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4. DIE SPIELE DER DEUTSCHEN JUGEND 1 Verlag, Herausgeber und Allgemeines zur Reihe

4.4 Thematische Schwerpunkte .1 Bauerntum .1 Bauerntum

4.4.4 Grenzland und Deutsche im Ausland

Zwei Stücke der Spiele der deutschen Jugend beschäftigen sich mit einem besonderen Fall von Volksgemeinschaft, mit Deutschen im Ausland bzw. im Grenzland. Das eine der beiden ist Die Söhne. Ein Spiel um die Mutter von Erich Colberg (Heft 6). Kurz gesagt geht es in diesem sinnbildlichen Spiel über einen Vater mit zwei Söhnen, die der Teufel in Versuchung führen will, darum, dass derjenige, der in seinem Volk verwurzelt und seiner Heimat verbunden ist, Tod und Teufel trotzen und widerstehen kann. Dabei ist es egal, wie weit entfernt von der Heimat man lebt,

338 Colberg, Erich: Hagen (1938), S. 10.

339 Ebd., S. 5 und S. 20.

340 Colberg, Erich: Brunhild (1942), S. 3.

man muss das Volk und die Heimat in sich tragen. Die Söhne sind nie im Heimatland gewesen, denn der Vater musste aus Not mit seiner Frau, die inzwischen verstorben ist, in die Fremde ziehen. Diese „Fremde“ wird im Verlauf des Stücks nicht genau lokalisiert, das Land scheint von Deutschland durch ein Meer getrennt zu sein: „Darum verließ ich der Väter Land / und bin übers Meer in die Fremde gerannt / […].“341 Einmal wird der Dollar als Währung genannt, jedoch ist nicht klar, ob es sich um die Währung des Landes handelt oder ob Dollar für Geld im Allgemeinen steht: „[...] der Dollar, wenn er rollt, / arbeitet besser für uns als der Pflug!“.342 Diese Unbestimmtheit ist gewollt; im – nicht namentlich gekennzeichneten – Vorwort heißt es dazu:

„Das Land, in dem der Vater und seine beiden Söhne wohnen, liegt nicht nur in der neuen Welt oder in Afrika oder an der Wolga oder in Eger, es liegt vielleicht noch mitten im deutschen Vaterlande – es liegt vielleicht sogar in dir selber […].“343

Nun, da der Teufel sie mit der Aussicht auf Gold und Profit lockt, er ihnen das Land abkaufen will und die Söhne nicht abgeneigt sind, wird dem Vater bewusst, dass er ihnen nicht vermittelt hat, was Heimat ist und dass diese mehr zählt als alles andere. Er bezeichnet Deutschland als seine Mutter, die er getötet habe, denn keiner seiner Söhne trage sie in sich. Der eine Sohn geht mit dem Teufel, der sich selbst zu Beginn des Stückes als „Eigennutz […], / Beelzebub, Teufel, das große Ich“344 vorgestellt hatte. Der andere Sohn will aber bleiben und sein Erbe nicht verkaufen. Doch zunächst will er gemeinsam mit dem Vater in die Heimat reisen und sich eine Frau suchen, die er von dort mitbringen will. Den beiden gelingt es also, sich dem Teufel zu widersetzen. Dieser macht zu Beginn des Stücks seine Ziele deutlich:

Mein Amt ist: zerstören, zerbrechen, zersetzen, die Menschheit nach mir auszurichten

und das große, große Ich zu züchten!

Das große Ich, die Mitte der Welt!

[…]

Volkszersetzung, das bringt am meisten ein!

Es brennt überall! Die Welt ist bald mein!

Ich mische das Blut, entfache die Triebe und predige Mord und Frieden und Liebe und alles tanzt nach meinem Gelächter!345

341 Ders.: Die Söhne. Ein Spiel um die Mutter. Leipzig: Arwed Strauch o. J. [1936? 1937?] (=Spiele der deutschen Jugend 6), S. 11.

342 Ebd., S. 12. Die Formulierung erinnert an die Redewendung ‚der Rubel rollt’. Es ist möglich, dass der rollende Dollar eine Analogbildung dazu ist, in der noch Kapitalismus- und Amerikakritik mitschwingt, denn das Streben nach Profit, nach dem ‚rollenden Dollar’, wird im Stück verurteilt.

