• Keine Ergebnisse gefunden

6 Unterschreiten des gesetzlichen Mindestkapitals

7.2 Haftungsmaßstab bei der Haftung gegenüber den

Umwand-lung der Antragspflicht in eine generelle Überwachungspflicht Der Haftungsmaßstab für die Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ist ebenfalls umstritten. Durch die Anknüpfung an die Insolvenzantragspflicht zur Erreichung einer umfassenden Außenhaftung treten Friktionen mit dem Erfordernis positiver Kenntnis für den Lauf der Dreiwochenfrist des

§ 64 Abs. 1 GmbHG auf. Als Konsequenz der Bejahung eines Außenhaftungsmodells ist im Ergebnis eine Fahrlässigkeitshaftung zu befürworten. Die dieser zu Grunde

lie-gende allgemeine Überwachungspflicht des Geschäftsführers ist jedoch mit der Insol-venzantragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG nicht identisch.

7.2.1 Herrschende Ansicht: Fahrlässigkeitshaftung

Die herrschende Meinung lässt generell Fahrlässigkeit genügen257. Dennoch soll die Antragsfrist erst mit positiver Kenntnisnahme zu laufen beginnen. Der BGH weist aus-drücklich darauf hin, dass der Maßstab für den Beginn der Antragsfrist und für die Haf-tung unterschiedlich sei258. Wie dies begründbar ist, wird nicht gesagt. Die Lösung dürf-te jedoch darin liegen, dass die Dreiwochenfrist nur bei Besdürf-tehen von Sanierungschan-cen ausgeschöpft werden darf. Dem Geschäftsführer soll somit unabhängig von einer bereits eingetretenen Haftung die Sanierung der Gesellschaft ermöglicht werden. De facto hat die dreiwöchige Frist für die Haftung des Geschäftsführers keine Bedeutung.

Er haftet nach der Rechtsprechung des BGH unmittelbar ab Eintritt der Insolvenzgrün-de, wenn er diese fahrlässig verkennt.

7.2.2 Gegenansicht: Haftung nur bei positiver Kenntnis der Insolvenz

Nach den allgemeinen Grundsätzen zu § 823 Abs. 2 BGB richtet sich dessen Haftungs-maßstab nach dem SorgfaltsHaftungs-maßstab des Schutzgesetzes259, also vorliegend des § 64 Abs. 1 GmbHG. Setzt man für die Entstehung der Antragspflicht positive Kenntnis von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit voraus, gilt dies auch für die Haftung gemäß

§ 823 Abs. 2 BGB. Fahrlässigkeit genügt dann nur hinsichtlich der übrigen Vorausset-zungen260.

257 BGH, Urteil vom 9.7.1979, BGH Z 75, 96 (111); BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126 , 181 (199);

vgl. Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rz 87.

aumbach/Hueck, GmbHG

258 BGH, Urteil vom 9.7.1979, BGH Z 75, 96 (111).

259 Verlangt das Schutzgesetz Vorsatz, gilt dies auch für die Haftung im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB, /Thomas, § 823 Rz 143.

Palandt

260 So Marsch-Barner/Diekmann in , § 46 Rz 70, S. 676;

Schulze-Osterloh in B Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 64 Rz 87; , S. 719.

Schulze-Osterloh in FS Lutter

7.2.3 Stellungnahme: Fahrlässigkeitshaftung unter Zuhilfenahme des

§ 41 GmbHG

Denkbar sind drei Lösungen: Haftung und Beginn des Fristlaufs mit positiver Kenntnis, Haftung und Beginn des Fristlaufs mit fahrlässiger Unkenntnis oder entsprechend der herrschenden Ansicht Haftung mit fahrlässiger Unkenntnis, jedoch Beginn des Frist-laufs erst mit positiver Kenntnis. Zu Fragen ist zunächst, ob die Unterscheidung zwi-schen Haftungsmaßstab und Beginn des Fristlaufs zulässig ist. Davon unabhängig zu beurteilen ist die rechtspolitische Frage, ob eine Fahrlässigkeitshaftung, oder nur eine Vorsatzhaftung erreicht werden soll.

