• Keine Ergebnisse gefunden

Kontrolle und Vereinnahmung jugendlicher kultureller Aktivitäten durch die HJ

3. KINDER- UND JUGENDTHEATER IM ‚DRITTEN REICH‘

3.1 Kontrolle und Vereinnahmung jugendlicher kultureller Aktivitäten durch die HJ

Maßgeblich für die Freizeitgestaltung und das Leben von Kindern und Jugendlichen im ‚Dritten Reich‘ war – neben Elternhaus und Schule – die nationalsozialistische Jugendorganisation, die Hitlerjugend (HJ). Für Jungen von 10 – 14 Jahren bestand das Deutsche Jungvolk (DJ), für gleichaltrige Mädchen der Jungmädelbund (JM). Für Jungen schloss sich bis zum 18. Lebensjahr die eigentliche Hitlerjugend (HJ) an, für Mädchen der Bund Deutscher Mädel (BDM). Im Juni 1938 wurde für die 17-21jährigen Mädchen bzw. jungen Frauen das BDM-Werk Glaube und Schönheit geschaffen.1 Anders als der bekannte und oftmals zitierte Grundsatz der Hitlerjugend, dass Jugend von Jugend geführt werden solle, vermuten lässt, war die HJ keine reine Jugendorganisation. Es handelte sich bei ihr um einen zentralisierten und hierarchisch gegliederten Verband, dessen „Führer“ von der jeweils übergeordneten Führungsebene bzw. von der NSDAP abhängig waren.2 An der Spitze der HJ stand der Reichsjugendführer Baldur von Schirach.3

Im Vordergrund der Arbeit der HJ standen, auch für die Mädchen, die körperliche Ertüchtigung durch Sport, Übungen im Freien, Wandern und Zeltlager sowie die ideologische Schulung.

Demgegenüber nahm die geistige und kulturelle Erziehung nur eine untergeordnete Rolle ein.4 Die Kulturarbeit der Reichsjugendführung (RJF), der zentralen Führungsstelle der HJ, blieb nach der

‚Machtergreifung‘ 1933 mit dem Bereich Propaganda verbunden. Es wurde die Abteilung SP für Schulung, Propaganda und Presse eingerichtet, in der es ab September 1933 ein Referat für Fest-

1 Klönne, Arno: Jugend im Dritten (1984), S. 32.

2 Ebd., S. 67. Vgl. zur Führungsstruktur der HJ Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 10–17.

3 Baldur von Schirach, der seit 1931 „Reichsjugendführer“ der NSDAP war, wurde von Hitler im Sommer 1933 zum

„Jugendführer des Deutschen Reiches“ ernannt.Am 1. September 1940 wurde Artur Axmann Schirachs Nachfolger und behielt die Posten bis 1945. Siehe Klönne, Arno: Hitlerjugend (1955), S. 21.

4 Vgl. z.B. Pahmeyer, Peter u. Lutz van Spankeren: Die Hitlerjugend in Lippe (1933 - 1939). Totalitäre Erziehung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zugl.: Dissertation. Bielefeld 1996. Bielefeld: Aisthesis Verlag 1998, S. 194.

und Feiergestaltung gab. Es umfasste „alle Gebiete des Laienspiels, des Volksliedes, der Hausmusik, des Volkstanzes usw.“5 Das Referat bildete eine zentrale Stelle zur Kontrolle aller kulturellen Aktivitäten der HJ. Unter anderem mussten ihm, laut Richtlinien aus dem Jahr 1933, gemeldet werden:

Alle Spiel-, Sing-, Tanz- und Sprechchor-Scharen innerhalb der HJ, des BDM, des Jungvolks mit genauer Anschrift des betreffenden Führers und kurzem Tätigkeitsbericht,

alle, von den einzelnen Einheiten bestellte Laienspiel-, Sing-, Tanz- und Sprechchorleiter bzw. Referenten mit genauer Anschrift und kurz umrissenem Aufgabenkreis, –

alle großen kulturellen Veranstaltungen der HJ, des BDM und des Jungvolk [sic] mit genauer Programmangabe usw.6

Von Beginn an wurde also im ‚Dritten Reich‘ versucht, jegliche kulturelle Aktivität innerhalb der HJ zu erfassen, was die grundlegende Voraussetzung für Kontrolle und Einflussnahme ist.

Im Juni 1935 wurde ein Kulturamt innerhalb der RJF eingerichtet, dessen Aufbau und Organisation sich im Laufe der Jahre mehrfach änderte.7 Die Leitung des Kulturamts der RJF übernahm zunächst Baldur von Schirach selbst. Später ging sie an Karl Cerff über8, noch später, im Jahr 1939, an Rainer Schlösser, den Reichsdramaturgen.9 Stellvertretender Amtschef unter Schlösser war Siegfried Raeck10, der später die Leitung übernahm.11 Auf ihn folgte 1943 noch Otto Zander, der zuvor bereits als Abteilungsleiter im Kulturamt beschäftigt gewesen war.12 Das

5 Verordnungsblatt der Reichsjugendführung (Hitler-Jugend), F. 24, Nr. 154. Berlin 1933. (Nicht eingesehen. Zit. nach Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 80.).