343 Ebd., S. 3.

344 Ebd., S. 6.

345 Ebd., S. 6–7.

Der Teufel trägt einige Merkmale des vermeintlichen ‚jüdischen Weltverschwörers’ und

‚Zersetzers‘.346 Er will nach eigener Angabe das Volk „zersetzen“, u.a. durch Durchmischung des Blutes und Freisetzung der Triebe, er lockt mit Geld und Profit, verführerischen Frauen und will aus Bauernland eine Brotfabrik machen,347 hat also kein Gefühl für Heimat und keine Wertschätzung für die mit dem Land verbundene bäuerliche Arbeit. Er wird aber dennoch nicht eindeutig als Jude identifiziert, seine Figur bleibt diffus und, gerade deshalb, bedrohlich.348 Er glaubt, mit dem Vater und den Söhnen leichtes Spiel zu haben, da sie nur „Volk auf vorgeschobenem Posten“349 seien. Und wankten erst die vorderen Posten, dann halte er bald alle in seinen „Pranken“350. Doch da der Vater und zumindest sein einer Sohn sich auf Volk und Heimat besinnen, werden sie nicht zu Opfern des Teufels und schützen somit auch den Rest des Volkes. Wie einem dieses gelingt, offenbaren die Sprecher:

Wer nicht aus seinem Volke fällt,

Volk ist der Wall, den du nicht zerbrichst!

[…]

346 Vgl. dazu die Aufsätze: Piper, Ernst: Achtes Bild: „Die jüdische Weltverschwörung“. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Hrsg. von Julius H. Schoeps u. Joachim Schlör. München, Zürich: Piper 1995. S. 127–135, und Faber, Richard: Zwanzigstes Bild: „Der Zersetzer“. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Hrsg. von Julius H.

Schoeps u. Joachim Schlör. München, Zürich: Piper 1995. S. 260–264.

347 Vgl. Colberg, Erich: Die Söhne (1936), S. 8-10.

348 Vgl. zu antijüdischen Stereotypen bzw. Bildern außer den in der vorvorherigen Fußnote angegeben Aufsätzen auch die anderen Beiträge in Schoeps, Julius H. u. Joachim Schlör (Hrsg.): Antisemitismus. Vorurteile und Mythen.

München, Zürich: Piper 1995, sowie: Grüttner, Michael: Das Dritte Reich (2014), S.42 und S.422; Pfahl-Traughber, Armin: Vom religiösen über den sozialen und politischen zum rassistischen Antisemitismus. Ideengeschichtliche Bedingungsfaktoren für die nationalsozialistische Judenfeindschaft. In: Die weltanschaulichen Grundlagen des NS-Regimes. Ursprünge, Gegenentwürfe, Nachwirkungen. Tagungsband des XXIII. Königswinterer Tagung im Februar 2010. Hrsg. von Manuel Becker u. Stephanie Bongartz. Berlin: LIT Verlag Dr. W. Hopf 2011. S. 41–59;

Schäfer, Julia: Das „Judenbild“ im Bild. Visueller Antisemitismus in populären Medien. In: Judenfeindschaft als Paradigma. Studien zur Vorurteilsforschung. Hrsg. von Wolfgang Benz u. Angelika Königseder. Berlin: Metropol-Verlag 2002. S. 65–69; Erb, Rainer: Die Wahrnehmung der Physiognomie der Juden: Die Nase. In: Das Bild des Juden in der Volks- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945. Hrsg. von Heinrich Pleticha. Würzburg:

Königshausen & Neumann 1985. S. 107–126.

349 Colberg, Erich: Die Söhne (1936), S. 7–8.

350 Ebd., S. 8.

351 Ebd., S. 6–7.

Dies wird am Ende noch einmal aufgegriffen, die Botschaft ist also: Das Volk bzw. das Bewusstsein um das Volk und die eigene Zugehörigkeit zu diesem sind es, die einen gegen den Teufel, also den Eigennutz, bestehen lassen. Dabei kommt es auf jeden einzelnen an, auch auf den, der scheinbar weit entfernt von der ‚Mutter’ lebt – was sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne, als räumliche Entfernung wie als innere Ferne, verstanden werden kann.352 Deutschland wird gleich zu Beginn des Stücks als das „Mutterland“ bezeichnet, wenn ein Sprecher verkündet:

Es dringt ein Ruf über Land und Meer, über Berge und reißende Flüsse [sic] her zu dir, Deutschland!

