).

Die ursprüngliche, aus dem offenen Softwarebereich kommende Plattform-Arbeitsweise transformiert somit immer stärker auch die Produktion physischer Güter. Beispielsweise entstehen im Kontext des Open Manufacturing Cluster bzw. integrative Plattformen von Unternehmen, von ‚Makern‘ und Kunden, die bestehende Produkte gemeinsam weiterent-wickeln, verbessern oder neu aufsetzen (siehe Abbildung 5). Diese ‚Produzenten‘ nutzen auch öffentliche Labore und Arbeitsstätten (Fab Labs, Maker Spaces etc.), um Produkte zu designen, die dann in einer ‚smarten‘ oder konventionellen Fabrik ‚ausgedruckt‘ bzw.

produziert werden.117 Gerade mit der Maker-Bewegung scheint sich also der Netzwerk-gedanke nun in die materielle Produktion zu übersetzen:

„Hinter alldem steckt dasselbe Prinzip: Menschen, die mit außergewöhnlichen Werkzeu-gen gemeinsam an einer Revolution des Sekundärsektors arbeiten. Die Industriestruktur des 21. Jahrhunderts wird eine gänzlich andere sein als im 20. Jahrhundert. Innovationen werden nicht mehr von den großen Firmen von oben aufgesetzt, sondern sie werden von unten kom-men, von zahllosen Einzelpersonen, Amateuren, Unternehmen und Profi s. In der Welt der Bits haben wir es bereits erlebt, wie aus vereinzelten Computerfreaks die Bürgerarmee des Internets wurde. Jetzt sind die Vorrausetzungen dafür geschaffen, dass es wieder funktio-nieren kann, in einem noch größeren, breiteren Ausmaß, in der Welt der Atome.“ (Anderson 2013: 44)

Natürlich sind etliche Probleme im Bereich der Lizensierung hier noch ungeklärt und viele derartige Initiativen müssen heute noch eher als „Crowdsourced Design“ betituliert werden (Bauwens et al. 2012: 210ff.).118 Es bleibt aber höchst bemerkenswert, dass bei

al-117 Vgl. die Liste der Open Manufacturing Plattformen und Tools: P2P Foundation (2015); sowie das Programm der US-amerikanischen Regierung zur Förderung der Maker-Bewegung (The Whitehouse 2014). Zu den offenen Werkstätten und ihren Werten siehe Dickel et al. (2014).

118 Zu den hierzu verwendeten Plattformen siehe Kapitel 6.2.

len Hindernissen, sich Plattformen ihren Weg nun auch in die materielle Welt zu bahnen scheinen. Die hier skizzierten Elemente einer neuen Ökonomie mit ihren Plattformen, offenen Unternehmen und ‚freien Produzenten‘ treten auch in den Schwellenländern auf, dort gerade auch, weil weniger Regulierungen und alte Strukturen vorzufi nden sind. So erklärte der CEO eines großen chinesischen Fertigungskonzerns:

„Die traditionelle Personalführung beinhaltet vier Schritte: Leute auswählen, trainieren und fördern, einsetzen und schließlich halten. Heute funktioniert das anders. Unsere Mitarbeiter der Zukunft arbeiten mit uns auf Vertragsbasis. In Zukunft gibt es nur noch Plattform-Inha-ber, Unternehmer und Mikrounternehmer. Unsere fünf Forschungszentren weltweit funktio-nieren heute schon wie Plattformen, auf denen Unternehmer zusammenarbeiten. Die Firma der Zukunft hat keine Angestellten mehr.“ (Wirtschaftswoche 2015)

Natürlich bestehen neben diesem neuen Management auch noch die alten Verhalten, Strukturen und Steuerungskreise fort und ein Konfl ikt erscheint somit oft unausweichlich:

„Vielmehr werden diejenigen, die die Privilegien und die Macht der Bürokratenklasse erhal-ten möcherhal-ten, denen gegenüberstehen, die weniger strukturierte und weniger strikt gemanag-te Organisationen schaffen möchgemanag-ten.“ (Hamel 2008: 362)

In dieser durchwachsenen Transformationssituation steigen jedoch die Möglichkeiten für Individuen, ihre Ziele besser als jemals zuvor durchzusetzen, auch gegen den Willen des Managements. So ist der Mitarbeiter, wie wir bereits feststellen konnten, heute durch den Einsatz von IT mit den Abläufen des Unternehmens besser vernetzt und enger verknüpft als in den Zeiten strikter Arbeitsteilung. Durch die Verwendung neuer Kommunikations-tools hat er nun die Möglichkeit, einfacher und kostengünstiger, individuell und kollektiv Voice auszuüben. Waren die Kommunikationsströme in Unternehmen bislang eher Top-down organisiert, können Themen nun auch horizontal, Bottom-up und auch als Gegen-öffentlichkeit entwickelt werden; dies auch, wenn das Management es nicht wünscht und zu unterdrücken versucht.119 Das Management gelangt wiederum zu neuen Machtmitteln,

119 Obschon hier dokumentierte Beispiele noch rar sind, soll dies nicht heißen, dass derartiger Widerstand nicht schon bereits Alltagspraxis ist. Ein frühes Beispiel für die Entwicklung einer Art Gegenöffentlichkeit in Unternehmen war die Bigtime-Consulting-Plattform, welche von Mitarbeitern der Beratungsfirma Andersen Consulting (später Accenture) gegründet wurde.