6 Verordnungsblatt der Reichsjugendführung (1933). [Nicht eingesehen. Zit. nach Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 81.].

7 Vgl. zum Aufbau und zur Arbeit des Kulturamtes bzw. zur Kulturarbeit der HJ im Allgemeinen Buddrus, Michael:

Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 140–162.

8 Karl Cerff (1907-1978), Mitglied der SA seit 1922 und der NSDAP seit 1925, hatte ab 1933 in der Abteilung SP gearbeitet (Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 81.) Dort hatte er erfolgreich die Rundfunkarbeit der HJ aufgebaut. (Vgl. Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 142.) Vgl. zu Cerff auch ders.: Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitlerjugend und nationalsozialistische Jugendpolitik. Teil 2. München: K.G. Saur 2003, S. 1131–1132.

9 Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 143. Informationen zur Reichsdramaturgie siehe unten.

Zu Schlösser als Person ausführlich: Hüpping, Stefan: Rainer Schlösser - der Dichter-Soldat. In: Dichter für das

„Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. 10 Autorenporträts. Hrsg. von Rolf Düsterberg. Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2009. S. 229–258. Und: Hüpping, Stefan: Rainer Schlösser (1899 - 1945).

Der „Reichsdramaturg“. Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2012.

10 Siehe Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 2) (2003), S. 1077. Siegfried Raeck war an der Entstehung des Stückes Zirkus Freimauritius beteiligt, das in den Jahren 1936 und 1937 in zwei verschiedenen Versionen als Band 4 der Spielreihe Spiele der deutschen Jugend erschien. Es wird im Kapitel über die Spiele der deutschen Jugend (Kapitel 4) in dieser Arbeit untersucht.

11 Vgl. ders.: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 155–156.

12 Siehe ders.: Totale Erziehung für (Teil 2) (2003), S. 1085.

Kulturamt war im Jahr 1935 in zehn Hauptreferate unterteilt, darunter Musik, Schrifttum, Feier- und Freizeitgestaltung und Dramaturgie. Im Jahr 1941 bestanden 13 Abteilungen oder Referate, darunter solche für Darstellende Kunst, Feier- und Freizeitgestaltung, Spieleinheiten, Laienspiel, Puppenspiel und Dichtung.13 Das Hauptreferat Feier- und Freizeitgestaltung umfasste 1935 die Referate Sprechchorarbeit, Thingspiele und Puppenspiele. Es wurde von Siegfried Rack geleitet, der später, wie eben schon erwähnt, zum Leiter des Kulturamtes aufstieg.14 Das Hauptreferat Schrifttum leitete zeitweise der Schriftsteller Wolfram Brockmeier.15 Das Hauptreferat Organisation war für die Arbeitsgemeinschaft junger Künstler in der HJ, später Arbeitsgemeinschaft Junges Schaffen, zuständig, die einen Zusammenschluss von Schriftstellern, Komponisten, bildenden Künstlern etc. darstellte, die sich „in den Dienst der HJ gestellt hatten“, und in der auch ein Großteil der Mitarbeiter des Kulturamtes organisiert war.16 Für den Bereich der darstellenden Kunst war das Hauptreferat Theater zuständig, das von Walter Schmitt geleitet wurde. Zu seinem Aufgabenbereich zählten laut Buddrus die Einflussnahme auf die Spielpläne der Theater des Reiches, die Auswahl und Führung des Nachwuchses für bühnenkünstlerische Berufe, die kulturpolitische Ausrichtung der Laienspielscharen in den HJ-Einheiten, die theaterwissenschaftliche Schulung der HJ-Kulturbeauftragten und die Organisation der Reichstheatertage der HJ.17

Stoverock zufolge hatte das Kulturamt der RJF zwei wesentliche Aufgaben: Die Grundlagen der Kulturarbeit auszuarbeiten und diese zu überwachen. Dies war zunächst aufgrund der vorliegenden Strukturen praktisch nicht durchführbar. Die Planungen sahen jedoch totalitäre Strukturen vor.18 Die kulturellen Aktivitäten der Hitlerjugend zielten, so Pahmeyer, darauf, „durch den Einsatz ausgewählter Lieder, Jugendbücher, Filme, Theaterstücke, Fest- und Feierstunden die nationalsozialistische Ideologie unter Jugendlichen zu verbreiten.“ 19 Durch ein sorgfältig gespanntes organisatorisches Netz wurde versucht, die unablässige Indoktrination der

13 Siehe die Grafiken bei Buddrus, Michael.: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 144-145.

14 Vgl. ebd., S. 148.

15 Vgl. Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 87. Brockmeier ist der Verfasser des Stückes Ewiges Volk, das als drittes Heft in der Spielreihe Spiele der deutschen Jugend erschien und in Kapitel 4 im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird.