Es geht ein Beten und raunt ein Sagen und werden Lieder, die jubeln und klagen um dich, Deutschland!

Es sind Millionen, die recken die Hand, daß du sie segnest, ewiges Mutterland Deutschland!353

Deutschland ist also ‚Mutter’ für Millionen Deutsche überall. Für die Zugehörigkeit zum Mutterland scheinen Grenzen keine Rolle zu spielen, selbst Meere und reißende Flüsse nicht.

Derselbe Text wird ganz am Ende des Stücks vom selben Sprecher noch einmal gesprochen, so dass er die Handlung einrahmt und als essentielle Botschaft des Stückes in Erinnerung bleibt. Das Stück wird im Vorwort als religiös bezeichnet:354 Dies meint aber nicht, dass es ein christliches Spiel ist, auch wenn der Antagonist als Teufel bezeichnet wird. In der Überhöhung des Mutterlandes und des Volkes sowie des Glaubens an diese steckt die Religiosität des Stückes. Diese manifestiert sich auch in der Wortwahl, der Vater klagt, er hätte „heilige Heimat“355 schaffen sollen, der Sohn will sich von der Mutter Deutschland „segnen lassen“ und sich „von heiliger Erde“356 eine Frau mitbringen.

Das zweite der Stücke, Der Birkenzweig von Kilian Koll (Heft 21), beschäftigt sich mit Deutschen, die im Grenzland leben, mit den Gefahren und Entbehrungen, die ein solches Leben mit sich bringt, aber auch mit der Kraft, die aus dem Zusammenhalt und der Heimat (symbolisiert durch

352 Vgl. dazu das Vorwort: ebd., S. 3.

353 Ebd., S. 5.

354„Es ist ein im tiefsten Sinne religiöses Spiel.“ (ebd., S. 4.)

355 Ebd., S. 14.

356 Beide Zitate: ebd., S. 21.

den Birkenzweig) erwachsen kann. Der Hof, auf dem Erdmute mit ihrer Mutter und den Mägden lebt, liegt „an der Grenze“357 und ist bedroht durch die Wasserfrau „in der düstern Flut“358. Diese hat schon viele andere Höfe verschlungen und auch auf Erdmutes Hof herrscht Furcht:

Gespielin:

Nacht für Nacht

schreckt meinen Schlaf das Grollen der Flut, die an den Deichen reißt,

unheimlich, drohend.

Ach, sie ist wieder gestiegen!

Wann verschlingt die Flut uns Grenzbauern?

Wann werden wir fliehen?359

Den Hof hatte ein Vorfahre Erdmutes auf dem ehemaligen Land der Wasserfrau angelegt, wie diese Erdmute berichtet:

Da kam aus fernen Ländern dein Urahn und baute den Hof, rodete den Sumpfwald,

und den Acker furchte sein Pflug.

Doch Jahr um Jahr kehrte ich ein bei ihm gestaltlos fließend mit hoher Flut, und er zollte mir mit Halm und Vieh;

Jahr um Jahr fraß ich mich satt.

All seine Nachkommen hielten mit mir einen widerwilligen Frieden und zahlten mir Zoll.360

Doch Erdmutes Vater hatte es durch Deichbau der Wasserfrau unmöglich gemacht, sich Jahr für Jahr an seinem Hof gütlich zu tun. Sie will das Land zurück und lässt ihren Sohn, Knecht Ungestalt, um Erdmute werben Doch diese will den Hof nicht der Wasserfrau und ihrem Sohn überlassen:

„Aber weil ich dir Widerstand leiste / mit der Kraft meines Herzens, / darum überwindest du mich nicht. / Mein bleibt der Hof an der Grenze!“361 Stattdessen begibt Erdmute sich auf eine gefahrvolle Reise, um ihre verschollenen sieben Brüder zu suchen und zurückzuholen, um so die Deiche und damit den Hof zu retten. Einzige Hilfe ist ihr dabei ein immergrüner Birkenzweig, den ihr Frau Holle schenkt. In diesem blühe und treibe die Kraft ihrer Heimat, so Frau Holle. Erdmute findet ihre Brüder und diese werden mit ihr auf den Hof zurückkehren. Ihre jeweiligen Berufe wie

357 Koll, Kilian: Der Birkenzweig (1939), S. 6.

358 Ebd., S. 7.

359 Ebd., S. 6.

360 Ebd., S. 8–9.

361 Ebd., S. 25.

Maurer, Schmied, Tischler oder Schneider werden nützlich für das Fortbestehen des Hofes sein – sie können wichtige Aufgaben erfüllen, die Erdmute zuvor in einem Gespräch mit ihrer Mutter über die abwesenden Brüder als essentiell gekennzeichnet hatte:

Wir sind verloren ohne sie.