7.2.3.1 Unterscheidung zwischen Haftungsmaßstab und Beginn des Laufs der An-tragsfrist

Die Unterscheidung zwischen Haftung und Fristlauf ist dogmatisch nicht stimmig. Be-ginnt die Frist und somit logischerweise auch die Antragspflicht überhaupt erst mit po-sitiver Kenntnis zu laufen, so kann eine Haftung wegen Verletzung ebendieser Pflicht nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt eintreten. Das Problem entsteht, weil die haf-tungsauslösende Pflichtverletzung, Verzögerung bzw. Unterlassen der Insolvenzan-tragsstellung nicht zu der gewünschten masseunabhängigen Haftung passt. Während eine Masseminderung durchaus direkt auf einer Antragsverzögerung beruhen kann, ist der Geschäftsabschluss unmittelbar schädigende Handlung gegenüber den Neugläubi-gern. Dem trägt das italienische Recht Rechnung.

Auch die Ausführungen des BGH, die den Schluss nahe legen, dass sich die Fahrlässig-keit nur auf die Fortbestehensprognose beziehen soll, können in einem anderen Licht interpretiert werden. In dem Urteil, in dem er die Wende zum Ersatz des negativen In-teresses für Neugläubiger vollzieht, schreibt der BGH:

Stellt sich dabei [bei der Aufstellung eines Vermögensstatus] eine rechnerische Überschuldung heraus, dann muß er [der Geschäftsführer] prüfen, ob sich für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose stellt [...]. Gibt es be-gründete Anhaltspunkte, die eine solche Prognose rechtfertigen, so kann das Unternehmen weiterbetrieben werden. Hierbei ist dem Geschäftsführer ein ge-wisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen; vor allem kommt es nicht auf

nach-trägliche Erkenntnisse, sondern auf die damalige Sicht eines ordentlichen Ge-schäftsleiters an261.

Mit der gesetzlichen Einführung des einstufigen Überschuldungsbegriffes wäre dies obsolet geworden. Der BGH müsste nun konsequenterweise ebenfalls eine Haftung nur bei positiver Kenntnis der Überschuldung bejahen und damit zu einem Gleichlauf kommen.

Dennoch machen die hinter der Unterscheidung stehenden praktischen Erwägungen Sinn. Ein Beginn der Antragsfrist bereits mit fahrlässiger Unkenntnis würde dazu füh-ren, dass die Antragsfrist bei positiver Kenntnisnahme durch den Geschäftsführer häufig bereits abgelaufen wäre. Der Geschäftsführer müsste dann sofort Insolvenzantrag stel-len. Für Sanierungsmaßnahmen bliebe kein Raum mehr. Somit könnte ein Gleichlauf nur mit dem Abstellen auf positive Kenntnis auch bei der Haftung erreicht werden262. 7.2.3.2 Praktisches Erfordernis einer Fahrlässigkeitshaftung

Für ein Abstellen auf die positive Kenntnis auch bei der Haftung wird von Canaris263 ins Feld geführt, dass es dem deutschen deliktsrechtlichen System widerspricht, eine zivil-rechtliche Haftung für fahrlässigen Betrug einzuführen. Ebenso sei auch eine fahrlässige Haftung für allgemeine Vermögensschäden systemwidrig264.

Diese Ansicht hat aber das starke Argument gegen sich, dass eine Haftung nur bei posi-tiver Kenntnis häufig wegen Beweisschwierigkeiten leer liefe. Es bestünde dann auch kein Bedürfnis mehr nach einer Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB, da eine Vorsatzhaftung bereits durch § 826 BGB gegeben ist. Für die in der Rechtsprechung vorherrschende Ansicht spricht zudem, dass auch die strafrechtliche Bewehrung der Antragspflicht in § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG durch § 84 Abs. 2 GmbHG eine

261 BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126, 181 (199).

262 Gegen eine Fahrlässigkeitshaftung auch Gerd Müller, GmbHR 1996, 393 (400).

263 Canaris, JZ 1993, 649 (651).

264 In Italien freilich gibt es eine fahrlässige Haftung für allgemeine Vermögensschäden, vgl. Kap. 8.1.

Fahrlässigkeitsvariante kennt. Dies wäre ohne das objektive Bestehen einer Antrags-pflicht auch bei bloßem Kennenmüssen nicht denkbar.