Vgl. zu Brockmeier auch Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 2) (2003), S. 1128–1129.

16 Stoverock, Karin: Musik in der (2013), 87 und S. 89. Zitat: S. 89. Vgl. auch Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 157–158.

17 Vgl. ebd., S. 153–154. Zu den Laienspielscharen der HJ siehe das folgende Teilkapitel. Zu den Reichstheatertagen der HJ, der theaterwissenschaftlichen Schulung etc. siehe die entsprechenden Ausführungen im Teilkapitel 3.4 Professionelles Theater für Kinder und Jugendliche.

18 Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 86–88. Buddrus spricht von „allumfassenden Gestaltungsansprüchen“ im Kulturbereich. (Buddrus, Michael: Totale Erziehung für (Teil 1) (2003), S. 143.).

19 Pahmeyer, Peter u. Lutz van Spankeren: Die Hitlerjugend in (1998), S. 184.

Jugendlichen zu gewährleisten. Hierzu leisteten Rundfunk und (Jugend)Presse ihren Beitrag.20 Der Musik kam eine besonders herausgehobene Position innerhalb der Kulturarbeit der HJ zu. Für alle

‚Gemeinschaftssituationen’ wie Feiern, Feste, Fahrten und Lager der NS-Organisationen entstanden zahlreiche Lieder und Liederbücher. Besonders dem Gemeinschaftssingen, der Erzeugung von Gemeinschaft durch gemeinsames Singen, wurde eine außerordentliche Bedeutung beigemessen. Es wurde, so Hopster, zu einem „zentralen Mittel der psychischen Konditionierung auf ns-affine Verhaltensmodi: das Sich-Aufgeben im Wir, das Hineinstürzen in Begeisterung und Gläubigkeit, das aktive Mitgestalten von Nähe und wechselseitiger Akzeptanz.“21 Durch das Singen hätten die Kinder und Jugendlichen die Ideologeme der Lieder leichter und schneller als beim bloßen Lesen oder Sprechen von Texten übernommen.22 Die Indoktrinierung der Jugend durch Schlagworte in Liedern sieht Stoverock als nachhaltigstes Ergebnis der versuchten musischen Erziehung durch die HJ. Von einer Erziehung, die tatsächlich die Musik in den Fokus der Bemühungen gerückt hätte, könne hingegen keine Rede sein.23

Die „besondere Sympathie“ des Reichsjugendführers habe laut Klönne aber der Theaterarbeit gegolten.24 Stoverock merkt jedoch an, dass Kultur für Schirach generell keinen Selbstzweck besessen habe, sondern stets einer weltanschaulichen Zielsetzung untergeordnet gewesen sei. So habe er im Theater wie in klassischer Literatur eine gute Möglichkeit für die Jugenderziehung gesehen,

da das Theater die Jugendlichen „in ihrem Nationalbewußtsein festigen und stärken“

könne, indem es ihnen „die großen Träger geschichtlichen Geschehens“ so darstelle, dass sie „vor ihrer Größe Ehrfurcht empfinden“ würden. Der „heldische Mensch“ sollte zum Vorbild der charakterlichen Erziehung der Jugendlichen werden.25

In der ‚Schrifttumsarbeit’ der Reichsjugendführung, also in der Arbeit, die sich mit der Förderung erwünschter und der Unterdrückung unerwünschter Literatur beschäftigte, hätten nicht erzählende Texte im Vordergrund gestanden, sondern „das Liedgut und die Fest- und Feierliteratur,

20 Schruttke, Tatjana: Die Jugendpresse im (1997), S. 22. Vgl. auch Stachura, Peter D.: Das Dritte Reich und Jugenderziehung. Die Rolle der Hitlerjugend 1933 - 1939. In: Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 1:

Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung. Hrsg. von Manfred Heinemann. Stuttgart: Klett-Cotta 1980. S. 90–

112. Hier bes. S. 99.

21 Hopster, Norbert: Fest und Feier (2005), Sp.673–674. Zitat: Sp. 674.

22 Ebd., Sp.674.

23 Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 166.

24 Klönne, Arno: Jugend im Dritten (1984), S. 66. Und ders.: Hitlerjugend (1955), S. 31.

25 Stoverock, Karin: Musik in der (2013), S. 50–51. Zitat aus Schirach: Revolution der Erziehung, 1938, S. 132. [nicht eingesehen].

einschließlich der Laienspiele“26, so Josting. Letztere hätten sich, wie Lieder, im Vergleich zu Kinder- und Jugendbüchern besser für Inszenierungen von Gemeinschaft nutzen lassen.27