Ein Bauer muß den Acker bestellen mit scharfem Pflug.

Ein Schmied muß die Pferde beschlagen mit schallendem Hammerschlag.

Neue Mauern müssen

mit fleißiger Kelle errichtet sein.

Neue Türen und Dielen in Haus und Stall!

Neue Kleider an den Leib!

Brot muss einer backen.

Und eine wehrhafte Faust muß das Gesindel verjagen.362

Für die letztgenannte Aufgabe wird der Bruder zuständig sein, der bisher Soldat war. Auch dieser will zurückkehren, zum Bauern werden und den Hof – und damit die Heimaterde – „mit Pflug und Schwert“363 verteidigen.

Das Grenzland, die Grenze oder das Ausland, in dem die Deutschen sich in den beiden besprochenen Stücken befinden, wird in keinem der beiden Stücke genau geographisch lokalisiert.

Es geht auch nicht um konkrete Ereignisse, sondern um das grundsätzliche Erleben der Abgeschnittenheit von der Heimat, von bedrohlichen Umständen, die sich jedoch in beiden Stücken unterschiedlich äußern. Unmissverständlich ist jedoch, dass die so abgelegen lebenden Deutschen dennoch Bestandteil des deutschen Volkes und der ‚Volksgemeinschaft‘ sind und sein sollen.

4.4.5 Antisemitismus

Offener und unmissverständlicher Antisemitismus findet sich in den Spielen der deutschen Jugend in sechs Stücken. In zweien davon ist das antisemitische Moment sehr stark (Hefte 4 und 26), in den anderen Stücken (Hefte 7, 11, 19 und 27) sind es lediglich kurze Textstellen, die explizit gegen Juden gerichtet sind. Das erste Beispiel eines antisemitischen Stückes ist Fiedel und Galgen von Oskar Seidat (Heft 26). Eine der beiden Hauptrollen ist die Figur des Juden. Schon im Vorwort wird von Förster darauf hingewiesen, dass die einzige Schwierigkeit des Stücks darin bestehe, einen

362 Ebd., S. 27.

363 Ebd., S. 53.

geeigneten Darsteller für diese Rolle zu finden. Wie das Problem gelöst werden könne, sei aus dem

„trefflichen Vorspruch, der ein Musterbeispiel einer guten Spieleinführung“364 sei, ersichtlich. In diesem Vorspruch werden die Rollen und ihre Darsteller kurz vorgestellt. Er solle durch die aufführenden Gruppen nach den örtlichen Umständen „umgedichtet werden“365, wie es in den Spielanweisungen (ebenfalls von Förster) heißt, also durch die jeweiligen Namen der Darsteller ergänzt und eventuell den individuellen Besonderheiten der Spieler angepasst werden. Den Schlusspunkt der ‚Vorstellungsrunde’ durch den Sprecher des Vorspruchs bildet die Rolle des Juden:

Zum Schluß – herrjeh, nun wird die Sache schwer – wo nehmen wir einen Juden her?

Vor Jahr und Tag, da war’s ein leichter Fall:

man sah sie hier und überall

auf Straßen und Märkten, in Börsen und Läden

beim Schachern und Wuchern mit Lumpen und Fäden, mit Diamanten und Perlen und Edelsteinen,

mit Knochen und Fellen und Därmen von Schweinen.

Das war ein Gehandel, Gehandel, Getausche – doch heuer hat sich’s ausgemauschelt. Öffentlichkeit verschwunden sind. Seit November 1938 durften sie z.B. tatsächlich nicht mehr an

‚deutschen’ kulturellen Veranstaltungen teilnehmen.367 Gleichzeitig wird hier ein stereotypes Bild von Juden gezeichnet. Sie erscheinen als Händler, die mit allem und jedem handeln368 – Wertlosem wie Lumpen, Kostbarem wie Edelsteinen und Ekligem wie Knochen und Schweinedärmen.369

364 Seidat, Oskar: Fiedel und Galgen (1941), S. 5.

365 Ebd.

366 Ebd., S. 7–8.

367 Am 12.11.1938 hatte die Reichsregierung die vollständige Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben und weitere Beschränkungen ihres Alltagslebens beschlossen. Außerdem wurde von ihnen eine ‚Entschädigungszahlung‘

in Höhe von 1 Milliarde Reichsmark für die Pogrome vom 9./10.11. verlangt. Vgl. hierzu https://www.dhm.de/lemo/jahreschronik/1938 (25.1.2017).