7.2.3.3 Umwandlung der Antragspflicht in eine generelle Überwachungspflicht durch die herrschende Ansicht

7.2.3.3.1 Generelle Überwachungspflicht als dogmatische Begründung einer Fahrlässigkeitshaftung

Die Fahrlässigkeitshaftung ist somit wünschenswert. Eine sinnvolle dogmatische Be-gründung geben Marsch-Barner/Diekmann:

Da die Geschäftsführer verpflichtet sind, sich jederzeit über die Lage der Ge-sellschaft ein Bild zu verschaffen, verletz[t]en sie ihre Antragspflicht schon dann, wenn sie die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht erkennen. Es genügt deshalb [bei der Frage des Beginns der Antragsfrist], auf die Kenntnis der verpflichteten Person abzustellen265.

Sie sehen also als verletzte Pflicht, die zur Haftung führt, die eigenständige Pflicht, sich ständig über den Vermögensstatus der Gesellschaft zu vergewissern266.

7.2.3.3.2 Eigene Lösung: § 41 GmbHG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB Die generelle Überwachungspflicht deckt sich jedoch nicht mit der Insolvenzantrags-pflicht, die § 64 Abs. 1 GmbHG statuiert. Wenn man eine solche allgemeine Überwa-chungspflicht dem GmbHG entnehmen will, so ist nach zustimmungswürdiger An-sicht267 § 41 GmbHG als Schutzgesetz gegenüber den Gesellschaftsgläubigern

265 Marsch-Barner/Diekmann in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 45 Rz 70, S. 658.

266 (305): „Pflicht zu ständiger Beobachtung von Liquidität und Verschul-dung“. Ausdrücklich hat der BGH, Urteil vom 20.2.1995, ZIP 1995, 560 (561), das Bestehen einer solchen Pflicht im Zusammenhang mit § 49 Abs. 3 GmbHG festgestellt, vgl. Kap. 5.2.

Lutter, GmbHR 2000, 301

267 (524 ff); K. Schm (842); Schneider in , § 43

Rz 236a; St ,

S. 187 ff. (insbesondere S. 197). Unentschieden Crezelius in , § 41 Rz 8. Erstaunli-cherweise sieht auch

, S. 467 f, der eine reine Innenhaftung vertritt, ein Bedürfnis , § 41 GmbHG als Schutzgesetz anzuerkennen.

Biletzki, BB 2000, 521 idt, ZIP 1994, 837 Scholz, GmbHG

Scholz, GmbHG

apelfeld, Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Fehlverhalten in der Gesellschaftskrise Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Ange-stellten

ziehen. Die Überwachungspflicht ergibt sich als Teil der Pflicht zur sorgfältigen Buch-führung. Die Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG kann dann im Gleich-lauf mit den Voraussetzungen für den Beginn der Antragsfrist auf positive Kenntnis beschränkt werden. Die daraus resultierende Einstufung von § 41 GmbHG als Schutz-gesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschaftsgläubiger entspricht zwar nicht der wohl noch herrschenden Meinung268, verdient jedoch Zustimmung.

7.2.4 Ergebnis: Fahrlässigkeitshaftung in Deutschland und Italien

Es bleibt festzuhalten, dass diese Schwierigkeiten nur entstehen, da das GmbHG die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern nicht selbst regelt. Würde man die Haf-tungsverfassung der GmbH im GmbHG selbst regeln und nicht nur durch Rückgriff auf die allgemeine deliktische Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m.

§ 64 Abs. 1 GmbHG, könnte man einen anderen Pflichtverstoß, zum Beispiel den Ge-schäftsabschluss selbst, als Haftungsanknüpfungspunkt nehmen. Ein Konflikt mit dem Wunsch nach zeitlicher Hinauszögerung der Konkursantragspflicht, um eine Sanierung zu ermöglichen, kann dann nicht mehr eintreten. Dass dies de facto durch die Fahrläs-sigkeitshaftung bei §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG bereits geschieht, ist zwar mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren, aus den genannten praktischen Gründen aber hin-zunehmen.

Damit besteht sowohl in Deutschland, als auch in Italien die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern schon bei fahrlässiger Unkenntnis der Kapitalverluste.