Diese nahm sich in humorvoller Art und Weise der horizontalen Voice der Mitarbeiter an:

„There were several obvious parallels between Bigtime Consulting and Andersen Consulting, including their CEOs (George Shaheen vs. ‚George Unseen‘), training facilities (St. Charles vs.

‚St. Charlene‘) and numerous acronyms.“ (Wikipedia: Stichwort Bigtime Consulting). Es ge-lang dem Management nicht, diese Plattform abzustellen: „The author of Bigtime Consulting became the target of an Andersen Consulting internal manhunt. Rumors circulated regarding the origin of the comics. Even when the comic moved to its own domain name and developed merchandise sales, the author remained unknown to Andersen Consulting staff.“ (Ebd.)

weil sich die Möglichkeiten der Überwachung und Steuerung durch neue Techniken eben-falls erweitert haben (Schulz-Schaeffer/Funken 2008: 24ff.). Somit kann der Korridor an Möglichkeiten, Widerstand zu leisten bzw. gemeinsam mit anderen neue Sichtweisen zu entwickeln, wieder etwas zugestellt werden.

Gleichzeitig werden durch höhere Regulierungsanforderungen die Kommunikations-möglichkeiten des Managements weiter begrenzt. So unterliegen börsennotierte Unter-nehmen mittlerweile derart strengen kommunikativen Regeln (Ad-hoc-Pfl icht, Insider-Re-gelungen, Vertraulichkeitskreise, Blocking Periods etc.), dass Manager erst dann Inhalte kommunizieren können, wenn diese völlig abgesichert sind und mehrfach auf rechtliche Implikationen geprüft wurden.120 Damit wird nun der Kommunikationsspielraum für das Management inhaltlich eingeengt und die Reaktionszeiten verlangsamt, und man kann heute nur spekulieren, wohin dieses Paradoxon der ‚Sprachlosigkeit‘ des Managements führen wird, insbesondere in einer Phase, in der neue Ideen kommuniziert, mit neuen Stakeholdern und Ressourcen Kontakt aufgenommen und Beziehungen etabliert werden müssen. Befragungen zeigen etwa, dass die Kommunikationspunkte zwischen Unter-nehmen und seinen Stakeholdern immer weiter ansteigen.121 Es scheint sogar bereits ein Punkt erreicht, an dem sich manche vom Konzept der integrierten Kommunikation, d.h.

der ganzheitlichen Steuerung der internen und externen Kommunikation, verabschieden und stattdessen eine polyphone Strategie vorschlagen, die Kommunikation nicht mehr zentral steuert und stattdessen jedes Mitglied der Organisation als einen potenziellen Bei-tragenden zur „kommunikativen Identität“ betrachtet (und damit seinen Einfl uss erhöht) (Zerfass/Tench 2012: 28).122

Während Widerstand gegen den Mainstream innerhalb traditioneller Organisationen jedoch immer unter Hierarchievorbehalt steht, so ist dies bei Kunden und anderen exter-nen Stakeholdern von Unternehmen nur eingeschränkt der Fall. Kunden und Lieferanten bzw. andere Interessierte können heute ihren Unmut und ihre Sichtweise in einer massiven Art und Weise darstellen, indem sie das Netz und dessen Plattformen nutzen, um Leistun-gen und Strategien von Unternehmen zu bewerten und zu kommentieren bzw. GeLeistun-genmaß- Gegenmaß-nahmen zu lancieren. Als markantes Beispiel für diese gestiegene Macht des Kontextes einer Organisation ist der sogenannte Shitstorm zu nennen. Dieses Wort, das eine neue Diskursmöglichkeit und -strategie bezeichnet, für die es in der deutschen Sprache offen-sichtlich keine Bezeichnung gibt, wurde als Anglizismus 2011 ausgezeichnet, und von der Jury wie folgt defi niert:

120 Vgl. hier die kritische Betrachtung über diese Publizitätspflicht und auch andere Elemente der sogenannten Compliance-Anforderungen im Handelsblatt unter der Überschrift Die Herr-schaft der Anwälte (22./23./24. Juni 2012: 50-61).