368 Dies entspricht einem der Merkmale des sozialen Antisemitismus, in dem ein tatsächlicher oder eingebildeter Status von Juden innerhalb einer Gesellschaft Motiv des Antisemitismus ist. Als hauptsächlich anzutreffende Auffassungen sind jene zu nennen, die „Juden als ausbeuterische und unproduktive ‚Händler‘ und ‚Wucherer‘ betrachten und diffamieren.“ (Pfahl-Traughber: Vom religiösen über (2011), S. 50.).

369 Diese Vorstellung ist besonders interessant, da nach den jüdischen Speisegeboten der Verzehr von Schweinefleisch untersagt ist. Dieses Wissen dürfte in den 1930er Jahren auch unter Nichtjuden in Deutschland allgemein verbreitet

Außerdem dient diese Textpassage möglicherweise als Aufforderung zu einer gewissen Kontrolle.

Das Publikum soll aufmerksam sein, sich umsehen und fragen: „Gibt es noch Juden unter uns?“

Im Zusammenhang mit der Suche nach einem Darsteller für die Figur des Juden führt die Abwesenheit der Juden zu einer gewissen Komik – ein der nationalsozialistischen Ideologie nach ja eigentlich wünschenswerter Zustand wird hier zum Problem, welches nur mit einem Verkleidungstrick behoben werden kann:

– Nun? Keiner? Hm! das ist fatal Dann bleibt mir anders keine Wahl, und ich versuch es selbst einmal.

– Seht – diese Nase ist Judenart, (weist eine Nasenmaske)

das Käppchen hier, den Ziegenbart – (vorweisend)

die setz‘ ich auf, das bind‘ ich um – sag‘ einer doch, ich wäre dumm!

(Gestikulierend):

Jetzt red ich nur noch mit de Händ.

Das Spiel beginnt – der Vorspruch hat ein End‘.370

Nicht nur auf der fiktiven Ebene des Stückes bestand eine Schwierigkeit in Bezug auf die Figur des Juden, es dürfte auch eine reale gegeben haben. Diese bestand natürlich nicht darin, dass tatsächlich ein ‚echter’ Jude für die Darstellung des Juden im Stück nötig und gewünscht gewesen wäre und keiner zu finden war. Es ist vielmehr vorstellbar, dass in einer Gruppe von Kindern bzw.

Jugendlichen unter den Gruppenmitgliedern Hemmungen bestehen konnten, ausgerechnet einen Juden darstellen zu müssen. Als Lösung für das Problem der Rollenbesetzung ist, wie im Zitat zu lesen, vorgesehen, dass auf offener Bühne die Verwandlung des Ansagers in die Figur des Stückes vollzogen wird. Dieses Element der Illusionsbrechung bietet dem Darsteller des Juden einen gewissen Schutz: Öffentlich wird hier deutlich gemacht, dass er selber kein Jude ist und sich nicht

‚jüdisch’ verhält. Im nun folgenden Stück kann er, je nach spielerischem Vermögen, in der zu verkörpernden Rolle aufgehen und in Mimik, Gestik und Sprechweise jedes Klischee der Judendarstellung auf die Spitze treiben, ohne Gefahr zu laufen, selber als jüdisch wahrgenommen zu werden. Da der Darsteller als Sprecher des Vorspruchs bereits aufgetreten ist, haben alle im Publikum sein wahres Äußeres gesehen, seine Stimme und Sprechweise gehört und gesehen, dass er sich auch anders bewegen kann, als er das möglicherweise in der Rolle des Juden tut.

gewesen sein. Wenn Juden aber dennoch, wie hier suggeriert, mit Schweinedärmen handeln, könnte das als Beleg für kursierende Vorurteile verstanden werden, also als Beleg dafür, dass Juden angeblich mit allem handeln und dass ihnen nichts ‚heilig‘ sei. (Vgl. die vorhergehende Fußnote).

