• Keine Ergebnisse gefunden

3 Kapital als Indikator und Tatbestände wirtschaftlicher Schieflage

3.3 Ermittlung der Kennzahlen durch den Geschäftsführer aus der Bilanz

3.3.1 Bilanzaufstellung und Bewertungsregeln

Unstrittig ist, dass sich die zur Beurteilung der Voraussetzungen des

§ 30 Abs. 1 GmbHG erforderliche Zwischenbilanz auf den Auszahlungszeitpunkt be-ziehen muss49. Nach überwiegender Auffassung ist jedoch die Errichtung einer entspre-chenden förmlichen Bilanz keine Voraussetzung des § 30 Abs. 1 GmbHG50.

Dieser Auffassung ist zuzustimmen. § 30 Abs. 1 GmbHG enthält, anders als zum Bei-spiel die alte Fassung des § 64 Abs. 1 GmbHG, keine explizite Erwähnung einer Bilanz.

Somit hat die Bilanz nur den Wert eines Beweismittels. Zudem würde das Verbot des § 30 Abs. 1 GmbHG leer laufen, wenn der Geschäftsführer durch Nichterstellung einer Bilanz selbst darauf Einfluss nehmen könnte. Vielmehr muss das Verbot automatisch mit entsprechendem Kapitalstand entstehen. Etwas anderes gilt natürlich bei der Frage nach der Haftung aus § 31 Abs. 6 GmbHG, die ausdrücklich ein Verschulden des schäftsführers verlangt. Dieses hängt dann vom Kennen oder Kennenmüssen des Ge-schäftsführers ab, wofür jedoch ebenfalls eine förmliche Bilanz nicht zwingend erfor-derlich ist, sondern nur Beweisfunktion hat.

Anders als bei der Überschuldungsbilanz sind die Vermögenswerte nicht mit den Liqui-dationswerten, sondern mit den Fortführungswerten anzusetzen51. Der Ansatz mit der GmbH als going concern ergibt sich bereits aus der Überlegung, dass zum Zeitpunkt der Unterbilanz die Gesellschaft noch nicht zwingend einer Zerschlagung entgegengeht.

Vielmehr zeigt § 30 Abs. 1 GmbHG, dass die Gesellschaft am Markt noch ohne weite-res wirtschaftlich tätig sein kann. Zahlungen an Dritte, also Geschäftspartner, bleiben ja erlaubt.

3.3.1.2 Bilanz in Italien

Auch das italienische Recht kennt die Unterscheidung zwischen Bewertung zu Fortfüh-rungswerten (going concern, bzw. continuità aziendale) und Liquidationswerten, wel-che in der Liquidationsbilanz anzusetzen sind52. Zur Bewertung der perdite del capitale, die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 2446 c.c. und Art. 2447 ff c.c. sind, ist je-doch die Bewertung wie bei der normalen Bilanz, also zu Fortführungswerten, vorzu-nehmen53.

Daran könnte man zweifeln, da die Art. 2447 ff c.c. ja unter anderem die Auflösung der Gesellschaft wegen Kapitalmangels regeln. Allerdings befindet sich die Gesellschaft bis zum Eingreifen dieser Regelung noch im operativen Zustand. Anders als bei der Über-schuldungsbilanz ist der zu beurteilende Kapitalmangel auch noch nicht bis zu einer völligen Aufzehrung des Stammkapitals fortgeschritten. Zu beurteilen ist die Frage, ob der gesetzliche Mindestkapitalbetrag unterschritten ist. Daher ist es auch gerechtfertigt, wenn man gleichsam automatisch eine positive Fortbestehensprognose zugrundelegt.

Erst mit Auflösung der Gesellschaft ist die Bewertung umzustellen.

51 Goerdeler/Müler in , § 30 Rz 30; Hueck/Fastrich in

, § 30 Rz 6; , § 30 Rz 15;

(1578); Westermann in Schol , § 30 Rz 14.

Hachenburg/Ulmer, GmbHG Baumbach/Hueck,

GmbHG Lutter/Hommelhoff, GmbHG Klaus Müller, DStR 1997, 1577

z, GmbHG

52 Colombo, BILANCIO D’ESERCIZIO, S. 395.

53 Nobili/Spolidoro, RIDUZIONE DI CAPITALE, S. 290 f.

3.3.1.3 Verlustanzeigebilanz

Auch die Bilanz zur Ermittlung des Verlustes der Hälfte des Stammkapitals ist nach überwiegender Ansicht nach Fortführungswerten aufzustellen54, während die Gegenan-sicht wie bei der Überschuldungsbilanz bei negativer Fortführungsprognose eine Bilan-zierung nach Liquidationswerten fordert55. Die Bilanzierung nach Fortführungswerten ist jedoch zustimmungswürdig, weil die Gesellschaft im Stadium des Verlustes der Hälfte des Stammkapitals noch nicht notwendig einer Auflösung entgegengeht, sondern erst mit Eintritt der Überschuldung. Daher hat die Bilanzierung nach den allgemeinen handelsbilanziellen Grundsätzen zu erfolgen.