121 Vgl. etwa die Umfrage von Zerfass et al. (2012).

122 Vgl. zum polyphonen Widerstand auch Gernot Wolfram (Kapitel 10).

„Das Wort bezeichnet eine unvorhergesehene, anhaltende, über soziale Netzwerke und Blogs transportierte Welle der Entrüstung über das Verhalten öffentlicher Personen oder Institutio-nen, die sich schnell verselbstständigt und vom sachlichen Kern entfernt und häufi g auch in die traditionellen Medien hinüber schwappt. Shitstorm füllt eine Lücke im deutschen Wort-schatz, die sich durch Veränderungen in der öffentlichen Diskussionskultur aufgetan hat. Es hat sich im Laufe des letzten Jahres von der Netzgemeinde aus auf den allgemeinen Sprach-gebrauch ausgebreitet und gut in die Struktur des Deutschen eingefügt.“ (Anglizismus des Jahres 2011)

Die Gefahr, die von derartigen Kommunikationswellen ausgeht, ist für das Unternehmen offensichtlich. Es ist ein extremer Kontrollverlust über die Art und Weise, wie seine Mar-ke, seine Produkte etc. kommentiert und betrachtet werden. Versuchte man vorher mit ausgefeilten, geplanten Kommunikationsstrategien und oft unter Zuhilfenahme von Spe-zialisten, ein gezieltes ‚Bild‘ in der Öffentlichkeit zu zeichnen, so ist dieser unilaterale Kommunikationsweg heute immer mehr der Notwendigkeit eines Reagierens auf Kom-munikationen des Umfeldes bzw. eines notwendigen Dialoges mit den externen Stakehol-dern gewichen. Ist die Öffentlichkeit im Web einmal erregt, kann dies in der Regel auch kaum mehr abgedreht werden; vielmehr provoziert diese versuchte Unterdrückung der viralen Verbreitung nur noch mehr ungewünschte Interaktion (Streisand-Effekt).123 Be-sonders bitter ist wohl, dass sich ein solcher Sturm auch entwickeln kann, wenn das Unter-nehmen versucht hat, die Crowd für eine bestimmte Aufgabe zu kooptieren und dann die erarbeiteten Ergebnisse und Vorschläge nicht umsetzt.124 Es bleibt auch hier wiederum nur 123 Als Greenpeace die Firma Kitekat wegen der Verwendung von Palmöl mittels eines

Horror-videos angriff, machte der intuitive Versuch, alles zu leugnen die Attacken nur noch schlim-mer: „Die Nestlé-Zentrale in Vevey, die längst – siehe Dove – hätte gewarnt sein können, hat derweil reagiert und wiegelt ab. Nestlé will kein Palmöl verwenden, das zur Zerstörung des Regenwalds beiträgt. […]. Doch das dürfte mit der weiteren Verbreitung des Horrorvideos untergehen. Eine Verbreitung, die Teile des Webs nun wohl noch mit einem Zensurvorwurf anreichern. Und auch das sollten Unternehmen mittlerweile gelernt haben: Wo es nach Zensur riecht, wird diese im Web besonders aktiv bekämpft. Das Phänomen hat sogar einen Namen.

Streisand-Effekt. Ein Kommentar bei Vimeo schreibt es den Kommunikationsexperten bei Nestlé ins Stammbuch: ‚Thank You Nestlé […] I would never have seen this video if you hadn’t had it kicked off YouTube. Now I’m forwarding it all my friends, though Facebook, and guess what they are forwarding it to all their mates. Fire your PR Team. They are muppets.‘“ (Kol-brück 2010)

124 Hier ist das Pril-Debakel instruktiv: Als die Firma Henkel die Vorschläge und Wertungen des Netzes für ein neues Flaschendesign nicht annahm, nahm die Entrüstung ihren Lauf. „Dabei versprach der Wettbewerb zunächst ein Erfolg zu werden. Mehr als 50.000 Etiketten-Designs hatten die Teilnehmer beim Wettbewerb eingereicht, meist versöhnliche Bildchen von Schmet-terlingen und Blumenwiesen. Manche Entwürfe fielen jedoch auf. Ebenso absurd wie kreativ war zum Beispiel das Hähnchen-Design, das die Internetuser zum gefeierten Entwurf erkoren haben: Ein krakeliges Grillhähnchen, darunter der Spruch: Schmeckt lecker nach Hähnchen!

Bei den Usern kam das Hähnchen gut an: Zehntausende stimmten für den Vorschlag, rasch landete das Design auf dem ersten Platz. Doch dann schritt Henkel ein. Der Konzern wies mahnend auf die Teilnahmebedingungen hin und wendete sich an die Teilnehmer mit der

Be-die Erkenntnis, dass Unternehmen Be-die Regeln der Plattformen und des Webs über gewisse Strecken übernehmen müssen, um Konfl ikten aus dem Weg zu gehen. Eine sehr gewich-tige „präventive“ Strategie in diesem Zusammenhang ist die der Transparenz (Tapscott 2012: 43). Unter Maßgabe dieser Doktrin, sollen Unternehmen alle Informationen, die heute nicht gesendet werden, die aber öffentlich gemacht werden können, auch tatsächlich nach außen geben. Dies sei heute gar nicht mehr anders möglich (in der Sprache der Mar-keting-Fachleute: Die Zahnpasta ist bereits aus der Tube). Damit sollen mögliche Konfl ik-te mit der Umwelt vermieden sowie gleichzeitig bei den eigenen Mitarbeiik-tern Vertrauen geschaffen und die Transaktionskosten der Organisation gesenkt werden.