370 Seidat, Oskar: Fiedel und Galgen (1941), S. 7–8.

Nicht zuletzt beginnt im Vorspruch die Charakterisierung der Figur des Juden. Sowohl die Figurenrede wie auch die Regiebemerkungen geben Anweisungen für die Umsetzung des Stücks auf der Bühne. In diesem Abschnitt enthält der Text Hinweise, dass und wie der Darsteller des Juden sich mit klischeehaft-jüdischen Accessoires – einer auffälligen falschen Nase, einem Kinnbart und einer Kappe – ausstaffieren soll. Beide Textbestandteile, sowohl die Figurenrede wie die Regiebemerkungen, bieten zudem einen Hinweis auf die Gestik des Juden: „(Gestikulierend):

Jetzt red ich nur noch mit de Händ.“ So soll die Figur durch Kostüm und Spielweise schon äußerlich klar identifizierbar sein und ins Lächerliche gezogen werden. Weitere stereotype Vorstellungen über Juden werden, wie oben bereits erwähnt, ebenfalls angerissen371: der Händler, der mit wertvollen wie wertlosen Dingen seinen Profit zu machen sucht, das ‚typische’ Äußere mit platten Füßen und krummer Nase, wie es die Karikaturen im Stürmer und anderen Presseerzeugnissen seit Jahren verbreiteten.372 Diese Darstellung des Juden entspricht dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit in der Darstellung literarischer Figuren als Fremde. Sie erscheint plausibel, da sie auf Vorwissen bzw. bestimmte Vorstellungen von Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen ‚des Juden‘ zurückgreift, also auf bestimmte nationale Stereotype, die Ruth Florack als Topoi versteht.373

Im Verlaufe des Stückes wird die Judenfigur weiter charakterisiert, unter anderem durch Regiebemerkungen, so beim ersten Auftritt auf Seite 11: „(Jude ist während des Selbstgesprächs herbeigeschlichen und äugt begierig hinter dem Strauch hervor.)“. In dieser kurzen Textstelle stecken wesentliche für die Figur des Juden charakteristische Merkmale hinsichtlich der Art sich zu bewegen. Er soll nicht einfach auftreten, sondern „herbeischleichen“ – sich also langsam, vorsichtig und vielleicht geduckt bewegen. Dann soll er hinter einem Strauch „hervoräugen“ – soll sich also verstecken und nicht offen zeigen. Auch durch die Wahl des Verbs „äugen“ anstelle von

371 Vgl. die Aussagen von Ruth Florack zu Stereotypen und besonders zu nationalen Topoi in der Literatur: Florack, Ruth: Bekannte Fremde (2007). Florack versteht nationale Stereotype – und als solche sind antisemitische Stereotype zu verstehen – als Topoi, die besonders in einer auf Breitenwirkung angelegten, formelhaften Literatur stark verhaftet seien. (Vgl. ebd., S. 158–159.).

372 Vgl. zu stereotypen Judenbildern und -darstellungen Grüttner, Michael: Das Dritte Reich (2014), S. 42 und S.422;

Schäfer, Julia: Das „Judenbild“ im (2002); Schoeps, Julius H. u. Joachim Schlör (Hrsg.): Antisemitismus (1995) (mehrere Beiträge); Erb, Rainer: Die Wahrnehmung der (1985). Zu Judenrollen im Theater vgl. Bayerdörfer, Hans-Peter (Hrsg.): Theatralica Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoah. Tübingen: Niemeyer 1992 (=Theatron 7). Und ders.: Judenrollen: Reflexionsinstanzen im Fächersystem. In: Rollenfach und Drama. Hrsg. von Anke Detken u. Anja Schonlau. Tübingen: Narr 2014. S.

197–224. Zu den verschiedenen Komponenten des nationalsozialistischen Antisemitismus, der sich neben seinen rassistischen Merkmalen auch auf ältere Traditionen des religiösen, sozialen und politischen Antisemitismus stützte, siehe einführend Pfahl-Traughber, Armin: Vom religiösen über (2011).

373 Vgl. Florack, Ruth: Bekannte Fremde (2007). Bes. S. 160-161.Bei dieser Art der Typisierung literarischer Figuren handele es sich weder um die Verwendung bedeutungsloser Klischees noch um die persönliche Einschätzung eines

373 Vgl. Florack, Ruth: Bekannte Fremde (2007). Bes. S. 160-161.Bei dieser Art der Typisierung literarischer Figuren handele es sich weder um die Verwendung bedeutungsloser Klischees noch um die persönliche Einschätzung eines