3.3.1.4 Überschuldungsbilanz

Im Stadium der drohenden Überschuldung56 hat der Geschäftsführer eine eigene Über-schuldungsbilanz bzw. einen Überschuldungsstatus aufzustellen, was auch der BGH klarstellt:

Bei Anzeichen einer Krise wird er sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand verschaffen müssen [...]57.

Die Erstellung der Überschuldungsbilanz hat aber nur insoweit auf die zu besprechen-den Pflichten Einfluss, als aus der fahrlässigen Unkenntnis einer Überschuldung durch Erstellung einer Bilanz positive Kenntnis derselben werden kann. Insbesondere die Konkursantragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG entsteht unabhängig von der

54 Förschle/Hoffmann in , N Rz 30; Roth in ,

§ 49 Rz 12; Schulze-Osterloh in , § 84 Rz 11; K. Schmidt in , § 49 Rz 22.

Budde/Förschle, Sonderbilanzen Altmeppen/Roth, GmbHG

Baumbach/Hueck, GmbHG Scholz,

GmbHG

55 Koppensteiner in , § 49 Rz 11; ,

§ 49 Rz 13; (203).

Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG Lutter/Hommelhoff, GmbHG

Lutter/Hommelhoff, GmbHG Welf Müller, ZGR 1985, 191

56 Bereits beim Verlust der Hälfte des Stammkapitals, , § 64 Rz 12.

57 BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126, 181 (199).

lung einer Überschuldungsbilanz bzw. eines Überschuldungsstatus58. Dies war früher umstritten, da § 64 GmbHG vor der Neufassung seit dem 1.8.1986 ausdrücklich darauf Bezug nahm, dass sich bei der Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz die Überschuldung zu ergeben hat59. In der Neufassung des § 64 Abs 1 Satz 2 GmbHG ist nunmehr die Bilanz nicht mehr erwähnt.

Für den Überschuldungsstatus gelten besondere Ansatzregeln60. Auf der Aktivseite sind bei negativer Fortbestehensprognose die Vermögensgegenstände nicht nach Fortfüh-rungswerten (going concern), sondern nach Liquidationswerten anzusetzen. Gegenüber den Fortführungswerten liegen die Liquidationswerte, die auch noch bei einer Zerschla-gung des Unternehmens realisierbar sind, niedriger. Es ist nach der in § 19 Abs. 2 InsO vorgesehenen Methode zu differenzieren61: Bei positiver Fortbestehensprognose kann die Frage, ob Überschuldung vorliegt, anhand einer Bilanz nach Fortführungswerten beurteilt werden. Bei negativer Fortbestehensprognose ist jedoch ein Überschuldungs-status mit Liquidationswerten zu Grunde zu legen.

Auf der Passivseite müssen Gesellschafterdarlehen bei Abgabe einer Rangrücktrittser-klärung nicht passiviert werden62. Generell sind Forderungen gegen die Gesellschaft nur

58 , § 64 Rz 4; Gurke, , S. 41.

Dies ergibt sich auch daraus, dass ansonsten die vom BGH vertretene Haftung wegen fahrlässiger Verkennung einer Überschuldung nicht möglich wäre, vgl. Kap. 7.2.

Altmeppen/Roth, GmbHG Sorgfaltspflichten bei drohender Überschuldung

Gurke, Sorgfaltspflichten bei drohender Überschuldung

59 , S. 15, der aber bereits für die alte Rechtslage

nachweist, dass dies nur auf einem überholten statischen Bilanzverständnis beruht, a.a.O., S. 31.

60 Vgl. , § 64 Rz 14 ff; Schulze-Osterloh in , §

62 So BGH vom 8.1.2001, ZIP 2001, 235 (236 ff), mit dem der zu Grunde liegende Streit, welche Anfor-derungen zu stellen sind, damit ein Gesellschafterdarlehen nicht als Verbindlichkeit angesetzt werden muss, entschieden sein dürfte.

insoweit zu passivieren, als sie auch in der Insolvenz noch geltend gemacht werden könnten63.